Wearables erlauben das belastungsfreie Monitoring symptomnaher Parameter, Echtzeitanalysen die Vorhersage neuer Erkrankungsepisoden und Alltagserfassung die ökologisch valide Untersuchung psychopathologischer Mechanismen. Möglichkeiten und Potentiale von mobile digital Health Ansätzen werden erläutert.
Prodrome bei Patienten mit bipolaree Erkrankung sind wichtig für die Früherkennung. Die zeitliche Dauer prodromaler Verhaltensweisen ist jedoch unbekannt. Über 12 Monate wurden alle zwei Wochen Expertenratings und tägliche Selbstratings durchgeführt und mittels Strukturgleichungsmodelle zu einem dynamisch variierenden Symptomwert integriert. Julia Clemens (Dresden) berichtet über die unterschiedlichen Vorhersagedauern von Smartphoneparametern aus den Bereichen Schlaf, Aktivität und Kommunikation.
Tobias Kockler (Karlsruhe) untersucht mittels hochfrequenten elektronischen Tagebuchabfragen die Spezifität der für die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) charakteristischen Instabilität im Alltag von Patientinnen mit akuter (n=134) und remittierter (n=35) BPS, mit Angststörungen (121 )und bei 134 gesunden Kontrollen. Mehrebenenanalysen zeigen, dass die Instabilität des Selbstwerts die BPS stärker definiert als die des Affekts.
Die COVID-19 Kontaktbeschränkungen reduzieren menschliches Wohlbefinden weltweit. Leicht zugängliche Resilienzfaktoren zur Kompensation sind bisher nicht identifiziert. Markus Reichert (Bochum) kombiniert hochaufgelöste Bewegungsdaten mit elektronischen Tagebuchabfragen und zeigt, dass Alltagsbewegung negative Effekte der Einschränkungen sozialer Kontakte auf menschliches Wohlbefinden kompensieren kann.
Die Veränderung der Emotionalen Stressreaktivität im Jugendalter ist eine wichtige translationale Präventionsstrategie. Anita Schick (Mannheim) untersucht eine personalisierte, Compassion-Focused basierte mHealth Intervention bei Jugendlichen mit psychotischen oder depressiven Symptomen. Pilotdaten zeigen mittleren bis großen Effektstärken.
Digital Phenotyping zur Phasenerkennung bei bipolarer Erkrankung
Julia Clemens, Dresden (Germany)
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Autor:in:
Julia Clemens, Dresden (Germany)
Einleitung: Prodrome bei Patienten mit bipolarer Erkrankung sind wichtig für die Früherkennung. Mittels Smartphone erfasste subsyndromale Parameter aus den Bereichen Schlaf, Aktivität und Kommunikation können direkt bipolare Symptome wiederspiegeln und einen wichtigen Beitrag zur Vorhersage von affektiven Symptomen leisten. Außerdem können diese Informationen Art und Umfang der Intervention zur Vorbeugung oder Verringerung des Schweregrads der affektiven Episoden positiv beeinflussen. Die zeitliche Dauer prodromaler Verhaltensweisen ist jedoch unbekannt. Berichtet wird über die unterschiedliche Vorhersagedauer von Smartphoneparametern.
Methoden: Bei 29 Patienten mit bipolarer Störung fanden über einen Zeitraum von 12 Monaten regelmäßige (zweiwöchentliche) dimensionale und kategoriale Expertenratings und tägliche Selbstratings statt. Objektive verhaltensorientierte Parameter wurden mittels ambulantem Assessment über eine App sowie einem Bewegungssensor kontinuierlich aufgezeichnet. Um latente psychopathologische Outcomes (Depression, (Hypo-)Manie) und latente Prädiktoren aus den Smartphoneparametern zu ermitteln, werden Strukturgleichungsmodelle angewandt, die eine integrative und individuelle Analysestrategie erlauben und einer Fragmentierung von Daten vorbeugen.
