Seit mehr als 20 Jahren werden Menschen mit psychischen Krisen und Beeinträchtigungen als Peer und GenesungsbegleiterInnen in der psychiatrischen und psychosozialen Versorgung, international und inzwischen auch in Deutschland eingesetzt. Dieser Einsatz ist mit einigen Implementierungshürden verbunden. Insbesondere stellt sich die Frage, welche Arbeitsbedingungen für die Implementierung von Peer- und Genesungsbegleitung förderlich sind, welche institutionellen, kontextuellen und persönlichen Voraussetzungen dabei eine Rolle spielen, und was sich dafür aus internationalen Erfahrungen lernen lässt.
Das Symposium versammelt unterschiedliche Beiträge zum Thema Implementierung von Genesungs- und PeerbegleiterInnen. Im ersten Vortrag werden die Evaluationsergebnisse eines wegweisenden Praxismodells vorgestellt. Der zweite Beitrag befasst sich mit Erkentnissen eines systematischen Reviews und Durchführung eines standardisierten Trainings in sechs Ländern und leitet Lernerfahrungen zur inhaltlichen Konzeption und Durchführung ab. Im dritten Vortrag wird es um eine standardisierte Befragung zum Thema Arbeitsbedingungen für Peer- und Genesungsbegleiter*innen gehen. Und im vierten Beitrag wird das Design und erste Ergebnisse einer durch den Innovationsfonds geförderten Studie vorgestellt und kritisch diskutiert, die die Implementierung von Peer- und Genesungsbegleitung bundesweit untersucht.
15:30 Uhr
Zwischen unterstützter Beschäftigung, Teilhabe an Arbeit und Peersupport: das „Geesthachter Modell“ – eine partizipativ kollaborative Fallstudie
J. Ziegenhagen (Rüdersdorf, DE)
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Autor:innen:
J. Ziegenhagen (Rüdersdorf, DE)
S. von Peter (Neuruppin, DE)
L. Göppert (DE)
R. Glück (DE)
B. Groth (DE)
U. Groß (DE)
A. Reinholdt (DE)
R. Boerma (DE)
M. Heißler (DE)
J. Schwarz (Neuruppin, DE)
Hintergrund:
Für Menschen, die psychische Krisen oder psychosoziale Beeinträchtigungen erlebt haben, ist es deutlich schwieriger, gleichberechtigt am Arbeitsleben teilzunehmen. In Geesthacht/ Niedersachsen wurde ein integratives Versorgungsnetzwerk implementiert, das sowohl eine akutpsychiatrische Behandlung als auch die Teilhabe an Arbeit und Beschäftigung ermöglicht. In diesem Beitrag sollen die Prinzipien, Vorteile und Herausforderungen dieses innovativen Projekts untersucht werden.
Methodik:
Die Untersuchung fand im Rahmen der partizipativ-kollaborativen Prozessevaluation der vom Innovationsfonds finanzierten, prospektiven, kontrollierten Kohortenstudie zur Evaluation der Modellversorgung nach §64b SGB V (PsychCare) statt. In einem gemischten Team aus Forscher*innen mit und ohne eigene Krisenerfahrungen wurden Experteninterviews und Fokusgruppen durchgeführt. Ziel war, die Erfahrungen von 37 Mitarbeiter*innen mit und ohne eigene Krisenerfahrungen mit dem Geesthachter Versorgungsnetzwerk auszuwerten. Die Daten wurden mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Ergebnisse:
Durch den Wechsel von einer tagesbezogenen Vergütung zu einem Globalen Behandlungsbudget nach §64b SGBV wurden in Geesthacht Klinikbetten abgebaut. Dabei freiwerdende Ressourcen wurden zum Aufbau eines komplexen Netzes an Teilhabe- und Betätigungsmöglichkeiten reinvestiert, in dem seither ehemalige Nutzer*innen in unterschiedlicher Intensität ehrenamtlich und teils auch vergütet tätig werden. Aus Sicht vieler Mitarbeiter*innen mit eigenen Krisenerfahrungen erwies sich der oft unbürokratische und fließende Übergang von einer Nutzung hin zu einer Mitarbeit stärkend und förderlich. Gleichzeitig führt dieses Modell zu einigen Rollenkonflikten und Belastungen bei den Beteiligten.
