Sitzungssprache ist Englisch
General practitioners play an important role in health care research and thus are increasingly focused in studies. The present session focusses on studies that analyze established topics in primary care as well as implementation of new structures and areas of responsibility.
Hintergrund
Die Alterung der Bevölkerung in Deutschland führt zu einem Anstieg der Prävalenzen altersassoziierter Erkrankungen und einem steigenden Bedarf an medizinisch-pflegerischen Versorgungsleistungen. Zur Deckung der Versorgungsbedarfe sind innovative Versorgungskonzepte erforderlich, die sich u.a. durch eine multiprofessionelle Versorgung und einer verstärkten Teamorientierung kennzeichnen. Pflegefachpersonen sollen dabei erweiterte Aufgaben mit größerer Eigenverantwortung und im Sinne der Heilkunde übernehmen. Diese Veränderungen erfordern eine Anpassung der pflegerischen Ausbildungsstrukturen an den Hochschulen. Daher untersuchte die Care-N Study M-V (Cooperative academical regional evidence-based-Nursing Study in Mecklenburg-Vorpommern) die künftige veränderte Arbeitsteilung von Pflege und Medizin einschließlich der Aufgabenübertragung i.S. der Delegation und Substitution sowie die daraus resultierenden Anpassungserfordernisse für die pflegerische Ausbildung. Dies erfolgte in fünf Befragungsdimensionen: (1) Tätigkeitsspektrum von Bachelor- und Masterabsolventen der Pflege, (2) Pflegefachliche Weiterentwicklung der akademischen Pflegeausbildung, (3) Qualifikationsinhalte von Pflegestudierenden im Bachelor- und Masterstudiengang, (4) Gemeinsame Ausbildungssequenzen von Pflege und Medizin sowie die (5) Berufspolitische Dimension. Die zweite Befragungsdimension beschäftigte sich dabei u.a. mit der künftigen heilkundlichen Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten an Pflegefachpersonen.
Fragestellung
Folgende Fragestellungen wurden untersucht: Welche Aufgabenbereiche und Tätigkeiten sind für die heilkundliche Aufgabenübertragung geeignet? und (2) Welches akademische Qualifikationsniveau ist zur Aufgabenübernahme erforderlich? Ziel war es, potentielle Aufgabenbereiche i.S. der Heilkunde zu beschreiben und damit einen Beitrag zur Spezifikation der bestehenden Richtlinie für die heilkundliche Aufgabenübertragung an Pflegefachpersonen gemäß §63 Abs. 3c SGBV zu leisten.
Methode
Die Care-N Study M-V erfolgte mittels Delphi-Befragung des Typs Ideenaggregation und umfasste zwei schriftliche Befragungsrunden sowie eine Gruppendiskussion. Für die Beantwortung der insgesamt 25 Forschungsfragen in den fünf Befragungsdimensionen erfolgte die Rekrutierung von Experten gemäß Häder, der pro Sachverhalt bzw. Argument einen Experten vorschlägt. Daher wurden 25 Experten einbezogen. Weitere Einschlusskriterien waren: (a) Interdisziplinarität, (b) Nachhaltigkeit, und (c) Status der Person. Die erhobenen Daten der schriftlichen Befragungen wurden mit Cardiff TeleForm (Version 10.2, Electric Paper Informationssysteme GmbH, Lüneburg) digitalisiert. Die Gruppendiskussion wurde audiotechnisch erfasst und mit der f4transkript Software (dr. dresing & pehl GmbH, Marburg) transkribiert. Die Datenanalyse erfolgter mittels inhaltlich strukturierender qualitativer Inhaltsanalyse gemäß Kuckartz und der Software MAXQDA (VERBI GmbH, Berlin).
