eHealth Funktionalitäten werden, auch unterstützt von der Gesetz- und Regelgebung, immer wichtiger in der regionalen Versorgung. Die Anwendungen reichen dabei von digitalen Patientenakten über telemedizinische Modelle bis Konzepte zur Internetmedizin. Die Evaluation der Anwendungen erfordert in vielen Fällen Kreativität bei Design und Methodik, da die Versorgungsmodelle, insbesondere wenn sie regionale implementiert werden, oft nicht mit klassischen randomisierten Designs durchgeführt werden können. Es werden fünf eHealth-Anwendungen für verschiedene Patientengruppen vorgestellt, die mit unterschiedlichen Methoden evaluiert wurden.
Hintergrund: Hintergrund dieser Forschungsarbeit ist es, generalisierbare Erfolgs-faktoren für die Gestaltung von regionalen Telemedizinkonzepten zu erarbeiten – hier konkret am Beispiel der geriatrischen Versorgung in Oberfranken. Konzeptge-staltungen dieser Art gewinnen durch den demografischen Wandel sowie die fach-disziplinäre Unterversorgung – vor allem zu Lasten der ländlichen Regionen – zu-nehmend an Bedeutung. In Verbindung mit dem stetig voranschreitenden techno-logischen Fortschritt in der IT-gestützten Diagnostik und Therapie, wie auch durch die kontinuierliche Verbesserung und leistungsstärkeren IT-Infrastruktur und dem zunehmenden Bedarf von medizinischer Expertise in ländlichen Regionen, wird zukünftig die Telemedizin eine realistische Versorgungsalternative darstellen. Auf-grund der Diversität und Komplexität existierender Konzepte ist es notwendig, einen Katalog an generellen Erfolgsfaktoren zu Verfügung stellen, welche auf die Indivi-dualität spezifischer Konzepte angepasst werden kann und den Protagonisten bei einer erfolgreichen Konzeptumsetzung hilft.
Fragestellung: Lassen sich generelle Erfolgsfaktoren für die Gestaltung, Entwick-lung und Adaption von Telemedizinkonzepten identifizieren? Was bedeutet dies für die Konzeptentwicklung der geriatrischen Gesundheitsversorgung in Oberfranken?
Methode: Für die Erarbeitung der Erfolgsfaktoren wurde als Grundlage das Projekt der Europäischen Union MOMENTUM herangezogen. Darauf aufbauend wurden durch eine wissenschaftliche Literaturanalyse weitere Faktoren identifiziert und in einen Erfolgsfaktorenkatalog integriert (vgl. u.a. Terschürenet al 2012; Paul et al. 2016). Zur Validierung und Weiterentwicklung des Erfolgsfaktorenkatalogs wurden auch Konzepte genutzt, die von dem BMWi als Best-Practice für intelligenten Netze ausgezeichnet wurden (u.a. TEMPiS und TIRA). Die auf diese Weise identifizierten Erfolgsfaktoren wurden für das geriatrische Telemedizinkonzept Oberfranken über-prüft. Außerdem wurden die identifizierten Faktoren durch das MAST-Modell (Model for Assessment of Telemedicine applications nach Kidholm et al. 2012) zur Bewer-tung Telemedizinischer Konzepte getestet und der Katalog nochmals erweitert.
Ergebnisse: Die derzeitigen Forschungsergebnissehaben eine Vielzahl von Er-folgsfaktoren für telemedizinische, regionale Versorgungskonzepte hervorgebracht. Diese konnten vier Kategorien zugeordnet werden: Strategiebildung, Organisation, Technologie und rechtlicher Rahmen. Basierend auf diesem Katalog wurden eben-falls Implikationsempfehlungen für das Telemedizinkonzept Oberfranken erarbeitet. Es konnten in einem ersten Durchlauf insgesamt dreizehn Implikationsempfehlun-gen getroffen werden – abgestimmt auf ein älteres, existierendes Telemedizinkon-zept für Oberfranken im Bereich der Geriatrie. Exemplarisch seien hier genannt: Von Lernerfahrungen bestehender und erfolgreicher Projekten partizipieren; Füh-rungspersönlichkeiten frühzeitig benennen; Technologieunternehmen durch eige-nes Investment mit in das Konzept integrieren; Entwicklung von individuellen Soft-, Hardware und Netzwerklösungen unter Berücksichtigung daten- und informations-technischer Standards. Somit liegen insgesamt fünfzehn Implikationsempfehlun-gen vor, die je nach Art und Umfang des Telemedizinkonzeptes bei dessen Gestal-tung, Entwicklung und Adaption schon bei der theoretischen Erfolgskontrolle vorab nutzbar sind.
