Mit der S3-Leitlinie für psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen wurde erstmals die Evidenz für ein weites Feld essentieller psychiatrischer Arbeit gesammelt und für die Praxis auf höchstem Leitlinienniveau aufbereitet. Die Leitlinie offenbart damit auch Forschungslücken, die in den kommenden Jahren wissenschaftlich bearbeitet werden müssen. Dabei kommt die Perspektive der Gesundheitsfachberufe in den Fokus: Hier werden viele der psychosozialen Therapien durchgeführt und durch die Gründung eigener wissenschaftlicher Fachgesellschaften findet hier eine Vernetzung statt, die bereits für innovative Forschungsprojekte genutzt wird. In diesem Symposium werden die Forschungslücken und –perspektiven, die sich aus der S3-Leitlinie ergeben, aufgezeigt (Uta Gühne, Leipzig). Dann werden beispielhafte Forschungsprojekte aus der sozialen Arbeit (Karsten Giertz, Neubrandenburg) aus der Ergotherapie (Lisa Weber, Gießen) und aus dem Bereich künstlerische Therapien (Kathrin Seifert, Bonn/Ottersberg) durchgeführt.
16:00 Uhr
Forschungslücken und Perspektiven auf der Grundlage der aktualisierten S3-Leitlinie „Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“
Uta Gühne, Leipzig (Germany)
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Autor:in:
Uta Gühne, Leipzig (Germany)
Neben der psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Behandlung stellen psychosoziale Therapien eine wichtige Säule in der Behandlung schwer psychisch kranker Menschen dar. Diese zielen auf eine höhere Lebensqualität der Betroffenen und eine verbesserte Teilhabe in allen Lebensbereichen. In der „S3-Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ wird die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit psychosozialer Ansätze systematisch aufbereitet und damit ein breites Feld essentieller psychiatrischer Arbeit fokussiert.
Dabei folgt die Leitlinie den Regularien der AWMF und stellt auf Basis systematischer Literaturrecherchen 33 Empfehlungen und 12 Statements, die in einem strukturierten Konsensusprozess unter Beteiligung von mehr als 40 Fachgesellschaften und Arbeitsgemeinschaften abgestimmt wurden, zur Verfügung.
Die internationale Evidenz zur Wirksamkeit psychosozialer Interventionen gewinnt zunehmend an Gewicht. Für viele Bereiche konnten Empfehlungen mit hoher Empfehlungsstärke abgeleitet werden. Das gilt beispielsweise für den international entwickelten Ansatz des Supported Employment sowie für multiprofessionelle und teambasierte gemeindenahe Behandlungsansätze, für die Psychoedukation und für sogenannte gesundheitsfördernde Interventionen. Gleichzeitig offenbart die Leitlinie Forschungslücken, die in den kommenden Jahren wissenschaftlich aufgegriffen werden müssen. Der Großteil der Studien wird bisher international generiert. Das gilt auch für zugrundeliegende Konzeptionen von innovativen Behandlungskonzepten. Aber es fehlen nicht nur Wirksamkeitsbelege am Standort Deutschland. Die Evidenzrecherche verweist auch auf Bereiche innerhalb psychosozialer Therapien, in denen Ergebnisse widersprüchlich sind, in denen nur sehr wenige Studien mit sehr kleinen Stichproben vorliegen oder eine Zusammenfassung der Befunde aufgrund großer Heterogenität hinsichtlich Intervention, Kontrollintervention oder erfasster Zielgrößen kaum möglich ist.
16:10 Uhr
Herausforderungen und Risiken in der psychosozialen Arbeit mit Borderline-Klienten
Karsten Giertz, Neubrandenburg (Germany)
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Karsten Giertz, Neubrandenburg (Germany)
Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) handelt es sich um eine psychische Störung, die mit großem Leid und einem hohen Behandlungsbedarf assoziiert wird. Betroffene mit einer BPS weisen ein „tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität (APA 2013, S. 908)“ auf. In der Literatur werden die Betroffenen mit einer BPS häufig als eine Patient*Innengruppe beschrieben, bei der Behandlungs- und Therapieabbrüche oft vorkommen und die das stationäre Versorgungssystem übermäßig häufig beanspruchen. Im Gegensatz zur stationären Versorgung liegen im außerklinischen Bereich derzeit kaum empirische Erkenntnisse zur BPS vor. Im Rahmen einer qualitativen Untersuchung wurde der Einfluss der borderline-spezifischen Symptome auf ein psychosoziales Betreuungsumfeld untersucht. Hierzu wurden qualitative Interviews mit Mitarbeiter*Innen aus verschiedenen psychosozialen Praxisfeldern erhoben. Allgemeine Probleme und Belastungen, die auf die Mitarbeiter*Innen einwirken und deren mögliche Variation in Abhängigkeit der Gestaltung des Versorgungsangebotes wurden näher herausgearbeitet. Im Rahmen des Symposiums sollen die Ergebnisse aus der Analyse der qualitativen Interviews in Bezug auf die Beziehungsarbeit mit Betroffenen, die unter einer BPS leiden, vorgestellt und Empfehlungen für die psychosoziale Praxis aufgezeigt werden.
