Hintergrund: Neben der Verschwendung begrenzter Ressourcen unseres Gesundheitswesens schadet Überversorgung dem individuellen Patienten. In Anbetracht des Nachwuchsmangels an jungen Hausärzten und angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels wird die Fehlallokation von Ressourcen zu einer zunehmenden Bedrohung für unser Gesundheitswesen. Die Forschung zu Überversorgung ist fragmentiert und noch in ihren Anfängen. Auch die Operationalisierung des Begriffs Überversorgung ist schwierig. Die Treiber und Outcomes von Überversorgung sind nicht nur rein medizinischer Natur, sondern beinhalten ebenso kulturelle, ethische und ökonomische Aspekte. Um diesen Herausforschungen in der Forschung zu Überversorgung zu begegnen, haben wir ein breit aufgestelltes, regionales Kooperationsnetzwerk bestehend aus Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, aus Leistungserbringern und Kostenträgern gebildet.
Methoden: PRO PRICARE ist das Akronym für Preventing Overdiagnosis in Primary Care. Es ist ein Netzwerk bestehend aus sieben Instituten des Universitätsklinikums Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, dem Praxisverbund “Forschungspraxen Franken”, zu dem vier Praxisnetze aus dem städtischen und ländlichen Raum Nordbayerns gehören, sowie einem Verbund von Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. Die wissenschaftliche Koordinierungsstelle steht unter der Leitung des Allgemeinmedizinischen Instituts. Das Netzwerk wird mit 2.1 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das Netzwerk nahm seine Arbeit im Februar 2017 auf. Innerhalb der nächsten drei Jahre werden die folgenden Projekte durchgeführt: (1) Entwicklung eines ICF core sets zur Anwendung in der Hausarztpraxis um die Teilhabe am Leben und die Aktivitäten älterer und hochbetagter Mensch zu erfassen. Der Blick auf Ressourcen und nicht nur auf Krankheit soll helfen, nicht notwendige medizinische Interventionen zu reduzieren, (2) Entwicklung einer Schulungsintervention zu patientenzentrierter Kommunikation. Es soll geprüft werden, ob diese Intervention bei Patienten mit akuten unkomplizierten Kreuzschmerzen zu einer Reduktion nicht-notwendiger Diagnostik führt, (3) Untersuchung der Versorgungspfade von Patienten mit Schilddrüsenknoten zur Analyse des Ausmaßes an Überversorgung in diesem Bereich und um auslösende Faktoren dieser Prozesse zu verstehen.
Ergebnisse und Schlussfolgerung: Wir möchten die Struktur unseres Netzwerkes sowie die Studienprotokolle der drei Forschungsvorhaben und den aktuellen Projektstand vorstellen. PRO PRICARE soll einen wichtigen Beitrag zur Verhinderung von Überversorgung leisten. Das Ziel des Netzwerkes ist eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, Krankenkassen und praktizierenden Ärzten. Die Kooperation der verschiedenen Beteiligten des Gesundheitswesens soll helfen, unsere Ergebnisse in die Praxis zu übertragen.
Hintergrund
Patientenorientierung hat in den vergangenen Jahren sowohl in der Versorgungsforschung als auch in der Gesundheitspolitik zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das integrative Modell der Patientenorientierung, welches 15 Dimensionen umfasst, bildet eine gute Basis zur weiteren Erforschung der Patientenorientierung1. Allerdings ist dieses Modell bisher nicht aus Patientenperspektive evaluiert worden, so dass bisher unklar ist, welche Aspekte der Patientenorientierung für die Patientinnen und Patienten selbst besonders relevant sind. Dies ist allerdings wichtig, um die Implementierung einer patientenorientierten Versorgung voranzutreiben. Weiterhin braucht es für die Umsetzung einer patientenorienterten Versorgung psychometrisch geprüfte Messinstrumente zur Erfassung der Patientenerfahrungen (sog. patient-reported experience measures, PREM) in deutscher Sprache.
Fragestellung
Die Studie hat folgende Ziele: 1) Erfassung der Relevanz verschiedener Dimensionen der Patientenorientierung aus Patientenperspektive; 2) Entwicklung und psychometrische Überprüfung eines Kernsatzes patientenberichteter Erfahrungsmaße zur Messung der Patientenorientierung; 3) Untersuchung der Machbarkeit der Implementierung dieses Kernsatzes in der Routineversorgung.
Die Entwicklung des Kernsatzes patientenberichteter Erfahrungsmaße zur Erfassung von Patientenorientierung hat somit zum Ziel die von Patientinnen und Patienten erlebte Patientenorientierung in Versorgungsstrukturen messbar zu machen.