Diskussion: Die erzielten Ergebnisse unterliegen einer Vielzahl von Limitationen, die bei jedem Telemedizinkonzept beachtet werden müssen. So müssen z.B. die spezifischen regionalen Bedingungen als auch die fachmedizinischen Anforde-rungen an das Telemedizinkonzept berücksichtigt werden. Auch Aspekte wie die sich ständig veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen, gesellschaftlicher Wandel, medizinischer Fortschritt aber auch soziokulturelle und ethische Überle-gungen beeinflussen diese im Kontext der Telemedizin. Somit sollten diese ge-troffenen Implikationsempfehlungen tendenziell als Leitfaden für die Implementie-rung neuer Telemedizinkonzepte auch für andere Versorgungskonzepte genutzt werden. Für Oberfranken wird das nun optimierte telemedizinische Versorgungs-konzept zur weiteren Förderung begutachtet und bestenfalls im Verlauf des Jahres umgesetzt.
Praktische Implikationen: Die praktischen Implikationen dieser Arbeit manifestie-ren sich auf der zunehmenden Relevanz der Telemedizin und der damit einherge-henden, vermehrten Entwicklung von regionalen Telemedizinkonzepten. Die identi-fizierten und bewerteten Erfolgsfaktoren und daraus resultierenden Implikations-empfehlungen können für andere Telemedizinkonzept zur theoriebasierten Er-folgsprüfung vorab genutzt werden. Die erforschten Implikationsempfehlungen sol-len somit einen Beitrag für die weitere Integration der Telemedizin in die Gesund-heitsversorgung leisten.
Hintergrund
A high-caloric diet and lack of physical activity are associated with an increased risk for the development of type 2 diabetes mellitus.
Lifestyle interventions are the basic treatment in newly diagnosed type 2 diabetes. However, their therapeutic potential in advanced stages of the disease is unknown. This study evaluated the efficacy of the Telemedical Lifestyle Intervention Program (TeLiPro) in improving metabolic control in advanced stage type 2 diabetes.
Fragestellung
What is the effective difference between treating advanced type 2 diabetics with telemedical coaching alongside telemedical devices and treating with only telemedical devices? I.e. what is the efficacy of adding coaching in order to achieve lifestyle change. Primary endpoint is HbA1c reduction after 12 weeks.
Methode
In this single-blind, active comparator, intervention study, patients with type 2 diabetes (glycated haemoglobin [HbA1c] ≥ 7.5% (58.5 mmol/mol), body-mass index [BMI] ≥ 27kg/m2, ≥ 2 anti-diabetes medications) were recruited in Germany via their attending physicians and newspaper articles and randomised 1:1 using an electronically generated random list and sealed envelopes into two parallel groups. The data analyst was blinded after assignment. The control group (n=100) got weighing scales and step counters and remained in routine care. The TeLiPro group (n=102) additionally received telemedical coaching including medical-mental motivation, a protein-rich meal replacement therapy, and structured self-monitoring of blood glucose for 12 weeks. The coaching was delivered in structured routine telephone calls by trained diabetes coaches. The conversations included information about type 2 diabetes, anti-diabetes medication, healthy diet, physical activity and subjective possibilities for lifestyle changes, allowing each participant to receive individualised care. Target agreements were discussed and jointly agreed upon.
