Präsentiert werden Forschungsvorhaben, die strukturelle Herausforderungen bei der Patientenversorgung vulnerabler Gruppen aufgreifen Lösungsansätze vorstellen.
Eine steigende Notaufnahmepatientenzahl mit akutmedizinischer Problematik verweist auf Anpassungsbedarf ambulanter Regelversorgung besonders für chronisch kranke und junge Menschen. Schlechtere logistische Erreichbarkeit türkischstämmiger Patienten eines DMP trotz höherer Teilnahmebereitschaft gegenüber deutschstämmigen Patienten macht den Überarbeitungsbedarf bestehender Programmregeln sichtbar. Der aus Routinedaten erhobene Gesundheitsstatus geflüchteter Patienten primärärztlicher Versorgungszentren zeigt eine steigende Prävalenz chronischer und psychischer Diagnosen. Die Versorgungsoptimierung setzt eine genaue Kenntnis des Erkrankungsspektrums voraus.
Eine Längsschnittbefragung von Medizinstudiumabsolvent/inn/en erbrachte geringeres Interesse an niedergelassener Tätigkeit, unter den aktuellen Arbeitsbedingungen insbesondere im Hausarztbereich. „Rollende Arztpraxen“, die Geflüchtete in ländlichen Regionen erfolgreich versorgen, könnten in ruralen Gegenden auch als Konzept für die Allgemeinbevölkerung eingeführt werden.
08:00 Uhr
V152:
Analyse steigender Fallzahlen in der ambulanten Notfallversorgung anhand von Abrechnungsdaten der KBV
P. Wahlster (Homburg, DE)
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Autor:innen:
P. Wahlster (Homburg, DE)
T. Czihal (Berlin, DE)
B. Gibis (Berlin, DE)
C. Henschke (Berlin, DE)
Hintergrund: Die Notfallversorgung ist oftmals erste Anlaufstelle bei der Versorgung nicht nur kritisch erkrankter Patienten außerhalb der regulären Sprechzeiten. In diesem Kontext sieht sich auch Deutschland mit steigenden Fallzahlen konfrontiert, welche die Versorgungsstrukturen an ihre Belastungsgrenzen bringen. Der demographische Wandel, ein verändertes Patientenverhalten und Fehlanreize in den Vergütungsmechanismen der Leistungserbringer wurden bereits als potentielle Ursachen identifiziert. Die Notfallambulanzen beklagen eine Zunahme der nicht dringlichen Fälle, welche oftmals zu ambulanten, aus Krankhaussicht nicht-kostendeckenden Behandlungen führen.
Fragestellung: Ausgehend von der Hypothese, dass es subgruppen- und indikationsspezifische Unterschiede in der Inanspruchnahme des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes und der Notfallambulanzen der Krankenhäuser gibt, werden folgende Fragestellungen untersucht: (1) Welche zeitlichen Veränderungen der Patientencharakteristika und des Indikationsspektrums gibt es in der Notfallversorgung? (2) Welche Faktoren sind mit Inanspruchnahme der ambulanten Notfallversorgung assoziiert?
Methode: Mittels Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wurden Veränderungen des Indikationsspektrums der ambulanten Notfallbehandlungen durch den kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes und die Notfallambulanzen der Krankenhäuser zwischen 2009 und 2015 deskriptiv analysiert (Datensatz mit insgesamt ca. 130 Millionen Fällen). Zur empirischen Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Inanspruchnahme der Notfallversorgung und sozioregionalen Variablen (bspw. Urbanitätsindex, Hausarztdichte) wurden externe Variablen mit dem Datensatz verknüpft und mittels eines linearen generalisierten Regressionsmodells ausgewertet.
