Interpersonelle Probleme gelten für persistierende depressive Störungen (PDS) als charakteristisch. Hierzu zählen exemplarisch ein erhöhtes Stresslevel in sozialen Situationen, erhöhte Sensibilität für erwartete Ablehnung und ein ausgeprägtes Muster von sozialer Vermeidung. Sowohl die Entstehung interpersoneller Probleme als auch die Entstehung der PDS sind mit traumatischen interpersonellen Erfahrungen in der Kindheit assoziiert. Demnach überrascht es wenig, dass PDS-Patient*innen sowohl über hohe Raten an Kindesmisshandlung als auch über ausgeprägte interpersonelle Probleme berichten.
Doch wie hängen traumatische Erfahrungen, interpersonelle Probleme und PDS zusammen? Der 1. Teil des Symposiums widmet sich 2 experimentellen Studien zur Aufdeckung relevanter aufrechterhaltender Prozesse bei der PDS. Hierzu werden der Zusammenhang zwischen prosozialem Verhalten in einem Spielparadigma (Cyberball) und Kindheitstraumata sowie die mögliche mediierende Bedeutung von Zurückweisungssensitivität untersucht (B. Barton). Zudem wird die Empathiefähigkeit von PDS-Patient*innen in einer emotionalen Stresssituation betrachtet, in dem die Reaktivierung negativer Kindheitserfahrungen als individueller Stressor fungiert (A. Guhn). Beides, sowohl die erinnerten Traumata als auch die Konfrontation mit diesen, gehen mit einem reduzierten sozialen Funktionsniveau einher, das wiederum die PDS stabilisieren könnte.
Der 2. Teil des Symposiums widmet sich den Folgen interpersoneller Probleme. So werden soziale Isolation und Einsamkeit als aufrechterhaltende Faktoren der PDS betrachtet, aus denen sich wesentliche Behandlungsziele ableiten lassen (M. Reinhard). Das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) ist als störungsspezifisches Konzept für PDS auf die Überwindung von interpersonellen Problemen ausgerichtet. Exemplarisch soll die Effektivität und Wirksamkeit eines personalisierten stationären CBASP-Konzepts das Symposium abrunden (E.-L. Brakemeier).
Mediiert Zurückweisungssensibilität den Zusammenhang zwischen Kindheitstraumata und der Verhaltensreaktion auf sozialen Ausschluss bei PDS-Patient*innen?
Barbara B. Barton, München (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Barbara B. Barton, München (Germany)
Patienten mit persistierender depressiver Störung (PDS) zeigen hohe Werte hinsichtlich Zurückweisungssensibilität und eine hohe Prävalenz an Kindheitstraumata. Im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden zeigten PDS Patienten in einer Cyberball Variante mit zwei vermeintlichen Mitspielern dem exkludierenden Spieler gegenüber weniger prosoziales Verhalten. Ziel dieser Studie war es, zu prüfen, ob Kindheitstraumata prosoziales Verhalten vorhersagen und ob dieser Zusammenhang durch Zurückweisungssensibilität mediiert wird. Insgesamt wurden 68 Patienten mit PDS und alters- und geschlechtsgleiche gesunde Kontrollprobranden in die Mediationsanalyse einbezogen. Zur Messung der Zurückweisungssensibilität und der Kindheitstraumata wurden der Rejection Sensitivity Questionnaire und der Childhood Trauma Questionnaire eingesetzt. Die Verhaltensdaten zur Reaktion auf sozialen Ausschluss stammten aus dem Cyberball Paradigma, wobei niedrigere Werte auf weniger prosoziales Verhalten hinweisen. Eine moderierte Mediation wurde zusätzlich durchgeführt, um den Einfluss der Diagnose einer PDS zu untersuchen. In der Gesamtstichprobe waren Kindheitstraumata insgesamt sowie alle Subskalen signifikant positiv mit Zurückweisungssensibilität assoziiert (alle B > .218, alle p < .026). Kindheitstraumata, insbesondere körperlicher und sexueller Missbrauch sowie emotionale Vernachlässigung, waren signifikant negativ mit der Verhaltensreaktion auf sozialen Ausschluss assoziiert (alle B < -.008, alle p < .045). Der indirekte Effekt war in jedem Modell insignifikant. Die Diagnose moderierte den Zusammenhang der einzelnen Pfade nicht. Die Ergebnisse zeigten keinen mediierenden Effekt von Zurückweisungssensibilität auf den Zusammenhang von Kindheitstraumata auf die Verhaltensreaktion bei sozialen Ausschluss. Jedoch sagten Kindheitstraumata, insbesondere sexueller und körperlicher Missbrauch sowie emotionale Vernachlässigung, unabhängig von der Diagnose ein geringeres prosoziales Verhalten vorher.
