Hintergrund
Die prospektive Risikoanalyse ist in der Technik längst Standard. In medizinischen Prozessen ist diese nicht verbreitet. Um Prozesse hinsichtlich ihrer Risiken vor Auftreten von Fehlern zu untersuchen, stehen wenige Methoden zur Verfügung: HAZOP, FRAM und FMEA. HAZOP, in Deutschland unter PAAG (Prognose, Auffinden der Ursache, Abschätzen der Auswirkungen, Gegenmaßnahmen) bekannt, ist gut geeignet stabile Prozeduren (wie in Laboren) hinsichtlich der Risiken zu analysieren. Mit FRAM (Functional Resonance Analysis Method) lassen sich komplexere medizinische Prozesse untersuchen und FMEA wird bei der Entwicklung von Geräten und Abläufen verwendet. Die drei Verfahren erlauben keine Simulation von Prozessen. Das Open-Process-Task-Modell (OPT-Modell) wurde 2014 zur Beschreibung von medizinischen Aufgaben und Prozessen publiziert. Es basiert auf dem allgemeinen Modell zur Beschreibung von Systemen, dem Input-Process-Output-Modell, kombiniert auf der Analysestrategie von HAZOP mit der Verwendung von Schlüsselwörterlisten und der systemanalytischen Sichtweise von SEIPS (Systems Engineers in Patient Safety). Kernpunkt ist, dass die Eigenschaften von Aufgaben systematisch mit Attributen beschrieben werden. Diese werden mittels Komplexitätsgraden gewichtet.
Fragestellung
Das OPT-Modell ordnet die Eigenschaften einer Aufgabe entweder den Anforderungen oder den Lösungsmöglichkeiten zu: Ein Patient mit einer bestimmten Erkrankung und mit einer aus verschiedenen Teilen bestehenden Dokumentation stellt für die medizinische Einrichtung und das jeweilige Team eine Herausforderung dar. Den Anforderungen stehen Lösungskapazitäten zur Verfügung: Ausbildungsstand des Teams, medizinische Geräte, SOP’s und weiteres. Eine Besonderheit von medizinischen Prozessen ist die hohe Variabilität der Anforderungen und eine deutliche Variabilität der Lösungskapazitäten. In der Studie soll ein Modell entwickelt werden, welches in der Lage ist, diese Variabilität aggregiert zu simulieren und grafisch zu visualisieren. Aus dem Verhältnis von Anforderungen und Lösungskapazitäten lassen sich Verteilungen ermitteln. Ist die Lösungskapazität eingeschränkt, ist das Auftreten von Fehlern mit Folgeschäden wahrscheinlich.
Methode
Die Modellentwicklung basiert auf der Monte-Carlo-Methode: es werden Zufallsereignisse erzeugt, deren Häufigkeit auf den gegebenen Wahrscheinlichkeiten beruhen. Angewandt auf die Modellierung von Aufgaben mit ihren Anforderungen und Möglichkeiten kann sowohl die Variabilität der Anforderungen als auch die Variabilität der Lösungsmöglichkeiten simuliert werden. Ein einzelnes Ereignis entspricht einer bestimmten Aufgabe und dabei treffen in einer konkreten Ausprägung Anforderungen auf Lösungsmöglichkeiten. Das Verhältnis von Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten kann erstmals mathematisch untersucht werden. Für die Entwicklung wurde Python 3.6 verwendet.
Ergebnisse
Das Simulationsmodell besteht aus mehreren Komponenten: Für die Simulation werden die Verteilungen der Eigenschaften der Aufgabe bezüglich der Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten modelliert. Dabei können Angaben aus der Literatur, aus Befragungen oder theoretische Verteilungen verwendet werden. Es wurden vier grundlegende Verteilungen implementiert: die Binominalverteilung, die uniforme Verteilung, die Normalverteilung und Betaverteilung. Letztere kann über geeignete Parameter an Verteilungen angepasst werden und ist flexibel. Aus den kontinuierlichen Verteilungen wurden diskrete Verteilungen erzeugt, welche die Häufigkeit des Auftretens von einzelnen Eigenschaften beschreiben. Grafisch lassen sich die einzelnen Verteilungen der Eigenschaften und aggregiert die Verteilung der Anforderungen und Lösungskapazitäten darstellen.
