Es werden konkrete Untersuchungen auf der Basis von Daten aus verschiedenen Registern vorgestellt. Zusätzlich in einem Vortrag auf die Möglichkeit der Verknüpfung zwischen Daten aus verschiedenen Quellen eingegangen und in einem weiteren Vortrag werden die Möglichkeiten und Vorteile einer Treuhandstelle diskutiert.
Hintergrund: In der „NAKO Gesundheitsstudie (NAKO)“ (BMBF FKZ: 01ER1301A) sollen Primärdaten von insgesamt 200.000 StudienteilnehmerInnen um Sekundär- und Registerdaten verschiedener Dateneigner ergänzt werden. Die Erschließung dieser zusätzlichen Daten führt das „Kompetenznetzes Sekundär- und Registerdaten“ durch. Zur Erhebung der Primärdaten werden die StudienteilnehmerInnen in bundesweit 18 Studienzentren zweimal im Abstand von fünf Jahren umfassend untersucht und befragt. Im Rahmen der passiven Nachbeobachtung erfolgt ein Morbiditäts-Follow-up anhand von Sekundär- und Registerdaten. Innerhalb einer prospektiven Kohortenstudie ist es so erstmals in Deutschland möglich, bei Vorliegen einer entsprechenden Einwilligung, Daten der TeilnehmerInnen von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen (GKV und PKV) sowie dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) weitgehend vollständig zu erschließen.
Fragestellung: Die bundesweite Ausrichtung der Studie erlaubt es, regionale sowie überregionale Analysen durchzuführen. Anhand von erhobenen statistischen Informationen zum Einwilligungsverhalten werden erste Rückschlüsse auf die regionale Verteilung von Krankenversicherungen und die TeilnehmerInnenstruktur gezogen.
Methoden: Entsprechend den gesetzlichen Anforderungen werden von den StudienteilnehmerInnen nach umfassender Information die schriftlichen Einwilligungen zur Anforderung und Nutzung der Sekundär- und Registerdaten in einem mehrstufigen Verfahren eingeholt. Dem Kompetenznetz werden Statistiken zu den erteilten Einwilligungen von der Unabhängigen Treuhandstelle der NAKO zur Verfügung gestellt. Die für die Analysen genutzten Statistiken umfassen aktuell einen Zeitraum von März 2015 bis Februar 2017.
Auf Grundlage dieser Statistiken wird mit dem Ziel einer Kooperation Kontakt zu einzelnen Dateneignern aufgenommen, um die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten in der NAKO zu schaffen. Vorbehaltlich einer Kooperation sind jährliche Datenanforderungen bei den Dateneignern geplant. Ein umfangreiches Pseudonymisierungsverfahren stellt die Verknüpfung der Sekundär- mit den Primärdaten sicher, die anlassbezogen auf Grundlage von konkreten Forschungsfragen erfolgt.
Ergebnisse: Die NAKO zählt bereits mehr als 100.000 TeilnehmerInnen. Eine insgesamt hohe Einwilligungsbereitschaft von durchschnittlich 90,5 % zur Nutzung ergänzender Sekundärdaten von GKVen und PKVen zeigt zum einen das hohe Vertrauen in die Studie und bildet zum anderen eine solide Grundlage für die umfassende Nutzung der Daten. Die Einwilligungsbereitschaft liegt in den neuen Bundesländern etwas über jener in den alten Bundesländern. Dies deckt sich mit Erfahrungen aus anderen Studien. Die Einwilligenden verteilen sich zu 88,1 % auf GKVen und zu 11,9 % auf PKVen. Der Anteil privat versicherter TeilnehmerInnen ist erwartungsgemäß in den alten Bundesländern höher. Sowohl bei den GKVen als auch bei den PKVen sind regionale Unterschiede in der Einwilligungsquote beobachtbar. Unter den GKV-versicherten TeilnehmerInnen, die die Einwilligung zur Nutzung ihrer GKV-Daten gaben, liegt die Einwilligungsquote für die Nutzung der Zi-Daten bei 99,4 %. Insbesondere eine nahezu lückenlose Medikamentenanamnese kann so krankenkassenunabhängig für den überwiegenden Teil der StudienteilnehmerInnen gewährleistet werden.