Auswirkungen der emotionalen Aktivierung durch negative Erinnerungen auf das soziale Funktionieren bei PDS-Patient*innen
Anne Guhn, Berlin (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Anne Guhn, Berlin (Germany)
Empathiefähigkeit stellt eine zentrale Komponente unseres sozialen Funktionsniveaus dar. Es wird angenommen, dass Personen mit persistierender depressiver Störung (PDS) aufgrund traumatischer Kindheitserfahrungen Defizite aufweisen, zu verstehen, was in anderen Personen vorgeht (kognitive Empathie) und mit der erlebten Emotion eines anderen mitzufühlen (affektive Empathie). Entgegen dem klinischen Eindruck und dem Selbstbericht der Patient*innen kommen bisherige Studien jedoch unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass sich PDS-Patient*innen in ihrer Empathiefähigkeit nicht von Gesunden unterscheiden. Wir haben nun die Hypothese untersucht, dass Empathiedefizite erst unter emotionaler Aktivierung offenkundig werden.
Hierzu untersuchten wir PDS-Patient*innen und Gesunde mit zwei Parallelversionen des Multifaceted Empathy Test (MET) nachdem die Proband*innen kurz zuvor über ein auditives autobiographisches Skript mit einem negativen interpersonellen Ereignis aus der Kindheit konfrontiert wurden (Stress-Bedingung). Während beide Gruppen in der Kontrollbedingung mit einer neutralen Erinnerung keine Unterschiede aufwiesen, zeigte die PDS-Gruppe unter der Stressbedingung eine reduzierte kognitive Empathiefähigkeit. Dieses Empathiedefizit war umso größer, je mehr die Patient*innen eine subjektive Stressreaktion durch die Konfrontation mit dem Audioskript berichteten.
Diese Ergebnisse stützen unsere Hypothese, dass Empathiedefizite nur unter spezifischen Bedingungen apparent werden, z.B. unter experimenteller Stressinduktion. Einschränkungen in der Empathiefähigkeit können als auslösende und aufrechterhaltende Faktoren für interpersonelle Konflikte betrachtet werden, die in der Psychotherapie entsprechend adressiert werden sollten. So konnten wir weiterhin zeigen, dass Empathiedefizite durch eine Behandlung nach dem interpersonell orientierten CBASP-Konzept revidiert werden können und zudem mit einer klinischen Verbesserung einhergehen.
Einsamkeit und soziale Isolation bei PDS-Patient*innen: Ursachen und therapeutische Perspektiven
Matthias Reinhard, München (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Matthias Reinhard, München (Germany)
Interpersonelle Schwierigkeiten und dysfunktionale Interaktionen sind ein Kernmerkmal von Patient*innen mit persistierend depressiver Störung (PDS) und Ansatzpunkt therapeutischer Interventionen wie dem Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP). Aufgrund der dysfunktionalen Beziehungen haben Patient*innen mit PDS ein erhöhtes Risiko, an sozialer Isolation und Einsamkeit zu leiden, und weisen zudem eine gesteigerte Angst und Erwartungshaltung auf, zurückgewiesen zu werden. Auch frühere traumatisierende Beziehungserfahrungen scheinen dabei die Wahrnehmung und das Erleben von sozialen Beziehungen und Einsamkeit zu beeinflussen. Einsamkeit und soziale Isolation tragen wiederum zur Symptomlast der Patient*innen bei und können sich aufrechterhaltend auf die Depressivität auswirken. Im Vortrag sollen aktuelle Daten zur Einsamkeit und sozialen Netzwerken von Patient*innen mit PDS präsentiert und ein anschauliches Modell zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Einsamkeit vorgestellt werden. Zudem sollen die Effekte von CBASP auf Einsamkeit präsentiert werden. Der interpersonelle Fokus von CBASP scheint eine effektive Möglichkeit darzustellen, Einsamkeit bei Patient*innen mit PDS zu adressieren.