Geschlechterunterschiede in der Schmerzwahrnehmung sowie in der Prävalenz chronischer Schmerzerkrankungen wurden bereits umfassend beschrieben, jedoch sind die zugrunde liegenden Mechanismen noch unvollständig verstanden. Insbesondere bei viszeralen Schmerzen zeigen Frauen häufig eine höhere Schmerzsensitivität, die oft im Zusammenhang mit Stress und erhöhter Angst- und Depressions-Symptomatik steht. Ziel dieser Studie war es daher, prädiktive Faktoren zu identifizieren, die zu geschlechtsspezifischen Mechanismen in der viszeralen Wahrnehmung und Schmerzsensitivität beitragen.
Bei N=180 gesunden Probanden (90 Frauen, 90 Männer) wurden zunächst die viszeralen Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen mittels rektaler Distensionen bestimmt. Anschließend wurden sechs Distensionen mit einem individuell adjustierten, schmerzhaften Druck appliziert und im Anschluss mittels visueller Analogskalen (VAS) hinsichtlich Schmerzhaftigkeit, Stuhldrang und Unangenehmheit bewertet. Angst, Depression, chronischer Stress, Persönlichkeitseigenschaften (Big Five), schmerzbezogene Coping-Strategien sowie Magen-Darm-Symptome wurden mittels Fragebogen und die Cortisol-Aufwachreaktion mittels Speichelprobe vor Studienbeginn erfasst.
Im Vergleich zu Männern zeigten Frauen höhere Werte in der Magen-Darm Symptomatik sowie Neurotizismus, Extraversion, vermehrte aktive Coping-Strategien und eine niedrigere Depressivität. Während die Wahrnehmungs- und Schmerzschwellen zwischen Frauen und Männern vergleichbar waren, bewerteten Frauen den Stuhldrang als höher und die Distensionen insgesamt als unangenehmer. Multiple Regressionsanalysen zeigten, dass bei Frauen und Männern unterschiedliche Prädiktoren zur Varianzaufklärung in der Bewertung des Stuhldrangs beitrugen. So waren bei Frauen eine höhere Angst und chronischer Stress (adj. R2=.13) prädiktiv für vermehrten Stuhldrang. Bei Männern war ausschließlich erhöhter chronischer Stress ein signifikanter Prädiktor für erhöhten Stuhldrang (adj. R2=.11). Zusätzlich zeigten die Analysen, dass ausschließlich bei Frauen höherer chronischer Stress (adj. R2=.11) ebenfalls einen Einfluss auf die höhere Bewertung der Unangenehmheit der Distensionen hatte. Für die Schmerzhaftigkeit gab es hingegen keine signifikanten Prädiktoren.
Die Ergebnisse weisen auf einen geschlechtsspezifischen Einfluss hauptsächlich psychologischer Faktoren auf die Viszerozeption, jedoch nicht die Schmerzintensität viszeraler Signale hin. Diese Faktoren könnten somit die zwischen den Geschlechtern unterschiedlich manifestierte Pathophysiologie und Epidemiologie chronisch viszeraler Schmerzen begünstigen.
Hintergrund: Die Ausrichtung der selektiven Aufmerksamkeit auf prädiktive Umweltreize, die Schmerz signalisieren, ist evolutionsbiologisch relevant und ermöglicht adaptive Reaktionen zur Vermeidung potenzieller körperliche Schäden. Die klassische Furchtkonditionierung mit Schmerzreizen als unkonditioniertem Stimulus (US) ist ein translationales Modell zur Erforschung der Lern- und Gedächtnisprozesse, die selektiven Aufmerksamkeitsprozessen im Kontext von Schmerzen zugrunde liegen. Bislang liegen jedoch lediglich Daten für exterozeptive, somatische, nicht aber für viszerale Schmerzen vor. Auch wurde die selektive Aufmerksamkeit bislang noch nicht für Sicherheitssignale analysiert, welche das Ausbleiben von Schmerzen signalisieren. Ziel der vorliegenden Studie war es daher, unter Nutzung eines klinisch-relevanten viszeralen Schmerzmodells die selektive Aufmerksamkeit auf schmerzprädiktive konditionierte Stimuli (CS+) im Vergleich zu Sicherheitsreizen (CS-) zu untersuchen. Methoden: Gesunde ProbandInnen (N=23) durchliefen eine differentielle Furchtkonditionierung, in welcher individuell applizierte schmerzhafte rektale Distensionen (US) wiederholt mit einem visuellen Stimulus (CS+) gepaart wurden (75 % Kontingenz), wohingegen ein weiterer visueller Stimulus (CS-) ungepaart blieb. Veränderungen der selektiven Aufmerksamkeit wurden vor und nach dem Konditionierungsparadigma mit einer Dotprobe-Aufgabe, welche die Reaktionszeiten auf einen Zielreiz (Dot) quantifizierte. Vor Erscheinen des Dots wurden CS+ und CS- für 100ms oder 500ms nebeneinander präsentiert, wobei entweder der CS+ oder der CS- die Position des Dots voraussagte. Ergebnisse: Nach der Konditionierung zeigte sich eine signifikante Zunahme der negativen Valenz des CS+ (p < 0,001) bei korrekter Kontingenzbewusstheit (CS+ > CS-: p < 0,001). In der Dotprobe-Aufgabe zeigten sich bei der kürzeren Präsentationsdauer (100ms) schnellere Reaktionszeiten auf den vom CS+ angekündigten Dot, während für die längere Darbietungsdauer (500ms) die Reaktionen auf vom CS- angekündigte Dots signifikant schneller waren. Diskussion: Diese Ergebnisse stützen die Hypothese einer durch Furchtkonditionierung modulierten selektiven Aufmerksamkeit unter Verwendung eines viszeralen Schmerzmodells. Bei geringeren zeitlichen Ressourcen wurde die selektive Aufmerksamkeit zugunsten des Schmerzsignals gelenkt, was eine schnellere kognitive Verarbeitung des CS+ nahe legt. Bei längerer Verarbeitungszeit wurde die Aufmerksamkeit hingegen zugunsten des Sicherheitssignals gelenkt. Dies kann eine Abwendung der Aufmerksamkeit vom Schmerzsignal bedeuten oder aber eine Hinwendung zum Sicherheitssignal reflektieren. Diese Erkenntnisse liefern einen Beitrag zum Verständnis von Aufmerksamkeitsprozessen, die für die Hypervigilanz und maladaptives Vermeidungsverhalten bei chronischen viszeralen Schmerzen relevant sein könnten.
In einer Clusteranalyse zeigte sich, dass Patienten mit neuropathischen Schmerzen anhand ihrer sensorischen Profile in drei sensorische Phänotypen gruppiert werden können. Der zugrundeliegende Mechanismus dieser Phänotypen lässt sich durch einen bereits publizierten Algorithmus näher untersuchen. Der Algorithmus berechnet die Prävalenz von Denervierung, peripherer und zentraler Sensibilisierung in 544 Probanden während der Durchführung experimenteller Schmerzmodelle. Hierzu zählen Nervenblockade (A-Faser-Block, topisches Lidocain, n=65), primäre (UVB Brandverletzung, topisches Capsaicin, n=431) und sekundäre Hyperalgesie (intradermales Capsaicin, elektrische Hochfrequenzstimulation (HFS), n=48). Zufällige 50:50 Aufteilung in ein Training- und ein Testdatensatz zeigte eine hohe Konkordanz zwischen ursprünglicher und algorithmenbasierter Zuordnung (Trainingset: 79%, Cohen's κ=0.54, n=265; Testset: 81%, Cohen's κ=0.56, n=279). Eine Denervierung war hauptsächlich durch ausgeprägten Verlust thermischer und mechanischer Detektion gekennzeichnet, zeigte aber auch Pinprick-Hyperalgesie und paradoxe Hitzeempfindungen. Marker einer peripheren Sensibilisierung waren Hitzehyperalgesie, sowie Druck- und Pinprick-Hyperalgesie. Pinprick-Hyperalgesie und thermische Detektionsverluste waren Marker für eine zentrale Sensibilisierung. Probanden aus drei zusätzlichen experimentellen Schmerzmodellen (topisches Lidocain plus Capsaicin, umliegende Hautareale nach topischem Capsaicin oder UVB-Brandverletzung, n=87) verteilten sich auf die o.g. drei Cluster, während die sensorischen Profile nach muskulärer HFS oder topischem Menthol (n=26) keine signifikanten Änderungen im Vergleich zum Profil gesunder Probanden zeigten. Die Zuordnung von 902 Patienten mit neuropathischen Schmerzen zu mechanistischen Profilen zeigte eine ähnliche Verteilung wie die eingangs erwähnte heuristische Clusteranalyse (65% Identität, Cohen's κ=0.44), lediglich der ClusterDenervierung trat deutlich häufiger auf. Diese Ergebnisse zeigen, dass Patientenstratifizierung auf Basis von humanen Surrogatmodellen ein möglicher Ansatz für stratifizierte klinische Studien bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen ist.
