Hintergrund: Der von der OECD verfolgte „Ageing in Place“-Ansatz stellt eine Lösungsstrategie zum Umgang mit den Herausforderungen des demografischen Wandels sowie des Fachkräftemangels dar. Ein Schlüssel zur Umsetzung dieses Ansatzes ist die adäquate Qualifizierung von Ärzte und Pflegefachkräften. Durch flächendeckende Bildungs- und Weiterbildungsangebote könnten die professionellen Akteure in die Lage versetzt werden, der zunehmenden Versorgung multimorbider, älterer chronisch- und demenziell erkrankter Menschen zu begegnen. Das Erlernen des Umgangs und der Möglichkeiten zur sinnvollen Integration technologiebasierter Assistenzsysteme bilden dazu das Fundament.
Fragestellungen: Mit welchen technologiebasierten und robotischen Assistenzsystemen sind Ärzte und Pflegefachkräfte vertraut? Welche Barrieren und Potentiale sind in Hinblick der praktischen Umsetzbarkeit zu identifizieren und welche Akzeptanz lässt sich bei Ärzten und Pflegefachkräften bzgl. neuer, medial-unterstützter didaktischer Konzepte, wie z.B. die Integration von Virtual Realitiy und e- bzw. blended learning Lernformen, im Bereich der Weiterbildungen eruieren?
Methode: Auf der Grundlage einer systematischen Literaturanalyse sind dazu in einem ersten Schritt Ansprechpartner in der professionellen Versorgung (u.a. Hausärzte und Pflegeheime) in Sachsen-Anhalt eingeladen worden, die mithilfe von qualitativen, leitfadenstrukturierten Fokusgruppen befragt werden. Die Auswertung der Erhebung erfolgt nach qualitativen und inhaltsanalytischen Gesichtspunkten (Flick, 2010).
Ergebnisse: Die ersten Ergebnisse der Literaturanalyse und der Vorerhebungen geben Hinweise auf allgemein hohe Technikaffinität von Ärzten und Pflegefachkräften. Im Versorgungssetting werden bekannte – im Heilmittelkatalog verzeichnete – technische Unterstützungen aktiv eingesetzt (u.a. Diagnostik und Medizinprodukte). Neuartige technische Unterstützungsmöglichkeiten, z.B. im Bereich Sicherheit, Haustechnik, Mobilität und der vernetzten Kommunikation – im Sinne einer interprofessionellen Versorgung – sind hingegen in der Wahrnehmung der Ärzte und Pflegefachkräften unterrepräsentiert und spielen sowohl im Versorgungskontext als auch in der didaktischen Gestaltung von Bildungsangeboten eine untergeordnete Rolle. Der Bedarf an einer breiteren Teilhabe an Informationen und entsprechenden Anwendungsmöglichkeiten in den Versorgungsalltag wird dabei von Ärzten und Pflegefachkräften expliziert kommuniziert.
Diskussion: Es sind Standards zur Integration von Pflegeassistenztechnik in multimodalen Bildungsangeboten Ärzte und Pflegefachkräfte– die auf interprofessionellem und kompetenzorientiertem Fundament fußen– zu entwickeln und vernetzend im System zu implementieren. Dazu ist das Potential universitärer und hochschulischer Einbettung stärker hervorzuheben und gezielter zwischen allen beteiligten Akteuren (Bildungsträger, Pflegeinstitutionen etc.) zu kommunizieren. Durch die forschungsbasierte Entwicklung von Bildungsangeboten und deren fortlaufende Evaluation können dazu Ableitungen für die Bundesrepublik erzielt werden.
Praktische Implikation: Zentrale Zielsetzung des gesamten Forschungsprozesses stellt die praktische Anschlussfähigkeit dar. Aus diesem Grund fließen die aus den Gatekeeper- und Fokusgruppenbefragungen eruierten alltäglichen Bedarfe und Bedürfnisse der Ärzte und Pflegefachkräfte unmittelbar in die Konzeption von interprofessionellen Bildungsangeboten ein. Diese Weiterbildungsangebote werden langfristig in die sich im Aufbau befindliche Weiterbildungsakademie „Halle School of Health“ (HSHC) mit universitärer Anbindung verstetigt. Zusätzlich zu dem Zugang für Akteure im Versorgungsprozess werden somit anschließende edukative Interventionsforschungen ermöglicht.