Ergebnisse
Die Experten geben insgesamt fünf Aufgabenbereiche an, die von Ärzten an Pflegefachpersonen i.S. der Heilkunde übertragen werden können: (1) Assessment/Untersuchungen/Diagnose, (2) Koordination der Behandlungsabläufe, (3) Verschreibung von Hilfsmitteln/therapeutischen Maßnahmen und Medikamenten, (4) Beratung und Betreuung sowie (5) Erstellung von Gutachten. Diese fünf Bereiche werden mit einzelnen Tätigkeiten spezifiziert. So geben die Experten bspw. für den Aufgabenbereich (3) u.a. an, dass Pflegefachpersonen künftig Pflege- und Hilfsmittel für Menschen mit Dekubitus verschreiben sollten, Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung (z.B. Prophylaxen) verordnen könnten oder die Wiederverschreibungen von Medikamenten bei Patienten mit Schmerzen vornehmen sollen. Während Tätigkeiten wie Wundmanagement, Anlegen von Infusionen und das Monitoring von inkontinenten Patienten von Bachelorabsolventen übernommen werden können, erfordert nach Ansicht der Experten die pflegerische Langzeitversorgung, die Verschreibung von Medikamenten sowie die Anordnung von therapeutischen Maßnahmen eine Ausbildung auf Masterniveau.
Diskussion
Die Spezifikation des Aufgabenfeldes einer akademisch ausgebildeten Pflegefachperson einschließlich der Beschreibung von erweiterten Pflegerollen i.S. der heilkundlichen Aufgabenübertragung ist eine wichtige Voraussetzung für den deutschlandweiten Ausbau von akademischen Pflegeausbildungsstrukturen. Die Abstufung von Aufgaben in einzelne Qualifikationsstufen (dreijährige Ausbildung vs. Bachelor vs. Master vs. Doktor) ist ein erster Schritt, um künftig eine international anschlussfähige Beschreibung des Anforderungs- und Qualifikationsprofils von Pflegefachpersonen entwickeln zu können.
Praktische Implikationen
Die künftige Aufgaben- und Rollenverteilung der Gesundheitsberufe wird dabei insbesondere durch regionale Gegebenheiten beeinflusst werden, um eine bedarfsgerechte und adäquate medizinisch-pflegerische Versorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können.
Hintergrund: Psychische Störungen sind in der hausärztlichen Praxis sehr häufig und treten oft in Kombination mit chronisch-körperlichen Erkrankungen auf. Bekannt ist, dass sie jedoch häufig übersehen werden bzw. wenn erkannt, es Vermittlungsschwierigkeiten in den psycho-fachärztlichen Bereich gibt.
Fragestellung: Unsere Hypothese ist, dass die Implementierung eines psychosozialen Experten direkt in der Hausarztpraxis zur Überwindung solcher Probleme geeignet ist und eine Verbesserung der Versorgung darstellen könnte. Jedoch fehlt es bislang an Erfahrungen, wie eine Kooperation von Praxisteams und Psychosomatikern in der Hausarztpraxis erfolgreich durchgeführt werden kann.
Methode: Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie mit qualitativ-quantitativen Erhebungen werden in drei Hausarztpraxen Ärzte, Medizinische Fachangestellte, sowie Psychosomatische Fachärzte und Patienten befragt. Hauptzielkriterium ist die Machbarkeit und Akzeptanz bzgl. des neuen Angebots. Zur Evaluation werden die Praxisteams, Psychosomatiker und Patienten in Fokusgruppen oder Interviews vor und 4 Monate nach Implementierung befragt. Ebenso werden ihnen etablierte Fragebogeninstrumente (TARF-R für Behandler, PHQ-9, GAD-7, SSD-12, ZUF-8 für Patienten) vorgelegt. Angestrebt wird eine Patientenzahl von 50-60 in einem Zeitraum von 4 Monaten.