Hintergrund.
Beim Schmerzkongress 2016 in Mannheim stellten wir auf dem Poster „Antizipation vs. Realisierung eines 2-h-Ausdauerlaufes: Was wirkt schmerzhemmender?“ eine funktionelle Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT) Studie vor, die die neuronalen Wirkmechanismen der in der Literatur beschriebenen verminderten Schmerzwahrnehmung nach einer Ausdauersportsession („exercise-induced hypoalgesia“) und den Einflussfaktor der Erwartungshaltung der Läufer kurz vor Beginn eines Ausdauerlaufes (Antizipationseffekte) untersuchte. Dabei deuteten die fMRT-Ergebnisse auf eine reduzierte zentrale Verarbeitung nozizeptiver Stimulation in Antizipation des 2-h-Ausdauerlaufes hin. Offen blieb die Frage, ob die Trainingshäufigkeit der untersuchten Läufer den Antizipationseffekt beeinflusste.
Methode.
Um diese Frage zu beantworten, analysierten wir folgende Korrelationen:
1) Trainingshäufigkeit der Läufer (N=13) mit β-Werten der Peak-Voxel der signifikant (de)aktivierten Gehirncluster des Doppelkontrastes „schmerzhafte vs. taktile Stimulation Prä-Lauf vs. Kontrolltag“
2) Trainingshäufigkeit der Läufer mit β-Werten der Peak-Voxel der signifikant (de)aktivierten Gehirncluster des Kontrastes „schmerzhafte vs. taktile Stimulation am Kontrolltag“.
Ergebnisse.
1) Die Veränderung der schmerz-induzierten Aktivierung in der linken posterioren Insula Prä-Lauf vs. Kontrolltag korrelierte positiv (r = 0.737, p = .004) mit der Trainingshäufigkeit der Läufer. Gering trainierte Läufer (Trainingshäufigkeit ≤ 40 km/Woche, N = 7) zeigten eine reduzierte schmerz-induzierte Aktivierung in der posterioren Insula Prä-Lauf vs. Kontrolltag im Vergleich zu hoch trainierten Läufern (Trainingshäufigkeit > 40 km/Woche, N = 6; post-hoc t-Test, p < .05).
2) Die schmerz-induzierte Aktivierung verschiedener Gehirncluster der Neuromatrix des Schmerzes (posteriorer midzingulärer Kortex, posteriore Insula, superiorer Parietalkortex) am Kontrolltag korrelierte negativ (alle p < .05) mit der Trainingshäufigkeit der Läufer. Hoch trainierte Athleten zeigten während schmerzhafter Stimulation am Kontrolltag eine geringere Aktivierung in Gehirnclustern der Neuromatrix des Schmerzes im Vergleich zu gering trainierten Läufern (post-hoc t-Test, p < .05).
Schlussfolgerung.
Die Analyse der fMRT Daten ergab, dass das Ausmaß des Antizipationseffekts mit der Trainingshäufigkeit der Läufer zusammenhängt. Hochtrainierte Athleten zeigten im Vergleich zu gering trainierten Athleten einen geringen Antizipationseffekt. Diese Verminderung des Antizipationseffekts in hoch trainierten Athleten könnte mit einer generell reduzierten zentralen Verarbeitung nozizeptiver Stimulation (am Kontrolltag) erklärt werden.
Einleitung: Modalitätsspezifische Unterschiede zwischen viszeralen und somatischen Schmerzreizen existieren sowohl auf behavioraler als auch auf neuraler Ebene, was eine höhere Salienz der viszeralen Schmerzmodalität nahe legt. Obwohl vermutet wird, dass sensorische und emotionale Schmerzaspekte auch die Schmerzantizipation beeinflussen, sind modalitätsspezifische Unterschiede in der Wahrnehmung und Verarbeitung schmerzprädiktiver Hinweisreize bislang nicht untersucht. Zudem ist offen, ob auch modulierende Effekte der Schmerzantizipation auf die Schmerzverarbeitung modalitätsspezifisch sind.
