Hintergrund
Im Jahr 2015 ist das ehemals beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) angesiedelte HTA-Berichtserstellungsverfahren in die Verantwortung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) übergegangen. Im Rahmen des sogenannten ThemenCheck Medizin sollen Patienten- und Bürgervertreter in die Themenfindung für HTA-Berichte eingebunden werden. In den mit Hilfe von externen Sachverständigen erstellten HTA-Berichten werden die Ergebnisse neben der wissenschaftlichen Bewertung auch in allgemeinverständlicher Weise dargestellt.
Fragestellung
Dieser Beitrag stellt das Verfahren der Themenfindung unter Patienten- und Bürgerbeteiligung im ThemenCheck Medizin vor. Zudem werden die diesbezüglichen Erfahrungen der ersten Auswahlrunde und zukünftige Herausforderungen dargestellt.
Methode
Seit Juli 2016 können Versicherte und interessierte Einzelpersonen beim IQWiG Themen für HTA-Berichte vorschlagen; ausgenommen davon sind Themen zu Arzneimittelbewertungen.
Die Eingabe der Themenvorschläge erfolgt über die IQWiG-Website www.themencheck-medizin.iqwig.de. Dort werden alle Themenvorschläge veröffentlicht, aus denen sich eine HTA-Fragestellung formulieren lässt. Gegebenenfalls bestehende Unklarheiten werden vom IQWiG im direkten Dialog mit den Vorschlagenden geklärt.
Ein Auswahlbeirat wählt unter allen bis zu einem jährlichen Stichtag eingegangenen Vorschlägen bis zu 15 Themen aus, die für die Erstellung von HTA-Berichten geeignet sind. Der Auswahlbeirat war in der ersten Runde mit Patientenvertretern besetzt und wird ab der kommenden Auswahlrunde durch nach einem Zufallsprinzip ausgewählte Bürgervertreter ergänzt.
Das IQWiG wählt aus den 15 Themen 4 bis 6 Themen aus, zu denen HTA-Berichte erstellt werden.
Ergebnisse
In der ersten Vorschlagsphase von Juli bis Oktober 2016 wurden insgesamt 31 Themenvorschläge eingereicht, von denen 26 in das Priorisierungsverfahren aufgenommen werden konnten. 5 Themen konnten nicht aufgenommen werden, da sie primär auf die Bewertung von Arzneimitteln abzielten oder nicht in eine HTA-Fragstellung umzusetzen waren. Insgesamt erfolgte bei 13 Themenvorschlägen eine telefonische Rücksprache zur Konkretisierung der HTA-Fragestellung. Diese umfassten ein breites Themenspektrum: Jeweils 4 Vorschläge kamen aus den Bereichen Zähne, Kopf und Nerven sowie Krebs. In den Anwendungsgebieten Muskeln, Knochen und Gelenke sowie Psyche und Gemüt wurden je 3 Themen vorgeschlagen. Weitere Fragen betrafen Diagnostik, Herz und Kreislauf, Kinder und Jugendliche (je 2), Haut und Haare sowie Fortpflanzung und Geburt (je 1).
Auf Basis einer Themenaufbereitung durch das IQWiG hat der Auswahlbeirat im Dezember 2016 daraus 15 geeignete Themen für die Erstellung eines HTA-Berichts ausgewählt. Im Februar 2017 erfolgte die Entscheidung des IQWiG über 5 Themen, zu denen HTA-Berichte erstellt werden. Diese werden aus einem von externen Sachverständigen erstellten Basisbericht und einem Herausgeberkommentar des IQWiG bestehen und neben der Nutzenbewertung regelhaft auch ökonomische, ethische, soziale, rechtliche und organisatorische Aspekte der adressierten Technologie berücksichtigen.
Die Integration eines mit Patientenvertretern besetzten Auswahlbeirats in diesem Verfahren erwies sich als zielführend und gewinnbringend. Den zeitlichen Aufwand für die Themenvorbewertung bewerteten die Patientenvertreter mehrheitlich als eher gering. Ihre direkte und transparente Einbeziehung in das Verfahren der Themenpriorisierung erlebten sie darüber hinaus als wertschätzend.
