Nachdem die Geschichte der DGPPN rekonstruiert worden ist, rücken nun andere nervenärztliche Vereinigungen in den Fokus. Inwieweit war auch dort die Führungsebene „belastet“? Wodurch wurde eine Elitenkontinuität begünstigt? Gab es Auseinandersetzungen um die Vergangenheit?
1. Anklage und Verklärung: Wie in der DGPT die NS-Zeit thematisiert wurde
In der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapie und Tiefenpsychologie wurde die NS-Zeit nie völlig ausgeblendet. Die Vorstandsmitglieder der DGPT brandmarkten zwar die Medizinverbrechen und forderten eine Neuorientierung, gleichzeitig wurde die Rolle der Psychoanalyse im Nationalsozialismus verkürzt dargestellt. Wie gelang dieser Spagat?
2. Wieder- oder neu gegründet, mehr Pädiatrie oder Psychiatrie? Die Deutsche Vereinigung für Jugendpsychiatrie (1950-1970)
Die Gründungsversammlung der heutigen DGKJP wird in Hinblick auf (Dis-)Kontinuitäten von der Weimarer Republik bis in die Bundesrepublik analysiert und die interdisziplinäre Positionierung der Gruppe sowie ihre Verortung zwischen Neu- und Wiedergründung diskutiert.
3. Wer war ein Nazi? Anmerkungen zur Geschichte der DGN (1950-1990)
Etliche Nachkriegs-Präsidenten und -Ehrenmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Neurologie waren dem Nationalsozialismus formal oder ideologisch verbunden gewesen. Der Vortrag fokussiert auf diese „Elitenkontinuität“ und sucht nach Erklärungen.
4. Zwischen Autonomie und staatlicher Kontrolle: Fachgesellschaften für Psychiatrie und Neurologie in der DDR
In der SBZ entstanden zunächst regionale Vereinigungen. Der Vortrag analysiert, wie im Spannungsfeld von (gesellschafts-)politischen Anforderungen und realen Gegebenheiten Kompromisse eingegangen werden mussten, die 1956 zu einer DDR-Fachgesellschaft führten.
Die Übersichtsvorträge stellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaften sowie beiden deutschen Staaten dar.
Wer war ein Nazi? Anmerkungen zur Geschichte der DGN (1950-1990)
Axel Karenberg, Köln (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Axel Karenberg, Köln (Germany)
Eine kürzlich abgeschlossene Untersuchung hat gezeigt: In der Führungsetage der 1950 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) bestand in den Nachkriegsjahrzehnten eine bislang nicht thematisierte personelle Kontinuität zur NS-Zeit. Allein 6 von 7 „Gründervätern“ der DGN waren frühere NSDAP-Mitglieder, 10 von 13 der bis 1976 amtierenden Vorsitzenden hatten der NSDAP, der SA oder der SS angehört. Zwei Drittel der bis 1985 ernannten deutschen bzw. österreichischen DGN-Ehrenmitglieder wiesen Verbindungen zum NS-System oder zur NS-Ideologie auf. Die individuelle Haltung der involvierten Neurologen zur Eugenik hatte von Zustimmung bis Ablehnung gereicht, keiner war unmittelbar an Tötungshandlungen beteiligt gewesen, etliche allerdings wussten von der „Begleitforschung“ im Rahmen der „Euthanasie“ oder nutzten nach 1945 die so generierten Forschungsressourcen. Der Vortrag diskutiert begünstigende Faktoren der Elitenkontinuität auf mehreren Ebenen: gesellschaftlich (Schweigekonsens, Schlussstrich-Mentalität), individuell-psychologisch (Verdrängen, Selbstexkulpation), fachpolitisch (Karrieresicherung durch Netzwerke Betroffener), berufssoziologisch (Fachärztemangel nach dem Krieg). Abschließend wird der jetzige Umgang der DGN mit ihrer „schwierigen Vergangenheit“ kurz dargestellt.
abgesagt: Zwischen Autonomie und staatlicher Kontrolle: Fachgesellschaften für Psychiatrie und Neurologie in der DDR
Details anzeigen
In der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) entstanden nach Ende des Zweiten Weltkrieges zunächst regionale Fachgesellschaften für Psychiatrie und Neurologie, die weniger einen Bruch als vielmehr Kontinuitäten bedeuteten. Deren Entstehungsgeschichte wird vor dem Hintergrund der gesellschaftspolitischen Entwicklung aufgezeigt und mit der Frage verbunden, ob und in welchem Maß diese Fachgesellschaften der staatlichen Kontrolle unterlagen. Inwieweit konnten sie ihre Aufgaben im Spannungsfeld von politischen Anforderungen und realen Gegebenheiten eigenständig wahrnehmen? In dieser Auseinandersetzung mussten Kompromisse eingegangen werden, die letztlich auch zur Gründung einer DDR-Fachgesellschaft im Jahr 1956 führten. Die Verantwortlichen dieser Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie der DDR mussten an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft agieren und sollten möglichst auch politische Vorgaben umsetzen.