Raum:
Saal A8 (Stream/on Demand)
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 06: Essstörungen, Schlafstörungen und andere der Kategorie F5
Stream/on Demand
Format:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Besonderheiten:
Q&A-Funktion
Essstörungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen des Jugend- und jungen Erwachsenenalters. Die Anorexia nervosa weist die höchste Mortalitätsrate unter den psychischen Erkrankungen auf. Chronische Verläufe und komorbide psychische Erkrankungen sind sehr häufig. Trotz Fortschritten der Therapieforschung gibt es eine Reihe von Herausforderungen für die Psychotherapie- und Versorgungsforschung, wie z.B. eine Früherkennung und Verkürzung der Dauer der unbehandelten Erkrankungen, eine Verbesserung der Response- und Remissionsraten durch optimierte Therapiekonzepte und die Senkung der hohen Rückfallraten.
In dem Symposium werden in allen 4 Beiträgen aus vier verschiedenen Studienzentren neue Studienergebnisse berichtet.
Frau Prof. Antje Gumz vom UKE Hamburg hat im Rahmen eines DFG geförderten Projektes Studien zu förderlichen und hinderlichen Faktoren für eine Verkürzung der unbehandelten Erkrankung bei Anorexia nervosa durchgeführt, deren Endergebnisse berichtet und im Hinblick auf deren Relevanz für die Praxis diskutiert werden.
Dr. Verena Haas von der Charité Berlin berichtet die Ergebnisse einer Studie mit familienbasierter Therapie (FBT) bei Jugendlichen mit Anorexia nervosa. Bislang gab es keine Studien mit FBT im deutsch-sprachigen Raum.
Dr. Silke Naab von der Schön Klinik Roseneck in Prien berichtet die Ergebnisse einer neuen Auswertung von Response- und Remissionsraten von knapp 1000 Jugendlichen (einschließlich einer Stichprobe männlicher Jugendlicher), sowie Prädiktoren und Moderatoren auf den Behandlungserfolg.
Frau Prof. Katrin Giel vom Universitätsklinikum Tübingen leitet eine multizentrische Studie zur Rückfall-Prophylaxe bei Anorexia nervosa. Im Sinne eines modernen Ansatzes der Psychotherapieforschung sind in die Studien-Konzeption auch Betroffene mit einbezogen. Über die Erfahrungen mit diesem partizipativen PatientInneneinbezug wird Frau Giel im Rahmen des Symposiums berichten.
08:30 Uhr
Wie kann die Dauer unbehandelter Erkrankung bei Patientinnen mit Anorexia nervosa verkürzt werden? Ergebnisse der DFG-geförderten FABIANA-Studie
A. Gumz (Berlin, DE)
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Autor:innen:
A. Gumz (Berlin, DE)
L. Reuter (DE)
A. Weigel (DE)
U. Voderholzer (DE)
B. Schwennen (DE)
H. Fehrs (DE)
W. Wünsch-Leiteritz (DE)
R. Brunner (DE)
H. Pinnschmidt (DE)
B. Löwe (DE)
Die Dauer unbehandelter Erkrankung (DUE) hat starken Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei Anorexia nervosa (AN). AN-Patientinnen haben eine deutlich bessere Prognose, wenn sie früh behandelt werden. Ziel des DFG-geförderten Projekts FABIANA war, Prädiktoren für die DUE zu ermitteln und Empfehlungen für sekundärpräventive Maßnahmen abzuleiten.
Es handelt sich um eine dreiphasige Mixed-Method- und Multi-Informant-Studie. Neben der Patientinnen-Perspektive wurde die Sicht von Angehörigen und Primärversorgern einbezogen.
Kooperationspartner waren elf spezialisierte Kliniken und ambulante Zentren. In der qualitativen Teilstudie 1 wurden Patientinnen, Angehörige und Primärversorger interviewt (n=22), um beeinflussbare Faktoren, die sich auf die DUE bei AN auswirken, zu identifizieren. In Teilstudie 2 wurde hieraus eine Checkliste (18 Items) entwickelt (n=75). In Teilstudie 3 wurde quantifiziert, wie hoch der Einfluss von Kontrollvariablen (z.B. Alter, BMI, Versicherungsstatus) und mit der Checkliste erhobenen Faktoren auf die DUE ist (n=125 Patientinnen, n=89 Angehörige, n=40 Primärversorger). Jugendliche Patientinnen wiesen eine kürzere DUE auf als erwachsene. Das Lesen oder Anschauen von Beiträgen über die erfolgreiche Behandlung von anderen Personen mit AN (Patientinnen-Perspektive) und regelmäßige Termine bei einem/r Arzt/Ärztin (Primärversorger-Perspektive) gingen mit einer signifikant kürzeren DUE einher. Ein/e Arzt/Ärztin, der/die mit Schwierigkeiten bezüglich Essen, Figur oder Gewicht schlecht umging (diese z.B. verharmlost hat; Angehörigen-Perspektive) war mit einer längeren DUE assoziiert. Primärversorger und Angehörige bewerteten die Kompetenz der Primärversorger höher.
Sekundärpräventive Interventionen sollten Beiträge zu erfolgreichen Behandlungsverläufen und die Schulung von Primärversorgern im Umgang mit den Beschwerden der Patient(inn)en beinhalten. Wir empfehlen zudem, über mögliche Diskrepanzen in der Wahrnehmung hilfreicher Faktoren aufzuklären.
