Laut Schätzungen der WHO ist die Zahl der Suizidversuche 20-mal höher als die der vollendeten Suizide, so dass in Deutschland mit etwa 200.000 Suizidversuchen pro Jahr gerechnet werden muss. Ein Suizidversuch ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für einen vollendeten Suizid. Daher bedarf es spezifischer, multimodaler Interventionen, um nach einem Suizidversuch weiteren suizidalen Handlungen vorzubeugen.
Einführend gibt Tobias Teismann einen Überblick über therapeutische Strategien und Techniken zum Umgang mit akuter Suizidalität unter besonderer Berücksichtigung der individuellen Risikoabschätzung. Dabei sind Anpassungen des therapeutischen Settings an die Belange des suizidalen Menschen ebenso erforderlich wie die Betrachtung der Effektivität verschiedener Strategien.
Die Kurztherapie nach Suizidversuch (ASSIP) wurde am Universitätsklinikum Bern entwickelt und beruht auf handlungstheoretischen Konzepten. Im Rahmen des Frankfurter Projekts zur Prävention von Suiziden mittels Evidenz-Basierter Maßnahmen (FraPPE) wird es in allen psychiatrischen Kliniken in Frankfurt angeboten. Michael Stäblein berichtet über die Erfahrungen bei der Einführung und Umsetzung.
Das Netzwerk zur Suizidprävention in Thüringen (NeST) hat ein spezifisches Psychotherapieprogramm für Patienten nach einem Suizidversuch entwickelt. Gerd Wagner fasst die bisherigen Studien zu psychotherapeutischen Interventionen nach einem Suizidversuch zusammen, und stellt den Umgang mit suizidalem Erleben und Verhalten unter kognitiv-verhaltenstherapeutischen Gesichtspunkten vor.
Der Effekt verschiedener Psychopharmaka auf Suizidgedanken, Suizidversuche und vollendete Suizide ist gut untersucht. Christine Reif-Leonhard gibt einen Überblick über die aktuelle Forschung zur spezifischen Behandlung suizidaler Patientinnen und Patienten mit Lithium und Esketamin und einen Ausblick auf künftige Behandlungsoptionen.
16:00 Uhr
Risikoabschätzung, Krisenintervention und Therapie nach Suizidversuch
Tobias Teismann, Bochum (Germany)
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Autor:in:
Tobias Teismann, Bochum (Germany)
Suizidversuche gelten als zentraler Risikofaktor für erneute Suizidversuche und Suizide. Entsprechend wichtig ist es Personen nach Suizidversuch ein therapeutisches Angebot zu machen. Im ersten Schritt geht es darum (1.) zu verstehen wie es zum Suizidversuch gekommen ist und (2.) Sicherheit herzustellen. In Bezug auf letzteres muss eine Risikoabschätzung vorgenommen werden und – in Abhängigkeit von der motivationalen Ausgangslage des Betroffenen – sollten Strategien zur Förderung der Selbstkontrolle besprochen und implementiert werden. Im zweiten Schritt geht es sodann um die therapeutische Aufarbeitung des Suizidversuchs. Hierzu sollten spezielle Behandlungsangebote genutzt werden; so hat sich gezeigt, dass allgemeine Therapieangebote keinen suizidpräventiven Effekt haben.
Im Vortrag werden Möglichkeiten und Grenzen der Risikoabschätzung bei suizidalen Patienten sowie Strategien der Krisenintervention und der Psychotherapie überblicksartig vorgestellt und – mit Blick auf deren empirische Fundierung – diskutiert.
16:10 Uhr
Postvention von Suizidversuchen anhand einer psychotherapeutischen Kurzintervention
Michael Stäblein, Frankfurt Am Main (Germany)
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Michael Stäblein, Frankfurt Am Main (Germany)
Ein Suizidversuch stellt den größten individuellen Risikofaktor für spätere Suizide dar. Selbst Jahre nach einem Suizidversuch bleibt das Risiko für einen künftigen Suizid erhöht. Die individuelle Nachsorge ist bei Patienten, die einen Suizidversuch unternommen haben, daher eine wichtige Säule der Prävention eines späteren Suizids. Die psychotherapeutische Kurzintervention „Attempted Suicide Short Intervention (ASSIP)“ ist eine Einzeltherapie, durch die das Risiko weiterer Suizidversuche bedeutsam gesenkt werden kann. Die aus drei bis vier Terminen bestehende Kurtherapie verfolgt dabei einen stark patientenzentrierten Ansatz, bei dem das suizidale Erleben und Verhalten den zentralen Fokus der Behandlung darstellen. Verschiedene therapeutische Elemente, wie das narrative Interview, Video-Feedback und Psychoedukation, werden miteinander kombiniert mit dem Ziel, ein gemeinsames Verständnis der Suizidalität zu entwickeln und schriftlich zu fixieren. Weiterhin werden individuelle Warnzeichen und präventive Verhaltensstrategien erarbeitet und festgehalten. Follow-Up-Briefe, welche Patienten über einen Zeitraum von zwei Jahren erhalten, sollen die langfristige therapeutische Verankerung der Therapieinhalte fördern. Die Kurzintervention stellt durch die Verbindung eines festen Ablaufs, stark individuellen Therapieinhalten und eines ressourceneffektiven Konzepts ein wertvolles Element in der Prävention von Suiziden dar. Die Implementierung der Kurztherapie in der Versorgung an allen vier psychiatrischen Kliniken im Stadtgebiert Frankfurt erfolgte im Rahmen des Frankfurter Projekts zur Prävention von Suiziden mittels Evidenz-Basierter Maßnahmen (FraPPE) und wird beispielhaft aufgezeigt.
