Seit 2001 ist die Vagusnervstimulation (VNS) in der Behandlung therapieresistenter Depressionen in Europa zugelassen. Die Studienlage zeigt einen mit mehreren Monaten Verzögerung eintretenden Effekt mit Langzeitwirkung; EKT-Responder scheinen besser zu profitieren als Non-Responder. Deutschlandweit entstehen immer mehr VNS-Spezialambulanzen. Daher kommt es zu zunehmendem klinischem, aber auch wissenschaftlichem Interesse an der Behandlungsmethode, die einen grundsätzlich anderen Behandlungsansatz als konventionelle Verfahren verfolgt. Die Kenntnis der VNS ist von Bedeutung, um interessierte Patienten umfassend aufklären zu können.
Das Symposium gibt eine Einführung in das Thema mit Beschreibung der Behandlungsmethode und kritischer Diskussion der aktuellen Literatur. Ferner werden der Aufbau einer VNS-Sprechstunde sowie das praktische Vorgehen der VNS-Behandlung in der Auswahl geeigneter Patienten und das notwendige Therapiemonitoring beschrieben.
Thematisiert werden Hypothesen zum Wirkmechanismus der VNS. Funktionelle bildgebende Untersuchungen konnten bei mit VNS behandelten, depressiven Patienten eine Aktivierung des linken präfrontalen Kortex zeigen. In der Magnetenzephalographie (MEG) konnte eine Reduktion von Alpha-Oszillationen beobachtet werden, die auf eine kortikale Aktivierung als direkten Stimulationseffekt hindeuten. Ferner werden anti-inflammatorische Effekte sowie Beeinflussung des monoaminergen Stoffwechsel beschrieben. Der N. vagus als Bindeglied zwischen Darm und Gehirn ist für die Hypothese, dass Depressionen als Systemerkrankung mit Beteiligung des Immunsystems und des Darmmikrobioms zu verstehen sind, von Interesse. In Tiermodellen wurde bei Stimulation vagaler afferenter Fasern eine Veränderung des Belohnungsverhaltens gezeigt. Mittels transkutaner VNS wird in einer Studie die Modulation von Lernverhalten, Darmmikrobiom und Immunantwort bei depressiven Patienten untersucht.
Vagusnervstimulation als adjuvantes Therapieverfahren bei schwer zu behandelnden Depressionen
Christine Reif-Leonhard, Frankfurt am Main (Germany)
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Christine Reif-Leonhard, Frankfurt am Main (Germany)
Seit 2001 ist die Vagusnervstimulation (VNS) in der Behandlung therapieresistenter Depressionen (TRD) in Europa zugelassen; in Deutschland werden die Kosten für den minimal-invasiven Eingriff von den Krankenkassen übernommen. Elektrische Schrittmacherimpulse lösen Aktionspotentiale des linken N. vagus aus, die afferent über verschiedene Wege u.a. monoaminerge Kerngebiete beeinflussen und somit das limbische System modulieren. Auch immunmodulatorische Effekte werden diskutiert. Der Schrittmacher stimuliert in der Grundeinstellung alle 5 Minuten für 30 Sekunden im sehr niedrigen Milliampere-Bereich mit einer bestimmten Impulsfrequenz und -breite; diese fünf Parameter können im Verlauf mittels einer Schrittmacher-Software angepasst werden. Viele Studien und Fallserien zeigten die Wirksamkeit von VNS als adjuvantes Verfahren bei uni- und bipolarer TRD; eine methodische Einschränkung besteht allerdings dahingehend, dass meist kein adäquater Sham-Arm durchgeführt wurde. Der antidepressive Effekt tritt mit einer Latenz von 3-12 Monaten ein und scheint mit der Dauer der VNS zu steigen, was darauf hindeutet, dass der Wirkmechanismus der VNS auf neuroplastische Phänomene zurückzuführen sein dürfte. Unter der Beachtung der Stimulationsempfehlungen sind die Nebenwirkungen für die meisten Patienten tolerabel. Patienten mit schwer zu behandelnden Depressionen benötigen in aller Regel mehrere oder sogar viele Therapiebausteine, um eine Verbesserung der Lebensqualität zu erreichen. VNS als nicht-pharmakologische Therapiemethode mit Langzeiteffekt ist hier eine wertvolle therapeutische Option.