Diskussion: Während international die umfassende Nutzung von Sekundärdaten in Kohortenstudien etabliert ist, wird diese Methode in Deutschland bislang selten eingesetzt. Dies liegt zum einen an der Komplexität des deutschen Krankenversicherungssystems mit derzeit 113 GKVen und 46 PKVen. Für eine Datennutzung sind zudem Kooperationsverträge mit jeder einzelnen Institution zu schließen. Zum anderen bedingen hohe sozial- und datenschutzrechtliche Anforderungen einen hohen administrativen und technischen Mehraufwand, der sich in umfangreichen Datenschutzkonzepten sowie darauf aufbauenden Datenübermittlungsverfahren niederschlägt.
praktische Implikationen:
Eine Nutzung der Daten vereinzelter Dateneigner kann zu Verzerrungen von sowohl regionalen als auch überregionalen Analyseergebnissen führen. Der erwartete inhaltliche Zugewinn für die Forschung rechtfertigt daher den Aufwand bei der vollständigen Erschließung. Für den Bereich der Arzneimittelverordnungen sowie in Teilen der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung helfen die kassenübergreifenden Daten des Zi diese Verzerrungen zu minimieren. Mit der umfassenden Nutzung von Sekundärdaten schließt die NAKO an internationales Niveau an.
Hintergrund
Eine systematische, aggregierende Analyse von Fällen eines Critical Incident Reporting Systems (CIRS) ist in Deutschland bislang ausgeblieben. Bislang sind nur Einzelfallbetrachtungen oder spezialisierte Untersuchen mit diesen Daten durchgeführt worden. Im vergleichbaren britischen Meldesystem werden quartalsweise Statistiken publiziert. Für die Durchführung von solchen statistischen Analysen spielt die Datenqualität eine entscheidende Rolle.
Die Datenqualität ist keine einheitlich definierte metrische Größe und hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Die Bild- und Datenqualitätsontologie (IDQA) wurde 2013 im NCBO Bioportal publiziert. In ihr sind eine Reihe von Faktoren und mögliche Koeffizienten zu finden. Entscheidend für die Bewertung von Datenqualität ist unteranderem die Gruppe der Anwender, die diese Daten nutzen wollen und dadurch der Anwendungszweck. Nicht alle Daten und Datenstrukturen sind für alle Analysen geeignet.
Fragestellung
Das CIRSmedical ist ein bundesweit, öffentlich zugängliches Fehlerberichtssystem, welches von der Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung und dem Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin betrieben wird. Folgende Fragestellungen sollten in der Studie untersucht werden:
1. Welche Qualitätsparameter lassen sich überhaupt auf ein CIRS anwenden?
2. Mit welchen Kennzahlen kann die Qualität bewertet werden?
3. Welche Qualität haben die Daten des CIRSmedical?
4. Wie kann die Datenqualität verbessert werden?
Methode
Aus dem CIRSmedical wurden unsortiert 100 Fälle aus dem Zeitraum von Januar bis März 2017 in die Studie eingeschlossen. Für die Studie wurden verschiedene Qualitätsdimensionen der IDQA auswählt. Kriterien waren die Anwendbarkeit der Qualitätsdimension auf den Datensatz sowie das Kriterium der Berechenbarkeit einer Kennzahl. Dabei wurden insbesondere die Qualitätsdimension berücksichtigt, die vom TMF für die Qualität von Datenregistern eine Rolle spielen.