The primary endpoint was the difference in HbA1c reduction after 12 weeks, secondary endpoints were differences in body weight and composition, cardiovascular disease risk factors, anti-diabetes medication use and improvements in quality of life and eating behavior. All available values per patient (n=202) were analysed. Analyses were also performed at 26 and 52 weeks of follow-up.
Ergebnisse
HbA1c reduction was significantly higher in the TeLiPro group (mean ± standard deviation (SD) -1.1±1.2% vs. −0.2±0.8%; p<0.0001). The estimated treatment difference in the fully adjusted model was 0.8% with 95% confidence interval [1.1; 0.5] (p<0.0001). Treatment superiority of TeLiPro was maintained during follow-up (week 26: 0.6% [1.0; 0.3]; p=0.0001; week 52: 0.6% [0.9; 0.2]; p<0.001). The same applies for secondary outcomes: weight (TeLiPro: −6.2±4.6 kg vs. control: −1.0±3.4 kg), BMI (−2.1±1.5 kg/m2 vs. −0.3±1.1 kg/m2), systolic blood pressure (−5.7±15.3 mmHg vs. −1.6±13.8 mmHg). 10-year cardiovascular disease risk, anti-diabetes medication, quality of life and eating behavior was significantly improved in the TeLiPro group and not in the control group (p<0.01 for all). The effects
were maintained long-term. No adverse events were reported.
Diskussion
In advanced stage type 2 diabetes, TeLiPro can improve glycaemic control and may offer new options
to avoid pharmacological intensification. The increasing prevalence of type 2 diabetes and the
concomitant increase in anti-diabetes medication costs are a considerable burden for national healthcare
systems. Consequently, there is a strong need for alternative lifestyle-based therapeutic
approaches.
Praktische Implikationen
The reduction in HbA1c in the TeLiPro group (–1.1% after 12 weeks, –0.9% after 26 weeks, and –0.7%
after 52 weeks) is comparable with the therapeutic efficacy of new anti-diabetes medications. Two
studies of glucagon-like peptide (GLP)-1 receptor agonists either alone or in a fixed combination with
the insulin degludec, which included patients with a similar duration of diabetes as participants in the
present study, reported HbA1c reductions of 0.8% (exenatide), 1.1% (liraglutide), and 1.9% (insulin
degludec plus liraglutide (IDegLira)) after 26 weeks of intervention.
Because the effects of TeLiPro remain in the long term, unlike pharmacological intervention that needs
to be continuously administered, the telemedical approach is associated with higher efficiency in terms
of cost-effectiveness. The total cost for 12 weeks of TeLiPro intervention and follow-up until week 26
was $1300 per patient, with a concomitant 50% reduction in the use of anti-diabetes medication. The
annual drug cost for GLP-1 receptor agonist therapies is between $1765 and $6338.
Hintergrund
Durch Nachsorgeprogramme können die im Rahmen einer kardiologischen Rehabilitation erzielten Erfolge nachhaltig verstetigt und weiter verbessert werden. Zur Weiterentwicklung der Reha-Nachsorge regt die Deutsche Rentenversicherung eine Flexibilisierung an. Hierzu kann der Einsatz telemedizinischer Verfahren einen wichtigen Beitrag leisten, um beispielsweise längere Phasen der Nachbetreuung, die räumlich und zeitlich flexible Nutzung von Nachsorgeangeboten oder variable Intensitäten der Nachsorge umzusetzen.
Fragestellung
Zur Klärung der Frage, welche Erwartungen Rehabilitanden mit kardiovaskulären Erkrankungen an eine telemedizinische Nachsorge haben, führten wir Interviews mit Rehabilitanden durch.
Methode
Für die Einzelinterviews wurden 9 Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen rekrutiert, die zum Zeitpunkt der Interviews eine kardiologische Rehabilitation absolvierten. Hierbei handelte es sich um eine Ad-Hoc-Auswahl. Die Interviews wurden anhand eines Interview-Leitfadens durchgeführt und handschriftlich protokolliert. Es standen 30 Minuten für jedes Interview zur Verfügung.
