Durch die große Resonanz auf die Forschungen der Pharmazeutin Sylvia Wagner zu Medikamentenprüfungen an institutionalisierten Minderjährigen als „verdrängtem Kapitel“ bundesdeutscher Heimgeschichte hat die Erforschung dieses Themas ab 2016 deutlichen Aufschwung gewonnen. Seitdem haben einige Einrichtungsträger und Einzelinstitutionen die Untersuchungen von Medikamentenanwendungen in Einrichtungen der Psychiatrie und Behindertenhilfe in Auftrag gegeben, die inzwischen abgeschlossen sind.
Das Symposium nimmt dies zum Anlass, wesentliche Aspekte und Ergebnisse zum Thema Anwendungsbeobachtungen und Medikamentenerprobungen anhand zweier exemplarischer Forschungsaufträge darzustellen und zu interpretieren: Zum einen handelt es sich um die Untersuchung von „Arzneimittelprüfungen an Minderjährigen im Langzeitbereich der Stiftung Bethel in den Jahren 1949 bis 1975“ (Niklas Lenhard-Schramm/Maike Rotzoll/Dietz Rating), die sich vor allem der Einrichtung als Testzentrum für neue Epilepsie-Medikamente widmete. Zum anderen werden Ergebnisse aus dem Forschungsauftrag zur „Praxis der Medikamentenversuche in schleswig-holsteinischen Einrichtungen der Behindertenhilfe sowie in den Erwachsenen-, Kinder- und Jugendpsychiatrien in den Jahren 1949 bis 1975“ (Christof Beyer/Cornelius Borck/Jonathan Holst) vorgestellt.
Auf der Basis der Analyse von zeitgenössischen Fachpublikationen, Verwaltungsüberlieferung und Einzelfallakten werden dabei die Prüf- und Anwendungspraxis von Medikamenten in einer Betheler „Forschungsklinik“ für Epilepsie bei Minderjährigen dargestellt. Für Schleswig-Holstein stehen die Medikamentenprüfungen an Erwachsenen u.a. im Landeskrankenhaus Schleswig im Mittelpunkt, wo zur Entwicklung aussagekräftiger Testkriterien ein Forschungsverbund etabliert wurde. Beide Themenbereiche werden durch die zeit- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung von gesellschaftlichen, fachspezifischen und rechtlich-ethischen Voraussetzungen von Medikamentenverabreichungen gerahmt.