Hintergrund
Das deutsche Gesundheitswesen ist ebenso wie das gesamte Sozialsystem sektoral aufgebaut. Integrative Komponenten innerhalb und zwischen den Systemen sind selten, für eine patienten- bzw. bürgerzentrierte Versorgung jedoch unverzichtbar. Gleichwohl fehlen erprobte Strukturen und Instrumente, die diesem Anspruch gerecht werden. Dies gilt insbesondere für die intersektorale Kommunikation und aufgabenorientierte Kooperation im Umfeld eines integrativen, soziale und gesundheitliche Komponenten berücksichtigenden Sozialraummanagements.
Fragestellung
Im Mittelpunkt des EU- und landesministeriell geförderten empirischen Projektes standen
die Konzeptionierung und Entwicklung eines webbasierten, handlungs- und klientenbezogenen Unterstützungssystems für ein integratives, wohnortnahes Sozial- und Gesundheitsmanagement.
dessen konkrete Erprobung in der praktischen Anwendung.
Methode
Entwicklung und Erprobung des GesundheitsManagementSystems [GMS] folgten als komplexe Intervention den Empfehlungen des Medical Research Council und gliederten sich in fünf Schritte: Literaturrecherche und Marktanalyse, Erstellung Konzept und Pflichtenheft, Konsentierung in Fokusgruppen, Festlegung Prototyp sowie Erprobung, Justierung und Implementierung.
Bei der empirischen Arbeit standen die Kriterien Akzeptanz und Machbarkeit im Mittelpunkt. Die deskriptive Bewertung bediente sich qualitativer Methodik. Die Anwenderzufriedenheit wurde fragebogengestützt jeweils 2 Wochen nach dem Anwendungsstart sowie nach dem dritten Update per Fragebogen erfasst.
Ergebnisse
Die digitale Durchdringung des deutschen Gesundheitswesens ist fortgeschritten, deren Ausrichtung in der Regel jedoch monosektoral sowie leistungs- bzw. abrechnungsbezogen. Die hieraus inhaltlich und technisch resultierenden Anforderungen an das zu entwickelnde IT-Systems bestanden darin, die Funktionsbreite einer integrativen Schaltstelle abzubilden, die dort tätigen Case Manager in ihrer klientenzentrierten Arbeit zu unterstützen und eine auf den Gesamtprozess bezogene Qualitätssicherung zu gewährleisten. Hierzu konnte auf ein CaseManagementSystem [CMS] für ein indikationsbezogenes Versorgungsmanagement zurückgegriffen und dessen medizingewichtete Grundstruktur modular erweitert werden. Die Ergänzungen betrafen die flexible Einbindbarkeit bedarfsabhängiger Kooperationsebenen in der Klientenbetreuung, die Vorhaltung quartiers- und netzwerkrelevanter Portalebenen sowie die Konnektion zu sozialen Medien. Das entsprechende Pflichtenheft wurde um die Aspekte Datenhoheit, Datenschutz, Clientmodalität und alternative Datenaustauschmodus sowie Rollen/Rechte-Systematik ergänzt.
Zur Prüfung der grundsätzlichen Machbarkeit und Akzeptanz wurden im Pilotkonzept zunächst nur die Bereiche Klinik (Überleitungsprozess stationär/ ambulant), Hausärzte (Beauftragung Case Management), ambulante Pflege (Pflegedokumentation) sowie Pflege- und Sozialberatung (Beratungsdokumentation) berücksichtigt. Dabei wurde so weit möglich auf vorhandene Routinen zurückgegriffen, diese zielorientiert ergänzt und durch ein obligates feedback vervollständigt. Das entsprechende Erstkonzept wurde in insgesamt fünf multidisziplinär besetzte Fokusgruppen vorgestellt, erörtert, angepasst und konsentiert.