In den Interviews wurden unter anderem folgende Fragen thematisiert: (a) Liegen bereits Erfahrungen mit telemedizinischen Angeboten vor? (b) Ist es für den Rehabilitanden vorstellbar, ein telemedizinisches Angebot (nochmal) in Anspruch zu nehmen? Wie sollte ein solches Angebot gestaltet sein? (c) Welche Medien (z.B. Telefon, Smartphone, Internetseiten) würde der Rehabilitand am ehesten nutzen? (d) Welchen zeitlichen Umfang sollte die Nachsorge umfassen?
Es erfolgte eine inhaltsanalytische Auswertung der protokollierten Ergebnisse mit Bildung von Themenkomplexen.
Ergebnisse
Es nahmen acht Männer und eine Frau mit kardiovaskulären Erkrankungen an den Interviews teil. Zwei Patienten waren im Alter zwischen 31-40 Jahren, und sieben Patienten waren im Alter zwischen 51-60 Jahren.
Keiner der befragten Rehabilitanden hatte bereits Erfahrungen mit telemedizinischen Angeboten, aber acht von neun Rehabilitanden konnten es sich vorstellen, ein solches Angebot in Anspruch zu nehmen. Hierfür müssten folgende Rahmenbedingungen erfüllt sein: Den Rehabilitanden war wichtig, dass bei Bedarf ein Mitarbeiter telefonisch erreichbar ist, der den Rehabilitanden und seine Ziele und Problemstellungen persönlich kennt. Ein anderer Wunsch war, dass beim Telefonat kein starker Zeitdruck erkennbar sein soll. Vier Rehabilitanden hielten es für wichtig, dass regelmäßig überprüft wird, ob die in der Rehabilitation gefassten Pläne und Vorsätze in die Tat umgesetzt werden (evtl. auch durch ein Monitoring der Vitalparameter) und man bei Bedarf motiviert wird, da die Vorsätze aus der Rehabilitation sonst schnell vergessen seien. Zwei der Rehabilitanden wünschten sich konkrete Vorschläge für Bewegung sowie zur Steigerung der Belastung. Einer der Patienten wünschte sich einen Gruppen-Chat, der nicht nur bei der Krankheitsbewältigung und der Lebensstiländerung hilfreich sein könnte, sondern auch dazu beitragen könnte, soziale Kontakte zu knüpfen.
Danach gefragt, welche technischen Möglichkeiten sie am liebsten im Rahmen einer telemedizinischen Nachsorge nutzen würden, gaben acht der neun Rehabilitanden an, dass sie gerne eine telefonische Nachsorge in Anspruch nehmen würden, fünf der Rehabilitanden könnten sich eine Ergänzung durch Angebote im Internet vorstellen, und zwei Rehabilitanden würden gerne zusätzlich das Handy nutzen (z.B. per SMS).
Der von den Rehabilitanden gewünschte Zeitrahmen für die Nachsorge lag bei mindestens 1-3 Monaten, besser aber 6-12 Monaten, bis sich „alles eingespielt“ hat.
Diskussion
Die Option einer telemedizinischen Nachsorge wird von den befragten Rehabilitanden insgesamt positiv bewertet. Ein expliziter Wunsch der Rehabilitanden besteht darin, dass im Rahmen der telemedizinischen Nachsorge (auch) ein persönlicher, z.B. telefonischer Kontakt mit einem Mitarbeiter (bestenfalls aus der Reha-Einrichtung) besteht, der einen kennt und mit den individuellen Zielsetzungen und Problemlagen vertraut ist.
Um ein telemedizinisches, kardiologisches Nachsorgeprogramm mit begleitenden Telefonkontakten in Zukunft bereitstellen zu können, wären in einem nächsten Schritt die Entwicklung, Implementierung und Machbarkeitsanalyse eines solchen Angebots notwendig.