Ergebnisse: Jeweils ausgehend vom Basisjahr 2009, steigen die Notfallzahlen bis 2015 sektorenübergreifend auf 104%, in den Notfallambulanzen auf 142%. Besonders deutlich ist dieser Anstieg in den Notfallambulanzen im Jahr 2013 von 121% (2012) auf 139%. Bis zum Jahr 2015 stieg dabei die Notfallprävalenz der 20-29jährigen Patienten in den Ambulanzen auf 119,8% des Niveaus von 2009, während in der Altersgruppe 85+ der Anstieg 110,6% beträgt. Bestätigt wurde dieses deskriptive Ergebnis in einer Regressionsanalyse zum Einfluss sozio-demographischen Parameter: Je gesünder (Inzidenzratenratio (IRR) regionale Gesundheitseffekte 1,15 (KI 95%: 1,13; 1,16)) und urbaner (IRR Urbanitätsindex 1,14 (KI 95%: 1,13; 1,15)) eine Bevölkerung ist, desto eher nimmt sie die ambulante Notfallversorgung in Anspruch. Die Analyse des Indikationsspektrums zeigt, dass im Bereitschaftsdienst Diagnosen aus dem ganzen Spektrum der unterschiedlichen ICD Kapitel kodiert sind, während in den Notfallambulanzen wenige Kapitel die meisten Fälle erklären. Regionale Unterschiede zeigen, dass in Ostdeutschland noch immer ein Großteil der Notfälle im Bereitschaftsdienst behandelt wird, während in Westdeutschland annähernd Parität zwischen Bereitschaftsdienst und Notfallambulanzen herrscht.
Diskussion: Die erhöhte allgemeine Inanspruchnahme der ambulanten Notfallversorgung scheint maßgeblich durch das gestiegene Patientenaufkommen in den Notfallambulanzen bestimmt – im Besonderen durch junge Erwachsene. Diverse Studien zeigten bereits Gründe für die höhere Inanspruchnahme, wie z.B. zu lange Wartezeiten bei ambulanten Allgemein- und Fachärzten und erwartete Qualitätsvorteile durch interdisziplinäre Behandlungsoptionen im Krankenhaus. Indikationen mit sinkenden ambulanten Fallzahlen, z.B. bei ischämischen Herzkrankheiten liefern Hinweise auf positive Effekte einer verbesserten ambulanten Versorgung bspw. durch DMPs. Insgesamt müssen die Ergebnisse jedoch unter den Restriktionen von Sekundärdatenanalysen betrachtet werden. Der hier verwendete Datensatz enthält keine Informationen zu Notfällen während der regulären Sprechzeiten im ambulanten Sektor. Empirische Hinweise zur Belastbarkeit der Kodierung sowie der sektoralen Zuordnung liegen im Rahmen dieser Untersuchung nicht vor. Die Analyse von Abrechnungsdiagnosen auf Grundlage der unscharfen, administrativen Notfalldefinition erlaubt zudem keine Aussagen über die Angemessenheit von Notfällen. Dennoch konnten Tendenzen über Unterschiede im Inanspruchnahmeverhalten aufgezeigt werden.
Praktische Implikation: Die Versorgung von Notfällen kann durch Interventionen, die definierte Patientensubgruppen adressieren, effizient verbessert werden. Maßnahmen für Patientengruppen mit einem überproportionalen Inanspruchnahmeverhalten können bspw. telemedizinische Angebote (‚Notfallapp‘) für die Gruppe der 20-29jährigen sein oder eine Verbesserung der Regelversorgung für chronisch Kranke mit hohem Versorgungsbedarf. Dazu ist eine sektorenübergreifende Datenerfassung und Perspektive auf das System der Notfallversorgung essentiell.
08:18 Uhr
V153:
Feasibility of Including Patients with Migration Background in a Structured Heart Failure Management Programme: a Prospective Case-Control Study Exemplarily on Turkish Migrants
R. Pfister (Köln, DE)
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Autor:innen:
R. Pfister (Köln, DE)
P. Ihle (Köln, DE)
B. Mews (Köln, DE)
E. Kohnen (Köln, DE)
M. Wähner (Köln, DE)
U. Karbach (Köln, DE)
H. Höpp (Köln, DE)
C. Schneider (Köln, DE)
Background: Structured management programmes deliver optimized care in heart failure patients and improve outcome.
Objective: We examined the feasibility of including patients with migration background speaking little or no German in a heart failure management programme.
Methods and Results: After adaption of script material and staff to Turkish language we aimed to recruit 300 Turkish and 300 German (control group) patients within 18 months using the operational basis of a local heart failure management programme for screening, contact and inclusion.
