In der aktuellen Praxis der Psychotherapie werden zumeist verschiedene Methoden und Module eingesetzt, und Schulenstreitigkeiten verlieren an Bedeutung. In Ergänzung zu verhaltenstherapeutischen und psychodynamischen Verfahren haben sich z.B. die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT), die mentalisierungsbasierte Therapie (MBT), die Schematherapie, das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP), achtsamkeitsbasierte und existentielle Psychotherapien weit verbreitet. Sie verbinden allgemeine Wirkfaktoren mit spezifischen Techniken und werden zunehmend als transdiagnostische Verfahren zur Emotionsregulation und Verbesserung sozial-kognitiver Funktionen eingesetzt. Brakemeier & Herpertz (2019) schlagen dementsprechend als Ziel eine evidenz- und prozessbasierte, modulare Psychotherapie vor.
Die traditionellen Schulen unterscheiden sich zwar weiterhin beträchtlich bezüglich ihrer Theorien und Vorgehensweisen. Diese Unterschiede sind jedoch in der Praxis immer weniger relevant. So berücksichtigen moderne kognitive Verhaltenstherapien die aktive Gestaltung der therapeutischen Beziehung sowie emotionale und unbewusste Konflikte; , psychodynamische Therapien beachten ihrerseits die aktuelle Lebensgestaltung, die Kognitionen und das Verhalten ihrer Patienten. Die Verknüpfung von Erkenntnissen aus der Embodiment-Theorie, der Interaktionsforschung und der Phänomenologie ermöglicht zudem eine integrierende, personenzentrierte Grundlegung der Psychotherapie (Fuchs 2016).
Das Symposium soll die Voraussetzungen einer interdisziplinären Methodenintegration in den modernen Psychotherapien reflektieren. Dabei wird für die Zukunft insbesondere wichtig sein, die einzelnen Schulen, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu kennen, um ihr allgemeinen, modularen und spezifischen Wirkfaktoren personenzentriert, den Bedürfnissen der Patienten und den Anforderungen unterschiedlicher Therapiephasen entsprechend, differentiell einzusetzen.
Methodenintegration aus psychodynamisch-psychoanalytischer Sicht
Rainer Matthias Holm-Hadulla, Heidelberg (Germany)
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Rainer Matthias Holm-Hadulla, Heidelberg (Germany)
Als wichtigste Pionierleistung des Neurologen Sigmund Freud erscheint, dass er nach einem neurobiologischen Entwurf des „psychischen Apparats“ (1895) narrative Methoden in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie (wieder-)einführte. Ausgehend vom Zusammenspiel von Es, Ich und Über-Ich, das man gut mit aktuellen neuronalen Kohärenzmodellen der Top-Down- und Bottom-Up-Regulation zwischen lymbischem System, Amygdala/ Hippocampus und präfrontalem Cortex in Übereinstimmung bringen kann, rekurrierte Freud auf kulturelles Wissen von der griechischen Mythologie und Philosophie bis zur deutschen Klassik. Goethe, der um 1800 beispielhaft die Bedeutung lebensgeschichtlich bedingter unbewusster Konflikte und ihre Bewältigung durch sprachliche Gestaltung beschrieb, war der von Freud am häufigsten zitierte Autor. Auch die psychoanalytischen Therapieziele der Liebes- und Arbeitsfähigkeit haben tiefe kulturelle Wurzeln und scheinen bis heute, z. B. als therapeutische Verstärkung guter Beziehungen und positiver Aktivitäten, allgemeine Prinzipien unterschiedlicher Psychotherapieverfahren zu sein. Bei der Entwicklung von Modellen, die allgemeine Prinzipien mit modularen Techniken integrieren, geht es um eine individualisierte und personenzentrierte Psychotherapie auf der Grundlage einer humanistischen Ethik.
Wir schlagen hier ein Modell vor, das ausgehend von einer respektvoll anerkennenden therapeutischen Beziehung kognitiv-verhaltensorientierte Techniken mit psychodynamisch-psychoanalytischem Verstehen je nach Störung und Therapiephase integriert. Dabei spielt existentielle Kreativität eine wesentliche Rolle. Sie ist ein biologisches, psychologisches und kulturelles Psychotherapieprinzip und Lebenselixier. Dies wird anhand einer kurzen Therapievignette illustriert.
Literatur:
Holm-Hadulla, R.M.: Integrative Psychotherapie – ein schulenübergreifendes Modell anhand von exemplarischen Geschichten aus der Praxis. Erweiterte Neuauflage, Psychosozial Verlag, 2021
Ders.: Leidenschaft