Der Praxistest erfolgte über insgesamt 15 Monate. In die Erprobung und Weiterentwicklung eingebunden waren die Case Manager zweier integrativer Quartierszentralen, ein klinischer Sozialdienst, ein Ärztenetz, ambulante Pflegedienste, Sozialberatungen und zwei Ehrenamtler*innen. Neben technischen Anpassungen wurden v.a. deren Anregungen in insgesamt 3 Updates umgesetzt. Im Erprobungszeitraum wurden im GMSTM 1.303 Klientenkontakte dokumentiert, davon ein Drittel mit komplexem Unterstützungsbedarf (Vermittlung, Koordination, Fallmanagement). Nach dem 3. Update waren 90% (18/20) der Nutzer mit Funktionalität und Handling der GMS zufrieden.
Diskussion
Software ist nicht die Lösung. Sie kann jedoch eine unverzichtbare Hilfe dabei sein, überfällige strukturelle Anpassungen der Sozialarchitektur in die Praxis zu übersetzen und diese machbar zu gestalten. Dies gilt in besonderem Maße für den präventiven und kurativen Bereich der gesundheitlich-sozialen Versorgung, in deren sektoralen Sichten und Routinen das Gesamtwohl des Klienten/Patienten nicht selten verschwindet. Bei einem bürger- und quartiersnahen Koordinationsansatz arbeitsteiliger Versorgungsfunktionen ermöglicht die GMS nachweislich eine übergeordnete, disziplinübergreifende sowie klienten- und zielorientierte Steuerung. Gleichzeitig stellt die GMS erstmals auch eine belastbare Grundlage für ein den gesamten Versorgungskontext erfassendes Qualitätsmanagement.
Praktische Implikationen
Integratives, gesundheitliche und soziale Aspekte verbindendes Sozialraummanagement ist nach aktuellen Erfahrungen sinnvoll und mit konzeptionell angepasster IT-Unterstützung auch logistisch machbar. Man muss es nur wollen…
HINTERGRUND
Im Forschungsprojekt MeSiB wird ein umfassendes
Sicherheits- und Schutzkonzept für Pflegebedürftige, infor-
mell Pflegende und professionell Pflegende (Fachpflege) in
der Heimbeatmung entwickelt. Mit Hilfe des Sensorsystems werden
kritische Situationen antizipiert und frühzeitig Hinweise an
die Pflegenden oder die Hausnotrufzentrale übermittelt.
Das System umfasst die angeschlossenen Medizingeräte, Haustechnik
sowie die ambiente Raumsensorik. Zur
Bewertung der Situation wird neben ambienter Raumsenso-
rik der Status des Beatmungsgeräts genutzt, da Fehler beim
Beatmungsgerät zum Tod des Patienten führen können [1].
Viele Beatmungsgeräte verfügen jedoch über keine oder nicht
einheitliche Schnittstellen über die zudem unterschiedliche
Informationen verfügbar sind [2] [3] [4]. Alternativ kann der
Zustand der Beatmungsgeräte durch zentral verbaute Strom-
zähler erkannt werden. Dadurch werden Informationen ohne
Veränderung der Geräte erfasst und es sind keine zusätzlichen
Geräte im Wohnbereich notwendig, die versehentlich entfernt
werden könnten.
FRAGESTELLUNG
Es wird evaluiert,ob und wie der Status von Beatmungsgeräten
im Stromsignal erkannt werden kann und ob Schaltsignale
des Beatmungsgeräts von anderen Geräten im Haushalt unterscheidbar sind.
Zusätzlich wird geprüft ob klassische Verfahren der Geräteerkennung,
die überwiegend ereignisbasiert
(Identifikation der Geräte im Schaltmoment) sind [5], zur
Erkennung von Beatmungsgeräten genügen.
METHODE
Im Living Lab IdeAAL-Raum [6], eine 48 m²
große Testwohnung für AAL Technologien, wird ein Beatmungsgerät
betrieben. Dessen Stromsignal wird über einen Stromzähler
aufgezeichnet. Das Beatmungsgerät wird zunächst separat
betrieben und anschließend in Kombination mit anderen Verbrauchern geschaltet.
Die Daten werden qualitativ, durch Betrachtung der resultierenden Stromsignale, analysiert.