Diskussion
Mit dem im Jahr 2016 erstmals umgesetzten Verfahren konnten Bürger- und Patientenvertreter sowohl in den Prozess der Sammlung von Themenvorschlägen für HTA-Berichte als auch in die Themenpriorisierung erfolgreich eingebunden werden. Voraussetzung dafür waren insbesondere das niedrigschwellige Eingabeformular und die Unterstützung der Vorschlagenden durch das IQWiG bei der Formulierung einer HTA-Fragestellung.
Praktische Implikationen
Für das nächste Auswahlverfahren wird zu prüfen sein, inwieweit möglicherweise bestehende Hürden zur Einbringung eines HTA-Themas weiter reduziert werden können – beispielsweise durch die Möglichkeit, Themenvorschläge auch per Mail oder Brief einzureichen. Eine weitere Herausforderung in Bezug auf die erfolgreiche Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in die Auswahl und Priorisierung von HTA-Themen besteht darin, den Bekanntheitsgrad des ThemenCheck Medizin weiter zu erhöhen.
Ebenso ist zu prüfen, ob die Bürgervertreter, die ab 2017 im Auswahlbeirat vertreten sein werden, für die Auswahl der Themen in diesem Gremium eine zusätzliche fachliche Vorbereitung und Unterstützung durch das IQWiG benötigen.
Hintergrund: Patientenpartizipation gehört zu den Schlüsselbegriffen für gute Versorgung. Den aktuellen normativen Bestrebungen aus Wissenschaft und Politik folgend, ist diese uneingeschränkt für alle Patienten in allen Settings zu fordern. Bei pflegebedürftigen Menschen, die in der eigenen Häuslichkeit leben, ist es jedoch eine besondere Herausforderung diese aktiv an der Gestaltung ihrer Versorgung teilhaben zu lassen. Um die Partizipation dieser vulnerablen Patienten überhaupt anzubahnen, liegt eine besondere Verantwortung bei den beruflich Pflegenden.
Fragestellung: Die Untersuchung geht unter anderem der Frage nach, welche Möglichkeiten aus Sicht der beruflich Pflegenden für Patientenpartizipation in der häuslichen Versorgung bestehen und an welche Bedingungen diese geknüpft sind, aber auch wo Pflegende die Grenzen für Patientenpartizipation ziehen.
Methoden: Es wurden 29 problemzentrierte Experteninterviews mit beruflich Pflegenden durchgeführt, die als Pflegedienstleitung, Qualitätsbeauftragte und/oder Gesundheits- und Krankenpflegende tätig sind. Die Datenauswertung erfolgte über einen mehrschrittigen, kategorienbildenden Prozess mit thematisch- und fallvergleichenden Analysen.
Ergebnisse: In der häuslichen Versorgungspraxis finden sich Ansätze von Patientenpartizipation, die in ihrer Ausgestaltung von einer körperlich aktiven Mitarbeit pflegebedürftiger Patienten bis zur Beteiligung an Entscheidungen reichen. Zentraler Orientierungspunkt für die Ausrichtung der Bemühungen beruflich Pflegender ist hierbei das eigene Selbst- und Aufgabenverständnis. Ein direkter Bezug zum aktuellen Partizipationsdiskurs lässt sich jedoch nicht identifizieren. Die Möglichkeiten für Patientenpartizipation in der häuslichen Versorgung werden von beruflich Pflegenden vor allem in alltagsnahen Situationen im Bereich der Grundpflege angesiedelt. Dennoch setzen sie hier bestimmte Bedingungen voraus, wie z. B. die Bereitschaft von Patienten zur Mitarbeit, ein niedriges erwartetes Schadenspotenzial für Patienten und Pflegende oder aber auch bereits vorhandene Bewältigungsroutinen von Patienten. Bei behandlungspflegerischen Versorgungsbedarfen werden von beruflich Pflegenden hingegen kaum Möglichkeiten für eine Partizipation von Patienten gesehen. Als begrenzend werden der empfundene Handlungsdruck durch den MDK, Qualifikationsdefizite sowie die Arbeitsbedingungen der häuslichen Pflege, aber auch die hohe Vulnerabilität der Patienten empfunden. Darüber hinaus können auch anhaltende Kontroversen und Konflikte mit pflegebedürftigen Patienten zur Begrenzung von Partizipationsmöglichkeiten führen.