Methoden: Bei 22 gesunden Frauen wurde mit funktioneller Magnetresonanztomographie die Antizipation viszeraler im Vergleich zu somatischen Schmerzreizen untersucht, bei denen die Schmerzintensität individuell kalibriert und angeglichen war. In zwei konsekutiven Testphasen wurden visuelle schmerzprädiktive Hinweisreize (geometrische Symbole) präsentiert. In der Akquisitionsphase signalisierten diese viszerale (CUEVIS) oder somatische Schmerzen (CUESOM), in der folgenden Extinktionsphase wurden lediglich die Hinweisreize präsentiert. Auf visuellen Analogskalen wurden vor (PRE) und nach der Akquisitions- (PAIN) und Extinktionsphase (POST) die Valenz der Hinweisreize (angenehm - unangenehm), sowie die Kontingenzbewusstheit erfasst. In beiden Phasen wurden CUE-induzierte Aktivierungsunterschiede in verschiedenen Hirnregionen getestet (CUEVIS >/< CUESOM). Zudem wurde deren prognostischer Wert für schmerzinduzierte Aktivitätsunterschiede im Salienznetzwerk (dorsaler anteriorer cingulärer Kortex, anteriore Insula) mit multiplen Regressionsanalysen geprüft.
Ergebnisse: Im Gegensatz zu davor (PRE: p=.747), wurden viszerale Hinweisreize nach der Akquisition bei gleicher Kontingenzbewusstheit (PAIN: p=.288) im Vergleich zu somatischen als unangenehmer bewertet (PAIN: p=.007). Nach der Extinktion war die Valenzbewertung wieder vergleichbar neutral (POST: p=.137). Auf neuraler Ebene zeigte sich während der Akquisition eine stärkere Deaktivierung der posterioren Insula während viszeraler Schmerzantizipation (CUEVIS < CUESOM: pFWE<.05), die prädiktiv für eine erhöhte viszerale schmerzinduzierte Aktivität im Salienznetzwerk war (pFWE<.05). In der Extinktion gab es auf neuraler Ebene keine modalitätsspezifischen Unterschiede.
Diskussion: Diese Ergebnisse zeigen erstmalig Unterschiede während der Antizipation von viszeralen im Vergleich zu somatischen Schmerzen. Zudem moduliert die durch Hinweisreize ausgelöste antizipatorische Aktivierung modalitätsspezifisch die schmerzinduzierte Aktivierung im Salienznetzwerk. Insgesamt weisen diese Befunde auf eine höhere Salienz viszeraler Schmerzen hin, welche die durch assoziative Lernprozesse geprägte Wahrnehmung und Verarbeitung von Warnsignalen moduliert. Die mögliche Bedeutung dieser Befunde für die Pathogenese viszeraler chronischer Schmerzen sollte daher anhand klinisch relevanter Modelle auch an Patienten näher untersucht werden.
Schmerzassoziierte Furcht ist vermutlich von essentieller Bedeutung für die Transition von akutem zu chronischem Schmerz sowie für die Aufrechterhaltung chronischer Schmerzen. Obwohl die zugrundeliegenden assoziativen Lern- und Gedächtnisprozesse und deren neurale Basis bereits für funktionelle Aktivitätsänderungen beschrieben sind, ist die Frage nach möglichen Geschlechterunterschieden noch unbeantwortet. Darüber hinaus fehlt bislang Evidenz, ob klassisch-konditionierte differentielle Veränderungen in neuralen Aktivitätsmustern mit strukturellen Veränderungen kohärieren. Vor dem Hintergrund der hohen klinischen Relevanz viszeraler Schmerzen insbesondere bei Frauen analysiert diese Studie Geschlechterunterschiede in Bezug auf neurale Korrelate einer Struktur-Funktions-Interaktion unter Anwendung eines etablierten Konditionierungsparadigmas mit viszeralen Schmerzstimuli.
Insgesamt 75 gesunde Probanden (38 Frauen, 37 Männer) durchliefen strukturelle und funktionelle Magnet-Resonanz-Tomografie-Messungen. Während der Konditionierung wurde wiederholt ein visueller Stimulus (CS+) mit einer schmerzhaften rektalen Distension (US) gepaart und ein weiterer Stimulus (CS-) ohne US präsentiert. Dies induziert differenzierte Valenzänderungen mit anteigender Aversivität des CS+ und Angenehmheit des CS-. Geschlechtsspezifische Unterscheide wurden auf dieser behavioralen, sowie auf Bildgebungs-Ebene in Reaktion auf die Schmerzantizipation (CS).