ERGEBNISSE
Der erste Test zeigt, dass der Stromverbrauch in einer Beatmungsphase
stetig steigt und am Ende aprubt abfällt. Außerdem ist der
Ein- und Auschaltvorgang des Geräts deutlich zu erkennen.
Im zweiten Test wird Stromverbrauch des Beatmungsgeräts
in Überlagerung mit zwei weiteren Geräten (Toaster und
Staubsauger) gemessen. In der ersten Phase sind alle
Geräte eingeschaltet. Der charakteristische Anstieg der Amplitude
des Stromsignals ist trotz der Überlagerung weiterhin meßbar. Anschließend
wird das Beatmungsgerät aus- und wieder
eingeschaltet. Das Schaltverhalten ist weiterhin deutlich zu erkennen.
Der Abfall der Amplitude am Ende einer Beatmungsphase ist auch in der Überlagerung
mit weiteren Geräten sichtbar.
DISKUSSION
Die Zustandserkennung des Beatmungsgeräts durch einen
zentralen Stromsensor ist möglich. Insbesondere die steigende
Amplitude in den Beatmungsphasen, deren Dauer und der
abrupte Abfall der Amplitude sind identifizierende Merkmale.
Die Schaltsignale des Beatmungsgeräts sind ebenfalls erkennbar.
Eine rein ereignisbasierte Geräteerkennung würde die prägendste
Charakteristik des Beatmungsgeräts, das Ansteigen der
Amplitude in den Beatmungsphasen, nicht berücksichtigen.
Daher ist eine kontinuierliche Überwachung des Stromsignals
notwendig. Dazu muss sowohl die Extraktion von Informationen
aus dem Stromsignal als auch die Verarbeitung dieser
Informationen angepasst werden. Außerdem sind Zeitfenster
für die Zustandserkennung zu definieren, wobei der Sicherheitsaspekt,
dass Notfälle möglichst frühzeitig an die
Hausnotrufzentrale gemeldet werden müssen, mit den technischen
Anforderungen zu vereinbaren ist.
PRAKTISCHE IMPLIKATIONEN
Im Forschungsprojekt MeSiB, mit einer Laufzeit von 3
Jahren (bis Februar 2020), sollen Algorithmen der Geräteerkennung
in zentralen Stromzählern für die kontinuierliche
Überwachung von Beatmungsgeräten realisiert werden. Diese
Arbeit bietet eine Grundlage für die weitere Entwicklung.
DANKSAGUNG
Diese Arbeit wurde vom Bundesministerium für Bildung
und Forschung und vom GKV Spitzenverband im Rahmen
der Forschungsprojekte MeSiB (Fördernr: 16SV7723) und
QuoVadis finanziert.
LITERATUR
[1] CIRS medical: Ein reanimationspflichtiger Patient wird akzidentell nicht
beatmet, weil das Beatmungsgerät unbemerkt wieder in den Standby-
Modus schaltet, Fallnr. 152526 (Zugriff 23.03.2017)
[2] ResMed: Stellar 150, Gebrauchsanweisung, 248542/1, 2011-09
[3] Hamilton Medical : HAMILTON-C1, Technische Daten, 689344.05, 2016
[4] TNI medical: TNI soft Flow 50 Homecare-System, Gebrauchsanweisung,
30221000, 03.11.2015
[5] Zoha, A. et al.: Non-Intrusive Load Monitoring Approaches for Disag-
gregated Energy Sensing: A Survey, Sensors 2012, Seite. 12, ISSN 1424-
8220
[6] Kroeger, T. et al.: IDEAAL - Der Mensch im Mittelpunkt. Ambient
Assisted Living-AAL, 2011.
Hintergrund
Die Inanspruchnahme von Notaufnahmen, insbesondere durch Patienten mit niedriger Dringlichkeit, steigt stetig und Versorgungskonzepte müssen diesem Trend angepasst werden. Aktuelle Gutachten fordern, Patienten mit niedriger Dringlichkeit in den Notaufnahmen zu identifizieren und an alternative Versorgungsstrukturen im ambulanten, niedergelassenen Bereich zu verweisen. Bisher fehlen geeignete Konzepte zur Identifikation solcher Patienten. Die im Rahmen der Notfallversorgung erfolgende Ersteinschätzung der Dringlichkeit des Behandlungsbedarfes erfolgt anhand verschiedener Triagesysteme und wäre ein mögliches Instrument zur Identifikation von Patienten, welche an alternative Versorgungsstrukturen verwiesen werden könnten.