Diskussion
Über das Simulationsmodell kann die Komplexität von medizinischen Aufgaben repräsentiert werden. Es erlaubt eine Anpassung durch die Eingabe von tatsächlichen Häufigkeitsverteilungen, wie sie aus Krankenhausstatistiken gewonnen werden können. Die Balance zwischen Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten muss so gehalten werden, dass die Anforderungen keinesfalls den Lösungsmöglichkeiten überwiegen. Das Modell hat zwei Grenzen: 1. Derzeit sind die Verteilungen der Eigenschaften von medizinischen Aufgaben nicht ausreichend untersucht worden, so dass auf Schätzungen und Annahmen zurückgegriffen werden muss. 2. Methodisch basiert die Monte Carlo-Methode auf der Unabhängigkeit der einzelnen Komponenten, was aber für die Medizin nur bedingt stimmt. Weitere Untersuchungen sind notwendig, diese Abhängigkeiten mathematisch zu beschreiben und zu modellieren.
Praktische Implikationen
Das Simulationsmodell kann dazu verwendet werden, die Komplexität von Aufgaben zu modellieren, um zu verstehen, mit welchen Mitteln, die Balance zwischen Anforderungen und Lösungsmöglichkeiten gehalten werden kann. Es hilft zu verstehen, dass der Variabilität der Anforderungen organisatorisch mit einer hohen Stabilität der Lösungsmöglichkeiten begegnet werden kann.
Hintergrund
Sepsis ist mit 150/100.000 Einwohner eine der häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Die Zahl der Erkrankungen steigt, die Sterblichkeit liegt bei deutlich über 40% [1]. Leitlinien empfehlen bei Vorliegen eines chirurgisch Fokus die zeitnahe operative Sanierung [2, 3]. Allerdings ist die Datenlage unzureichend.
Fragestellung
Profitieren Patienten mit Sepsis und einem chirurgischen Fokus von einer raschen Fokussanierung?
Methode
Design: Subgruppenanalyse im Rahmen der MEDUSA-Studie [4], Kontrollgruppendesign auf Krankenhausebene (Gruppe A: 19 Krankenhäuser, Gruppe B: 21 Krankenhäuser) mit zwei Phasen (Phase 1: 07.2011-06.2013, Phase 2: 09.2013-05.2015) und Wechsel der Interventionsgruppe zwischen den Phasen; prospektiver Einschluss von Patienten mit schwerer Sepsis (n. „alter Nomenklatur“) und/oder septischem Schock und Behandlung auf Intensivstationen. Bei Phase 1 handelte es sich um die Interventionsphase der MEDUSA-Studie.
Interventionen in der MEDUSA-Studie: Aufbau lokaler abteilungsübergreifender Qualitätsverbesserungsteams, Benchmark von Qualitätsindikatoren, Change-Management Beratung (Vor-Ort Besuche durch Studienärzte alle 4 Monate), Zurverfügungstellung von Weiterbildungsmaterial, regelmäßige Weiterbildungen.
Analyse: Uni- und multivariate Analysen mittels Generalisierten Hierarchischen Linearen Modellen zum Einfluss von Faktoren auf die 28-Tage-Mortalität.
Ergebnisse
2.929 von insgesamt 6.571 Patienten wiesen einen chirurgisch zu sanierenden Fokus auf. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Fokussanierung nahm mit zunehmender Zeit ab (88% bei Sanierung vor Beginn Schwere Sepsis zu 78% bei >24h, p=0.043), die Mortalität stieg signifikant an (29 zu 39,8%, p=0.03). Dieser Effekt blieb auch in der multivariaten Analyse mit Korrektur für Erkrankungsschwere und Alter signifikant (p=0.002).