Fazit:
Mit seinen vielfältigen Teilhabe- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Krisen und psychosozialen Beeinträchtigungen zeigt das „Geesthachter Modell“ die Potentiale eines Globalen Budgets in diesem Bereich auf. Um die Kritikpunkte zu berücksichtigen, ist eine Fortentwicklung des Konzeptes von Nöten.
15:52 Uhr
Aktuelle Inhalte und Standards zu Peer Support Trainings – was haben wir aus der UPSIDES-Studie gelernt?
R. Nixdorf (Hamburg, DE)
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Autor:innen:
R. Nixdorf (Hamburg, DE)
G. Schulz (Hamburg, DE)
A. Charles (GB)
M. Slade (GB)
C. Mahlke (Hamburg, DE)
Hintergrund: Die gegenseitige Unterstützung in psychischen Krisen auf Basis der eigenen Erfahrung findet informell seit langer Zeit bspw. im Bereich der Selbsthilfe statt und findet zunehmend auch formell ins Gesundheitswesen Eingang. Was braucht es für eine Ausbildung, um nicht auf Basis von universitären Inhalten, sondern mit der eigenen Erfahrung andere Menschen zu begleiten? Zwei systematische Reviews geben einen Überblick über Inhalte und Modalitäten einer Vielzahl an internationalen Peer Support Trainings. Zudem wurde ein Expert:innen-Konsens generiert, welche Schulungsthemen für die Erstausbildung von Peer Begleiter:innen notwendig sind.
Methode: Im Rahmen eines systematischen Literaturreviews wurden 6 Datenbanken, Google Scholar, sowie graue Literatur nach Trainingsprogrammen für Peer Begleiter:innen durchsucht (Prospero Record 107772). Zusätzlich wurde eine zweite systematische Literatursuche durchgeführt, um Trainingsmanuale und Inhalte zu identifizieren. Anschließend nahmen n = 110 Teilnehmer:innen (Peer Begleiter:innen, Peer Trainer:innen oder Supervisor:innen und Wissenschftler:innen) an einer internationalen online Delphie-Studie teil.
Ergebnisse: Es wurden Trainingsmanuale aus 14 Ländern identifiziert. Die Dauer der Ausbildung variierte von 54 Stunden bis zu einem Jahr, und die Manuale deckten ein breites Spektrum der Peer Ausbildung ab, von der Arbeit mit Erwachsenen, älteren Erwachsenen, Jugendlichen und jungen Menschen. Insgesamt wurden 502 Themen und 348 Lernziele extrahiert.
Diskussion: Der Vortrag fasst die Kernergebnisse der systematischen Reviews zusammen und bietet einen Überblick über die Spezifika von Peer Support Trainings aus unterschiedlichen Kontexten und deren Implementierung in diversen Settings. Durch die Corona-Pandemie rückten auch Möglichkeiten zur Umsetzung von online Trainings zunehmend in den Fokus. Es werden Empfehlungen aus der Delphie-Befragung zu Möglichkeiten für innovative online Trainings gegeben.
16:14 Uhr
Welche beruflichen Stressoren erleben Genesungsbegleiter:innen/Peer-Berater:innen? Eine quantitative Studie zu den Arbeitsbedingungen in der Peer-Arbeit
J. Hoghe (Bamberg, DE)
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Autor:innen:
J. Hoghe (Bamberg, DE)
L. Röseler (Bamberg, DE)
R. Limmer (Nürnberg, DE)
C. Walther (Nürnberg, DE)
A. Schütz (Bamberg, DE)
Der Einbezug von Peer Worker:innen (PW), wie z.B. EX-IN Genesungsbegleiter:innen in sozialpsychiatrische Einrichtungen scheint für Organisationen stressreich zu sein, da ersten Erkenntnissen zufolge grundlegende Prozesse wie die Aufgabenverteilung oder Kommunikationsstrategien der Führungsebene angepasst werden müssen. Während diese stressfördernden Faktoren in der Fachliteratur intensiv diskutiert werden, gibt es bisher nur erste Hinweise, dass PW selbst diesen Prozess als stressreich empfinden können. In Zusammenhang mit etwaigen zusätzlichen beruflichen Stressoren könnten solche Faktoren das Risiko von Burn-out bei PW erhöhen.