Ergebnisse
Die Analyse zeigt, dass das CIRSmedical nur einschränkt eine weitere systematische Analyse zulässt. Das Kriterium der Erreichbarkeit z.B. kann nicht erfüllt werden: es werden keine Schnittstellen zur Verfügung gestellt, um auf die Daten direkt zuzugreifen. Das Kriterium der Vollständigkeit ist im Zusammenhang mit CIRSmedical besonders problematisch: in nur etwa 10 % sind zu allen Eingabemöglichkeiten der Datenbank Einträge zu finden (Kriterium der Schemavollständigkeit). Wird für die inhaltliche Vollständigkeit das Open-Process-Task-Modell (OPT-Modell) herangezogen, zeigt sich, dass in den Fallberichten maximal 30% der Informationen zu finden sind, um medizinische Aufgaben systematisch zu beschreiben. Insgesamt weisen die Fallberichte als narrative Texte eine deutliche Heterogenität auf: die Variabilität der Wortanzahl in den Berichten ist sehr hoch, sie reicht von einigen Wortgruppen bis zu langen Texten. Metadaten zu den Fällen stehen nur in einem sehr unterschiedlichen Umfang zur Verfügung. Die Untersuchung der Verständlichkeit und Interpretierbarkeit basiert auf der Untersuchung, ob standardisierte Vokabularien verwendet wurden. Standardisierte Eingaben sind nur für einzelne Datenfelder vorgesehen.
Diskussion
Aus der Analyse der Datenqualität ergeben sich viele Verbesserungsmöglichkeiten. Eine systematische Analyse wird möglich, wenn zunächst eine standardisierte Schnittstelle zu den Daten zur Verfügung gestellt wird. Bezüglich der Vollständigkeit der Informationen kann versucht werden, die Eingabe durch mehr standardisierte Auswahlmöglichkeiten zu erleichtern. Der Prozess der Einzelfallanalyse kann dazu verwendet werden, die inhaltliche Vollständigkeit zu verbessern. Ein strukturiertes Abfragen der Aufgabeneigenschaften mittels des OPT-Modell hilft, die strukturellen Eigenschaften der Aufgaben zu verstehen. Die Aufgaben und Prozesse sollten im Rahmen einer Zertifizierung bereits beschrieben worden sein, was die Untersuchung wesentlich erleichtert.
Praktische Implikationen
Untersuchungen der Datenqualität in Registern tragen dazu bei, die Möglichkeiten einer späteren wissenschaftlichen Auswertung zu sichern. Bisher sind CIRS-Fälle nur Einzelfallanalysen unterzogen worden, womit sich der Anspruch „Lernen aus Fehlern“ nur für die jeweilige Einrichtung realisieren lässt. Datenqualität lässt sich mit einer Reihe von Maßnahmen verbessern. Somit kann der wissenschaftliche Nutzen der Fallberichte deutlich gesteigert und die Übertragbarkeit des Wissens gesichert werden.
Hintergrund
Mit dem Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz wurde 2013 die Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung und Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister (KKR) vorangetrieben. Es legt u.a. die Einrichtung fachlich und institutionell unabhängiger KKR sowie die Grundlagen für eine einheitliche Erfassung von Behandlungs-, Therapie und Verlaufsdaten deutschlandweit fest. Die Förderung der KKR ist an Kriterien gebunden, die u.a. eine eindeutige Registrierung von Krebsfällen umfassen und damit Doppelerfassungen ausschließen, eine Vollständigkeit personenidentifizierender Daten (IDAT) von über 95% sowie die vollständige Erhebung des Vitalstatus fordern[1].
Fragestellung
Voraussetzung für die eindeutige Zusammenführung von verschiedenen Meldungen zu ein und demselben Patienten ist der Ausschluss von Dopplern bei den IDAT. Bei Meldungen mit vollständigen und korrekten IDAT ist dies i.d.R. unproblematisch und kann während der primären Dokumentation erfolgen. Aufgrund der großen Anzahl handschriftlicher Meldungen sowie manueller Eingabe ist die Qualität der registrierten Daten jedoch nicht in jedem Fall ausreichend. In dieser Situation kann eine Treuhandstelle (THS) die Erfüllung der Förderkriterien verbessern und wichtige Registerroutinen unterstützen.
Methode
Dopplerausschluss und Record Linkage werden durch ein Zusammenspiel von Software, manueller Nachbereitung und den Abruf von amtlichen Melderegisterdaten in der Treuhandstelle ermöglicht.
Identitätsmanagement: Alle Schreibweisen von Namen und Anschrift, die einer Person zugeordnet werden können, einschließlich Schreib- und Übertragungsfehlern werden als „Neben-Identitäten“ dieser Person dauerhaft gespeichert und zusammen mit dem Herkunftssystem verwaltet.. Mittels Melderegisterabgleich kann i. d. R. eine Hauptidentität herangezogen werden, deren Daten als korrekt angenommen werden.