Diskussion:
Die zeitnahe Fokussanierung ist im klinischen Kontext oft schwierig. Engpässe in Diagnose der Sepsis, apparativer Diagnostik und operativen Kapazitäten bedingen oft erhebliche Verzögerungen. Unklarheit besteht zudem über den Stellenwert einer präoperativen hämodynamischen Stabilisierung des Patienten. Die Datenlage ist unzureichend. Bisherige Studien bezogen sich auf hochspezifische Krankheitsbilder (nekrotisierende Fasziitis [5, 6], Perforationen des Verdauungstraktes [7, 8]), und wurden mit einer geringen Fallzahl durchgeführt [5-7]. Im Rahmen der MEDUSA-Studie konnte erstmalig in einer großen Stichprobe von Patienten mit Sepsis gezeigt werden, welcher Vorteil aus einer frühen Fokussanierung resultiert [9], was eine Modifikation der Leitlinien zur Folge hatte. Die Empfehlung von 12 Stunden bis zur chirurgischen Fokussanierung wurde auf „so schnell wie möglich“ aktualisiert [10, 2]. Nach Abschluss von 3 Studienphasen der MEDUSA-Studie konnte dieser Effekt bestätigt werden. Zudem sinkt mit der Verzögerung die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Fokussanierung. Dies hat Auswirkungen auf die leitliniengerechte Dauer der Antibiotikatherapie [2] und damit auf Kosten, Nebenwirkungen und Resistenzentwicklungen.
Praktische Implikationen:
Eine frühe Fokussanierung hat signifikante Auswirkungen auf den Erfolg und das Überleben von Patienten mit schwerer Sepsis und septischem Schock. Alle Kliniken, die Patienten mit potentiell chirurgischen Infektionsherden versorgen, müssen eine zeitnahe Diagnostik und Sanierung gewährleisten können. Arbeitsabläufe in den Kliniken müssen dem mehr als bisher Rechnung tragen.
Literatur:
1. Fleischmann et al (2016). Dtsch Arztebl Interantional 113: 159-166
2 Rhodes et al (2016). Surviving Sepsis Campaign: International Guidelines for Management of Sepsis and Septic Shock: 2016. Intensive Care Med. 2017 Mar;43(3):304-37
3 Reinhart et al (2010) Prevention, diagnosis, therapy and follow-up care of sepsis. Ger Med Sci 2010;8:doc14
4 Bloos et al (2017). Effect of a multifaceted educational intervention for anti-infectious measures on sepsis mortality – a cluster randomized trial. Intensive Care Med – in press
5 Moss et al (1996) Necrotizing fasciitis in children: prompt recognition and aggressive therapy improve survival. J Pediatr Surg 31(8):1142–1146
6 Chao al (2013) Impact of timing of surgery on outcome of Vibrio vulnificus-related necrotizing fasciitis. Am J Surg 206(1):32–39
7 Azuhata et al (2014) Time from admission to initiation of surgery for source control is a critical determinant of survival in patients with gastrointestinal perforation with associated septic shock. Crit Care 18(3):R87
8 Buck DL et al (2013) Surgical delay is a critical determinant of survival in perforated peptic ulcer. Br J Surg 100(8):1045–1049
9 Bloos et al (2014) Impact of compliance with infection management guidelines on outcome in patients with severe sepsis: a prospective observational multi-center study. Crit Care 18(2):1
10 Dellinger et al (2012) Surviving Sepsis Campaign: international guidelines for management of severe sepsis and septic shock, 2012. Intensive Care Med. 2013 Feb;39(2):165-228
Hintergrund. Trotz insgesamt stagnierender Inzidenzen von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) Infektionen stellen diese nach wie vor eine große Herausforderung für das stationäre Versorgungssystem dar. In zunehmendem Maße wird auch das ambulante Versorgungssystem mit MRSA konfrontiert. Dementsprechend ist in 2012 die „Vergütungsvereinbarung für ärztliche Leistungen zur Diagnostik und ambulanten Eradikationstherapie von Trägern mit dem Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA)“ in der vertragsärztlichen Versorgung in Kraft getreten und wurde mittlerweile in die Regelversorgung übernommen. Mit der Vergütungsvereinbarung wurden verschiedene Gebührenordnungspositionen (GOP) zur MRSA-Diagnostik und Behandlung implementiert, die auch Auskunft über Erfolg oder Misserfolg der Eradikationstherapie geben.