Fragestellung
Welche Diagnosen haben Notaufnahmepatienten mit niedriger Behandlungsdringlichkeit nach Manchester Triage System (MTS)? Wie ist der Krankenhausverlauf und die 1-Jahres Mortalität dieser Patienten?
Methode
Es wurden Daten von 1.152 konsentierten, volljährigen Patienten ausgewertet, welche sich zwischen Dezember 2010 und November 2011 in der internistischen Notaufnahme eines Universitätsklinikums vorstellten. Sekundärdaten der Patienten wurden automatisiert aus dem Krankenhausinformationssystem extrahiert und enthielten Informationen zu Patientencharakteristika, Aufnahme, Ersteinschätzung, Vitalparameter und Diagnosen in der Notaufnahme sowie zum weiteren klinischen Verlauf bei stationärer Aufnahme. Die 1-Jahres Mortalität wurde durch die Abfrage des Einwohnermelderegisters erfasst. Die vorliegende deskriptive Auswertung der Daten erfolgte mit SPSS Version 23 (IBM). Eine niedrige Dringlichkeit wurde als Manchester Triage Kategorie grün und blau definiert. Diese impliziert maximale Wartezeit bis zum Erstkontakt mit einem Arzt von 90 bzw. 120 Minuten. Diagnosen wurden als 3-Stellige ICD-10 Codes ausgewertet.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 1.152 Patienten analysiert, davon waren 52,1% männlichen Geschlechts (n=600) und 47,9% weiblichen Geschlechts (n=552). Das mediane Alter der Patienten war 59 Jahre (IQR: 43-71 Jahre). Die 1-Jahresmortalität betrug 9,8% (n=102) bei fehlenden Angaben zu 9,3% der Patienten (n=107). Von allen Patienten mit Ersteinschätzung anhand MTS (n=1.122) erhielten 30,4% (n=341) eine grüne Dringlichkeitsstufe und 1,5% (n=17) eine blaue Dringlichkeitsstufe. Von diesen Patienten waren 52,0% (n=186) weiblichen und dementsprechend 48,0% (n=172) männlichen Geschlechts. Das mediane Alter betrug 56 Jahre (IQR: 35-71 Jahre). Klinische Daten der Patienten sind in Tabelle 1 dargestellt. Die 1-Jahresmortalität betrug 7,9% (n=26).
Diskussion
Anhand erster Notaufnahmedaten konnte gezeigt werden, dass Patienten mit niedrigerer Dringlichkeit nach MTS jünger und häufiger weiblichen Geschlechts sind. Weiterhing zeigte sich ein hoher Anteil von Notaufnahmepatienten mit gastrointestinalen Beschwerden. Der Anteil von Patienten mit niedriger Dringlichkeit, welche stationär aufgenommen wurden war unerwartet hoch. Die häufigsten 5 Diagnosen dieser stationären Patienten waren jedoch schwerwiegende und akut behandlungsbedürftige Krankheitsbilder, welche im niedergelassenen Sektor nicht adäquat versorgt werden können. Die hohe 1-Jahresmortalität von 7,9% könnte als ein weiterer Indikator dafür gewertet werden, dass es sich um teilweise schwerwiegend erkrankte Patienten handelt. Zukünftige Projekte sollten Sekundärdaten aus Notaufnahmen in größerem Umfang nutzen um vergleichbare Analysen an einer größeren Patientenzahl durchführen zu können.
Praktische Implikationen
Der hohe Anteil stationärer Aufnahmen mit überwiegend schwerwiegenden Diagnosen unter Patienten mit niedriger Behandlungsdringlichkeit nach MTS, sowie eine relevante 1-Jahresmortalität zeigen, dass die klinische Ersteinschätzung von Notaufnahmepatienten nicht geeignet ist um Patienten mit ambulantem Behandlungsbedarf zu identifizieren und diese ggf. an alternative Versorgungsstrukturen weiterzuleiten.