Methode
Es handelt sich um eine fünfjährige prospektive Studie, welche aus drei Phasen besteht und sowohl quantitative als auch qualitative Methodik verwendet (Mixed-Methods-Ansatz). Es werden Patientinnen und Patienten aus unterschiedlichen chronischen Erkrankungsgruppen (Krebserkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen, psychische Erkrankungen, muskuloskelettale Erkrankungen) untersucht. In Phase 1 wird die Patientenperspektive auf die Dimensionen der Patientenorientierung mittels einer Delphi-Befragung an einer Stichprobe von 200 Teilnehmern erfasst. In Phase 2 wird ein Kernsatz von patientenberichteten Erfahrungsmaßen unter mehrstufiger Einbindung verschiedener Akteure entwickelt und in einer Stichprobe von 2.000 Patienten in unterschiedlichen klinischen Settings psychometrisch überprüft. In Phase 3 wird die Nutzung des entwickelten Kernsatzes in der Routineversorgung untersucht und in einem Expertenworkshop erarbeitet, wie man den Kernsatz in der Routineversorgung implementieren kann.
Praktische Implikationen
Das entstandene und evaluierte Instrumente-Set kann im Sinne von Qualitätsindikatoren für eine patientenorientierte Versorgung genutzt werden. Durch die Prüfung der der Implementierbarkeit (z.B. in Qualitätssicherungs und –managmentsysteme, Definition nationaler Benchmarks, Einbindung in Zertifizierungssysteme) besteht die Möglichkeit für gesundheitspolitische Entscheidungsträger das Set zur Qualitätssicherung zu nutzen und Anreize für die Implementierung patientenorientierter Strukturen zu schaffen. So kann Patientenorientierung im deutschen Gesundheitswesen nachhaltig verankert werden. Das Set kann zudem in der Versorgungsforschung genutzt werden und zu einer Standardisierung der Erfassung von erlebter Patientenorientierung beitragen. Hierdurch kann sowohl die Qualität als auch die Vergleichbarkeit künftiger Studien verbessert werden.
Quelle
1. Scholl I, Zill JM, Harter M, Dirmaier J. An integrative model of patient-centeredness - a systematic review and concept analysis. PloS one. 2014;9(9):e107828.
Hintergrund: Nach einer Fokussierung zunächst auf die spezialisierte ambulante Versorgung wurde mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland“ (HPG) im Jahr 2015 die Bedeutung der Hausärzt/innen für die Versorgung in der letzten Lebensphase auch gesetzlich betont. Für die Förderung der allgemeinen Palliativversorgung in Deutschland wurden die Stärkung der Rolle von Hausärzt/innen und die Sicherstellung enger Kooperation mit spezialisierten Leistungserbringern als maßgebliche Prioritäten identifiziert. Allerdings bleibt bisweilen unklar, wie eine angemessene ambulante Versorgung am Lebensende durch Hausärzt/innen erbracht werden kann. Für die Entwicklung geeigneter Interventionen zur Optimierung allgemeiner ambulanter Palliativversorgung bedarf es weiterer wissenschaftlicher Fundierung.
Fragestellung: Das übergeordnete Ziel des Projektes ist es, die Rahmenbedingungen für eine allgemeine ambulante Palliativversorgung durch Hausärzt/innen zu verbessern. Spezifische Zielsetzung der aktuell ersten Projektphase ist die Exploration der Versorgung in der letzten Lebensphase durch Hausärzt/innen zur Beantwortung der folgenden Forschungsfrage: Welche Determinanten wirken auf die hausärztliche Palliativversorgung ein und wie können die identifizierten Einflussfaktoren die palliative Versorgung behindern oder fördern?
Methode: Um die Rahmenbedingungen und die Einbindung der hausärztlichen Palliativversorgung in die täglichen Abläufe in der Praxis zu verstehen, werden Methoden ethnographischer Forschung genutzt, d.h. es werden u.a. Hausärzt/innen begleitet, informelle Gespräche und leitfadengestützte Interviews mit Ärzt/innen sowie Praxispersonal geführt. Die Auswahl der Hausarztpraxen und Interviewpartner/innen erfolgt nach einem theoretischen Sampling. Von den Beobachtungen und informellen Gespräche werden (Feld-)Notizen am gleichen Tag, z.T. simultan, angefertigt, die im Nachhinein in Beobachtungsprotokolle überführt werden.
Aus einer vorhergehenden Längsschnittstudie wurden leitfadengestützte Interviews mit Hausärzt/innen zu je vier Zeitpunkten einer Sekundäranalyse zugänglich gemacht. Die Auswertung der Beobachtungsprotokolle und Interviews, aus denen im Folgenden Ergebnisse skizziert werden, erfolgt mittels Kodierverfahren nach Prinzipien der Grounded Theory.