Diskussion: Die Ergebnisse machen deutlich, dass die möglichen Handlungsfelder für die Partizipation pflegebedürftiger Patienten in der häuslichen Versorgung aus Sicht beruflich Pflegender eng gesteckt sind. Die als begrenzend empfundenen Umstände sind mannigfaltig und setzen sich zusammen aus pflegepersonbezogenen, patientenbezogenen und rahmenbedingungsbezogenen Aspekten. In den daran geknüpften Bedingungen deuten sich jedoch auch Missverständnisse in der partizipativen Beziehungsgestaltung an, etwa wenn eine hohe Compliance des Patienten als Voraussetzung für Partizipation verstanden wird.
Praktische Implikationen: Aus den gewonnen Erkenntnissen lassen sich, anknüpfend an die Perspektive der Pflegenden, praktische Implikationen für eine Förderung von Partizipation pflegebedürftiger Patienten in der häuslichen Versorgung ableiten. Diese sollten insbesondere auf die Förderung des Selbst- und Aufgabenverständnisses, die Schulung von kommunikativen Kompetenzen, eine Verankerung von partizipationsfördernden Strukturen auf Organisationsebene und in den Rahmenbedingungen häuslicher Pflege zielen.
Hintergrund: Etwa zehn Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter sind von Endometriose betroffen. Mit einer durchschnittlichen Diagnoselatenz von sechs bis sieben Jahren und dem chronischen Verlauf der Erkrankung gehen vielschichtige Krankheits- und Versorgungserfahrungen von Patientinnen einher. Der Einbezug dieser Erfahrungserlebnisse in wissenschaftliche Analysen könnte maßgeblich dazu beitragen, Strukturen und Behandlungsabläufe für die Versorgung von Frauen mit Endometriose zu verbessern.
Fragestellung: Um der Heterogenität von Leistungserbringern, Patientinnen und Versorgungsprozessen Rechnung zu tragen, wurde eine ergebnisoffene Forschungsfrage gewählt: Welche Versorgungserfahrungen machen Frauen mit Endometriose ab dem Auftreten erster Beschwerden?
Methode: Zur Beantwortung der Fragestellung wurden leitfadengestützte Interviews nach kriterienbasiertem und theoretischem Sampling erhoben. Gewählte Kriterien betrafen das Alter der Patientin, die Dauer der Diagnoseverzögerung sowie der Erkrankung und die Leistungserbringer vor Ort. Insgesamt wurden 35 Leitfadeninterviews mit hohen narrativen Anteilen mit Frauen mit Endometriose durchgeführt und primär inhaltsanalytisch ausgewertet. Weiterhin fanden konversationsanalytische Verfahren Anwendung, um die analytische Qualität bei komplexen sprachlichen Erfahrungsaufschichtungen im biographischen Kontext zu gewährleisten.