Vorläufige Ergebnisse: Erste Analysen zeigen dass in Abhängigkeit von Art der Episode ((Hypo-)Manie, Depression, Gemischt) erste Veränderungen in den Bereichen Kommunikation (Anzahl eingehender und ausgehender Anrufe, Dauer der Telefonate, Anzahl und Länge der empfangenen und gesendeten SMS) und Schlaf (Anzahl wach verbrachter Stunden) vor allem 1-5 Tage vor Beginn einer erneuten affektiven Episode sichtbar sind. Damit existiert ein mehrtägiges Zeitfenster für Frühwarn und – interventionssysteme.
Hochfrequente elektronische Tagebuchabfragen zur Erfassung psychopathologischer Mechanismen bei Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung
Tobias Kockler, Karlsruhe (Germany)
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Tobias Kockler, Karlsruhe (Germany)
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist durch eine tiefgreifende Instabilität gekennzeichnet. Ambulantes Assessment ist zum Goldstandard zur Untersuchung von Instabilität geworden, da sich dynamische Prozesse nicht durch einmalige Fragebogenmessungen erfassen lassen. Obwohl die BPS die einzige Störung ist, bei der affektive Instabilität ein diagnostisches Kriterium ist, zeigen neuere Studienergebnisse eine erhöhte Instabilität auch bei anderen Störungen, weshalb affektive Instabilität mittlerweile als transdiagnostisches Merkmal gilt. Aktuelle Studien haben die Aufmerksamkeit auf das bislang wenig beachtete Kriterium der Selbstwertinstabilität gelenkt. Offen ist, ob eine erhöhte Selbstwertinstabilität ein spezifisches Merkmal der BPS ist, dessen Ausprägung sich von klinischen Kontrollgruppen unterscheidet.
Durch wiederholte Messungen mittels elektronischer Tagebücher im Alltag von 131 Patientinnen mit akuter BPS, 35 Patientinnen mit remittierter BPS, 121 Patientinnen mit Angststörungen und 134 gesunden Kontrollprobandinnen erfassten wir momentane Stimmung und Selbstwertgefühl zwölf Mal täglich an vier aufeinanderfolgenden Tagen. Wir verwendeten etablierte Instabilitätsindizes und analysierten Gruppenunterschiede in Mehrebenenmodellen.
Affektive Instabilität und Selbstwertinstabilität waren bei Patientinnen mit akuter und remittierter BPS sowie bei Patientinnen mit Angststörungen im Vergleich zu gesunden Kontrollprobandinnen erhöht. Die affektive Instabilität unterschied sich zwischen klinischen Gruppen jedoch nicht, sondern war transdiagnostisch erhöht. Dagegen war die Selbstwertinstabilität über alle Instabilitätsindizes hinweg bei Patientinnen mit akuter BPS höher als bei Patientinnen mit remittierter BPS und Patientinnen mit Angststörungen. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Selbstwertinstabilität bei der BPS, die die akute BPS möglicherweise besser charakterisiert als die affektive Instabilität.
Alltagsbewegung zur Kompensation negativer Effekte von Kontaktbeschränkungen
Markus Reichert, Bochum (Germany)
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Markus Reichert, Bochum (Germany)
Einleitung: Positive Effekte körperlicher Aktivität auf Wohlbefinden und psychische Gesundheit sind nachgewiesen, zugrundeliegende neuronalen Mechanismen jedoch unzureichend untersucht. Die meisten Untersuchungen fokussierten sportliche Aktivitäten (z.B. Joggen), obwohl der größte Anteil körperlicher Aktivität unstrukturiert im Alltag stattfindet, wie z.B. Treppensteigen. Ziel unserer Untersuchung war es daher, den Einfluss körperlicher Alltagsaktivitäten (KA) auf Wohlbefinden und die neuronalen Mechanismen zu untersuchen.