Fragestellung. Verschiedene Eradikationshemmende Faktoren wie bspw. Wunden oder Hautinfektionen sind aus der Literatur bekannt. Patientenseitige Faktoren die mit dem Erfolg oder Misserfolg von MRSA Eradikationen assoziiert sind, wurden bis heute jedoch kaum für ambulante Dekolonisationen untersucht. Diese Arbeit untersucht daher die Patientenseitigen Risikofaktoren führ erfolglose ambulante Eradikationstherapien.
Methode. Ausgewertet wurden die vertragsärztlichen Abrechnungsdaten von über 41 tausend Patientenentitäten bei denen zwischen dem 2. Quartal 2012 und dem dritten Quartal 2014 mindestens eine ambulante Eradikationstherapie durchgeführt wurde, und die über mindestens 5 Quartale in den Abrechnungsdaten nachbeobachtet werden konnten. Aufgrund des Fehlens taggenauer Behandlungsdaten konnte ein Misserfolg nur über die Abrechnung eines positiven Kontrollabstrichs in einem Quartal nach der Eradikation oder einem positiven und keinem negativen Kontrollabstrichen im Quartal der Eradikation operationalisiert werden. Potentielle Erfolgs und Misserfolgsfaktoren wurden - basierend auf einem Review relevanter Literatur - aufgrund klinischer Überlegungen definiert und über Diagnosedaten, Leistungsdaten und Patientenmerkmale operationalisiert.
Ergebnisse. Die ambulanten Eradikationspatienten sind im Durchschnitt 71 Jahre alt. 50,2% sind Frauen. Ein hoher Prozentsatz der Patienten weisen Komorbiditäten aus verschiedenen ICD-10 Hauptkapiteln auf. Zu den häufigsten (Ko-)Morbiditäten gehören Erkrankungen des Kreislaufsystems sowie Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten.
Unter den Patienten die mindestens noch über 5 Quartale in den Daten verfolgt werden konnten, betrug die initiale Misserfolgsrate einer ambulanten Eradikation über 18%. Aufgrund fehlender stationärer Abstrichbefunde liegen bei 29% der Patienten keine Informationen zum Sanierungsergebnis vor. Bei weiteren 12% waren die Informationen aufgrund der fehlenden Informationen nicht eindeutig interpretierbar.
In einer multiplen logistischen Regression waren das Vorhandensein eines Katheders, ein Hautulcus, Hautinfektionen, bakterielle Zoonosen und andere schwerwiegende bakterielle Infektionen (auch Staphylokokkeninfektion!), eine Sepsis, andere Infektionen, Diabetes-Mellitus, Hydrozephalus/andere schwerwiegende Hirnschädigungen, Mukoviszidose, Bösartige Neubildungen der Lippe/Mundhöhle/Pharynx, Bösartige Neubildungen der Verdauungsorgane, Pulmonale Herzkreislauferkrankungen und Dekubitalgeschwüre mit einem erhöhten Risiko eines Misserfolgs assoziiert. Heimbewohnerstatus und die Anzahl bereits vorher durchgeführter MRSA Sanierungen waren ebenfalls mit einem erhöhten Risiko eines Sanierungsmisserfolgs assoziiert. Die entsprechenden ORs reichen von 1,1 bis 3,3. Die Diskriminationsfähigkeit des Gesamtmodells liegt mit einer Fläche unter der ROC-Kurve von 0,67 allerdings noch (knapp) unter der Grenze von 0,7 für eine akzeptable Diskrimination.