Ergebnisse: Eine zentrale Kategorie der Versorgungserfahrungen von Frauen mit Endometriose, unabhängig von den oben genannten Kriterien, betraf das Erleben des Nicht- Ernst-Genommen-Werdens bzw. Nicht-Ernst-Nehmens. In Ausnahmefällen wurden von betroffenen Frauen auch explizit positive Erfahrungen mit Bezug auf ein Ernst-Genommen-Werden berichtet. In allen Interviews aber kam es zu Schilderungen eines Nicht-Ernst-Nehmens bzw. Nicht-Ernst-Genommen-Werdens, zu verschiedenen Zeitpunkten im Versorgungsverlauf und innerhalb identifizierter Dimensionen: Leistungserbringer, Gesellschaft inklusive sozialem Umfeld und die Patientin selbst stellen ein Nicht-Ernst-Nehmen mit verschiedenen Facetten her. Dabei ist davon auszugehen, dass die aufgeführten Dimensionen sich in Ausprägung und Konsequenzen gegenseitig bedingen und daher nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. So konnte z.B. die (durch Annahmen über die Gesellschaft und andere Frauen geprägte) Vorstellung einer Frau, dass die Periode schmerzhaft sei, dazu führen, dass sie sich selbst nicht ernst nahm und ihre Beschwerden normalisierte. Dies konnte zur Folge haben, dass Beschwerden in Arztkontakten nur unzureichend angesprochen wurden. Wurden die geschilderten Probleme von Leistungserbringern ebenfalls trivialisiert, konnte ein eigenes Ernst-Nehmen erschwert werden, wodurch ein Sprechen über als tabu-besetzte Themen ebenfalls im sozialen Umfeld negativ beeinflusst werden konnte. Facetten des Nicht-Ernst-Nehmens durch Leistungserbringer betrafen u.a. die Aberkennung von Beschwerden („sie haben doch nichts“), die Erwägung alternativer Erklärungen („es könnte am Darm liegen“), ein Angebot einfacher Lösungen (wie „die Pille“ oder Sitzbäder) oder ausbleibende Erklärungen bei Diagnosestellung. Ein Nicht-Ernst-Nehmens durch Kommunikationspartner konnte auf persönlicher Ebene u.a. damit einhergehen, dass Arztkontakte vermieden und wirksame Schmerzmittel abgelehnt wurden.
Diskussion: Für die Rekrutierung der Interviewpartnerinnen wurde in diversen Medien auf die Studie hingewiesen. D.h. an einem Interview interessierte Frauen meldeten sich bei uns. Das Interesse war deutlich größer als erwartet, wodurch nicht auszuschließen ist, dass Interviewpartnerinnen in besonderem Maße negative Versorgungserfahrungen gemacht hatten. Aufgrund von über 270 Nachfragen nach Gesprächen seitens der Frauen ist aber auch davon auszugehen, dass es sich bei negativen Versorgungserfahrungen nicht um einen Ausnahmefall handelt. Trotz differierender Kriterien, wie das Alter der Patientin oder die Krankheitsdauer, wurden von Interviewpartnerinnen ähnliche Erfahrungen berichtet, wodurch nach etwa einem Drittel der Interviews im Auswertungsverlauf kaum neue Aspekte in Bezug auf Versorgungserfahrungen identifizierbar waren und damit in Bezug auf dieses Studienziel eher eine theoretische Sättigung eintrat als angenommen.
Praktische Implikationen: Frauen mit Endometriose sollten von Leistungserbringern und ihrem sozialen Umfeld mit ihren Beschwerden ernst genommen werden. Ein Ernst-Nehmen durch alle Akteure könnte u.a. zu einer Minimierung der Diagnoselatenz beitragen, eine Therapie bei erneuten Beschwerden optimieren und die Lebensqualität der Patientinnen verbessern.
Hintergrund
Trans* Personen erleben eine Diskrepanz zwischen dem bei Geburt zugewiesenen und dem individuell erlebten Geschlecht, woraus ein fortdauernder Leidensdruck (Geschlechtsdysphorie) resultieren kann. Das Sternchen im Begriff steht hierbei als Platzhalter für eine Vielzahl verschiedener Konzepte: transgeschlechtlich, transident, transsexuell, genderqueer, non-binär, geschlechtsneutral, etc. Bisher unterlag die Behandlung der Transsexualität (ICD-10, F64.0) einer binären Auffassung von Geschlecht, wonach sich transsexuelle Menschen eindeutig mit dem anderen Geschlecht identifizieren. Aktuelle Studien zeigen jedoch eine deutlich größere Vielfalt an geschlechtlichen Konzepten (z. B. non-binäre Identitäten wie ‘genderqueer‘). International wie national wird der Anspruch formuliert, seltene klinische Anliegen, wie die von trans* Personen spezialisiert, professionell koordiniert und interdisziplinär zu behandeln. Hierzu fordert der Nationale Aktionsplan für Menschen mit Seltenen Erkrankungen eine Bildung von Behandlungszentren.