Die Auswertung erfolgt bei numerischen Variablen mittels deskriptiver Statistik. Die Interviews/Fokusgruppenwerden transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse: Zum jetzigen Zeitpunkt liegen die transkribierten Interviews mit den Behandlern prä Einführung der Sprechstunde vor. Relevante Themen sind für die Ärzte und Psychosomatiker die Identifikation geeigneter Patientengruppen, gegenseitige Rollenerwartungen, zeitliches Setting und Gestaltung von Abläufen. Als spezifisch relevante Patientengruppen wurden unter anderem Patienten, die aufgrund objektiver Faktoren aktuell nicht an einen Psychotherapeuten vermittelbar sind; Patienten, die aus subjektiven Gründen eine Vermittlung zum Psychotherapeuten scheuen; Patienten, die erst noch ein psychosomatisches Krankheitsverständnis entwickeln müssen, genannt. Hinsichtlich Rollenaufteilung wurde eine Abstimmung zwischen Hausarzt und Psychosomatiker hinsichtlich vorhandener Routinen und Grundannahmen als notwendig erachtet sowie bei den Psychosomatikern die nötige Unabhängigkeit des therapeutischen Vorgehens hervorgehoben.
Auf dem Kongress werden auch quantitative Aussagen zur Inanspruchnahme und den Versorgungsergebnissen berichtet werden.
Diskussion: Das neue Versorgungskonzept zielt darauf ab, die große Gruppe bislang unerreichter Patienten mit psychischen Störungen adäquat zu behandeln. Es geht nicht darum, die herkömmliche hausärztliche und psychotherapeutische Fachversorgung zu ersetzen, sondern zu ergänzen. Es sollen dadurch bekannte Barrieren abgebaut und Wartezeiten überbrückt werden sowie auch eine Weiterqualifikation der Hausärzte stattfinden. Gleichzeitig ermöglichen die Ergebnisse aus der Studie eine realistische Bedarfsabschätzung für Psychosomatik in der Primärversorgung und Aussagen zur Akzeptanz sowie möglichen Effekten.
Praktische Implikationen: Sollte sich das Modell in der Praxis bewähren ist eine bedarfsabhängige Ausweitung sinnvoll und sind Finanzierungsmöglichkeiten zu klären.
Hintergrund:
Die Panikstörung ist eine psychische Erkrankung mit einer hohen Prävalenz und tritt häufig mit einer komorbiden Agoraphobie auf. Der Primärversorgung kommt in der Behandlung eine zentrale Rolle zu. Die Behandlung erfolgt meist basierend auf den Prinzipien des Collaborative Care. Collaborative Care ist jedoch durch einen Mangel an psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachpersonal in seiner Umsetzbarkeit und somit Effektivität eingeschränkt. Die Effektivität eines praxisteam-unterstützten, selbst gesteuerten, auf den Prinzipien der Kognitiven Verhaltenstherapie basierenden Expositionstrainings für Patienten mit Panikstörung und Agoraphobie in der Primärversorgung konnte bereits erbracht werden. Im Rahmen dieses Vortrages präsentieren wir die Ergebnisse der Kosteneffektivitätsanalyse.
Fragestellung:
Ist in einer Population von Patienten mit Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie ein praxisteam-unterstütztes, selbst gesteuertes, auf den Prinzipien der Kognitiven Verhaltenstherapie basierendes Expositionstraining im Vergleich zur Standardversorgung kosteneffektiv?
Methoden:
Bei der vorliegenden Studie handelte es sich um eine cluster-randomisierte, kontrollierte, zweiarmige Interventionsstudie. Eingeschlossen wurden 419 Patienten mit Panikstörung. Eine komorbide Agoraphobie war zugelassen, aber nicht Voraussetzung für den Einschluss. Patienten in der Interventionsgruppe erhielten die oben beschriebene Intervention, Patienten in der Kontrollgruppe die primärärztlich-koordinierte Standardbehandlung. Daten wurden zu Studienbeginn, nach 6 Monaten und 12 Monaten mittels Fragebögen erhoben. Wir erfassten die Interventionskosten, sowie direkte und indirekte Kosten. Die primäre Kosteneffektivitätsanalyse wurde aus der gesellschaftlichen Perspektive basierend auf qualitätsadjustierten Lebensjahren (QALY) durchgeführt. Weitere Analysen unter der ausschließlichen Berücksichtigung von direkten Kosten und/oder angstfreier Tagen (AFT) folgten. Wir berechneten inkrementelle Kosteneffektivitätsrelationen (IKER) und Kosteneffektivitätsakzeptanzkurven (KEAK) basierend auf gemischten Modellen mit gebootstrappten Standardfehlern.