16:20 Uhr
Jobcoaching als Instrument zum Arbeitsplatzerhalt von Menschen mit Behinderung
Lisa Weber, Hildesheim (Germany)
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Lisa Weber, Hildesheim (Germany)
JADE bedeutet, Jobcoaching zur Arbeitsplatzsicherung Definieren und Evaluieren. Im Zentrum des Forschungsprojektes stand die Maßnahme JobcoachingAP, die von Integrationsämtern über verschiedene Paragraphen des Sozialgesetzbuches IX bewilligt und finanziert wird, um Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt von Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung zu sichern.
JobcoachingAP zeichnet sich dadurch aus, dass es direkt am Arbeitsplatz stattfindet.
Dabei gliedert sich ein/e Jobcoach/in in das betriebliche Arbeitsumfeld von Personen mit psychischen, physischen und/oder Lernbeeinträchtigungen ein.
Eine bundesweite Bestandsaufnahme des Forschungsprojektes zeigte, dass JobcoachingAP in den Regionen sehr unterschiedlich umgesetzt wird. Die darauffolgende Analyse des Jobcoachingprozess auf der Grundlage von 64 qualitativen Interviews mit den verschiedenen betrieblich und professionell Beteiligten führte zur Beschreibung typischer Prozessphasen und ermöglichte ein konzeptionelles Verständnis in Hinblick auf die Struktur und Gestaltung von Interaktionen im JobcoachingAP. Abschließend wurden Empfehlungen zur Umsetzung in der Praxis erstellt.
Deutlich wurde, dass Ausgangssituationen von JobcoachingAP oft von Krisen geprägt sind, die eine Abteilung, oder einen ganzen Betrieb betreffen. Diese Situationen gehen mit Entwicklungen einher, die ohne Intervention kurz- oder mittelfristig zum Arbeitsplatzverlust der Person mit Behinderung führen würden. Zur Vorgeschichte eines Jobcoachingfalls gehören Leidensgeschichten der Person mit Schwerbehinderung, die häufig mit innerbetrieblichen Stigmatisierungsprozessen und erfolglosen Problemlöseversuchen einhergehen. Neben dem Qualifizierungsangebot an die Person mit Schwerbehinderung richtet sich die Intervention auch an Kolleg/innen und Vorgesetzte. Die Unterstützung einer gegenseitigen Perspektivenübernahme und das Schaffen von Transparenz führen zu verbessertem gegenseitigen Verständnis und ermöglichen neue Begegnungsformen am Arbeitsplatz.
16:30 Uhr
Fototherapie bei Menschen mit Depression
Kathrin Seifert, Bonn (Germany)
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Kathrin Seifert, Bonn (Germany)
Die digitale Fotografie durchdringt zunehmend das gesellschaftliche Leben. Fotografien sind Manipulationen der Realität und stehen im engen Zusammenhang mit individuellen Wahrnehmungsfähigkeiten. Sie bieten Möglichkeiten für Projektionen, besitzen eine hohe subjektive Bedeutung und sind eingebettet in einen narrativen Kontext. Obwohl die ersten klinischen Anwendungen der Fotografie bereits 1852 öffentlich gezeigt wurden, geht die Geburt der wissenschaftlichen Fototherapie auf die 1970er Jahre zurück. Praktische Anwendungen sind derzeit selten. Die Verwendung des fotografischen Mediums in der Kunsttherapie liegt in den Anfängen. In der Behandlung depressiver Patienten konnte jedoch gezeigt werden, dass überhöhte künstlerische Anforderungen durch das technische Medium umgangen und Blockaden gelöst werden konnten. Gleichzeitig eröffnen sich hierdurch Möglichkeiten der biografischen Arbeit, die mit medial vermittelten Alltagserfahrungen verknüpft sind. Ein entwickeltes 3-phasiges Manual wurde im Rahmen einer multimodalen Behandlung durchgeführt und als qualitativ/quantitative Feldstudie (RCT)
evaluiert.
Die Ergebnisse zeigen, dass die fototherapeutische Behandlung zur Abnahme von Depressionssymptomen, zu einer signifikanten Steigerung der kognitiven Leistungen sowie zu einer signifikanten Veränderung des emotionalen Erlebens geführt hat. Die Fotografien boten Möglichkeiten für individuelle Projektionen im Umgang ihrer Erkrankung.
Im Vortrag werden wesentliche Therapiebausteine des Manuals, welches 2018 von der DGPPN ausgezeichnet wurde, als auch weiterführende Forschungsideen vorgestellt.