Die Beachtung von Religiosität und Spiritualität in der Behandlung von PTBS und Traumafolgestörungen stößt unter den therapeutisch arbeitenden Berufsgruppen seit einigen Jahren auf ein steigendes Interesse. Dieses Interesse entsteht häufig aus der Wahrnehmung, dass eine religiös-spirituell geprägte Weltanschauung eine nicht unwesentliche, zugrundeliegende innere Haltung in betroffenen PatientInnen skizziert, von der aus ihr Denken, Empfinden und Verhalten im Umgang mit traumatisierenden, grunderschütternden Erlebnissen und ihre Folgen mit geprägt werden.
Eine Therapie, die ein religiös-spirituelles Bezogen-Sein Betroffener berücksichtigt, steht dabei nicht selten vor der Herausforderung sich diesem Bereich in Unkenntnis ihrer individuellen Bedeutung zu nähern.
Vor diesem Hintergrund wird in diesem Symposium der Frage nachgegangen, in wie weit exemplarisch monotheistische, christlich-katholische oder muslimische Glaubenshaltungen einen Einfluss auf die subjektive Deutung und Bewältigung von PTBS und Traumafolgestörungen haben können und wie man diese im therapeutischen Prozess einzubinden vermag.
Am Beispiel des ostjüdischen Chassidismus eröffnet sich im dritten Beitrag ein Einblick wie facettenreich und adaptiv wiederum auch Religiosität durch die Vermittlung einer inneren sinn- und haltgebenden Haltung, - ein Bezogen-Sein auf 'Gott' - im Umgang mit – auch transgenerationalen – Traumafolgestörungen eine praxisnahe Hilfe zu sein vermag.
Kriegstraumata mit Religiosität und Spiritualität bewältigen? Eine empirische Studie mit kroatischen und bosnischen PatientInnen mit PTBS und anderen Traumafolgestörungen über 25 Jahre nach dem Balkankrieg
Klaus Baumann, Freiburg im Breisgau (Germany)
Andrijana Glavas, Freiburg im Breisgau (Germany)
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Autor:innen:
Klaus Baumann, Freiburg im Breisgau (Germany)
Andrijana Glavas, Freiburg im Breisgau (Germany)
Kriegstraumata mit Religiosität und Spiritualität bewältigen?
Eine empirische Studie mit kroatischen und bosnischen PatientInnen mit PTBS und anderen Traumafolgestörungen über 25 Jahre nach dem Balkankrieg
PTBS und Traumafolgestörungen sind in Kroatien und Bosnien-Herzegowina nach den Kriegshandlungen des sog. „Jugoslawien-Krieges“ bis heute sehr zahlreich und nicht selten chronifiziert. Die Belastung der Angehörigen und der Bevölkerung insgesamt ist erheblich. Die ambulante Standardbehandlung zeigt oft wenig Veränderung. Die Religiosität bzw. Spiritualität der Patientinnen und Patienten als mögliche Ressource oder Hindernis findet bislang wenig Beachtung in Behandlung und Nachsorge, obwohl die Bevölkerungen der beiden Länder als stark religiös geprägt gelten, sei dies muslimisch, sei es katholisch bzw. christlich.
An den psychiatrischen Kliniken von Zagreb (Kroatien) und Sarajevo (Bosnien-Herzegowina) befragten wir Patientinnen und Patienten v.a. mit Hauptdiagnose PTBS (F43.1) oder anderer Traumafolgestörung (F62.0) danach, welche Bedeutung für ihren Umgang mit ihrer Erkrankung sie ihrer persönlichen Religiosität/ Spiritualität (ReS) zuschreiben.
Bei einem Rücklauf n=353 von 400 (88,2%; Sarajevo 95,5%, Zagreb 81%), davon n= 86 (F43.1), n=107 (F62.0), n=160 mit anderen psychiatrischen Diagnosen korrelierten die Belastungen positiv mit den sehr unterschiedlichen (SpREUK-) Faktoren von Spiritualität im Umgang mit Krankheit: mit Suche nach Sinn (r=.44***), Vertrauen in höhere Führung (r=.47***), Reflexion: positive Krankheitsbewertung (r=.42***), Benefit aus ReS (r=.35***).