Of 488 and 1,055 eligible Turkish and German patients identified through screening, 165 Turkish (34%) and 335 German (32%) patients consented on participation (p=0.46). General practitioners contributed significantly more of the Turkish (84%) than of the German patients (16%, p<0.001). Contact attempts by programme staff were significantly less successful in Turkish (52%) than in German patients (60%, p=0.005) due to significantly higher rate of missing phone numbers (36% vs 25%), invalid address data (28% vs 7%) and being unreachable by phone more frequently (39% vs 26%, all p<0.001). Consent rate was significantly higher in successfully contacted Turkish (63%) compared to German patients (50%, p<0.001).
Discussion and Implications: The inclusion of Turkish minority patients into a heart failure management programme is feasible with higher consent rate than in Germans. However, effort is high due to inherent logistic adaptions and barriers in identification and contacting of patients. Hence, the integration of ethnic minority patients with language barrier in structured heart failure management programmes is unlikely under current general conditions without regulatory amendments.
08:36 Uhr
V154:
Gesundheitsstatus von geflüchteten Patienten in drei primärärztlichen Versorgungszentren im Jahr 2016
C. Beruf (Dresden, DE)
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Autor:innen:
C. Beruf (Dresden, DE)
K. Lindner (Dresden, DE)
J. Henry (Dresden, DE)
T. Fischer (Dresden, DE)
Hintergrund:
Im Jahr 2016 wurden in Deutschland 745.545 Asylanträge gestellt, was eine Erhöhung um 156 % zum Vorjahr darstellt. Damit entstand nicht nur quantitativ zusätzlicher Versorgungsbedarf, sondern Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede, sowie spezielle Abrechnungsmodalitäten stellten zusätzliche Herausforderungen dar. Um diese speziellen Versorgungsbedarfe abdecken zu können, wurden in einer deutschen Region drei Versorgungszentren für geflüchtete Menschen etabliert, die Aufgaben der primärärztlichen Versorgung übernehmen. Neben allgemeinärztlichen und ausgewählten fachärztlichen Sprechstunden (z.B. gynäkologisch, pädiatrisch), halten diese Zentren Sprachmittler und Sozialarbeiter bereit.
Gleichzeitig ist der Gesundheitsstatus von Geflüchteten im primärmedizinischen Versorgungsbereich außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen in Deutschland bisher weitgehend unbekannt. Eines der Hauptziele der interdisziplinären wissenschaftlichen Begleitung der Zentren ist daher die Analyse des Gesundheitsstatus und der Versorgungslage von Asylsuchenden.
Fragestellung:
Basierend auf den Behandlungs- und Abrechnungsdaten des Jahres 2016 sollen das Morbiditätsspektrum und die Behandlungsanlässe der Patienten in den Zentren analysiert werden. Ziel ist es dabei, Aussagen über den Output der auf Flüchtlinge spezialisierten primärärztlichen Versorgungszentren zu treffen und auf dieser Basis Ableitungen über den Gesundheitsstatus und den Versorgungsbedarf geflüchteter Menschen in Deutschland vorzunehmen. Im Einzelnen wird folgenden Fragen nachgegangen:
Welches Morbiditätsspektrum weisen die behandelten Geflüchteten in den allgemeinmedizinischen Versorgungseinrichtungen auf?
Wie verteilt sich die Krankheitslast nach Geschlecht, Alter und zuständiger Unterbringungsbehörde?
Wie lassen sich die Ergebnisse in den nationalen und internationalen Forschungsstand einordnen?
Methode
Bei der Studie handelt es sich um eine quantitative Sekundärdatenanalyse der Abrechnungs- und Behandlungsdaten von drei primärärztlichen Versorgungszentren für Geflüchtete.
Dazu wurden die in standardisierter Form vorliegenden Patienten-, Behandlungs- und Abrechnungsdaten aus der Praxissoftware der Zentren extrahiert. Die Zuordnung zu Behandlungsfällen und spezifischen Patienten wurde dabei in anonymisierter Form erhalten. Die extrahierten Daten wurden in der Folge bereinigt und statistisch deskriptiv mit IBM SPSS ausgewertet.
Folgende Merkmale flossen in die Auswertung ein: demographische Angaben (Alter, Geschlecht), Leistungsdaten (EBM, Verordnungen für Diagnostik), Diagnosen (ICD) und Kostenträger (Land, örtlicher Sozialhilfeträger oder Träger der Kinder- und Jugendhilfe).