16:20 Uhr
Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Therapieprogramm nach Suizidversuch
Gerd Wagner, Jena (Germany)
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Autor:in:
Gerd Wagner, Jena (Germany)
Eine spezifische psychotherapeutische Behandlung der Patientinnen und Patienten nach einem Suizidversuch nimmt aktuell nur einen geringen Stellenwert ein, obwohl diese Präventionsform einen bedeutsamen Teil einer effektiven Suizidpräventionsstrategie darstellt. Neben dem häufig fehlenden Wissen über die aktuellen Möglichkeiten einer spezifischen Therapie mit Patientinnen und Patienten nach einem Suizidversuch, spielt zusätzlich oft eine geringe Motivation seitens der Patientinnen und Patienten über den Suizidversuch selbst zu reden, z.B. aufgrund der Stigmatisierung oder Ängsten vor einer Einweisung. Es scheint jedoch von zentraler Bedeutung zu sein, das suizidale Verhalten bzw. die auslösenden Bedingungen dafür, wie z.B. suizidale Gedanken bzw. assoziierte Gefühle in den Fokus einer spezifischen Behandlung zu stellen.
Deswegen werden im ersten Teil des Vortrags die Ergebnisse einer Meta-Analyse präsentiert. Dabei haben wir die bisherigen Studien zusammengefasst, welche psychotherapeutische Interventionen in einem randomisierten und kontrollierten Studiendesign an Patientinnen und Patienten mit einer suizidalen Verhaltensstörung durchgeführt haben. Im zweiten Teil des Vortrags wird ein spezifisches Psychotherapieprogramm für Patientinnen und Patienten nach einem Suizidversuch vorgestellt, welches im Rahmen des vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Projekts „Netzwerk zur Suizidprävention in Thüringen“ (NeST) entwickelt wurde. Das Programm basiert im Wesentlichen auf den Ergebnissen der Meta-Analyse und stellt den Umgang mit suizidalem Erleben und Verhalten unter Einbezug von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Techniken in den Vordergrund. Es werden die ersten Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zu diesem Programm vorgestellt.
16:30 Uhr
Spezifische psychopharmakologische Behandlung suizidaler Patientinnen und Patienten
Christine Reif-Leonhard, Frankfurt Am Main (Germany)
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Autor:in:
Christine Reif-Leonhard, Frankfurt Am Main (Germany)
Suizidalität ist meist Anzeichen einer schweren psychiatrischen Erkrankung. Störungsspezifische Medikation wird über die Behandlung der Grunderkrankung mittelfristig auch die Suizidalität verbessern. In der stationären Therapie können Benzodiazepine bei akuter Suizidalität gerade bei affektiven Erkrankungen hilfreich sein; in der ambulanten Behandlung ist diese Substanzgruppe jedoch auch kritisch zu sehen. Es stellt sich daher die Frage, ob es spezifisch antisuizidale Medikation gibt und wie die Studienlage hinsichtlich Wirklatenz, Wirksamkeit und Wirkdauer aussieht. Es gibt nur wenige randomisierte kontrollierte oder andere hochwertige Studien zu einem antisuizidalen Effekt von Pharmaka. Kleinere RCT gibt es zu einem akut antisuizidalen Effekt der schnell antidepressiv wirksamen Substanz Esketamin, obgleich die Zulassungsstudien hier eine geringere Effektivität zeigten als initiale offene oder kleine kontrollierte Studien. Für andere Substanzen liegen gar nicht erst große RCT vor. Aus längsschnittlichen Kohortenstudien und epidemiologischen Erhebungen ist jedoch der (zumindest längerfristige) antisuizidale Effekt von Lithium diagnoseunabhängig gut belegt; hier konnte sogar in Meta-Analysen gezeigt werden, dass der Lithium-Spiegel im Trinkwasser mit der Suizidrate negativ korreliert. Gute epidemiologische Belege gibt es auch dafür, dass eine Methylphenidat-Medikation die erhöhte Suizidrate bei Patienten, die an ADHS leiden, normalisiert. Weniger hochwertige Daten legen eine antisuizidale Wirkung von Clozapin nahe, hier sind jedoch unbedingt weitere Studien notwendig. Abschließend sind gerade in der ambulanten medikamentösen Therapie suizid-prophylaktische Maßnahmen angezeigt, wie beispielsweise Verschreibung von kleinen Packungsgrößen und Vermeidung von Substanzen mit enger therapeutischer Breite.