Ergebnisse:
230 Patienten aus 36 Praxen wurden in die Interventionsgruppe und 189 aus 37 Praxen in dieKontrollgruppe eingeschlossen. Patienten in der Interventionsgruppe verursachten geringere Kosten (-€1.017; SE: €1.168; ns) und gewannen mehr QALY (0,034 QALY; SE: 0,015; p < 0,05). Die Intervention dominierte somit die Kontrolle. Die Wahrscheinlichkeit für die Kosteneffektivität der Intervention belief sich bei einer Zahlungsbereitschaft von €50.000/QALY auf 96%. Die Ergebnisse der weiteren Analysen führten unter Berücksichtigung von direkten Kosten und/oder AFT zu vergleichbaren Ergebnissen.
Schlussfolgerung:
Das praxisteam-unterstützte, selbst gesteuerte, auf den Prinzipien der Kognitiven Verhaltenstherapie basierende Expositionstraining ist kosteneffektiv. Diese Schlussfolgerung gilt bei der Berücksichtigung von Gesamtkosten, gesamten direkten Kosten und krankheitsspezifischen direkten Kosten sowie bei der Berücksichtigung von QALY und AFT.
Praktische Implikationen:
Nach Beleg der Effektivität der Intervention, konnten wir Belege für die Kosteneffektivität der erbringen. Beide Belege zusammengenommen, führen zu der Empfehlung die Intervention in das Leistungsgeschehen des deutschen Gesundheitswesens zu überführen. Panikstörungen sind ein häufig auftretendes Krankheitsbild. Durch langfristige Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz in ambulanter Psychotherapie rückt die Betreuung und Behandlung im hausärztlichen Setting in den Mittelpunkt. Die Intervention gibt den Hausärzten ein Instrument in die Hand, welches sowohl effektiv für den Patienten ist als auch mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz der Leistungserbringung vereinbar ist.
Hintergrund
Tabakrauchen und tabakassoziierte Erkrankungen gehören zu den größten vermeidbaren Mortalitätsrisiken. Dennoch liegt die Prävalenz des Rauchens in Deutschland mit knapp 30% weiterhin auf sehr hohem Niveau. Die klinische S-3 Leitlinie "Screening, Diagnostik und Behandlung des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums" empfiehlt daher, evidenzbasierte Kurzberatung zur Tabakentwöhnung routinemäßig in der hausärztlichen Versorgung anzubieten. Die effektivste Form der Kurzberatung beinhaltet die Rauchstoppempfehlung sowie das Aufklären über und Einleiten der Behandlung. Es fehlen jedoch aktuelle und repräsentative Daten zur Umsetzung dieser Leitlinienempfehlung in der hausärztlichen Praxis in Deutschland.
Fragestellung
Wie häufig wird die Kurzberatung zur Tabakentwöhnung in der hausärztlichen Versorgung in Deutschland umgesetzt? Ist die Umsetzung mit soziodemographischen Merkmalen oder Rauchverhalten der Patienten/innen assoziiert?
Methode
Die Datenerhebung fand im Rahmen der DEBRA Studie statt (Deutsche Befragung zum Rauchverhalten: www.debra-study.info; Deutsches Register Klinischer Studien: DRKS00011322). Im Querschnittdesign wird zweimonatlich eine repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung (pro Befragungswelle 2.000 Personen, >14 Jahre) persönlich-mündlich zu ihrem Rauchstatus befragt. Raucher/innen und frische Ex-Raucher/innen (<12 Monate seit Rauchstopp) werden zusätzlich u.a. zu Rauchverhalten, Rauchstoppmethoden, sowie zum Erhalt von Rauchstoppempfehlungen während ihrer letzten hausärztlichen Konsultation befragt. Für die aktuelle Analyse wurden die Daten der ersten 4 Befragungswellen aggregiert (Juli 2016 - Januar 2017; 8.216 Befragte; Mittelwert [MW] Alter: 52,5 Jahre, Standardabweichung [SD] + 19 Jahre; 51,7% Frauen). Mittels einfacher logistischer Regression wurden Assoziationen zwischen dem Erhalt ärztlicher Rauchstoppempfehlungen (binäre abhängige Variable: Ja vs. Nein) mit den unabhängigen Variablen Geschlecht, Alter, Schulabschluss (kein Abschluss, Haupt-/Volksschule, Realschule, Fachhochschule, Abitur), Haushaltsnettoeinkommen (€<1.000, bis 2.000, bis 3.000, bis 4.000, bis 5.000, > 5.000 und Konsummenge (<10 vs. >10 Zigaretten/Tag) berechnet.