Ergebnisse
In einer vorläufigen Auswertung der Daten aus einem der drei Zentren zeigt sich, dass vorwiegend virale Infekte, Rückenschmerz, sowie Haut- und Augenerkrankungen Behandlungsanlässe in der Praxis darstellen. Zusätzlich deutet sich ein Anstieg von chronischen und psychischen Diagnosen im Zeitverlauf an. Geschlechtsunterschiede sind ebenfalls vorhanden.
Die Datenlieferung und -auswertung für das Jahr 2016 wird im Juli/August 2017 abgeschlossen. Es werden verschiedene Resultate zur Patientenstruktur, unter anderem nach Geschlecht, Alter, Quartal und Kostenträger, dargestellt. Zusätzlich wird die Verteilung der Diagnosen und medizinischen Leistungen der behandelten Patient_innen unter verschiedenen Aspekten betrachtet.
Diskussion
Differenzen bei der Häufigkeit von Behandlungsanlässen im Vergleich zu anderen Untersuchungen können auf die unterschiedliche Organisation anderer Versorgungsmodelle bzw. andere Versorgungsziele (Erstuntersuchung bei Ankunft in der Gemeinschaftsunterkunft) zurückgeführt werden.
Die Datengrundlage der Analyse stellen Abrechnungsdaten dar, so dass nur abgerechnete Hauptdiagnosen einbezogen werden konnten, wodurch gestellte Nebendiagnosen, Einzelbefunde oder Voruntersuchungen nicht berücksichtigt werden können. Dadurch ist die Aussagekraft zum Gesundheitsstatus limitiert. Underreporting ist bei Erkrankungen zu vermuten, die nicht im Fokus der Primärversorgung stehen, wie etwa Traumata und subakute psychische Erkrankungen.
Die Abrechnungsmodalitäten über einzeln ausgestellte Behandlungsscheine und ohne eine einheitliche Patientennummer seitens der Sozialleistungsträger erschwert darüber hinaus die Auswertung der Routinedaten von geflüchteten Menschen.
Praktische Implikationen
Auf Grundlage der Ergebnisse sollen quantitative und qualitative Anforderungen an die primärmedizinische Versorgung von geflüchteten Menschen abgeleitet werden. Somit kann abgebildet werden, welche Versorgungsschwerpunkte in diesem Bereich benötigt werden.
08:54 Uhr
V155:
Ambulante Flüchtlingsversorgung mobil gestalten – Erfahrungen aus dem Projekt „Rollende Arztpraxis“
K. Götz (Lübeck, DE)
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Autor:innen:
K. Götz (Lübeck, DE)
K. Hahn (Lübeck, DE)
M. Knöfler (Mölln, DE)
C. Möllmann (Mölln, DE)
J. Steinhäuser (Lübeck, DE)
Hintergrund: Nach Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen werden Geflüchtete in Gemeinden untergebracht. Die besonderen infrastrukturellen Gegebenheiten der jeweiligen Gemeinde können dabei nicht immer berücksichtigt werden. Geflüchtete können sich im Rahmen der freien Arztwahl den Arzt, den sie bei Beschwerden aufsuchen, frei aussuchen, dennoch sind Sprachbarrieren häufig. Um eine auf Verständigung beruhende kontinuierliche Versorgung mit einem ärztlichen Ansprechpartner zu gewährleisten, kann eine mobile ambulante Versorgung möglicherweise hilfreich sein. Dieses mobile Versorgungskonzept wurde unter dem Namen „Rollende Arztpraxis“ in einem Landkreis implementiert und evaluiert.
Fragestellung: Welche Erfahrungen wurden bisher mit der „Rollenden Arztpraxis“ in der ambulanten Versorgung von Geflüchteten gemacht?