Solche Ergebnisse werfen Fragen nach Konsequenzen für eine personalisierte Patientenversorgung und –nachsorge in Psychiatrie und Psychotherapie auf.
Autoren der Studie: Andrijana Glavas, Arndt Büssing, Klaus Baumann
Religiös-spirituelle Ressourcen nach Kriegstraumatisierung im Bosnienkrieg – Kasuistik einer alewitischen Patientin
Anne-Katharina Neddens, Oberursel (Germany)
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Autor:in:
Anne-Katharina Neddens, Oberursel (Germany)
Im Rahmen eines Kriegsgeschehens nicht selten auftretende Traumatisierungen fordern Betroffene oft langjährig heraus einen adäquate, dem Leben förderlichen Umgang damit zu finden und nicht einem krankhaften Geschehen zu unterliegen. In der traumatherapeutischen Behandlung nimmt eine Verfügbarkeit patient*inneneigener salutogenetischer religiös-spiritueller Ressourcen eine zunehmend wichtige Bedeutung ein. Dabei finden auch Quellen einer transgenerationalen Religiosität/Spiritualität vermehrt Beachtung. Im Umgang mit Traumafolgestörungen können diese als therapeutisches Tool adäquat eingesetzt für den Genesungsprozess nutzbar gemacht werden.
Anhand einer bildreichen Einzelfallkasuistik einer 59 jährigen im Bosnien-Herzegowina Krieg 1994 kriegstraumatisierten muslimischen Patientin alewitischen Glaubens werden salutogenetische religiös-spirituelle Ressourcen aufgezeigt. Entlang hoch belastender, fragmentarisch geschilderter Kriegserlebnisse wird ein besonderer Fokus auf im therapeutischen Prozess ersichtliche individuelle sowie transgenerational religiös-spirituelle Ressourcen gelegt. Mithilfe des halbstrukturierten klinischen Interviews zur Erhebung einer spirituellen Anamnese (SPIR) von Frick et al. 2002 wird eine weitere Nutzbarmachung und Nachhaltigkeit religiös-spiritueller Ressourcen zur Diskussion gestellt.
zugeschaltet: Belastungsempfinden und wahrgenommene Veränderungen während der COVID-19-Pandemie
Arndt Büssing, Herdecke (Germany)
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Autor:in:
Arndt Büssing, Herdecke (Germany)
Ostjüdischer Chassidismus - Traumatherapie im 18. Jahrhundert ?
Die jahrzehntelangen jüdischen Pogrome in der Ukraine im 18. Jahrhundert hatten eine kollektive und mehrgenerationale Traumatisierung der betroffenen Überlebenden zur Folge. Die klassisch-traditionelle rabbinisch-liturgische Glaubensausübung im Judentum bei der praktischen Spaltung zwischen den "einfachen Menschen" und den talmudisch und kabbalistisch Gelehrten kam bei den neu und intensiv aufkommenden Bedürfnissen nach Zusammenhalt, Geborgenheit und Sinnfindung dramatisch an Ihre Grenzen, was einen äußeren Grund für die Entstehung der chassidischen Bewegung darstellte. Sie zielte auf die konkrete praktische Hilfe bei der kollektiven und individuellen Bewältigung der Lebenssituation und wies dabei eine starke Ressourcenorientierung auf. Dabei kann man aus heutiger Sicht in den praktischen Vorgehensweisen der Chassiden einige Gemeinsamkeiten mit den heute anerkannten psychotherapeutischen Methoden entdecken. In vielerlei Hinsicht „behandelten“ die chassidischen Rabbis ihre in seelischen Nöten befindlichen Schutzbefohlenen oft ähnlich, wie die moderne Psychotherapie es als hilfreich und wirksam ansehen würde.