Ergebnisse
28% der Befragten waren Raucher/innen (N=2.320; 95% Konfidenzintervall [95%KI]=27%-29%). Davon suchten 64% (N=1.523; 95%KI=62%-66%) im vergangenen Jahr eine Hausarztpraxis auf. Hiervon wiederum erhielten 18% (N=274; 95%KI=12%-16%) von ihrem/r Hausarzt/Hausärztin eine Rauchstoppempfehlung, 4% (N=57; 95%KI=3%-5%) davon eine Rauchstoppempfehlung kombiniert mit einer Behandlungsempfehlung. Geringerer Zigarettenkonsum (Odds ratio [OR]=0.51; 95%KI 0.36-0.73) und höheres Alter (OR=1.01; 95%KI 1.01-1.02) waren signifikant mit dem Erhalt einer Kurzberatung assoziiert.
Diskussion:
Hausärztliche Kurzberatung zur Tabakentwöhnung wird in Deutschland vergleichsweise selten umgesetzt. Methodisch vergleichbare Daten aus England zeigen beispielsweise, dass dort etwa 60% der Patienten/innen den Erhalt einer Kurzberatung zur Tabakentwöhnung während der letzten Konsultation berichten. Insbesondere „leichte“ Raucher/innen (<10 Zigaretten/Tag) haben trotz einem bestehenden relevanten Gesundheitsrisiko im Vergleich mit „starken“ Raucher/innen (>10 Zigaretten/Tag) eine um die Hälfte reduzierte Wahrscheinlichkeit zur Tabakentwöhnung beraten zu werden. Es kann vermutet werden, dass der Zusammenhang zwischen höherem Alter und der steigenden Wahrscheinlichkeit eine hausärztliche Rauchstoppberatung zu erhalten, durch die Entstehung altersbedingter (tabakassoziierter) Erkrankungen vermittelt wird.
Praktische Implikationen
Es besteht dringender Bedarf an Strategien zur Verbesserung der Umsetzung der genannten S3-Leitlinie im Bereich der hausärztlichen Versorgung. Dabei sind sowohl Aspekte der flächendeckenden quantitativen also auch der qualitativen Versorgung zu berücksichtigen.
Hintergrund:
Tracheotomierte Patienten mit und ohne Beatmung mit intensivem Versorgungsbedarf werden heute häufiger ambulant versorgt. Aufgrund der Komplexität ihrer Problem- und Bedarfslagen stellt diese Versorgung hohe Anforderungen an die beteiligten Institutionen und Akteure. Besondere Herausforderungen birgt die fallbezogene Koordination und Kooperation der unterschiedlichen Anbieter über die Grenzen des stationären und ambulanten Sektors hinweg sowie innerhalb des ambulanten Sektors. Erschwerende Faktoren sind die Intransparenz des Feldes und die unzureichenden Kenntnisse über das Leistungsangebot und -niveau der Leistungserbringer und deren jeweilige Expertise. Hier knüpft ein Modellprojekt gem. § 140a SGB V in den Regionen Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern an. Mit einem ärztlich geleiteten, multiprofessionellen Case Management soll die Versorgung tracheotomierter Patienten mit und ohne Beatmung sektorenübergreifend und leitlinienorientiert optimiert werden. Das Modellprojekt wird extern wissenschaftlich begleitet (CeTiCo – Care of Tracheotomized Patients in the Community). Ein Baustein der mehrteiligen wissenschaftlichen Begleitforschung ist eine Ausgangsanalyse in den Modellregionen Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.
