Psychische Erkrankungen betreffen nicht nur Einzelne, sondern Familien. So haben Kinder psychisch erkrankter Eltern selbst ein hohes Erkrankungsrisiko. Die multipel belasteten Familien geraten oft zwischen die Sozialsysteme, deren Hilfsangebote unterschiedlichen Logiken, Konzepten und Traditionen folgen. Die Bundespolitik hat das Thema mittlerweile im Blick: Die Arbeitsgruppe Kinder psychisch und suchtkranker Eltern (AG KpkE) hat 19 Empfehlungen erarbeitet, die 12/2019 veröffentlicht (www.age-kpke.de) und 3/2020 in Berlin vorgestellt wurden.
Wie die Umsetzung der Empfehlungen nun genau erfolgen soll, ist noch nicht klar. Innerhalb des Fachreferats „Frauen-/Männergesundheit u Familienpsychiatrie/-psychotherapie“ erarbeitet eine AG in Kooperation mit der Marcé-Gesellschaft ein Positionspapier zur Umsetzung der Empfehlungen und hat, gemeinsam mit anderen Fachverbänden, u.a. den entsprechenden Bundesministerien Expertise angeboten, was positiv aufgenommen wurde. In diesem Symposium sollen Denkanstöße und Impulse zur Umsetzung ebenso wie erwartbare Schwierigkeiten vorgestellt und diskutiert werden.
Frau Prof. de Bock wird Erfahrungen und Modelle aus der Versorgungs- und Präventionsforschung vorstellen – mit besonderem Fokus auf der integrierten kommunalen Versorgung von Kindern. Die Wichtigkeit guter kommunaler Netzwerkstrukturen wird von Herrn Dipl.-Psych. Böttinger am Beispiel des Präventionsnetzwerks Ortenau vorgestellt: Über die „Eintrittskarte Kind“ kann es gelingen, psychisch erkrankte Eltern früh zu erreichen. Herr Dr. Turmes thematisiert die Notwendigkeit einer auskömmlichen Finanzierung der gemeinsamen Mutter-Baby-Behandlung in der Psychiatrie. PD Dr. Oelkers-Ax berichtet vom Stand der AG des Fachreferats zu den AG Kpke-Empfehlungen und beschreibt SGB-übergreifende Komplexleistungen und kommunale Gesamtkonzepte als Chance für betroffene Familien. Das Symposium bietet einen offenen Austausch zum aktuellen Stand dieses wichtigen gesundheitspolitischen Themas.
14:30 Uhr
Integrierte kommunale Versorgung von Kindern – Erfahrungen und Modelle aus der Versorgungs- und Präventionsforschung
Freia De Bock, Mannheim (Germany)
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Autor:in:
Freia De Bock, Mannheim (Germany)
Kinder aus familienpsychiatrisch betroffenen Familien bzw. Kinder mit eigenen psychischen Belastungen und Versorgungsbedarfen hängen oftmals zwischen unterschiedlichen Versorgungssystemen und -disziplinen. Sie beziehen häufig unterschiedliche Leistungen, denen eine gemeinsame Strategie und Zielsetzung fehlen. Bei fehlender Gesundheitssystemkenntnis und Gesundheitskompetenz kann dies die Effektivität und Effizienz von Maßnahmen und Leistungen gefährden und zudem gesundheitliche Ungleichheiten verstärken: Ressourcenreiche Familien werden die Aufgabe der Koordinierung ihrer eigenen Leistungen und ihre Mitsprache bei der Verordnung besser erfüllen können als Familien mit wenigen Ressourcen.
Angesichts dieser Problematik ist es dringend notwendig, Kinder aus Familien komplexen Problemkonstellationen koordinierter und integrierter zu versorgen. Es gibt international immer mehr Hinweise darauf, wie eine integrierte Versorgung von Kindern mit psychischen Belastungen und Erkrankungen gelingen kann und welche Faktoren dafür ausschlaggebend sind.
Dieser Beitrag gibt zunächst einen exemplarischen Überblick über den internationalen Wissensstand zum Thema. Im Weiteren stellt er grob die gesetzlichen Möglichkeiten für eine integrierte Versorgung von Kindern über verschiedene Sozialgesetzbücher bzw. für eine interdisziplinäre Versorgung innerhalb des SGB-V in Deutschland dar. Auf Basis dieser beiden Grundlagen wird im Anschluss diskutiert, wie bisherige Ansätze in Deutschland einzuordnen sind und weiterentwickelt werden können. Ein Schwerpunkt wird dabei darauf gelegt, wie Modelle der integrierten Versorgung auf kommunaler Ebene unter Einbindung kommunaler Akteure und Institutionen gelingen könnten.
14:40 Uhr
„Eintrittskarte Kind“ – wie können Eltern mit psychischen Erkrankungen erreicht werden?
Ullrich Böttinger, Offenburg (Germany)
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Autor:in:
Ullrich Böttinger, Offenburg (Germany)
Die Versorgung von Kindern psychisch erkrankter Eltern ist in Deutschland sowohl im Bereich der Prävention wie auch im Bereich der Unterstützung, Beratung und Behandlung noch sehr unzureichend entwickelt. Ein Mangel systemübergreifender Vernetzung und Finanzierung einerseits sowie Hemmnisse der Inanspruchnahme und hohe Zugangsschwellen andererseits stellen bisher erhebliche Hürden dar.