Methode: Wir kombinierten Neuroimaging mit Ambulantem Assessment in zwei unabhängigen Studien (n = 67; n = 83): Die Proband*innen trugen GPS-triggered electronic diaries, die mehrmals täglich Abfragen zur Energiegeladenheit auslösten, und Akzelerometer zur KA-Messung. Nach einer Woche Alltagsmessung wurden die Proband*innen mittels Magnetresonanztomografie untersucht und die Daten mit Mehrebenenmodellen ausgewertet.
Ergebnisse: In der ersten Studie bestätigte sich eine spezifische Innersubjekt-Assoziation von KA mit momentaner subjektiver Energiegeladenheit. In der Replikationsstudie zeigte sich, dass dieser Innersubjektzusammenhang durch den subgenualen Anteil des anterioren cingulären Cortex (sgACC), einer zentralen Emotionsregulationsregion, moderiert wird: Personen mit niedrigem sgACC-Volumen, einem Risikofaktor für affektive Erkrankungen, fühlten sich bei körperlicher Inaktivität weniger energiegeladen, profitierten jedoch stärker von hoher KA; die subjektive Energiegeladenheit prädizierte Marker psychischer Gesundheit.
Diskussion: Diese Ergebnisse zeigen einen Alltagsmechanismus auf, der das affektive Wohlbefinden beeinflusst, und im Falle einer Replikation der Ergebnisse in Patientengruppen, einen Risiko- und Resilienzprozess für affektive Störungen aufzeigen könnte. In unserer Präsentation diskutieren wir das mögliche Potential dieses Mechanismus, um negative Einflüsse der sozialen Einschränkungen der COVID-19 Pandemie zu reduzieren.
EMIcompass – eine personalisierte mHealth-Intervention für psychotische Jugendliche
Anita Schick, Mannheim (Germany)
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Anita Schick, Mannheim (Germany)
In der Jugend und im jungen Erwachsenenalter treten die meisten psychischen Erkrankungen zum ersten Mal auf. Im Frühstadium können Symptome auftreten, die einem transdiagnostischen Phänotyp entsprechen und unterschwellige Ausprägungen von Psychose, Manie, Depression und Angstzuständen umfassen. Ein Mechanismus, der verschiedenen psychischen Erkrankungen zu Grunde liegt, ist erhöhte Stressreaktivität. Sie ist daher ein vielversprechendes Ziel für die Prävention psychischer Erkrankungen und die Stärkung der Resilienz. EMIcompass ist eine hybride compassion-focused Ecological Momentary Intervention (EMI), eine spezifische Art von mobile Health Intervention, zur Verbesserung der Resilienz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
In einer explorativen randomisiert kontrollierten Studie (RCT) werden aktuell die Machbarkeit, zu Grunde liegende Mechanismen und die Wirksamkeit der EMIcompass-Intervention bei unspezifisch belasteten Personen, Personen mit einem Hochrisikosyndrom oder einer ersten Episode einer schweren psychischen Erkrankung im Alter von 14 bis 25 Jahren untersucht. In einer unkontrollierten Phase-I-Pilotstudie mit 10 hilfesuchenden Jugendlichen mit psychotischen, depressiven und/oder Angstsymptomen, wurden zuvor erste Anzeichen der Machbarkeit, Sicherheit und Effekte der Intervention untersucht.
Die Datenerhebung des RCT wird voraussichtlich im August 2021 abgeschlossen sein. In der Pilotstudie konnte eine reduzierte Stressreaktivität, eine Reduktion des momentanen negativen Affekts und der psychotischen Erlebnisse sowie eine Steigerung des positiven Affekts und eine Reduktion des Symptomniveaus nach der Intervention sowie bei der 4-wöchigen Nachuntersuchung festgestellt werden.
Im Rahmen des Vortrags werden die EMIcompass Intervention und bisherige Ergebnisse der Pilotstudie vorgestellt.