Fragestellung
Die vorzustellenden Studien untersuchten verschiedene Aspekte der interdisziplinären Trans*-Gesundheitsversorgung an Deutschlands erstem, hierauf spezialisiertem Zentrum, das alle für Trans*-Gesundheit relevante Disziplinen an einem Ort vorhält. Hierbei wurden folgende Fragestellungen untersucht:
1. Welche inhaltlichen und strukturellen Erwartungen und Befürchtungen richten trans* Personen an eine interdisziplinäre Trans*-Gesundheitsversorgung?
2. Welchen Einfluss haben verschiedene Geschlechtskonzeptionen der Teilnehmenden (binär und non-binär) auf ihre Anforderungen an der Trans*-Gesundheitsversorgung?
3. Welche Einstellungen und Einflussmöglichkeiten haben wichtige Akteure („Stakeholder“, z.B. relevante Institutionen, Personen, Gruppen) gegenüber dem Zentrum und welche Konfliktpotentiale bestehen?
Methode
Ein Online-Fragebogen wurde partizipativ unter Beteiligung lokaler Vertreter_innen der Trans*-Community sowie trans*erfahrenen niedergelassenen Fachkräften entwickelt, der sowohl trans*-spezifische Aspekte als auch Dimensionen der allgemeinen Versorgungsqualität abdeckt. Zur Analyse des Projektumfeldes wurden relevante Stakeholder identifiziert und im Hinblick auf verschiedene Dimensionen (z.B. Einstellung zum Zentrum) befragt.
Ergebnisse
N=415 trans* Personen nahmen an einem Online-Fragebogen teil, der quantitativ und qualitativ ausgewertet wurde. Faktorenanalystisch wurden drei zentrale Dimensionen der Versorgungsqualität extrahiert (Kommunikation und Soziales, Individualität, Professionalität und Qualität). Darüber hinaus wurden relevante Befürchtungen gegenüber einer zentralisierten Trans*-Gesundheitsversorgung identifiziert (z.B. Monopolisierung der Versorgung). Hinsichtlich struktureller Aspekte zeigten sich organisatorische Faktoren (z.B. feste Ansprechpartner, keine wechselnden Behandler_innen) als bedeutsam. Außerdem fanden sich relevante Unterschiede bzgl. der Behandlungsanforderungen zwischen binär und non-binär identifizierten trans* Personen (z.B. hinsichtlich der Inanspruchnahme chirurgischer Maßnahmen).
An der Stakeholder-Analyse nahmen N = 42 Stakeholder teil, welche in 3 Gruppen bzw. 9 Subgruppen unterteilt wurden (z.B. niedergelassene medizinische Fachkräfte). Alle Stakeholder gaben eine positive bis sehr positive Einstellung zur interdisziplinären Trans*-Gesundheitsversorgung an. Alle Stakeholder berichteten außerdem ein Informationsdefizit bezüglich des Zentrums.
Diskussion
Die vorliegenden Studien konnte inhaltliche wie strukturelle Erwartungen und Befürchtungen von trans* Personen an eine interdisziplinäre Trans*-Gesundheitsversorgung erfassen und somit für Behandlungssuchende wie für Behandelnde valide Informationen zur Gestaltung des Centrums erheben. Es zeigte sich, dass die interdisziplinäre Trans*-Gesundheitsversorgung fortlaufender Rückkopplung ins Feld der Behandlungssuchenden und der Akteure bedarf. Die Gleichzeitigkeit von struktureller Entwicklung und Optimierung von Individualität und Flexibilität im Behandlungsprozess bleibt hierbei die Herausforderung für eine nachhaltige Versorgungsqualität.
Praktische Implikationen
Die Ergebnisse stärken die Bedeutung der Patient_innenorientierung in der Gesundheitsversorgung von trans* Personen, deren Heterogenität zu vielfältigen und häufig von heteronormativen Erwartungen abweichenden klinischen Fragestellungen führen. Für die involvierten Fachkräfte ist es in diesem Zusammenhang wichtig, eigene normative Einstellungen in Bezug auf Geschlecht und Sexualität kritisch zu reflektieren, um eine qualitativ hochwertige interdisziplinäre Trans*-Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, die den Vorstellungen von Individualität und Flexibilität der behandlungssuchenden trans* Personen gerecht wird. Darüber hinaus können Transparenz, Kommunikation und Kollaboration mit den wichtigsten Akteur_innen des Zentrumsumfeldes sicherstellen, dass die medizinische Versorgung in hoher Qualität angeboten werden kann.