09:14 Uhr
Familienbasierte Therapie im Vergleich mit üblicher Behandlung bei Kindern und Jugendlichen mit Anorexia nervosa
V. Haas (Berlin, DE)
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Autor:innen:
V. Haas (Berlin, DE)
V. Kaiser (DE)
C. Correll (DE)
D. Le Grange (US)
Hintergrund: Die Familien-Basierte Therapie (FBT) ist eine manualisierte, evidenzbasierte Therapie für Kinder und Jugendliche mit Anorexia Nervosa (AN).
Studienziel: In der vorliegenden Pilotstudie wurde die Machbarkeit der FBT im deutschen Gesundheitssystem untersucht. Es erfolgte explorativ ein Outcome-Vergleich mit einer Gruppe ähnlich kranker Patientinnen mit AN, die gemäß S3-Leitlinien multimodal, vollstationär und patientenfokussiert behandelt wurden (engl., Inpatient, Multimodal Treatment, IMT).
Methoden: Berliner Familien erhielten das Angebot, FBT anstatt IMT durchzuführen. Eine zweite Gruppe von Patientinnen, die IMT erhielt, wurde für Alter und % median BMI (%mBMI) bei Baseline gematched und diente explorativ als Vergleichsgruppe. Neben dem Gewichtsverlauf wurde die essstörungsspezifische Psychopathologie mittels Eating Disorder Examination Questionnaire (EDE-Q) zu Beginn, sowie 6 und 12 Monate nach Therapiebeginn erfasst.
Ergebnisse: In einer Intent-To-Treat Analyse zeigte sich in der FBT Gruppe (Baseline: Alter, 14.9 [13.8/16.1] Jahre; BMI, 15.9 ± 1.1 kg/m2; %mBMI, 79.9 ± 4.8) und in der IMT-Gruppe (Baseline: 15.0 (14.0/15.5) Jahre, BMI 15.9 ± 1.3 kg/m2, %mBMI 79.7 ± 6.1; alle p > 0.78 vs. FBT) über den Beobachtungszeitraum von 12 Monaten nach Therapiestart ein vergleichbarer Gewichtsanstieg (FBT, +10±20 vs. IMT +13±9 %mBMI, p = 0.503) sowie eine vergleichbare Reduktion der Essstörungspsychopathologie (EDE-Q global score: FBT, -1.2 [-2.4/-0.2] vs. IMT -1.3 [-2.8/-0.4], p=0.740). Der Krankenhausaufenthalt bei FBT war deutlich kürzer (45 vs. 146 Tage). Subgruppenanalysen zeigen: bei 66% kam FBT wie geplant zur Anwendung, 33% benötigten eine stationäre Aufnahme.
Diskussion: Während die Implementierung des US-amerikanischen Behandlungsmodells in Deutschland einige Herausforderungen birgt, könnte für eine Gruppe von Patientinnen, die derzeit über mehrere Monate stationär behandelt wird, FBT eine alternative Behandlungsform darstellen.
09:36 Uhr
Partizipativer Patient:inneneinbezug in der Psychotherapieforschung bei Essstörungen – Erfahrungen und Perspektiven aus einer randomisiert-kontrollierten Wirksamkeitsstudie
K. Giel (Tübingen, DE)
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Autor:innen:
K. Giel (Tübingen, DE)
K. Schag (DE)
M. Daugelat (DE)
S. study group (DE)
Menschen, die von Krankheit direkt oder indirekt betroffen sind, verfügen über wichtiges Erfahrungswissen, das nicht nur bei der individuellen Bewältigung von Krankheit helfen kann, sondern auch einen wertvollen Beitrag leisten kann zur Gestaltung von Therapien und zur Planung zukünftiger Gesundheitsversorgung. Deshalb gewinnt die Einbindung von Patient*innen und ihrer Angehörigen an Bedeutung auch für gesundheitsbezogene Forschung. International sind partizipative Ansätze in Projekten zur Gesundheitsförderungs- und Präventionsforschung seit Jahrzehnten fest etabliert. In Deutschland ist zwar ansatzweise zu erkennen, dass partizipative Gesundheitsforschung zunehmend eine Rolle in der Medizin spielt, insbesondere im Bereich psychischer Störungen haben partizipative und kollaborative Forschungsansätze aber noch keinen festen Platz. Im Rahmen der BMBF-geförderten randomisiert-kontrollierten Psychotherapiestudie SUSTAIN, die die Wirksamkeit einer psychotherapeutischen Rückfallprophylaxe bei Anorexia nervosa untersucht, haben wir einen Beirat etabliert, der aus 17 Personen besteht, die selbst von Anorexia nervosa betroffen sind oder waren. Die Beiratsmitglieder wurden bundesweit rekrutiert. Die SUSTAIN-Studie bezieht Menschen, die von Anore betroffen sind, in einem Beirat ein, der die Studie über ihre komplette Laufzeit begleitet. Mit dem Beirat diskutiert ein fachlich multidisziplinär aufgestelltes Studienteam in regelmäßigen Workshops über wichtige Themen bezüglich der Anorexie. Zudem hat der Beirat eine Beraterfunktion inne, indem er das Studienteam zu Formulierungen und Zusammenfassungen von Studienmaterialien und Ergebnissen berät. Die Beiratsarbeit soll auch zukünftig relevante Forschungsfragen und Forschungsprojekte entwickeln. Stärken, Herausforderungen und nächste Implementierungsschritte auf Basis der bisherigen Erfahrungen aus der Beiratsarbeit werden beispielhaft dargestellt.