Fragestellung:
Im Rahmen der Ausgangsanalyse wird gefragt, welche spezialisierten Versorgungsangebote für tracheotomierte Patienten mit und ohne Beatmung in den drei Bundesländern vorgehalten werden, wie sie ausgestattet und regional verteilt sind. Ziel ist es einerseits, diese Daten für die Modellumsetzung zu nutzen und zum anderen – vor dem Hintergrund parallel erhobener Bedarfsparameter – die Bedarfsgerechtigkeit der bestehenden Strukturen zu bewerten und ggf. Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Methode:
Zur Beantwortung der Fragestellung wurde ein quantitativ-deskriptives Untersuchungsdesign gewählt, als Methode wurde ein Health Care Mapping durchgeführt. Dabei wurden anhand systematischer Recherchen in frei verfügbaren Registern, Verzeichnissen von Aufsichtsbehörden, in Datensätzen von Leistungsträgern und Fachgesellschaften sowie in kommunalen und Anbieterdaten spezialisierte Leistungserbringer identifiziert, dimensional erfasst und dokumentiert. Berücksichtigt wurden auf die Versorgung tracheotomierter Patienten mit und ohne Beatmung spezialisierte Anbieter aus dem stationären (Akutversorgung und Rehabilitation) und ambulanten Sektor (niedergelassene Mediziner, Pflegeheime, Pflegedienste, ambulant betreute Wohnformen, Heilmittelerbringer, Hilfsmittelanbieter). Die Ergebnisse wurden regional kontrastierend berichtsförmig und kartografisch aufbereitet.
Ergebnisse:
Das spezialisierte Leistungsspektrum ist von ausgeprägter regionaler Variabilität geprägt. Während in der Metropole Berlin erwartungsgemäß ein vielfältiges und dichtes, aber auch unübersichtliches und intransparentes Versorgungsangebot besteht, gibt es in den Flächenländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ein deutlich geringeres, weniger differenziertes und z.T. auch lückenhaftes Angebot für die hier interessierende Patientengruppe. Die spezialisierte stationäre Versorgung konzentriert sich vorrangig auf zentrale Lagen. Spezifische Rehabilitationsmöglichkeiten sind insgesamt begrenzt, in erster Linie handelt es sich um Angebote der neurologischen Frührehabilitation. Es gibt zahlreiche spezialisierte Pflegedienste, die tracheotomierte Patienten sowohl häuslich, vermehrt aber auch in Form ambulant betreuter Wohnformen versorgen; seltener sind Angebote der stationären Langzeitversorgung. In der ambulanten fachärztlichen sowie logopädischen, physio- und ergotherapeutischen Versorgung ist die spezifische Expertise involvierter Akteure häufig unklar. Die Hilfsmittelversorgung wird teils überregional realisiert.
Diskussion und praktische Implikationen:
Die Ausgangsanalyse bildet erstmals sektorenübergreifend Versorgungsstrukturen für tracheotomierte Patienten mit und ohne Beatmung mit intensivem Versorgungsbedarf in drei Bundesländern ab. Die Ergebnisse geben einen Überblick über regional vorgehaltene Spezialangebote; sie zeigen aber auch Disparitäten im Angebotsspektrum auf. Inwiefern überall eine bedarfsgerechte Versorgung dieser Patientengruppe gewährleistet werden kann, ist kritisch zu hinterfragen. Dies gilt umso mehr, als die Strukturen – nicht zuletzt aufgrund fehlender Bedarfskennziffern – eher naturwüchsig entstanden sind. Die Ausgangsanalyse bietet somit Orientierung für die künftige Struktur- und Angebotsentwicklung. Zudem bieten die Ergebnisse den Akteuren im Modellprojekt Anknüpfungspunkte für ihre künftigen Aktivitäten in der Fall- und Versorgungssteuerung wie auch der überregionalen Vernetzung in den drei Bundesländern.