Titel
Präferenzmessung bei Parodontopathie
Hintergrund
Internationale Institutionen untersuchen verschiedene Methoden zur systematischen Erhebung von Patientenpräfenzen. Möglichkeiten zur Einbindung dieser Daten in Entscheidungsprozesse, wie z.B. Zulassungs- oder Erstattungsentscheidungen werden diskutiert. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat bereits in zwei Pilotprojekten den Analytic Hierachy Process und das Discrete Choice Experiment (DCE) als Methode zur Präferenzmessung untersucht. Vor kurzem wurde ein weiteres Projekt zur Untersuchung der Machbarkeit eines DCEs innerhalb von drei Monaten durchgeführt.
Fragestellung
Ziel des Projektes war es innerhalb von drei Monaten die relative Wichtigkeit der Behandlungs- und Erkrankungseigenschaften einer Parodontopathie zu analysieren.
Methode
Behandlungs- und Erkrankungseigenschaften wurden durch eine vom IQWiG bereitgestellte Liste mit Endpunkten, sowie eine Literaturrecherche identifiziert. Durch Interviews mit Parodontologen und Patienten wurden die einzuschließenden Endpunkte ausgewählt und definiert. Zahnverlust, Symptome und Beschwerden, vom Patienten selbst zu tragende Kosten und Häufigkeit der Nachsorgetermine wurden in das DCE eingeschlossen. In einem DCE müssen die Probanden in sogenannten Wahlszenarien wiederholt zwischen zwei oder mehr hypothetischen Behandlungssituationen die bevorzugte Situation auswählen. Diese Behandlungssituationen werden jeweils durch Eigenschaften und dazugehörenden variierende Ausprägungen beschrieben. Die Wahlszenarien für das DCE wurden durch ein effizientes Design zusammengestellt. Die Stichprobenberechnung ergab eine Mindestteilnehmerzahl von 84 Probanden zur Schätzung von Haupteffekten. Die Präferenzen wurden durch ein gemischtes Modell mit zufälligen Koeffizienten geschätzt. Die relative Wichtigkeit der Eigenschaften wurde basierend auf den Spannweiten der dazugehörigen Ausprägungen berechnet.
Ergebnisse
Innerhalb von drei Monaten wurden 267 Patienten befragt. Die Patienten bewerteten den Verlust von zwei anstelle von keinem Zahn signifikant negativ (Koeffizient: -5,01, p<0,001). Im Vergleich dazu keine Beschwerden zu haben bewerteten Patienten von den Symptomen: gelegentliches Zahnfleischbluten, empfindlichen Zahnhälsen und “lange Zähne” aufgrund von Zahnfleischrückgang letzteres am schlechtesten (Koeffizient: -1,51, p<0.001). Insgesamt hatten für Patienten mögliche Unterschiede hinsichtlich des Zahnverlustes die größte Bedeutung in ihren Entscheidungen (0,73 relative Wichtigkeit), gefolgt von Unterschieden in den Symptomen und Beschwerden (0,22), verschiedenen Häufigkeit von Nachsorgeterminen (0,03) sowie den Kosten (0,02).
Diskussion
Dieses DCE zeigt, dass eine Präferenzmessung innerhalb eines Zeitraums von 3 Monaten unter Berücksichtigung methodischer Standards durchführbar ist. Bei der Einschätzung der Machbarkeit einer Präferenzmessung in kurzen Zeiträumen muss allerdings die Prävalenz und Schwere der Erkrankung sowie mögliche Vorgaben zur Repräsentativität der Befragung berücksichtigt werden.
Praktische Implikationen
Die Studie zeigt, dass Patientenpräferenzen auch in kurzer Zeit erhoben und analysiert werden können und daher kurze Zeiträume die für regulatorische Entscheidungsprozesse im Gesundheitswesen vorgesehen sind, kein genereller Grund sein sollten auf die systematische Berücksichtigung von Patientenpräferenzen zu verzichten.