Praktische Implikationen
Eine telemedizinische Nachsorge stellt eine vielversprechende und zeitgemäße Möglichkeit einer flexiblen Nachbetreuung im Anschluss an den Rehabilitationsaufenthalt dar. Rehabilitanden sind aufgeschlossen gegenüber einem solchen Angebot. Bei der Umsetzung technischer Lösungen im Rahmen einer telemedizinischen Nachsorge sollten jedoch der persönliche Kontakt und die individuelle Begleitung der einzelnen Rehabilitanden ausreichend Berücksichtigung finden.
Hintergrund:
Niedrigschwellige Ansätze der computerised cognitive behaviour therapy (cCBT) stellen eine neue Entwicklung für die Behandlung depressiver Erkrankungen dar. moodgym ist ein internetbasiertes Selbstmanagementprogramm für Menschen mit depressiven Erkrankungen, das auf der kognitiven Verhaltenstherapie basiert und international bereits sehr gut evaluiert ist. Zur Anwendbarkeit von moodgym in der stationären Versorgung liegen jedoch, auch international, bislang keine Ergebnisse vor. Die vorliegende Studie untersucht die Machbarkeit eines Einsatzes von moodgym bei Patienten mit depressiven Erkrankungen im stationären psychiatrischen Kontext.
Fragestellungen:
(1) Wie ist die Nutzungsakzeptanz bezüglich MoodGYM aus der Sicht von stationär tätigen Experten und stationär behandelten Patienten mit depressiver Symptomatik? (2) Welche Zugangsmöglichkeiten und -barrieren von MoodGYM berichten stationär tätige Experten und stationär behandelte Patienten?
Methode:
Es handelt sich um eine Machbarkeitsstudie, die in vier psychiatrischen Kliniken durchgeführt wurde. Die Studie umfasste eine einmalige schriftliche Expertenbefragung von Klinikmitarbeitern und eine schriftliche Patientenbefragung von Patienten mit depressiven Erkrankungen unterschiedlichen Schweregrades zu zwei Erhebungszeitpunkten (T0 – vor der Zugangsvergabe zu MoodGYM; T1 – acht Wochen nach der ersten Befragung). Die Nutzungsakzeptanz der Experten wurde mithilfe einer vierstufigen Skala erfasst. Patienten wurden mithilfe einer siebenstufigen Skala zur Nutzungsakzeptanz befragt, die an den USE-Fragebogen angelehnt war. Zudem wurden Zugangsmöglichkeiten und -barrieren aus Patienten- und Expertensicht qualitativ erhoben und inhaltsanalytisch ausgewertet. Um Faktoren zu identifizieren, die mit der Inanspruchnahme von moodgym aufseiten der Patienten assoziiert waren, wurde eine binär-logistische Regression durchgeführt. Anschließend wurden mithilfe einer multiplen linearen Regressionsanalyse Faktoren erfasst, die mit der Nutzungsakzeptanz der Patienten gegenüber moodgym zusammenhingen.
Ergebnisse: Insgesamt wurden n=31 Experten und n=203 Patienten befragt. Die Mehrheit der Experten (74%) gab an, dass moodgym als zusätzliches Therapieangebot von den Klinikmitarbeitern akzeptiert wurde. Als Zugangsmöglichkeiten wurde insbesondere der Einsatz bei jüngeren Patienten genannt sowie bei Patienten, die Erfahrungen mit PCs hatten und leicht- bis mittelgradig erkrankt waren. Als Zugangsbarrieren nannten die Experten vor allem schwere Verlaufsformen der depressiven Erkrankung, kognitive Einschränkungen und Konzentrationsschwierigkeiten. 57% (n=115) der Patienten loggten sich in moodgym ein. Die Nutzung hing mit einem höheren Bildungsstand (OR=4,17; p<0,01) und einer stärkeren Befürwortung internetbasierter Selbstmanagementprogramme als Behandlungsmaßnahme für Depressionen (OR=1,56; p<0,01) zusammen. Im USE-Fragebogen wiesen die Patienten einen durchschnittlichen Gesamtmittelwert von 4,52 (SD: 1,35) auf. Mit einer stärkeren Nutzungsakzeptanz assoziierte Faktoren waren eine subjektiv höher eingeschätzte Gesundheit (B=0,02; p<0,05) und eine häufigere Nutzung von moodgym (B=0,34; p<0,05). Vorteile aus Patientensicht waren die einfache Handhabbarkeit von moodgym, die Beispielpersonen bzw. -situationen und der Aufbau. Die hohe Textlastigkeit und der fehlende persönliche Bezug zählten zu den meistgenannten Nachteilen.
