Zwangsstörungen zählen zu den häufigen psychischen Erkrankungen mit häufig chronischem Verlauf. Die Störung führt zu starken Auswirkungen auf das psychosoziale Funktionsniveau. Die Behandlungslatenz ist lang und die Behandlungsraten sind niedriger als bei anderen psychischen Erkrankungen. Frühzeitige und effektive Therapiemaßnahmen haben eine große Bedeutung.
Das Symposium soll auf neue, praxisrelevante Forschungsergebnisse fokussieren. Es werden Ergebnisse aus Therapiestudien mit innovativen Therapieansätzen aus der Psychotherapieforschung sowie neue Erkenntnisse zur Ätiologie und zu Auswirkungen der Corona Pandemie berichtet.
Frau PD Dr. Lena Jelinek vom UKE Hamburg hat Studien zu den Auswirkungen der Covid-19 Pandemie an einer klinischen Stichprobe von mehr als 300 Patienten mit Zwangsstörungen durchgeführt und berichtet über Auswirkungen auf die Symptomatik sowie Effekte auf Phänotypen der Zwangsstörungen.
Herr Prof. Norbert Kathmann von der HU Berlin führt seit Jahren eine große ambulante Studie zu KVT mit Exposition bei Zwangsstörungen durch und berichtet über aktuelle Ergebnisse zu Moderatoren und Mediatoren des Erfolgs.
Frau Dr. Simone Pfeuffer aus Prien leitet ein Projekt, bei dem mit Hilfe von Videokonferenztechnik Expositionsübungen im häuslichen Umfeld von Patienten mit Zwangsstörungen durchgeführt werden. Gerade in der aktuellen Corona-Pandemie bietet dies eine neue Option, Patienten im Sinne eines Home Treatment in ihrem Lebensumfeld zu behandeln. Aktuelle Ergebnisse aus dem stationären Bereich bei mehr als 100 Patienten zeigen, dass eine Expositionsbegleitung zuhause mit größerem Behandlungserfolg verbunden ist.
Herr PD Dr. Dominique Endres leitet eine Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Freiburg, die sich mit immunologischen Ursachen von psychischen Erkrankungen befasst. Es werden neue Ergebnisse bei Patienten mit Zwangsstörungen berichtet, die das Verständnis der Ätiologie von Zwangsstörungen erweitern.
zugeschaltet: Welche Auswirkungen hat die COVID-19-Pandemie auf Zwangsstörungen? Längsschnittbefunde aus der Allgemeinbevölkerung und einer klinischen Stichprobe
Lena Jelinek, Hamburg (Germany)
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Autor:in:
Lena Jelinek, Hamburg (Germany)
Mit dem Start der COVID-19-Pandemie und den damit einhergehenden Maßnahmen der medialen Berichterstattung (mediale Omnipräsenz der Infektionsgefahr und gesundheitlicher Folgen, Hygieneempfehlungen etc.) wurden expertenseitig negative Auswirkungen für Menschen mit Zwangsstörungen und eine Zunahme von Zwangssymptome in der Allgemeinbevölkerung erwartet. Zur Überprüfung dieser Annahmen führten wir zwei Längsschnittstudien durch.
In Studie 1 untersuchten wir Zwangssymptome in der Allgemeinbevölkerung (N = 1.207) zu Beginn der Pandemie sowie drei Monate später. Für ein Subsample konnten Daten aus 2014 einbezogen werden. In Studie 2 befragten wir Menschen mit Zwangsstörungen (N = 268, 68% mit Waschzwängen) zu Beginn der Pandemie sowie drei Monate später. Zwangssymptome wurden in beiden Studien mit Hilfe des Obsessive-Compulsive Inventory (OCI-R) gemessen.
In Studie 1 zeigte sich, dass das Risiko für einen unerwünschten Verlauf von Zwangssymptomen während der Corona-Pandemie bei den Menschen erhöht war, die bereits 2014 erhöhte Zwangssymptome hatten. Darüber hinaus zeigte sich eine geringe Zunahme von Zwangssymptomen über den frühen Pandemieverlauf (Cohen’s d = 0.15, CI95% 0.07 - 0.23). In Studie 2 berichteten 72% der Betroffenen mit Zwangsstörung über eine Belastungszunahme zu Pandemiebeginn. Die Zunahme war signifikant höher bei Menschen mit Waschzwängen im Vergleich zu Menschen mit anderen Zwängen (Cohen’s d = 0.24, CI95% 0.04 - 0.45). Über den frühen Pandemieverlauf zeigten sich Hinweise für eine Verbesserung der Belastung (Zwangsstörungssymptome und Depression), aber nur bei jenen, die nicht unter Waschzwängen litten (kleiner Effektstäken partielles Eta² = .022 - .049). Ferner war männliches Geschlecht mit einem günstigeren Verlauf assoziiert.
Die aktuellen Studien unterstreichen die Belastung von Menschen mit Zwangsstörungen, v.a. jenen mit Waschzwängen, im Rahmen der COVID-19 Pandemie. Implikationen für die Praxis werden diskutiert.