Parameter: Nachname(n), Vorname(n), Geschlecht, Geburtsdatum, PLZ des Hauptwohnortes, Diagnosezeitpunkte und zur Verfügung stehende Information zur Krankenkasse einschließlich der einheitlichen Krankenversichertennummer werden gegeneinander abgeglichen, und abhängig von den vorgegebenen Schwellwerten der Übereinstimmungswahrscheinlichkeit automatisch zusammengeführt oder einer manuellen Prüfung unterzogen.
Algorithmen: Im Anschluss an eine Normalisierung (Großschreibung, Umlaut-, Sonderzeichen-, Akzent-Ersetzung) erfolgt der Vergleich der Parameter mittels der Levenshtein-Distanz. Der anschließende Record Linkage wird mit dem probabilistischen Fellegi & Sunter-Ansatz umgesetzt.
Entscheidung: Die Entscheidung, ob es sich bei zwei IDAT-Datensätzen um ein und denselben oder unterschiedliche Patienten handelt, erfolgt teils automatisiert anhand eines konfigurierbaren Abgleichverfahrens und teils manuell durch eingewiesenes Personal auf Basis von Standardarbeitsanweisungen (SOPs) und ggf. erst nach Abgleich mit dem Melderegister. Die Basis jeder Entscheidung wird anhand eines eindeutigen Codes dokumentiert.
Widerspruchs- und Pseudonymverwaltung: Widersprüche und für die Register- und Auswertearbeit benötigte Pseudonyme werden mittels geeigneter Software verwaltet und den IDAT eindeutig zugeordnet.
Studiendesign, Datenerhebung und ‑auswertung
Die Daten stehen durch die Registerarbeit zur Verfügung. Sie werden auf rechtlicher Basis auf Vollständigkeit geprüft, mittels des IDAT-Managementsystems E-PIX auf Doppler hin untersucht und mit den Meldeamtsdaten abgeglichen. Anschließend werden die IDAT einem Vorher- /Nachher-Vergleich unterzogen, bei dem die Anzahl von dokumentierten IDAT der Anzahltatsächlich betroffener Personen gegenübergestellt werden.
Ergebnisse
Am Beispiel des KKR Mecklenburg-Vorpommern wird der Einfluss einer THS mit entsprechenden technischen Mitteln und geschultem Personal auf den Anteil von Synonymfehlern (Doppelte Personen-Datensätze zu ein und demselben Patienten) und Homonymfehler (fälschliche Zuordnung der Daten verschiedener Personen zu einem Patienten) gezeigt.
Diskussion
Die Bereitstellung einer THS erfordert zusätzliches Personal und technische Ressourcen. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Entscheidung, ob zwei Personen-Datensätze zu ein und demselben Patienten gehören im Moment der Neueingabe ohne Zusatzinformationen fehleranfällig ist. Auch optimale Verfahren innerhalb der Tumordokumentationssoftware können das Entstehen von Synonym- und Homonymfehlern nicht ausschließen. Häufig kann bei sehr ähnlichen Patientendaten erst der Melderegisterabgleich zur richtigen Lösung führen. Das Verwalten aller „Identitäten“ einschließlich der getroffenen Entscheidungen in der THS erleichtert zukünftige Zuordnungen und sichert die langfristige Nachvollziehbarkeit.
Praktische Implikationen
In der Praxis kann eine THS in den KKR sowohl die Vollständigkeit von Krebsverlaufsdaten durch korrekte Zusammenführung zu ein und demselben Patienten erhöhen als auch dazu beitragen, die für die Finanzierung des KKR notwendige Erfüllung der benannten Förderkriterien zu erreichen.
Hintergrund:
Prostatakrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern in Deutschland. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 71 Jahre (Robert Koch Institut 2015). Die Folgen der Erkrankung und/oder Therapie können zu körperlichen Einschränkungen und psychischen Belastungen führen und stellen hohe Anforderungen an die Gesundheits- und Handlungskompetenz der Betroffenen.
