Verschwörungstheorien haben im Gefolge der Corona-Pandemie erheblich an gesellschaftlicher Bedeutung zugenommen. Ihre Ausbreitung wird gefördert durch die Virtualisierung der Kommunikation in den sozialen Medien, die die Bildung von Echokammern und Filterblasen begünstigt. „Nichts ist, wie es scheint,“ „nichts geschieht zufällig“, und „alles ist miteinander verbunden“ – diese drei Grundannahmen charakterisieren Verschwörungstheorien unterschiedlicher Provenienz. Die Parallelität zur Erlebnisstruktur von paranoidem Bedeutungserleben und Wahn ist offensichtlich. Dem stehen jedoch wichtige Unterschiede gegenüber, etwa die Bildung ausgedehnter Gruppen von Verschwörungsgläubigen, denen keine paranoiden „Wahngemeinschaften“ entsprechen. Das Symposium untersucht die Beziehung von Verschwörungstheorien und Wahn anhand phänomenologischer Analysen, empirischer Untersuchungen und forensisch-psychiatrischer Einzelstudien.
- Thomas Fuchs untersucht aus phänomenologischer Sicht die Struktur virtueller Kommunikation, die paranoide Denkmuster begünstigt und zu einer zunehmenden Fragmentierung der Öffentlichkeit beiträgt.
- Stephanie Mehl analysiert auf Basis einer empirischen Untersuchung die kognitiven Grundlagen des Verschwörungsglaubens, insbesondere die Tendenz zu voreiligen Schlussfolgerungen, und diskutiert kognitive Gemeinsamkeiten von Personen mit Verschwörungsglauben und Personen mit paranoiden Überzeugungen.
- Henning Saß befasst sich mit fließenden Übergängen von festen Überzeugungen zu überwertigen Ideen und schließlich explizitem Wahn. In einer Fallvignette des Hanauer Täters endet die Amalgamierung von paranoider Psychose und Verschwörungsideologie in terroristischer Aktion.
- Hans-Ludwig Kröber schließlich verweist anhand zweier Fallbeispiele auf die entscheidenden psychopathologischen Unterschiede zwischen vernetzten Wahnideen in Verschwörungsideologien einerseits und wahnhaftem schizophrenen Erleben andererseits.
zugeschaltet: Voreiliges Schlussfolgern und Verschwörungstheorien
Stephanie Mehl, Marburg (Germany)
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Stephanie Mehl, Marburg (Germany)
In den letzten Jahren und insbesondere während der Corona-Pandemie ist das Thema Verschwörungsglauben immer stärker ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Jedoch liegen aktuell nur wenige Präventions- und Interventionsmöglichkeiten vor, um Betroffene zu erreichen und Ausstiegsangebote zu entwickeln.
Die vorliegende Studie setzte sich zum Ziel, zu untersuchen, ob bestimmte Denkstile, die für Patient*innen mit Wahnüberzeugungen im Rahmen einer psychotischen Störung typisch sind und an denen therapeutische Interventionen ansetzen, auch bei Personen, die an Verschwörungserzählungen glauben, häufiger vertreten sind. Zu diesen Denkstilen wird z.B. die Tendenz gezählt, voreilige Schlussfolgerungen basierend auf geringer Evidenz zu treffen (Jumping to Conclusions (JTC-Bias)) sowie die Bevorzugung eines eher intuitiven Denkstils.
519 Personen mit einer ausgeprägten Neigung zu Verschwörungsglauben bearbeiteten im Rahmen einer experimentellen Onlinestudie die Fische-Aufgabe, die den JTC-Bias erfasst, sowie einen Fragebogen zur Präferenz eines intuitiven und analytischen Denkstils.
Personen, die in der Fische-Aufgabe vermehrt den JTC-Bias zeigten, bejahten im Vergleich zu Personen, die weniger zu einem JTC-Bias neigten, signifikant mehr Verschwörungserzählungen. Weiterhin bestand ein Zusammenhang zwischen der Bevorzugung eines eher intuitiven Denkstils und der Neigung, Verschwörungserzählungen zuzustimmen.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass der JTC-Bias möglicherweise an der Entstehung und Aufrechterhaltung sowohl von Verschwörungsglauben als auch von psychotischen und wahnhaften Überzeugungen beteiligt ist. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Trainings oder kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen, die an JTC ansetzen, möglicherweise auch in der Prävention und Reduktion von Verschwörungsglauben wirksam sein könnten, beispielsweise im Rahmen von Informationskampagnen.