Moderatoren und Mediatoren des Erfolgs von KVT bei Zwangsstörungen: aktuelle Forschungsergebnisse
Norbert Kathmann, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Norbert Kathmann, Berlin (Germany)
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist die empfohlene Therapie bei Zwangsstörungen (OCD). Dennoch müssten für bis zu 40% Non-Responder andere, modifizierte oder ergänzende Interventionen angewendet werden. Dazu braucht man Vorhersagen, wer von Standard-KVT profitiert, sowie verstehen, welche Mechanismen der Non-Response zugrunde liegen.
Im Vortrag wird ein kurzer Abriss zu soziodemografischen und klinischen Prädiktoren gegeben. Es zeigt sich, dass wenig Varianz aufgeklärt wird und z.B. komorbide Depressionen und Angststörungen keine Vorhersage des Outcomes liefern. Auch bei Analysen mittels machine learning Algorithmen bleibt die individuelle Vorhersage mäßig. Hoffnung auf bessere Varianzaufklärung erwächst aus der Erfassung psychologischer, neurokognitiver oder neuroaffektiver Merkmale, sowie aus (epi)-genetischen und weiteren biologischen Markern. So konnten wir zeigen, dass Hypermethylierung des Oxytocin-Rezeptorgens mit schlechterem Therapieerfolg einhergeht. Mit ereigniskorrelierten EEG-Maßen (LPP) lassen sich emotionale Reaktivität und Emotionsregulation sensitiv erfassen. Erhöhte Reaktivität auf aversive Bilder war mit stärkerer Besserung unter KVT assoziiert. Dieser Marker ging gleichzeitig mit verminderter Unterdrückung von Emotionen einher. Ein weiterer Biomarker, nämlich die Herzratenvariabilität, steht auch in Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Emotionsregulation und erwies sich ebenfalls als prädiktiv für Therapieerfolg. Die fehlerbezogene Hirnaktivität (error-related negativity, ERN) ist bei vielen Patienten mit OCD erhöht, gleichzeitig ist sie mit dem polygenen Risikoscore (PRS) für OCD korreliert. In Mediatoranalysen zeigte sich, dass der PRS das Merkmal Schadensvermeidung über die erhöhte ERN vorhersagt. Schließlich wirken PRS und ERN bei der Prädiktion der Symptombesserung zusammen.
Es ist folglich anzunehmen, dass solche biopsychologischen Merkmale zu verbesserter Vorhersage und damit zu personalisierter Indikationsstellung beitragen können.
zugeschaltet: Videokonferenzbasierte Exposition bei Zwangsstörungen: eine besondere Chance in der Corona-Pandemie
Simone Pfeuffer, Prien am Chiemsee (Germany)
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Autor:innen:
Simone Pfeuffer, Prien am Chiemsee (Germany)
Ulrich Voderholzer, Prien am Chiemsee (Germany)
Kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition & Reaktionsmanagement ist die Therapie erster Wahl bei Zwangsstörungen. In den S3 Leitlinien wird empfohlen, therapeutisch begleitete Expositionen auch im häuslichen Umfeld der Patienten durchzuführen. Wegen organisatorischer Schwierigkeiten und anderer Gründen wird Patienten diese Möglichkeit oft vorenthalten (Külz et al., 2010). Nutzung neuer Medien stellt hier eine vielversprechende Alternative dar (Vogel et al., 2012). Viele Behandlungen standen dieser Möglichkeit skeptisch gegenüber, im Rahmen der Corona-Pandemie ist diese Skepsis einer pragmatischen Herangehensweise gewichen. Derweil wünschen sich Psychotherapeuten mehr Therapie per Videokonferenzen anzubieten und dies gilt nicht nur für die Behandlung von Zwangsstörungen, sondern bietet sich für viele Krankheitsbilder an. An der Schön Klinik Roseneck werden derzeit videokonferenz-basierte Expos im heimischen Umfeld erprobt, bei denen die Patienten via App mit dem Therapeuten in der Klinik verbunden sind. Erstmals werden videobasierte Heimexpositionen sowohl mit therapeutenbegleiteten Expositionen in der Klinik, als auch mit den bisher üblichen selbstständigen Heimexpositionen (Kontrollgruppe) verglichen hinsichtlich Behandlungserwartung (CEQ; Devilly & Borkovev, 2000), Einfluss auf die therapeutische Allianz (WAI-SR; Wilmers et al. 2008) und Bewertung der Therapiestunde (SEQ; Stiles & Snow, 1984). Zudem werden Benutzerfreundlichkeit (SUS; Bangor, Kortam & Miller, 2008) und Natürlichkeit (VTS; Bouchard & Robillard, 2000) des technischen Equipments bewertet. Bislang haben N=100 Patienten mit Hauptdiagnose Zwangsstörung an laufender Studie teilgenommen. Insgesamt liefert die Untersuchung Hinweise, dass videokonferenzbasierte Expositionen eine innovative und erfolgsversprechende Methode zur wohnortfernen Behandlung von Zwangsstörungen sind und nützliche Ergänzung zur evidenz-basierten Face-to-Face-Therapie darstellen können.