Diskussion: Die Nutzungsakzeptanz der Experten gegenüber moodgym kann insgesamt als gut und die der Patienten als moderat bis gut eingestuft werden. Obgleich die Mehrheit der Experten der Meinung war, das Programm sei eher auf jüngere und leichter erkrankte Patienten zugeschnitten, wurden in der Patientenstichprobe weder in Bezug auf die Nutzung noch auf die Nutzungsakzeptanz assoziierte Faktoren hinsichtlich des Alters oder Schweregrades gefunden. Eine größere Inanspruchnahme von moodgym bei höher gebildeten Patienten hing möglicherweise damit zusammen, dass diese Patienten besser über psychische Erkrankungen und deren Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt waren.
Praktische Implikationen: Zusammenfassend stellt die Nutzung von cCBT-Programmen wie moodgym als Add-On zur stationären Versorgung eine vielversprechende Maßnahme zur Behandlung depressiver Symptome dar. Zukünftige Studien sollten zum Ziel haben, validierte Messinstrumente für die Erfassung von Nutzungsakzeptanz gegenüber Online-Selbstmanagementprogrammen zu entwickeln. Zudem könnten Interventionen wie Aufklärungsseminare zur Wirksamkeit von Online-Selbstmanagementprogrammen gegen depressive Erkrankungen in zukünftigen Studien dahingehend überprüft werden, ob sie zu einer höheren Inanspruchnahme und Nutzungsakzeptanz führen.
Hintergrund:
Derzeit werden intensiv neue Versorgungskonzepte diskutiert. Dabei sollen telemedizinische Anwendungen eine wichtige Funktion übernehmen. Mit dem hier vorgestellten Survey soll die Einschätzung dieser Möglichkeit bei der Therapie von Menschen mit unipolaren Depressionen aus Sicht der Leistungserbringer ermittelt werden.
Methodik:
Auf Basis einer systematischen Literaturrecherche zu internationalen Erfahrungen mit telematischen Betreuungsmodellen von Betroffenen mit unipolaren Depressionen wird ein Fragebogen zur Online-Befragung entwickelt. Dieser soll im ersten Teil die Meinungen und Haltungen zur Telemedizin im Gesundheitswesen im Allgemeinen abbilden. Im zweiten Teil fokussieren die Fragen auf das Krankheitsbild der unipolaren Depression.
Dazu wurde eine zufallsgenerierte Stichprobe von 4.130 Fachärzte für Psychiatrie und psychosomatische Medizin, sowie medizinischen Psychologen aus einer bundesweiten Grundgesamtheit von ca. 17.000 Personen dieser Fachgruppen gezogen. Davon wurden 2.500 per Mail und 1.630 per Fax zur Teilnahme an einer anonymisierten Online-Befragung (September-November 2016) eingeladen. Zur Vermeidung von Doppel-Teilnahmen erhielten die Teilnehmer einen zufallsgenerierten Zugangscode. Dieser wurde bei den Remindern jeweils neu generiert.
Der Fragebogen enthält drei Themen-Blöcke, von dem letzterer pseudonymisierte Daten zur Person erhebt. Der erste Fragenblock (4 Fragen mit 32 Items) enthält fach- und krankheitsunspezifische Fragen zur Telemedizin im deutschen Gesundheitswesen. Im zweiten Block (3 Fragen mit 11 Items) beziehen sich die Fragen vorwiegend auf unipolare Depressionen. Die Fragen des ersten und zweitens Blocks wurden mit einer 4-stufigen Likertskala plus „Weiß-nicht“-Antwort versehen.