Für Eltern 0-3-jähriger Säuglinge und Kleinkinder sowie für werdende Eltern mit psychischen Erkrankungen konnte im Rahmen der systemübergreifend arbeitenden Frühen Hilfen der Zugang dieser Zielgruppe ins Hilfesystem erheblich verbessert werden. Ein wesentliches Erfolgselement stellt dabei die „Eintrittskarte Kind“ als niederschwelliges und nichtstigmatisierendes Kriterium der Inanspruchnahme dar.
Am Beispiel der Erfahrungen der Frühen Hilfen im Ortenaukreis zeigt der Vortrag das enorme Potential einer frühestmöglichen Unterstützung von Anfang an auf. Aufbauend auf diesen Erfahrungen wird aktuell ein flächendeckendes Angebots- und Versorgungskonzept für alle Altersgruppen im flächengrößten Landkreis in Baden-Württemberg entwickelt und implementiert.
14:50 Uhr
Die Finanzierung der gemeinsamen Behandlung von Mutter und Säugling im psychiatrischen Krankenhaus: die Erfahrungen der LWL-Klinik Herten
Luc Turmes, Herten (Germany)
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Autor:in:
Luc Turmes, Herten (Germany)
Die Finanzierung der gemeinsamen Behandlung von Mutter und Säugling im psychiatrischen Krankenhaus: Die Erfahrungen der LWL Klinik Herten.
Luc Turmes, Maksym Berger
Im Jahre 2003 wurde die Mutter-Kind Einheit (MKE) der LWL Klinik Herten - bestehend aus 8 Betten für 8 Mütter mit ihren bis zu 1 Jahr alten Säuglingen, 2 teilstationären Behandlungsplätzen sowie einer großen Mutter-Kind Spezialambulanz - eröffnet. Pro Jahr werden ca. 60 stationäre und teilstationäre Fälle behandelt. Da der übliche Tagespflegesatz (PsychPV: A1) auch nicht annähernd kostendeckend war, gelang es im Rahmen der Budgetverhandlungen 2011 ein Sonderentgelt mit den gesetzlichen Krankenkassen zu vereinbaren. Im Jahre 2015 wurde ein entsprechendes PEPP-Vorschlagverfahren für 2016 auf den Weg gebracht; dieses wurde jedoch vom InEK im Dezember 2015 ablehnend beschieden.
Die aktuellen Tageskosten der MKE-Herten sowie die Gründe für eine höhere Kostenstruktur werden vorgestellt. Die entsprechende Finanzierunglücke wird dargestellt.
15:00 Uhr
SGB-säulenübergreifende Komplexleistungen und kommunale Gesamtkonzepte als Chance für „familienpsychiatrisch“ betroffene Familien
Rieke Oelkers-Ax, Neckargemünd (Germany)
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Rieke Oelkers-Ax, Neckargemünd (Germany)
Um die Situation von Kindern und Jugendlichen aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil psychisch erkrankt ist, nachhaltig zu verbessern, braucht es einen fachpolitischen und strukturgebenden Paradigmenwechsel auf der Bundesebene zu einem Blick auf die Familie als Gesamtsystem. Unabhängig davon, ob psychisch oder suchterkrankte Eltern oder Kinder im ambulanten oder (teil-)stationären psychiatrischen Kontext versorgt werden, sind die Wechselwirkungen auf Familienangehörige zu beachten und Hilfen aus dem Gesundheitswesen, der Jugend- und Familienhilfe sowie ggf. weiteren Hilfesystemen (z.B. SGB IX, Frühe Hilfen etc.) abzustimmen, ineinander zu verzahnen und zusammenzuführen. Die von der Bundesregierung beauftragte Arbeitsgruppe Kinder psychisch und suchtkranker Eltern (AG KpkE) hat in einem komplexen Prozess 19 Empfehlungen erarbeitet, die hier wesentliche Umsetzungsschritte anstoßen. Zentral erscheint hier eine mehrdimensionale Vernetzung der verschiedenen Sozialsysteme, deren Hilfsangebote unterschiedlichen Logiken, Konzepten und Traditionen folgen. SGB-säulenübergreifende Komplexleistungen, verpflichtende und strukturierte Kooperation sowie kommunale Gesamtkonzepte sollen diese Vernetzung befördern. Ein Positionspapier des DGPPN-Fachreferats „Frauen- und Männergesundheit und Familienpsychiatrie/-psychotherapie“ formuliert Eckpunkte und Vorschläge zur Umsetzung innerhalb des Gesundheitswesens und an den Schnittstellen zu anderen Sozialsystemen. Eine interaktionsbezogene Perspektive von Diagnostik und Interventionen und Einbeziehung von Mehrpersonensettings ist erforderlich. Ausgestaltungsmöglichkeiten für säulenübergreifende Komplexleistungen werden vorgestellt. Kommunale Gesamtkonzepte bilden im Idealfall tragende Hintergrundnetze.