Frauen und Männer unterschieden sich nicht in Veränderungen der CS-Valenz. Auf neuraler Ebene zeigten sich im Geschlechtervergleich differentielle CS-induzierte neuronale Antworten im anterioren Cingulum. Ein geringeres Volumen dieser Region war ein signifikanter Prädiktor für einen Anstieg der CS+-Aversivität bei Männern. Hingegen waren bei Frauen Struktur und Funktion jeweils des Parahippocampus und Pallidums prädiktiv für eine erhöhte CS+-Aversivität sowie des mittleren Cingulums prädiktiv für das Ausmaß, in dem der CS- als angenehmer bewertet wurde. Zudem zeigten sich geschlechtsunabhängige Aktivierungen auf den CS- in somatosensorischen und supplementär-motorischen (SMA) Arealen, Parahippocampus und Insula. Hier waren funktionelle und morphologische Veränderungen in der Insula und dem SMA prädiktiv für den Anstieg in der Angenehmheit des CS-.
Insgesamt zeigen die Ergebnisse geschlechtsspezifische Unterschiede in morphologischen und funktionellen Veränderungen, die einen maßgeblichen Einfluss auf den Erwerb schmerzassoziierter Furcht haben. Insbesondere zeigten Frauen distinkte Struktur-Funktions-Beziehungen in Gehirnarealen zur Gedächtnisbildung und Integration von Schmerz mit emotional-affektiven und motivationalen Aspekten. Diese neurale Interaktion reflektiert zentralnervöse Mechanismen, die möglicherweise chronische viszerale Schmerzen differenziert zwischen den Geschlechtern begünstigen und somit für weitere Studien an Patienten mit viszeralen Schmerzsyndromen einen wichtigen Untersuchungsansatz bieten.
Hochkonzentrierte Capsaicin-Pflaster sind ein wichtiger neuer Bestandteil des Therapiekonzeptes bei peripheren Neuropathien, sowohl in behaarter (z.B. Post-Zosterneuralgie) als auch in unbehaarter Haut (z.B. HIV-Neuropathie) (Backonja et al. Lancet Neurology 2008). Bei langer Einwirkungsdauer (> 12h) ist ein kompletter Verlust der Hitzesensitivität beschrieben (Magerl et al. BRAIN 2001, Henrich et al. BRAIN 2015). Akute und langdauernde Auswirkungen auf das somatosensorische Profil sind dagegen bisher nicht vollständig dokumentiert. Es ist unklar, ob der Hauttyp (behaart, unbehaart) einen relevanten Einfluss auf die Wirkung des Capsaicinpflasters hat. Dies haben wir nun über den Zeitraum von einer Woche systematisch untersucht.
Bei gesunden Probanden wurden Capsaicin-Pflaster (Qutenza, 8%, 35x35mm) auf dem Unterarm (behaart, n=45) oder dem Handballen (unbehaart, n=20) für 60 min appliziert. Direkt nach Pflasterentfernung und jeweils 24h, 48h und 7 Tagen wurde das komplette QST-Protokoll nach DFNS (Rolke et al., PAIN 2006) im primären (mit Capsaicin behandelten) Areal, sowie im benachbarten sekundären Areal durchgeführt und mit der unbehandelten Haut (kontralateral) verglichen.
In behaarter Haut zeigte sich direkt nach Abnahme des Pflasters in der capsaicinbehandelten Haut eine deutliche Hitzehyperalgesie (Hitzeschmerzschwelle von 43.0±3.4°C in unbehandelter Haut auf 35.6±2.1°C; p<<0.0001). Die Kälteschmerzschwelle sank von 16.0±9.1°C auf 9.3±8.9°C (Kältehypoalgesie; p<0.0001). Dies bestand nicht in den benachbarten Hautarealen und normalisierte sich nach 24h. Eine ausgeprägte Pinprick-Hyperalgesie (p<0.0001) und Druckhyperalgesie (p<0.05), sowie eine dynamische Allodynie (p<0.001) bestand im primären und sekundären Areal. Diese war auch nach 24h nachweisbar, aber nicht mehr nach 48h. Es bestand eine signifikante Reduktion der thermischen Wahrnehmung akut (Kalt -und Warmdetektion; p<0.001), sowie nach 24 und 48h.
Auch in unbehaarter Haut fand sich eine prominente Hitzehyperalgesie (Hitzeschmerzschwelle von 40.6±4.1°C auf 35.3±4.3°C; p<0.001), sowie eine Hyperalgesie für Pinprick und Druck, aber keine Kältehypoalgesie (15.5±8.4°C auf 16.0±8.9°C; p=0.67). Alle Hyperalgesien waren nach 24h deutlich stärker. Nach 48h reduzierte sich die Hyperalgesie, war aber für Hitze und Pinprick noch vergleichbar der akuten Hyperalgesie (p<0.001). Die thermische Wahrnehmung war ebenfalls maximal reduziert nach 24h.