Fragestellung:
Es wird untersucht, wie hoch die Handlungskompetenz von Prostatakrebserkrankten ist und von welchen Faktoren (u.a. Alter, Bildung, Einkommen, Inanspruchnahme von Selbsthilfegruppen) diese beeinflusst wird.
Methode:
Um Zugang zu Männern mit Prostatakrebs in einer vergleichbaren Region mit ähnlich lange zurückliegender Krebsdiagnose zu erhalten, wurden über die Vertrauensstelle des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachen (EKN) dechiffrierte Datensätze der Meldejahre 2010 bis 2012 genutzt. Ein standardisierter Fragebogen erfasste u.a. Soziodemografie, Mitgliedschaft in Selbstgruppen und Umgang mit der Erkrankung, er wurde im Juli 2015 (T0) zusammen mit einem personalisierten Anschreiben vom EKN an 9781 Männer (nach Abgleich mit den Sterbedaten) versandt, ein Erinnerungsschreiben war aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich. Die Auswertung der hier vorgestellten T0-Ergebnisse erfolgte mittels SPSS 24 auf deskriptiver und analytischer Ebene.
Ergebnisse:
2258 der angeschriebenen Personen (23,1%) nahmen an der Studie teil, mittleres Alter 71,7 Jahre. Ein Großteil der Befragten gibt an, sich im Untersuchungs- und Behandlungsprozess aktiv zu beteiligen, indem sie sich z.B. häufig oder immer (89%) alle Schritte erklären bzw. Untersuchungsergebnisse zeigen (82%) oder aushändigen (63%) lassen. Durchgängig zeigt sich hier ein Bildungsgradient: je höher die Bildung, umso größer ist der Anteil derjenigen, die aktiv im Behandlungsprozess mitwirken. Die absolute Differenz zwischen niedriger und hoher Bildung bewegt sich zumeist zwischen 8 und 15 %. Vor weitreichenden Entscheidungen holen jedoch hoch Gebildete mit 56% im Vergleich zu nur 32 % der niedrig Gebildeten häufiger eine Zweitmeinung ein. Die Entscheidung über die Art der Behandlung, falls es Alternativen gibt, möchten von den hoch gebildeten mehr Patienten selbst treffen (40%) als bei den niedrig Gebildeten (27%). Die Entscheidung allein dem Arzt überlassen möchten 19% der niedrig, aber nur 11% der hoch Gebildeten. Eine gemeinsame Entscheidung wird von allen Bildungsschichten favorisiert. Die analytische Auswertung mittels logistischer Regression zeigt, dass sich jemals Selbsthilfeaktive im Vergleich zu niemals Selbsthilfeaktiven mit einer 2,3 fach so hohen Wahrscheinlichkeit (p<0,001) häufig oder immer eine ärztliche Zweitmeinung einholen. Weitere Einflussfaktoren stellen Bildung (niedrig vs. höher, OR 1,7, p<0,001), Leben in Partnerschaft (OR 1,9, p=0,001) und Kenntnis über Leitlinien (OR 1,6, p<0,001) dar. Kontrolliert wurde für den Zustand nach operativer Entfernung der Prostata. Bei der Entscheidung über die Behandlungsart geht der größte Einfluss vom Bildungsniveau aus (niedrig vs. höher, OR 1,4, p=0,002), gefolgt von der Selbsthilfeaktivität (nie versus jemals) (OR 1,3, p=0,32). Die Wahrscheinlichkeit, dass jemals Selbsthilfeaktive einen Untersuchungs- oder Therapievorschlag ihrer Ärzte ablehnen, ist 1,8 fach so hoch wie bei niemals Selbsthilfeaktiven (p=0,246), ohne weitere Einflussfaktoren im Modell. Ob Fragen nach Neben- oder Wechselwirkungen von Medikamenten gestellt werden, ist nur mit der Kenntnis von Leitlinien (OR 1,4, p=0,001) assoziiert. Patienten vermitteln häufiger, dass sie bei Entscheidungen eingebunden sein möchten, wenn sie schon mal von Leitlinien gehört haben (OR 2,1, p<0,001) und wenn sie höher gebildet sind (OR 1,4, p=0,004).