Methode: Um die Erfahrungen mit der „Rollenden Arztpraxis“ abzubilden, wurde ein qualitatives Studiendesign gewählt. Hierzu wurden Fokusgruppen und Interviews mit direkten Beteiligten (Geflüchtete, Gesundheitspersonal, Einrichtungsleitern und Fahrern) sowie indirekten Beteiligten (Verwaltungsangestellte, Gemeindevertretern, Organisatoren des Projekts) durchgeführt. Die Gespräche fanden von Juli 2016 bis März 2017 statt, wurden aufgezeichnet, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Die Implementierung der „Rollenden Arztpraxis“ war mit verschiedenen Hürden verbunden, die vor allem die Ausgestaltung des Vertragswesens in der ambulanten Versorgung durch die Kassenärztliche Vereinigung betraf. Seit Juni 2016 ist die „Rollende Arztpraxis“ in drei verschiedenen Gemeinden im Einsatz und versorgt in Gemeinschaftsunterkünften einmal pro Woche ca. 100 Geflüchtete. Die Gemeinden sind eher ländlich geprägt mit einer Einwohnergröße von 406 bis 5633 Einwohnern. Die Geflüchteten sahen in der Inanspruchnahme dieses mobilen Versorgungskonzeptes vor allem die Reduzierung der Wegstrecken aber auch die Möglichkeit der sprachlichen Verständigung als Vorteile an. Zudem wurde die vereinfachte Terminvergabe als weiterer Vorteil gesehen. Das Gesundheitspersonal äußerte, dass die Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen Versorgung sowie die sprachliche Verständigung durch einen Sprachmittler mittels dieses mobilen Konzeptes sehr gut funktionieren. Allerdings wurde auch geäußert, dass aufgrund der Unkenntnis des deutschen Gesundheitswesens und das was an medizinischen Leistungen als notwendig erachtet wird zu Erklärungsnöten führt, die die allgemeine zur Verfügung stehende Behandlungszeit bei weitem übersteigt. Indirekt an der Versorgung Beteiligte, sahen in diesem Angebot einen zusätzlichen Mehrwert für die gesundheitliche Versorgung. So wurde geäußerte: „Es ist schon von Vorteil, dass jemand zu dem Patienten kommt und nicht der Patient zu dem Arzt.“
Diskussion: Der Einsatz der „Rollenden Arztpraxis“ zeigt, dass verschiedene an der Gesundheitsversorgung Beteiligte unter den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ein und dasselbe Ziel verfolgen müssen. Die Etablierung von einheitlichen Standards in der Versorgung von Geflüchteten, die unter anderem auch die Gewährung eines Sprachmittlers beinhalten sollte, bedarf noch einer intensiveren Ausgestaltung.
Praktische Implikationen: In Anbetracht der rückläufigen Entwicklung der Arztzahlen sind die Erfahrungen mit der mobilen ambulante Versorgung von Geflüchteten ein Hinweis, dass eine Rollende Praxis ein Versorgungskonzept in ländlichen Regionen für die Allgemeinbevölkerung darstellen könnte. Allerdings müsste in der Ausgestaltung des Vertragswesens vereinfachte bürokratische Strukturen geschaffen werden.
09:12 Uhr
V156:
Die aktuelle Attraktivität der ärztlichen Weiterbildung und des ärztlichen Berufs unter Gendergesichtspunkten: Folgen für das künftige Angebot an Ärztinnen und Ärzten
H. van der Bussche (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
H. van der Bussche (Hamburg, DE)
R. Kocalevent (Hamburg, DE)
M. Scherer (Hamburg, DE)
S. Ziegler (Hamburg, DE)
Hintergrund
Seit dem Jahr 2000 ist von einem zunehmenden Ärztemangel die Rede. Je nach Standpunkt werden hierfür demographische Faktoren, unzureichende Bezahlung, attraktivitätsmindernde Arbeitsbedingungen bzw. Merkmale der Ärztepopulation selber („Feminisierung“ und „Generation Y“) verantwortlich gemacht. In der Regel beruhen solche Thesen auf querschnittliche Befragungen von stark selektierten Populationen von Medizinstudierenden.
Fragestellungen
1) Wie entwickeln sich die beruflichen Präferenzen der aktuellen ärztlichen Generation in Weiterbildung (WB) in Bezug auf Arbeitszeiten, Fachrichtung, Position in der Krankenhaushierarchie und Versorgungssektor zwischen Approbation und fachärztlicher Anerkennung?
2) Inwiefern unterscheiden sich die beruflichen Vorstellungen von Ärztinnen im Vergleich zu Ärzten?
3) Welche Folgen sind für das künftige Angebot an Ärztinnen und Ärzten aus den Ergebnissen ableitbar?