Die profunde lokale Hitzehyperalgesie war erwartet (periphere Sensibilisierung), ebenso die mechanische Hyperalgesie (zentrale Sensibilisierung). Beide waren passager und nicht von einer nachfolgenden Desensibilisierung begleitet. Sie können daher nicht die langdauernde Wirkung des Pflasters begründen. Die verlängerte Wirkung in unbehaarter Haut beruht vermutlich auf dem Aufbau eines Depots in der Hornhaut, was eine deutlich verzögerte und verlängerte Wirkdauer verursacht. Kältehypoalgesie und thermischer Detektionsverlust sind mechanistisch unklar.
Chronischer Schmerz wird von körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen begleitet. Proinflammatorische Zytokine scheinen sowohl bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerz, als auch psychischer und physischer Begleiterscheinungen beteiligt zu sein. Myokine, durch Muskelaktivität hervorgerufene Zytokine, wirken systemisch antiinflammatorisch und somit dem chronischen Schmerz und seinen "Begleitern" entgegen.
Chronischer Schmerz und Adipositas stehen in wechselseitiger Beziehung (Okifuji & Hare, 2015). Die viszerale Fettansammlung ist ein wesentlicher Ursprungsort proinflammatorischer Zytokine (Pedersen, 2009). Sowohl viszerale Fettansammlung, als auch chronischer Schmerz gehen häufig mit Merkmalen des Metabolischen Syndroms einher (Despres & Lemieux, 2006; Mantyselka, Miettola, Niskanen & Kumpusalo, 2008; Okifuji & Hare, 2015; Sacco et al., 2013). Dieses, wie auch durch andauernden Schmerz bedingter chronischer Stress, können unter jeweiliger Beteiligung proinflammatorischer Zytokine endothele u. vegetative Dysfunktion, Stoffwechselstörungen und auch Angst und Depression hervorrufen (Miller & Raison, 2016; van Gaal, Mertens & Block, 2006).
Proinflammatorische Zytokine scheinen auch, an peripheren und zentralen Sensibilisierungsprozessen beteiligt zu sein (Marchand, Perretti & McMahon, 2005; Schaible, 2012).
Körperliche Aktivierung war Grundvoraussetzung für das Überleben in der menschlichen Entwicklungsgeschichte.
Körperlich aktiv zu sein ist auch heute, Voraussetzung für Gesundheit.
Ausdauer und Kraft sind hierfür benötigte motorische Grundeigenschaften.
Aerobes Ausdauertraining wirkt der viszeralen Fettansammlung und somit dem Ursprungsort proinflammatorischer Zytokine entgegen (Vissers et al., 2013). Durch die daraus resultierende Vagusaktivierung verbessert sich die vegetative Funktion, aber auch die systemisch subakute Entzündungslage, die der Vagus durch Ausschüttung von ACh reduzieren kann (Lujan & DiCarlo, 2013; Pavlov & Tracey, 2012).
Ausdauertraining steigert die Produktion von Endorphinen und BDNF im Bereich des Hippocampus und kann dadurch Stimmungsaufhellend, Angst-und Schmerzlindernd wirken. (Anderson & Shivakumar, 2013).
Krafttraining verbessert die Beanspruchbarkeit und die Funktion der Muskulatur als Stoffwechselorgan.
Krafttraining reduziert Serum - CRP und wirkt somit antiinflammatorisch (Strasser, Arvandi & Siebert, 2012).
Körperliche Aktivierung bedeutet Muskelaktivität.
Muskelaktivität bewirkt die Produktion von Myokinen.
Myokine verbessern Endothel - und Stoffwechselfunktion, und begünstigen Muskelaufbau und Kapillarisierung.
Myokine wirken auch, systemisch antiinflammatorisch (Benatti & Pedersen, 2015), und somit der Chronifizierung von Schmerz entgegen.
Körperliche Aktivierung wirkt nur bei richtiger Dosierung! Unter- als auch Überdosierung bewirken vermehrte Freisetzung proinflammatorischer Zytokine und begünstigen somit Schmerzchronifizierungsprozesse. (Vina et al. 2012; Pedersen 2009; Miller und Raison 2016).
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