Vor diesem Hintergrund wurden die beruflichen Stressoren aus Sicht der PW erfragt. Ziel der Studie ist es festzustellen, welche Stressoren typisch für die Tätigkeit als PW sind, welche besonders häufig erlebt werden und welche besonders belastend sind. Eingesetzt wurde das Instrument zur stressbezogenen Arbeitsanalyse von Klinikärzt:innen (ISAK), weitere Subskalen anderer arbeitsstressbezogener Fragebögen sowie offene Fragen zu weiteren möglichen Stressoren gestellt. 175 PW nahmen im Zeitraum von Dezember 2021 bis April 2022 an der anonymen Online-Umfrage teil.
Erwartet wird erstens, dass bestimmte Stressoren die in vergleichbaren Berufen (wie z.B. bei Pflegekräften) auch bei PW relevant sind - z.B. Zeitdruck oder emotionale Dissonanz. Zweitens wird erwartet, dass sich darüber hinaus spezifische Stressoren für die Tätigkeit als PW identifizieren lassen. Die Ergebnisse liefern einen ersten Einblick, welchen beruflichen Stressoren eine sehr wichtige neue Berufsgruppe in der Sozialpsychiatrie ausgesetzt ist. Aus den Ergebnissen können praktische Maßnahmen zur beruflichen Gesundheitsförderung für diese Gruppe abgeleitet werden.
16:36 Uhr
Die Implementierung von Peer- und Genesungsbegleitung in der psychiatrischen Versorgung – Design und Ergebnisse aus der bundesweiten, partizipativ-kollaborativen Studie
U. Krämer (Neuruppin, DE)
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Autor:innen:
U. Krämer (Neuruppin, DE)
L. Nugent (DE)
S. von Peter (Neuruppin, DE)
G. Fehler (Rüdersdorf bei Berlin, DE)
D. Schmidt (Rüdersdorf bei Berlin, DE)
G. Ruiz Pérez (Essen, DE)
S. Ackers (Karlsbad, DE)
M. Küsel (Berlin, DE)
J. Ziegenhagen (Berlin, DE)
I. Heuer (Hamburg, DE)
C. Mahlke (Hamburg, DE)
Hintergrund und Forschungsstand
Seit mehr als 20 Jahren werden Peer- und Genesungsbegleiter:innen in internationalen Versorgungssettings und mittlerweile auch in Deutschland eingesetzt. Seit 2019 erwähnt die Personalrichtlinie die Genesungsbegleitung. Bundesweit fehlen bisher Daten zu den Arbeitskontexten von Peers.
Der vorliegende Beitrag präsentiert Teile der vom Innovationsfonds finanzierten partizipativ-kollaborativen Studie ImpPeer-Psy5, die die Implementierungs- und Arbeitsbedingungen von Peer- und Genesungsbegleiter:innen im krankenkassenfinanzierten Versorgungsbereich untersucht. Die Studie wird von Mitarbeiter:innen der Medizinischen Hochschule Brandenburg, des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf und des Interessenverbandes ExIn Deutschland e.V. durchgeführt.
Zielsetzung
Der partizipativ- kollaborative Forschungsansatz wird erläutert und das Design der Gesamtstudie dargestellt. Es werden erste Ergebnisse vorgestellt.
Methodik
Rund die Hälfte der Forschenden hat eigene Erfahrungen mit psychiatrischer Forschung. Alle WissenschaftlerInnen nutzen persönliche, berufspraktische und wissenschaftliche Erfahrungen und Zugänge zur Genesungsbegleitung in allen Studienphasen. Zusätzlich finden partizipative Workshops mit einer Vielzahl von Stakeholdern statt. Insgesamt wurden 54 problemzentrierte Interviews mit Genesungsbegleiter:innen, Mitarbeiter:innen anderer Berufsgruppen und Nutzer:innen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden genutzt, um die bundesweite standardisierte Befragung zu informieren. Zusätzlich finden Theory of Chance Workshops statt, um eine Veränderungstheorie zu entwickeln.
Erste Ergebnisse
Genesungsbegleitung wird in den untersuchten Versorgungssettings divers umgesetzt. Die Arbeitsbedingungen sind häufig unzureichend, und eine Klärung von Rollen und Befugnissen steht an.