Diskussion. Die vorliegenden Befunde identifizieren verschiedene Patientenseitige Faktoren die mit einem erhöhten Risiko erfolgloser MRSA-Eradikationen assoziiert sind. Einige dieser Faktoren stellen jedoch gleichzeitig Risikofaktoren für MRSA-Infektionen und potentiell ungünstige Verläufen entsprechender Infektionen dar, sind somit Ausdruck eines erhöhten Bedarfs für eine MRSA-Eradikation. Für die niedergelassenen Ärzte könnte damit die Abwägung zwischen Erfolgswahrscheinlichkeit und Sanierungsbedarf eine Dilemma-Situation darstellen. In zukünftigen Studien sollte daher auch der langfristige klinische Nutzen ambulanter Eradikationen anhand klinischen Outcomes untersucht werden. Die Befunde weisen außerdem auf die Bedeutung des Zugangs zu sektorenübergreifenden Versorgungsdaten für eine aussagekräftige Versorgungsforschung über den Nutzen und den Erfolg entsprechender Therapien hin. Zukünftige Versorgungsanalysen zu ambulanten Eradikationen sollten außerdem soziale Risikofaktoren wie bspw. enge Wohnverhältnisse, weitere MRSA-Träger im sozialen Umfeld sowie stationäre Aufenthalte mitberücksichtigen. Diese sind in den hier ausgewerteten amulanten Versorgungsdaten nicht verfügbar.
Hintergrund
Der allgemeine Gesundheitszustand wohnungsloser Menschen ist schlecht. Nicht selten sind Wohnungslose von einer erhöhten Multimorbidität betroffen, was mitunter zu einem mittleren Sterbealter von 44,5 Jahren führt. Ursächlich dafür ist das Leben auf der Straße mit bestimmten Faktoren, wie Witterung, ungenügender Schlaf, mangelnde Hygiene, schlechte Ernährung, psychische oder Suchterkrankungen, aber auch soziale Einflüsse, wie fehlende Beziehungen, Gewalterfahrungen und unterbrochene Bildungs- und Berufsbiographien. Die medizinische Behandlung der wohnungslosen Menschen ist dadurch charakterisiert, dass es Zeit braucht bis ausreichend Vertrauen aufgebaut ist und z.B. auch ein Arztkontakt zu Stande kommt. Die Versorgung der Betroffenen findet häufig in ihrem Lebensumfeld, d.h. auf der Straße, statt. Selten werden die Patienten ein zweites Mal in der Praxis gesehen und nur vereinzelt kommt es zu einer erfolgreichen Vermittlung an einen weiterbehandelnden Arzt. Bei wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit gefährdeten Menschen bestehen auch bei vorhandener Krankenversicherung Barrieren, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Fragestellung
Im Rahmen eines vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg initiierten Modellprojekts wird versucht, über ein niederschwelliges Angebot ärztlicher Sprechstunden einen Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung dieser vulnerablen Gruppe zu leisten. Ziel des Modellprojekts, welches Anfang 2017 startete, ist es, den Zielpersonen einen Zugang zu den bestehenden Angeboten der medizinischen Regelversorgung zu ermöglichen und sie dauerhaft dort zu integrieren. An neun Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Land Baden-Württemberg werden regelmäßige ärztliche Sprechstunden angeboten und dadurch eine allgemein-medizinische Grund- und Erstversorgung der Betroffenen sichergestellt. Die wissenschaftliche Evaluation erfolgt mittels einer formativen Prozess- und einer summativen Ergebnisevaluation, was den Empfehlungen bei der Evaluation komplexer Interventionen entspricht. Untersucht wird, ob es gelingt, die Zielgruppe zu erreichen, wie Nutzer und beteiligte Einrichtungen das Angebot bewerten und inwieweit die Reintegration in die gesundheitliche Regelversorgung erreicht wird.