Methode
Mit der KarMed-Untersuchung gibt es zum ersten Mal eine längsschnittliche Untersuchung einer weniger selektiven Population von Ärztinnen und Ärzten, die sich in der ärztlichen Weiterbildung befinden Datenbasis ist die „KarMed-Studie“, in der jährliche standardisierte postalische Befragungen von Absolventinnen und Absolventen des Medizinstudiums des Jahrgangs 2008/09 aus sieben medizinischen Fakultäten durchgeführt wurden. Bis dato wurden sieben konsekutive Befragungen (vom Praktischen Jahr bis zum Ende des sechsten Weiterbildungsjahres) durchgeführt. Die Rücklaufquoten betrugen 48 % im PJ (n= 1.012), danach in allen Befragungen 85% und mehr. Der Vortrag beruht auf die Auswertungen bis zum Abschluss des vierten WB-Jahres. Die Auswertung erfolgte mittels deskriptiven Statistiken und logistischen Regressionen.
Ergebnisse
Im Zeitraum zwischen Approbation und vier WB-Jahren danach waren folgende Entwicklungen zu beobachten:
1) Versorgungssektor: Eine sich kaum verändernde Präferenz für eine spätere Tätigkeit im Krankenhaus und zuungunsten der vertragsärztlichen Versorgung. Die ambulante Versorgung wird insbes. präferiert von Ärztinnen, insbes. mit Kind, sowie von Ärztinnen und Ärzten, die verheiratet sind und/oder eine Tätigkeit in Teilzeit anstreben. Mehr als die Hälfte der Ärztinnen präferiert ein Angestelltenverhältnis in einer ambulanten Einrichtung
2) Position in der Krankenhaushierarchie: Die Wahrscheinlichkeit, eine Führungsposition (Ober und/oder Chefarzt) anzustreben, ist nach vier WB-Jahren für Ärzte um das Vierfache höher ist als für Ärztinnen. Im Laufe der vier WB-Jahre nahm allerdings auch bei Ärzten das Interesse an einer Chefarztposition signifikant ab.
3) Spezialärztliche Fachrichtungen: Das Interesse an chirurgischen Disziplinen halbierte sich, was in erster Linie auf die Ärzte zurückzuführen ist. Das Interesse an Anästhesiologie erhöht sich um mehr als 50%, insbesondere bei den Verheirateten beiderlei Geschlechts. Bei den anderen Fachrichtungen ist eine erstaunliche Kontinuität der Präferenzen festzustellen.
4) Hausärztliche Fachrichtungen: Bei den Ärzten nahm die Attraktivität der Fachrichtungen Allgemeinmedizin und Innere Medizin ohne Schwerpunkt deutlich ab, bei den Ärztinnen hingegen überproportional zu. Fachinteresse und Interesse an einer hausärztlichen Tätigkeit sind jedoch nicht deckungsgleich. Das gesteigerte fachliche Interesse geht allerdings nicht mit einer Zunahme des Interesses an einer hausärztlichen Tätigkeit einher. Die Quote derjenigen, die hausärztlich tätig werden wollen, liegt über vier Jahren unverändert bei 10 % der Befragten.
5) Arbeitszeiten nach der WB: Es fand für beide Geschlechter eine deutliche Verringerung der Attraktivität einer ununterbrochenen Vollzeittätigkeit nach der Weiterbildung statt. Die Hälfte der Ärztinnen wollte unmittelbar danach in Teilzeit arbeiten, bei Ärztinnen mit Kind drei Viertel der Befragten
Diskussion
Die geschildeten Entwicklungen werfen folgende Schatten voraus:
1) Besondere Mängel an Personal in Chirurgie, Psychiatrie und hausärztlicher Versorgung sowie relatives Überangebot in der Anästhesiologie.
2) Ungedeckte Bedarfe an Teilzeitstellen im Krankenhaus u.a.
3) Ungedeckte Bedarfe an Stellen bzw. Teilzeitstellen in der ambulanten Versorgung
Demensprechend ergeben sich massive Bedarfe an einer Umstrukturierung der Arbeitsplatz- und Weiterbildungsangeboten, insbesondere für Ärztinnen ohne, vor allem aber mit Kind.