Die Corona-Pandemie bedeutet für die ambulante Versorgung von Menschen mit psychischer Störung eine anhaltende Herausforderung. Sowohl Ängste und Bedenken auf Seiten der Patient*innen, als auch Einschränkungen auf Seiten der betreuenden Therapeut*innen und Dienste erschweren vor allem die Versorgung von Menschen mit hoher Krankheitsschwere und komplexem Hilfebedarf. Aufsuchendes Arbeiten in Pandemiezeiten ist mit einem zusätzlichen logistischen Aufwand verbunden und geht mit einer Mehrbelastung des Personals einher.
Erfahrungen aus der ambulanten, gemeindepsychiatrischen Arbeit aus Sicht verschiedener Angebote und Dienste sollen in dem Symposium berichtet werden. Hindernisse und Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Versorgung werden benannt, mögliche Lösungen vorgestellt und diskutiert.
Die Rolle der Sozialpsychiatrischen Dienste in Zeiten der Corona-Pandemie – Ergebnisse einer Umfrage in Nordrhein-Westfalen
Matthias Albers, Köln (Germany)
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Matthias Albers, Köln (Germany)
Die sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi) sind ausgerichtet auf psychisch kranke Personen mit erschwertem Zugang zum Regelsystem der gesundheitlichen Versorgung. Ein Alleinstellungsmerkmal ist die initiative Kontaktaufnahme zu bisher unbekannten Personen, wenn nötig auch als Hausbesuch.
Die Kontaktbeschränkungen im Rahmen der Corona Pandemie veränderten das Vorgehen bei Beratungsgesprächen und Hausbesuchen und es waren zusätzliche Aufgaben zu bearbeiten. Als Teil des Gesundheitsamts wurden sie in unterschiedlichem Umfang für Infektionsschutzaufgaben eingesetzt, besonders zu Anfang der Pandemie.
NRW hat 53 Kreise und kreisfreie Städte und somit 53 SpDi. Die „Landesarbeitsgemeinschaft SpDi NRW“ führt jährlich zu ihrer Fachtagung eine Umfrage durch, 2020 war das Thema die Veränderung der Arbeit infolge von Corona. 2021 wurde ein follow-up durchgeführt. Zur Umfrage 2020 lagen aus 30 der 53 Gebietskörperschaften Antworten vor. An der Folgebefragung 2021 beteiligten sich 24 Dienste (Rücklaufquote 57 bzw. 45%). Bei der Interpretation der Ergebnisse ist zu beachten, dass aus einigen Gebietskörperschaften, wo der SpDi vollständig für die Kontaktnachverfolgung genutzt wurde, kein Rücklauf erfolgte.
70% der Antwortenden gaben an, dass Mitarbeitende des SpDi zu Aufgaben im Rahmen der Corona-Pandemie herangezogen wurden, in 85% davon stand jedoch weiter ausreichend Personal für die Aufrechterhaltung der dringendsten Aufgaben nach PsychKG (wie Hausbesuche in Krisen) zur Verfügung, in 15% nur in eingeschränktem Umfang. 55% gaben an, das zusätzliche Aufgaben wahrgenommen wurden, z.B. als Ausfallbürge für aus Infektionsschutzgründen geschlossene Angebote (Tagesstätte, BeWo, PIA), oder als Hotline für Menschen in psychosozialen Krisen in der Quarantäne. Vielerorts wurden Videokonferenzen und Online-Beratung eingeführt. Im Juni 2021 waren die Regelaufgaben überwiegend vollständig wiederaufgenommen und das Personal zurückgekehrt, einige neue Aktivitäten wurden fortgeführt.
Die Kreisverwaltung bleibt geschlossen – individuelle Lösungen oder wie aus der Not eine Tugend wird
Elina Sakellaridou, Mettmann (Germany)
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Elina Sakellaridou, Mettmann (Germany)
Einleitung: Die Corona-Schutzmaßnahmen haben die psychiatrische Versorgung erheblich erschwert. Der Sozialpsychiatrische Dienst (SpDi) ist ein Teil der psychiatrischen Grundversorgung. Zeitweise wurde in NRW ein erheblicher Teil des Personals für Aufgaben des Infektionsschutzes abgezogen. Einige SpDi konnten - unabhängig voneinander - auf das dynamische Geschehen mit der Einrichtung zusätzlicher Angebote reagieren, z.B. „Walk and Talk“ (Düsseldorf), „Bring Home“ (Köln) und die „Corona-Sprechstunde“ (Kreis Mettmann). Die Daten der „Corona-Sprechstunde“ wurden untersucht.
Methode: Das neue telefonische Beratungsangebot wurde über Printmedien und Online bekannt gegeben. Zudem wurden unter Quarantäne stehende Personen vom SpDi aktiv angerufen. Demographische Daten, Covid19-Infektion und/oder Quarantäne, psychische Vorerkrankungen sowie Anzahl und Inhalt der Gespräche wurden anonymisiert erfasst und analysiert.
Ergebnisse: Im Auswertungszeitraum von 14 Monaten haben insgesamt 253 Klienten das o.g. Angebot genutzt. Psychisch Vorerkrankte (n=83) nutzten dabei im ersten Lockdown 5-mal häufiger das Angebot mehrerer Beratungsgespräche als in der Zeit danach. Bei Personen ohne Vorerkrankung (n=170) war dagegen die Wahrscheinlichkeit eines höheren Beratungsbedarfs in der Zeit nach dem Lockdown 3-mal größer als währenddessen. Sie zeigten nach dem Lockdown 6-mal häufiger einen erhöhten Beratungsbedarf als Vorerkrankte. Letztere zeigten im ersten Lockdown beim Gruppenvergleich eine 11-mal höhere Wahrscheinlichkeit mehrere Beratungsgespräche in Anspruch zu nehmen.
Schlussfolgerung: Der SpDi fungierte möglicherweise als Ausfallsbürge für andere ambulante psychiatrische Institutionen und deckte noch dazu den Beratungsbedarf einer zuvor „gesunden“, allerdings durch die Pandemie belasteten Allgemeinbevölkerung. In diesem Sinne ist es Zeit, die Rolle der SpDi als wichtige Komponente des Öffentlichen Gesundheitsdienstes in der Bewältigung dieser und künftiger Epidemien neu zu denken.
Vertragsärztliche psychiatrische Versorgung während der Corona-Pandemie: in der Praxis, im Pflegeheim und durch Videosprechstunde
Sabine Köhler, Jena (Germany)