Krankenhausverlauf aller Patienten mit niedriger Dringlichkeit (n=358)
Stationäre Aufnahme 29,6% (106)
Behandlung auf Intensivstation 2,8% (10)
Krankenhausmortalität 0,8% (3)
Top 5 Diagnosen Notaufnahme (n=358)
Gastroenteritis/Kolitis (A09) 7,0% (25)
Schwindel und Taumel (R42) 3,1% (11)
Primäre Hypertonie (I10) 3,1% (11)
Angina Pectoris (I20) 2,8% (10)
Gastroenteritis/Duodenitis (K29) 2,2% (8)
Top 5 Diagnosen stationärer Patienten (n=106)
Angina Pectoris (I20) 2,8% (10)
Akuter Myokardinfarkt (I21) 2,0% (7)
Herzinsuffizienz (I50) 1,4% (5)
Schlaganfall (I63) 1,4% (5)
Akutes Nierenversagen (N17) 1,1% (4)
Tabelle 1: Krankenhausverlauf und Diagnosen von Patienten mit niedriger
Dringlichkeit nach MTS.
Der Zugang für dementiell erkrankte Menschen mit türkischem Migrationshintergrund zum Gesundheitssystem ist durch verschiedene Barrieren wie beispielsweise mangelnde Kenntnisse der deutschen Sprache, Unwissenheit über vorhandene Gesundheitsleistungen und bürokratische Hindernisse, insbesondere bei Inanspruchnahme von Pflegeleistungen erschwert. Hausärztinnen und Hausärzte spielen eine wichtige Rolle in der Versorgung von Demenzkranken. Sofern die Möglichkeit besteht suchen Menschen mit Migrationshintergrund Ärztinnen und Ärzte mit gleicher Herkunft auf, da diese Sprache, Denkweisen, Lebensumstände und die Kultur verstehen.
Die vorliegende Bachelorarbeit geht der Frage nach, wie Hausärztinnen und Hausärzte mit türkischem Migrationshintergrund ihre Bedeutung in der Versorgung von dementiell erkrankten Menschen mit Migrationshintergrund einschätzen. Zur Bearbeitung dieser Forschungsfrage wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt und drei leitfadengestützte Experteninterviews durchgeführt.
Ein wichtiges Ergebnis dieser empirischen Arbeit ist, dass die befragten Hausärzte mit türkischem Migrationshintergrund neben der hausärztlichen Tätigkeit die Unterstützung der fokussierten Gruppe bei Anträgen und dem Ausfüllen von Formularen ihrem Zuständigkeitsbereich zuordnen und sich als Experten in der Versorgung von Migrantinnen wahrgenommen fühlen. Somit könnte eine Erklärung für die Erweiterung des Zuständigkeitsbereichs sein, dass die befragten Hausärzte um die schwierige Versorgungssituation und die Barrieren zu gesundheitlicher Versorgung wissen und deshalb besondere Verantwortung übernehmen.
Ärztinnen und Ärzte mit Migrationshintergrund stellen mit ihrem Expertenwissen in der Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund eine wichtige Ressource für eine qualitativ hochwertige Behandlung von Menschen mit Migrationshintergrund dar.
Hintergrund
In Deutschland leben zahlreiche Menschen ohne Krankenversicherung. Dies betrifft in einem überproportionalen Maße Migrantinnen und Migranten. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung dieser Menschen ist eingeschränkt. Eine Medizinische Grundversorgung für diese Bevölkerungsgruppe wird regional häufig durch zivilgesellschaftliche Organisationen sichergestellt. Diese Parallelstrukturen haben sich zu einem festen, wenn auch informellen Bestandteil des Sozial- und Gesundheitssystems entwickelt. Versorgungsbezogene Informationen zu medizinischen Beratungsanlässen, zur Inanspruchnahme und zum Versorgungsbedarf sowie zu Art und Ausmaß der Zugangsbarrieren zum formellen System bleiben aufgrund des informellen Charakters des Parallelsystems weitestgehend verborgen. Die verfügbaren Berichte sind meist organisations- oder regionsbezogen und die berichteten Daten sind kaum vergleichbar. Das Vorhaben MONITORaccess hat zum Ziel, ein Monitoring und eine organisations- und regionsübergreifenden Berichterstattung der gesundheitlichen Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherungsschutz im Parallelsystem zu entwickeln und zu implementieren. Das Projekt ist gefördert im Rahmen der Nachwuchsakademie Versorgungsforschung des Landes Baden-Württemberg.
