Hintergrund: Mehrfachverordnungen (Psycho-/ andere Pharmaka; ≥ 5 Medikamente ≈ Polypharmazie) betreffen bis zu 2/3 der gerontopsychiatrischen Patienten. Dies ist der adäquaten Behandlung bei Multimorbidität geschuldet, geht aber mit erheblichen Risiken einher.
Th. Messer setzt einen Fokus auf typische Risikokonstellationen (altersabhängige Veränderungen der Pharmakokinetik und -dynamik, Substanzen mit geringer therapeutischer Breite, durch CYP-P450 vermittelte und andere Interaktionsrisiken) und darauf bezogene präventive Strategien.
Antipsychotika mit etablierten Indikationen als Mono- bzw. Kombinationstherapeutika gelten als besonders risikoträchtig. Oft multiple somatische Erkrankungen und entsprechende Medikationen bedingen eine erhöhte Vulnerabilität der Patienten. C. Lange-Asschenfeldt berichtet über Nebenwirkungen und Interaktionen von insbesondere atypischen Antipsychotika mit internistischen/neurologischen Medikamenten und anderen Psychopharmaka anhand von Fallbeispielen.
In fast allen Fällen wurden bei 345 Demenzkranken (Altersmittel 83,8 J) anhand der Software mediQ medikamentöse Wechselwirkungen angezeigt (J. Benninghoff), die bei weiterführender Analyse selten klinisch relevant waren (2,2 % bei mit und 0,6 % bei nicht mit Antidementiva Behandelten). Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer Ergänzung der EDV-gestützten Risikoanalyse durch eine Einzelfallbetrachtung.
Bei 51 Demenzkranken mit Polypharmazie (Altersmittel 83,6 J) wurden klinische und medikationsbezogene Variablen zu Beginn und Ende stationärer gerontopsychiatrischer Behandlung erfasst (K. Henkel). Verlauf: NPI-Score, anticholinerge bzw. potenziell inadäquate Medikation nahmen signifikant ab, Psycho- und sonstige Pharmaka mussten häufig neu verordnet werden (bei 57 % / 84 % der Patienten).
Schlussfolgerung: Überprüfung von Medikation und klinischem Status und sog. Polypharmazie-Tools tragen zu verbesserter Nutzen-Risiko-Relation bei. Eine nicht seltene Untermedikation ist zu beachten.
16:30 Uhr
Polypharmazie bei Menschen mit Demenz – wie viel „Deprescribing“ ist möglich?
Karsten Henkel, Göppingen (Germany)
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Autor:in:
Karsten Henkel, Göppingen (Germany)
Hintergrund: Mehrfachverordnungen von Pharmaka (Polypharmazie entspr. ≥ 5 Medikamente) betreffen bis über 50 % der Menschen mit Demenz (MmD). Dies ist der i. d. R. bestehenden Multimorbidität geschuldet, geht aber mit erheblichen Risiken einher.
Patienten und Methode: In einem naturalistischen Setting wurden 50 konsekutiv stationär gerontopsychiatrisch behandelte MmD mit Polypharmazie (Altersmittel: 83,6 a) eingeschlossen (MMST: MW 11,6, SD 6,2), bei 19 bestand ein Delir. Alle verordneten Medikamente bei Aufnahme, im Verlauf und bei Entlassung wurden detailliert erfasst, ebenso die Verordnungshäufigkeit von Anticholinergika, die anticholinerge Aktivität im Serum (SAA) und der Drug Burden Index nach Hilmer (DBI), sowie das Vorhandensein psychischer und Verhaltensstörungen mittels des Neuropsychiatrischen Inventars (NPI).
Ergebnisse: Zwar wurden bei 86 % der Patienten nicht mehr indizierte bzw. potenziell inadäquate Medikamente abgesetzt. Dennoch nahm die durchschnittliche Zahl der Medikamente im Verlauf von 8,7 auf 9,2 zu (p < 0.10), die mittlere Zahl verordneter Psychopharmaka blieb konstant (1,9 bzw. 1,8/Patient). Häufig mussten Psycho- bzw. andere Pharmaka im Behandlungsverlauf neu verordnet werden (bei 57 bzw. 84 % der Patienten). Der Anteil der Patienten, die Anticholinergika erhielten, nahm von 19 auf 7 ab (p < 0.01), ebenso waren signifikante Verbesserungen hinsichtlich DBI und NPI zu verzeichnen. Die Delirprävalenz nahm im Verlauf von 38 auf 8 % ab. Die SAA war bei Entlassung tendenziell reduziert (p < 0.10).
Resümee: Es war eine signifikante Verbesserung der zur Aufnahme führenden Psychopathologie zu registrieren. Die erwünschte Reduktion der Polypharmazie konnte nicht erzielt werden, da bei der Mehrzahl der Patienten Indikationen für Neuverordnungen bestanden. Dennoch waren Verbesserungen hinsichtlich qualitativer Parameter der Pharmakotherapie zu verzeichnen (Häufigkeit des Einsatzes von Anticholinergika, Reduktion des DBI).