Methode
Mit einem mehrperspektivischen partizipativen Ansatz wird auf der Grundlage qualitativer und quantitativer Methoden (Mixed-Methods) eine Feldstudie durchgeführt, die die Wohnungs-losen, ihre Behandler in den Einrichtungen und Nachbehandler einbezieht.
Aufgeteilt ist die Studie in drei Bausteine:
• Evaluationsbaustein 1: Deskription der Umsetzung des Modellprojekts
• Evaluationsbaustein 2: Evaluation der Prozesse und der kurzfristigen Ergebnisse
• Evaluationsbaustein 3: Evaluation mittel- und langfristiger Ergebnisse
Der Datenzugang erfolgt über die Mitarbeiter in den Einrichtungen, die Wohnungslosen, und die Nachbehandler. Für jeden Patienten wird ein Patienten-Dokumentationsbogen eingesetzt, der die relevanten soziodemographischen, versorgungsbezogenen und medizinischen Merkmale der Nutzer erfasst. Allen Nutzern wird ein kurzer Fragebogen vorgelegt, mit dem das Angebot bewertet wird. Außerdem werden die Mitarbeiter der Einrichtungen, ausgewählte Wohnungslose und Vertreter der beteiligten Stadt- und Landkreise interviewt. Den häufigsten Nachbehandlern wird ein Fragebogen zugesandt, der nach der Wahrnehmung des Nutzens, der Arbeitsweise und der Vernetzung der Beratungsstelle in der Region fragt.
Zu erwartende Ergebnisse
Das Projekt wird u.a. Antworten auf folgende Fragen liefern:
• Wie setzt sich die Gruppe der betreuten wohnungslosen Menschen hinsichtlich soziodemographischer, medizinischer und versorgungsbezogener Merkmale zusammen?
• Inwieweit wird die Zielgruppe erreicht? Welche Barrieren und förderlichen Faktoren bestehen aus Sicht des Befragten?
• Wie gut funktionieren die auf das neue Angebot bezogenen Arbeitsprozesse in den Einrichtungen? Wo bestehen Probleme? Worauf sind diese vermutlich zurückzuführen?
• Inwieweit wird das Angebot von den Nutzern akzeptiert?
• Welchen Nutzen und Erfolg nehmen Wohnungslose, Behandler und beteiligte Stadt- und Landkreise wahr?
• Erfolgte eine Vermittlung in die medizinische Regelversorgung? Wie gut verlief dieser Übergang? Wie nehmen die Nachbehandler in der Regelversorgung den Nutzen des neuen Angebots wahr?
• Wie viele Klienten können eine Versichertenkarte vorweisen? In wie vielen Fällen ist zunächst eine Finanzierung über den Sozialhilfeträger erforderlich und wie stellte sich in diesen Fällen das Verfahren dar?
Diskussion und praktische Implikationen
Die abschließende Auswertung und Berichterstellung wird neben den evaluativen Daten Barrieren und Förderfaktoren einer erfolgreichen Umsetzung beschreiben und darauf basierend Empfehlungen zur Optimierung derartiger Versorgungsmodelle aussprechen.
Background
Acute respiratory distress syndrome (ARDS) is characterised by a life-threatening damage of lung parenchyma. Therefore, ARDS requires intensive care unit (ICU) treatment and mandatory mechanical ventilation. Survivors of ARDS often suffer from long term reduction of health-related quality of life (HRQoL) [1], impaired return to work (RtW) [2] and an increased prevalence of psychiatric sequelae like depression, anxiety and posttraumatic stress disorder (PTSD). Cohort studies reveal symptoms of PTSD in up to 29% [3] and symptoms of depression in 33% of ARDS survivors [4]. Taking a closer look at anxiety disorders, symptoms of generalised anxiety disorder are present in 40 % [4].