Auswahl geeigneter Patienten, präoperatives Management und Therapiemonitoring
Erhan Kavakbasi, Münster (Germany)
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Erhan Kavakbasi, Münster (Germany)
Die invasive Vagusnervstimulation erfordert die chirurgische Implantation eines Stimulationssystems zur langfristigen Behandlung. Eine Behandlung, die einen chirurgischen Eingriff erforderlich macht, ist in der Psychiatrie nicht alltäglich. Viele PatientInnen sind überrascht, wenn sie von dieser Behandlungsmöglichkeit erfahren. Um eine partizipative Entscheidungsfindung für oder gegen diese Behandlung erreichen zu können, ist eine ausführliche Exploration der vorliegenden Erkrankung, der Komorbiditäten und des bisherigen Therapieverlaufs entscheidend. PatientInnen und Angehörige müssen ausführlich über die Behandlung, über die Erfolgsaussichten, über Alternativen und zu erwartende Nebenwirkungen und Einschränkungen z. B. in Bezug auf die MRT-Tauglichkeit informiert werden. Bisher veröffentlichte Studien zeigen, dass bestimmte Subgruppen wie z. B. EKT-Responder eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, auf die Vagusnervstimulation anzusprechen. Bei PatientInnen, die Erhaltungstherapie mit EKT erhalten, kann durch die Vagusnervstimulation ggf. eine Reduktion der EKT-Frequenz erreicht werden. In diesem Vortrag wird ein Überblick über die Auswahl geeigneter PatientInnen bei der Indikationsstellung gegeben, das präoperative Management sowie das Vorgehen bei der postoperativen Dosistitration erläutert. Möglichkeiten des Nebenwirkungsmanagements und die mögliche Anpassung von Stimulationsparametern werden diskutiert.
Biologische Effekte der Vagusnervstimulation: elektrische Stimulationseffekte, kortikale Aktivierung und antiinflammatorische Mechanismen
Bernhard T. Baune, Münster (Germany)
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Bernhard T. Baune, Münster (Germany)
Der genaue antidepressive Wirkmechanismus der Vagusnervstimulation (VNS) sowie die zugrundeliegenden biologischen Vorgänge sind Gegenstand aktueller Forschung. Die elektrischen Impulse erreichen über den N. vagus am Hirnstamm die serotonergen und noradrenergen Kerne des neuromodulatorischen Netzwerks. Insbesondere der Locus coeruleus und die dorsalen Raphe-Kerne spielen eine wichtige Rolle. In unseren eigenen Messungen konnte gezeigt werden, dass nicht während, aber unmittelbar nach der Stimulation, eine Reduktion der Alpha-Amplitude eintritt. Eine erhöhte Alpha-Amplitude wurde unter anderem bei depressiven Zuständen oder Beeinträchtigungen der kortikalen Aktivität beschrieben. Die Reduktion der Alpha-Amplitude durch die VNS kann als kortikale Aktivierung verstanden werden. In Tiermodellen führte die VNS zur Steigerung der Konzentration monoaminerger Transmitter. Eine Erhöhung der Produktion neurotropher Faktoren wie BDNF konnte nachgeweisen werden. Die VNS entfaltet ferner antiinflammatorische Effekte über die Reduktion proinflammatorischer Zytokine wie TNF und IL-6 sowie die Aktivierung der antiinflammtorischen Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse. Bildgebungsstudien zeigten eine Reduktion der Aktivität des rechten präfrontalen Cortex durch die VNS, dessen Überaktivität bei Depression angenommen wird. VNS reduzierte die funktionelle Imbalance zwischen dem rechten und den linken präfrontalen Cortex. In diesem Vortrag wird ein Überblick über die neurobiologischen Effekte der VNS und Hypothesen zum Wirkmechanismus gegeben.
Modulate Depression: eine Studie zur Untersuchung der systemischen Wirkung der transkutanen Vagusnervstimulation
Sharmili Edwin Thanarajah, Frankfurt am Main (Germany)
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Sharmili Edwin Thanarajah, Frankfurt am Main (Germany)
Weltweit leiden etwa 350 Millionen Menschen an einer Depression. Eine personalisierte und zielgerichtete Behandlung ist jedoch bislang nicht vorhanden. Es ist inzwischen bekannt, dass die Depression nicht eine isolierte Gehirnerkrankung ist, sondern mit Veränderungen der Immunreaktion, der Darmmikrobiom-Zusammensetzung und des autonomen Nervensystems einhergeht. Es bleibt jedoch unklar, wie diese verschiedenen pathologischen Veränderungen auf systemischer Ebene miteinander zusammenhängen und zur Entwicklung und zum Fortschreiten von der Depression beitragen. Der Vagusnerv, der das Gehirn mit den peripheren Organen verbindet, spielt in diesem Kreislauf eine entscheidende Rolle. Die invasive Vagusnervstimulation ist bereits zugelassen für die Behandlung von Depression. Aufgrund des invasiven Charakters findet dieses Verfahren allerdings nur als ein Baustein in der komplexen Behandlung therapieresistenter Depressionen Anwendung. Die transkutane Vagusnervstimulation (tVNS) bietet nun eine nicht-invasive Möglichkeit, um die zugrunde liegenden Mechanismen zu untersuchen und Faktoren zu identifizieren, die ein Therapieansprechen prädizieren. Es konnte in Gesunden bereits gezeigt werden, dass die tVNS Kerngebiete im Hirnstamm aktiviert, Belohnungsverhalten moduliert und Einfluss auf Entzündungsprozesse nimmt. Im Rahmen der Depression, ist die Wirkung der tVNS noch unzureichend verstanden. Im Rahmen der MODULATE-Studie soll dieser Zusammenhang untersucht werden, um eine zielgerichtete und personalisierte Anwendung der Vagusnervstimulation zu ermöglichen.