Der Islam ist in Deutschland zur zweitgrößten Religion geworden, ca. 5 Mio Muslime sind ein Teil unserer Gesellschaft und prägen diese mit. Der Islam vermittelt für praktizierende Muslime nicht nur einen existentiellen Sinnhorizont, sondern prägt als Religion von Glaube und Handlung Selbstverständnis und Alltagsleben in vielen Bereichen unterschiedlich stark. So nimmt die Religion sowohl einen Einfluss auf die seelischen Entwicklungsaufgaben ihrer Anhänger als auch auf das Selbstverständnis als Frau oder Mann im privaten und gesellschaftlichen Leben. Daher unterscheiden sich religiöse muslimische Patienten in der Psychiatrie und Psychotherapie in den meisten Fällen von Nichtmuslimen, sodass TherapeutInnen fast unvermeidlich mit den religiösen Auffassungen von Patienten in Kontakt kommen und professionell mit ihnen umgehen müssen.
In ihren Beiträgen zeigen die Referenten den Einfluss der islamischen Religiosität in der besonders wichtigen Lebensphase der Kindheit und Jugend und ihren Störungen vor allem im Hinblick auf die religiös konnotierten Familienbeziehungen auf. Die mittlere Lebensphase wird mit Blick auf den Einfluss sich verändernder Geschlechterrollen von Frauen und Männern mit ihrem religiös geprägten Selbstverständnis und vielfach typische Konfliktkonstellationen in Psychiatrie und Psychotherapie betrachtet. In einem weiteren Beitrag werden die speziellen Dynamiken bei muslimischen Alterspatienten angesichts des nahenden Lebensendes dargestellt.
Zusammengefasst besteht das Anliegen der Beiträge in einer fundierten und gleichzeitig praxisrelevanten Darstellung, wie weit und in welchen Aspekten sich religiöse muslimische Patienten von nichtmuslimischen unterscheiden und wie sich ihre Religion auf Symptomatik, Pathoplastik und Familiendynamik von Patienten bzw. Krankheitsbildern auswirken kann. Dieses Wissen und Verständnis leisten einen wichtigen und oft entscheidenden Beitrag zu konfliktfreieren und erfolgreichen Therapieverläufen.
13:30 Uhr
Besonderheiten therapeutischer Arbeit mit muslimischen Kindern und Jugendlichen
B. Allozy (Berlin, DE)
13:52 Uhr
Religiöse muslimische Frauen in der Psychotherapie
M. Laabdallaoui (Rüsselsheim, DE)
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M. Laabdallaoui (Rüsselsheim, DE)
DIE muslimischen Frauen gibt es nicht, sie leben wie andere Frauen auch in den verschiedensten persönlichen, gesellschaftlichen und religiösen Bezügen. Dennoch existieren spezifische Belastungen, von denen viele von ihnen betroffen sind. Wie andere Frauen auch müssen sie unterschiedliche Dinge miteinander vereinbaren wie z.B. berufliche Aktivitäten und Fortkommen, Kindererziehung und Haushalt. Erschwerend kommen immer wieder auch belastende Migrationserfahrungen, strukturelle Diskriminierung in Schule, Ausbildung und Beruf sowie Alltagsrassismus hinzu.
Muslimische Frauen wollen und müssen ihre Rollen finden zwischen gesellschaftlichen Anforderungen, eigenen persönlichen Vorstellungen und religiöse Traditionen. Die Bewältigung dieser komplexen Situation kann zu seelischen Konflikten führen, die allein oft nicht zu bewältigen sind und therapeutische Hilfe erforderlich machen. In meinem Beitrag werde ich die beschriebenen unter-schiedlichen Lebensaspekte in ihren Zusammenhängen beleuchten und einen kultur- und vor allem religionssensiblen sowie rassimuskritischen therapeutischen Umgang darstellen.
14:14 Uhr
Religion und Psychodynamik muslimischer Männer in der Psychotherapie
I. Rüschoff (Rüsselsheim, DE)
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Autor:in:
I. Rüschoff (Rüsselsheim, DE)
Religiöse muslimische Männer wachsen häufig in einem Spannungsfeld von Anforderungen einer modernen Industriegesellschaft einerseits und einem traditionellen, religiös sehr eng und einseitig definierten Rollenverständnis eines muslimischen Mannes auf, das die Vielfalt möglicher Identitäten nur sehr eingeschränkt abbildet und die Entwicklung einer modernen und dennoch in der islamischen Religion und Tradition verankerten männlichen Identität erschwert. In meinem Beitrag werde ich sowohl die daraus entstehenden Konflikte als auch die dahinterliegende Psychodynamik beschreiben, mit der wir in Therapien dieser Patientengruppe regelmäßig konfrontiert sind, insbesondere die Folgen der überaus engen und religiös gestützten Mutterbeziehung, als auch mögliche Lösungswege aufzeigen.
14:36 Uhr
Besondere Gesichtspunkte muslimischer Alterspatienten
A. Bransi (Extertal-Laßbruch, DE)
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A. Bransi (Extertal-Laßbruch, DE)
Besondere Gesichtspunkte muslimischer Alterspatienten (Ahmad Bransi)
Muslime, die als Einwanderer der ersten Generation in westliche Länder kamen, werden allmählich alt und wenden sich zunehmend an die westliche Gesundheitsversorgung. Für die Planung und das Angebot einer entsprechenden medizinischen und psychologischen Versorgung ist es daher wichtig, das Profil der älterer muslimischer Menschen kennenzulernen. Dieses beinhaltet sowohl das persönliche und familiäre Umfeld als auch die religiösen und spirituellen Werte. Die islamische Weltanschauung beschäftigt sich mit Gott und Schöpfung, aber auch mit dem Menschen selbst, seiner Krankheit und Gesundheit. Einstellungen und Verhalten alter muslimischer Menschen werden mehr oder weniger stark von den Glaubenstraditionen geprägt, die wiederum ihre Interaktionen, Erwartungen und Annahme von Leistungen des Gesundheitssystems beeinflussen. Untersuchungen zeigen, dass in dieser Patientengruppe ein schlechterer Gesundheitszustand herrscht als in andren Patientengruppen. Alte Muslime scheinen mehr unter klassischen Alterskrankheiten (Diabetes, Herzerkrankungen und Bluthochdruck) zu leiden als andere. Daneben existieren verschiedene psychische und soziale Marker, die sich in dieser Patientengruppe stärker zeigen, wie Einsamkeit und Isolation, Würde und Vertrauen, Kommunikation, Familien- und Wohnsituation, mögliche Misshandlung und Spiritualität.
In diesem Vortrag soll der Versuch unternommen werden, die verschiedenen Gesichtspunkte muslimischer Alterspatienten vorzustellen, die in der Versorgung dieser Patientengruppe mögliche Herausforderungen darstellen könnten.