Research Questions
What is the prevalence of symptoms of PTSD, depression and panic disorder (PD) in a German cohort of ARDS survivors (DACAPO-cohort) and to what degree are HRQoL and RtW impaired?
Methods
The aim of the DACAPO-study is to determine the influence of quality of care on HRQoL and RtW. Within the scope of this study 1225 ARDS-patients were enrolled prospectively in 61 German ICUs. A variety of care-related, disease-related and socio-demographic variables were recorded at ICU-admission or diagnosis of ARDS, respectively. 457 out of 880 ICU survivors completed mailed self-report questionnaires at three months after discharge. Depression and PD were assessed by Patient Health Questionnaire (PHQ-D) which is based on the diagnostic criteria of the DSM-IV. PTSD was determined by Post-Traumatic Stress Syndrome 14-Questions Inventory (PTSS-14). For the PHQ-D a cut-off value of 5 indicates at least a latent depression. Patients exceeding the value of 31 in PTSS-14 questionnaire were considered at high risk for PTSD. HRQoL was assessed by the 12-Item Short Form Health Survey (SF-12). Data were analysed descriptively.
Results
Mean age of the 457 ARDS survivors who completed the follow up questionnaires was 53.8 (SD = 15.3) years. About two thirds (68.4%) were male. Before the onset of disease 46.2% of the respondents had been in full- or part-time employment. At three months after ICU discharge 78.8% lived at home again and 12.5% had returned to their previous employment, whereby 24.5% received retirement pension. Regarding HRQoL among ARDS survivors, the mean physical component summary score (M = 36.0; SD = 9.8) was lower than the mean mental health component summary score (M = 46.5; SD = 11.5). The mean depression summary score of the PHQ-D was 2.6 (SD = 3.5). Symptoms indicating at least a latent depression were present in 22% of the former ICU-patients. 42% of the ARDS survivors were at elevated risk of PTSD. According to the PHQ-D 5.3 percent displayed symptoms of a PD.
Discussion
Three months after ICU discharge the distribution of age and sex of the DACAPO-cohort is completely in accordance to other large ARDS-cohorts. Impairments in the physical component of HRQoL were markedly more pronounced compared to impairments in the mental HRQoL component. But taking a closer look at psychiatric disorders that are associated with critical illness and prolonged ICU-stay, especially the high proportion of ARDS-survivors at increased risk for PTSD is remarkably. This and the high prevalence rates of depression and PD are in accordance to other studies addressing the occurrence of psychiatric diseases in survivors of critical illness and ARDS.
Implications
The presence of reduced physical HRQoL in combination with frequent occurrence of incapacity to work and high prevalence of PTSD, depression and PD points out the need for specialised i) diagnostic, ii) curative and iii) rehabilitative health services in survivors of ARDS.
References
[1] Herridge MS, Tansey CM, Matte A, et al.: Functional disability 5 years after acute respiratory distress syndrome. N Engl J Med 2011; 364: 1293–30.
[2] Briegel I, Dolch M, Irlbeck M, et al.: Quality of results of therapy of acute respiratory failure: changes over a period of two decades. Anaesthesist 2013; 62: 261–70.
[3] Deja M, Denke C, Weber-Carstens S, et al.: Social support during intensive care unit stay might improve mental impairment and consequently health-related quality of life in survivors of severe acute respiratory distress syndrome. Crit Care 2006; 10: R147
[4] Bienvenu OJ, Colantuoni E, Mendez-Tellez PA, et al.: Cooccurrence of and remission from general anxiety, depression, and posttraumatic stress disorder symptoms after acute lung injury: a 2-year longitudinal study. Crit Care Med 2015; 43: 642–53.