Fragestellung
Welche sozialen und organisationsbezogenen Herausforderungen bestehen hinsichtlich einer Implementierung eines Monitoring-Systems und welche Lösungen sind umsetzbar?
Methode
Ausgehend von einem partizipativen Mixed-Method Studiendesign wurde eine qualitative Anforderungsanalyse durchgeführt und gemeinsam mit vier zivilgesellschaftlichen Organisationen ein Konzept für ein organisationsübergreifendes Monitoring entwickelt. Die Datenerhebung erfolgte durch teilnehmenden Beobachtungen und Experteninterviews. Die Daten wurden mit Blick auf organisationsbezogene Herausforderungen und Ressourcen qualitativ inhaltsanalytisch und hermeneutisch ausgewertet, an die Organisationen zurückgespiegelt und gemeinsam diskutiert. Auf dieser Grundlage erfolgten eine gemeinsame Zieldefinition und die Konsentierung eines Indikatorensatzes. Hauptzielkriterien des Monitoring sind der Beratungsanlass, klassifiziert nach der International Classification of Primary Care (ICPC), und die selbstberichteten Zugangsbarrieren zur Gesundheitsversorgung, in Anlehnung an die Items der European Union Statistics on Income and Living Conditions (EU-SILC).
Ergebnisse
Die Versorgungsorganisationen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Organisationszweckes und der Organisationskultur. Damit gehen unterschiedliche Implementierungsbedingungen eines organisationsübergreifenden Monitoring einher, die entlang folgender Dimensionen kategorisiert werden: 1) Erwartungen und Ziele, 2) Organisationsroutinen, 3) Dokumentation und Ressourcen zur strukturierten Zusammenführung der Daten, 4) Partizipation und Datennutzung. Trotz einiger Barrieren stellen die Netzwerkbildung und der gemeinsame Infrastrukturaufbau wichtige Vorteile aus Sicht der beteiligten Organisationen dar. Eine förderliche Perspektive ist auch der mögliche Beitrag zur Gestaltung regionaler und nationaler Versorgungsplanung und Gesundheitspolitik durch eine gemeinsame Statistik. Der Indikatorensatz, der unter Berücksichtigung dieser Erwartungen und Anforderungen partizipativ konsentiert wurde, umfasst soziodemografische sowie gesundheits- und versorgungsbezogene Daten. Zur Datenerhebung für das Monitoring wurden ein standardisierter Dokumentationsbogen für Versorgende und ein Patientenfragebogen entwickelt. Der Patientenfragebogen wurde in unterschiedliche Sprachen übersetzt.
Diskussion
Im Rahmen dieser Studie wurde ein inhaltliches Konzept eines Monitoring partizipativ mit zivilgesellschaftlichen Organisationen entwickelt. Die partizipative Entwicklung ist dabei eine notwendige, wenngleich keine hinreichende Bedingung für das Funktionieren. Das Versorgungssetting im Parallelsystem zeichnet sich durch Datensensibilität und Heterogenität der Versorgungsorganisationen aus. Im nächsten Schritt einer achtwöchigen Pilotierung muss sich das Konzept im Versorgungsalltag bewähren und daraufhin können Perspektiven einer weiteren Dissemination diskutiert werden.
Praktische Implikationen
Die hohe Anzahl nichtversicherter Menschen in Deutschland wird angesichts der aktuellen Migrationsströme steigen. In der Versorgungsforschung besteht eine Forschungslücke zur Gesundheit und zur Versorgungssituation dieser heterogenen Population. Erstmalig steht ein Konzept zur Verfügung, das ein organisationsübergreifendes Monitoring zur Versorgung nichtversicherter Menschen im Parallelsystem ermöglicht, welches als Informationsgrundlage für zielgerichtete Entscheidungen zur Versorgungsplanung und Gesundheitspolitik genutzt werden kann.