Diskussion:
Bei den gegenüber den behandelnden Ärzten besonders kritischen Aktivitäten wie Einholen einer Zweitmeinung oder Ablehnung eines ärztlichen Vorschlages dominiert der Einfluss einer aktuellen oder früheren Selbsthilfegruppenmitgliedschaft gegenüber höherer Bildung, Leben in Partnerschaft oder Kenntnis von Leitlinien. Bedingt durch das Querschnittsdesign lässt sich eine zeitliche Sequenz allerdings nicht abbilden. Somit wäre denkbar, dass sich durch die Selbsthilfeaktivität ein größeres Selbstbewusstsein, ein medizinischer Kompetenzgewinn und in Folge dessen der kritische Umgang mit Ärzten entwickelt hat. Zum anderen kann postuliert werden, dass der Eintritt in eine Selbsthilfegruppe Folge einer bereits vorher bestehenden kritischen und selbstbewussteren Persönlichkeit ist.
Praktische Implikation:
Es besteht Forschungsbedarf zur Klärung der Frage, ob die soziale Unterstützung und Wissensvermittlung durch Selbsthilfegruppenmitgliedschaft eine kritischere Haltung der Patienten bewirkt oder sie eher selbst eine Folge dieser Einstellung ist. Zur Verifizierung geeignet wären Kohortenstudien mit inzidenten Patienten, die im Follow-up untersuchen, ob sich Effekte einer evtl. späteren Selbsthilfegruppenaktivität zeigen.
Hintergrund und Fragestellung
In Deutschland ist die Altersgrenze von 70 Jahren entscheidend dafür, ob ältere Patientinnen (≥50 Jahre) in das Mammakarzinom-Screeningprogramm eingeschlossen werden oder nicht. Es ist nicht bekannt, ob diese Altersgrenze auch die Entscheidung für die Durchführung einer adjuvanten Therapie und letztendlich das Outcome der Patientinnen beeinflusst.
Methode
Studiengrundlage waren die sektorenübergreifenden und verlaufsbegleitend erhobenen Daten eines bevölkerungsbezogenen klinischen Krebsregisters. Analysiert wurden Daten von 3463 Patientinnen mit einem primären, nicht metastasierten Mammakarzinom im Diagnosezeitraum von 2000 bis 2012. Die Verteilung der tumorbiologischen Subtypen wurde bei Patientinnen, die Zugang zum Screening hatten (ESG, 50-69 Jahre) sowie Patientinnen ≥70 Jahren, die keinen Zugang zum Screening hatten (NESG), untersucht. Analysiert wurden lokale und systemische Therapien bei den verschiedenen Subtypen sowie 7-Jahres-Überlebensraten (7-JÜR).
Ergebnisse
2171 Patientinnen (62.7%) fielen in die ESG-Gruppe und 1292 Patientinnen (37.3%) in die NESG-Gruppe. Die Verteilung der vier tumorbiologischen Subtypen Luminal A, Luminal B, HER2-like und Basal-like war ähnlich in beiden Gruppen. Die Therapien unterschieden sich deutlich. Patientinnen in der NESG-Gruppe erhielten weniger systemische und lokale Therapien in Form einer Operation oder Radiatio unabhängig vom Subtyp. Patientinnen in der ESG-Gruppe mit Luminal A Subtyp hatten die besten 7-JÜR: 95.6% bei alleiniger endokrinen Therapie (ET) und 93.1% bei Chemotherapie (CHT) plus ET. In der NESG-Gruppe hatten Patientinnen, die eine CHT plus ET erhielten die besten 7-JÜR mit 95.2%, während Patientinnen mit ET eine 7-JÜR von 73.9% hatten.
Diskussion und praktische Implikationen
Trotz gleicher Tumorbiologie werden ältere Patientinnen untertherapiert. Dies zeigte sich sowohl bei den lokalen als auch bei den systemischen Therapien und resultierte in reduzierten Überlebensraten. Es bleibt eine Herausforderung, den potentiellen Nutzen und die Risiken der verschiedenen Therapiestrategien bei älteren Patientinnen gegeneinander abzuwägen. Zukünftige Studien sollten den Fokus auf spezifische geriatrische Assessments legen, damit ältere Patientinnen die für sie optimale Behandlung erhalten können.