Ergebnisse:
Insgesamt haben 280 Teilnehmer (207 per E-Mail-Kontakt; 73 per Fax-Kontakt) die Online-Befragung ausgefüllt. Das ergibt einen Rücklaufwert von 8% bei drei Remindern. Ca. 60% der Befragten sehen einen Nutzen von Telemedizin in der medizinischen Grundversorgung. Einen Nutzen für die Kommunikation innerhalb und zwischen den Sektoren erwarten etwa jeweils 48% der Teilnehmer. Auffällig ist, dass ca. 15% bzw. ca. 17% keine Antwort hatten. Die Aussage, dass Telemedizin mehr Transparenz in das Gesundheitswesen bringen kann, lehnen ca. 62% ab.
Grundsätzlich negativ stehen die Befragten der jeweils zur Auswahl gestellten Instrumente (Video-Betreuung, Telefon-Betreuung bzw. Chat- /Mail- / App-Betreuung) gegenüber. Die Werte der Ablehnung liegen hier bei ca. 58% / 64% bzw. 70%. Vor allem letztere Alternative, der non-verbalen Kommunikation, findet kaum Zustimmung als Betreuungsinstrument.
Durch den Einsatz von Telemedizin meinen die Befragten, dass der größte Nutzen in dem niedrigschwelligen Zugang zu tabuisierten Themen gäbe (76,9%). Weiterhin sehen sie einen großen Vorteil in der stärkeren Unterstützung der Betroffenen (75,5%). Dagegen stehen die Befragten den Aussagen kritisch gegenüber, die dem Einsatz der Telemedizin eine beschleunigte Diagnosestellung (16,3% Zustimmung) bzw. früheren Therapiebeginn (12,7% Zustimmung) unterstellen. Die größte Barriere in der flächendeckenden Implementierung von Telemedizin besteht in der Sorge um eine Verletzung des Datenschutzes (84,9%). Als Risiko werden von etwa einem Drittel der Befragten die Investitionskosten gesehen (32,9%).
Speziell zur Versorgung von unipolaren Depressionen zeigen die Befragten ein kritisches Bild auf. Die meisten (61,4%) glauben nicht, dass sich die Versorgung durch Telemedizin optimieren lässt. Wie im allgemeinen Teil geben die Befragten ablehnende Werte für die Instrumente (Video 61,5%, Telefon 69,2% und Chat / Mail / App 71,6%) an. Dagegen werden die Chancen einer Versorgungsoptimierung für prophylaktische Maßnahmen sehr positiv gesehen (72,1% Zustimmung). Diagnostische Maßnahmen durch Telemedizin werden eher nicht als Chance gewertet (75% Ablehnung).
Diskussion:
Die Demografie der Befragten weist eine lebens- und berufserfahrene Grundgesamtheit aus. Damit fließen in diese Ergebnisse hohe Erfahrungswerte ein, was die Belastbarkeit der Ergebnisse steigert. Die insgesamt kritische, aber differenzierte Haltung spiegelt eine Grundskepsis gegenüber der Telemedizin wieder. Hier vor allem in Bezug auf das therapeutische Vorgehen bei unipolaren Depressionen. Dagegen werden der Telemedizin durchaus positive Effekte im Hinblick auf präventive Strategien beigemessen. Dieser Auszug an Meinungen, Haltungen und Erwartungen zeigt auf, dass die derzeit allenthalben vorangetriebene flächendeckende Implementierung ohne die Bedenken der Leistungserbringer zu berücksichtigen nicht weiter ausgebaut werden sollte. Hier ist dringend ein kooperatives Verhalten erforderlich.
Implikationen für die Praxis:
Die derzeitige Praxis des nicht qualitätsgesicherten Top-down Ansatzes der Telemedizin in die Versorgungslandschaft sollte die Beteiligten intensiver in den Prozess einbinden.