(Vorläufige) Ergebnisse: Erste identifizierte förderliche und hinderliche Determinanten einer hausärztlichen Palliativversorgung können u.a. in folgenden Bereichen ausgemacht werden:
• Kommunikation zwischen Schnittstellen (z.B. unleserliche Dokumentation)
• finanzielle Anreize im Vergütungssystem (z.B. unzureichend Abrechnungsmöglichkeiten von Beratungsgesprächen zur Patientenverfügung)
• zeitliche Restriktionen (z.B. fehlende Abrechnungsmöglichkeit der Palliativziffern, da regelmäßige Hausbesuche nicht gewährleistet werden können)
• hausärztliches Rollenbild (z.B. Begleitung von Patient/innen bis zum Lebensende als Teil des beruflichen Selbstverständnisses)
• motivationale Faktoren (z.B. Dankbarkeit und mentale Unterstützung von Angehörigen)
• Vorstellungen über Patient/innen und Angehörige (z.B. die Auffassung, dass Patient/innen im häuslichen Umfeld sterben und dabei eine/n Ansprechpartner/in wünschen)
Diskussion: Vielfältige förderliche und hinderliche Determinanten wirken auf die hausärztliche Versorgung von Patient/innen in der letzten Lebensphase ein. Im Folgenden gilt es, weitere Einflussfaktoren zu identifizieren und ausgemachte Determinanten in übergeordnete Kategorien zu überführen, die einen wissenschaftlich fundierten Überblick über Versorgungsstrukturen und -prozesse in der palliativen Versorgung durch Hausärzt/innen geben. In der kommenden Projektphase soll mittels partizipativer Forschung ein maßgeschneidertes Interventionspaket entwickelt werden, das identifizierte Einflussfaktoren angemessen und langfristig beeinflussen soll. Welche Determinanten durch praxiserprobte Handlungsempfehlungen eine hausärztliche Palliativversorgung strategisch verbessern können, wird im weiteren Verlauf der Projektdurchführung erörtert.
Praktische Implikationen: Die Ergebnisse bilden die empirische Basis für das Verständnis der hausärztlichen Versorgung von Patienten am Lebensende und damit die Grundlage für deren systematische Weiterentwicklung auf versorgungspraktischer, politischer und finanzieller Ebene.
Hintergrund: Aufgrund des demographischen Wandels steigt die Zahl der Patientinnen und Patienten, die unter einer oder mehreren chronischen Erkrankungen leiden und infolgedessen auf eine komplexe medizinische und soziale Versorgung angewiesen sind. Die hieraus resultierenden Übergänge zwischen den verschiedenen Versorgungsinstitutionen erfordern eine umfangreiche Organisation, um aus medizinischer, finanzieller und persönlicher Sicht der Betroffenen zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen. Hierzu ist die Entwicklung hin zu einer wertbasierten, patientenzentrierten Versorgung notwendig, die den Patientennutzen - und nicht die Kosteneinsparung per se - als oberstes Ziel hat.
Fragestellung: Ziel des im Rahmen des Aktionsplans Versorgungsforschung des BMBF geförderten Verbundprojektes ist es, für die Modellregion Köln ein Kompetenznetzwerk aus Praxis und Forschung aufzubauen. Gefördert werden sollen der Austausch sowie die Forschung und Entwicklung von Versorgungsinnovationen nach dem Prinzip der lernenden Organisationen, um die medizinische und soziale Versorgung auf Basis einer patientenzentrierten und wertbasierten Versorgung zu verbessern.
Die übergeordnete Fragestellung, welche Versorgungsverläufe sich bei vulnerablen Patientengruppen in Köln ergeben und wie die Gestaltung und Ausrichtung von Versorgungsorganisationen die (Weiter-) Entwicklung einer patientenzentrierten und wertbasierten Versorgung dieser Patientengruppe unterstützen, wird aktuell von drei Projekten im Detail untersucht.
Methode: Die Etablierung des Netzwerkes erfolgt anhand von drei Projekten (LYOL-C, MenDis-CHD und OrgValue). Das Netzwerk basiert auf einer gemeinsamen Forschungsinfrastruktur, bestehend aus einer gemeinsamen Datenbank, die u.a. GKV-Routinedaten, Daten aus versorgungsbezogenen, sozialen und regionalen Statistiken sowie die Daten der einzelnen Projekte beinhaltet. Neben diesen drei Projekten sollen in CoRe-Net langfristig weitere Projekte angesiedelt werden. Diese erhalten die Möglichkeit, die bereits geschaffene (Daten-)Infrastruktur zu nutzen und darauf aufbauend weitere Fragestellungen mit Relevanz für die regionale Versorgung zu beantworten.
Das Projekt LYOL-C (Last year of life study in Cologne) erforscht indikationsunspezifisch das letzte Lebensjahr von in Köln verstorbenen Patienten und Patientinnen. Untersucht werden die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen sowie Anzahl und Gründe für Wechsel zwischen den Versorgern und deren Auswirkungen auf Betroffene.
Im Projekt MenDis-CHD (Quality of care regarding the detection and treatment of mental disorders in patients with coronary heart disease in Cologne) werden Patientinnen und Patienten mit Herzerkrankungen und komorbiden psychischen Erkrankungen untersucht.
Beide Projekte erforschen schwerpunktmäßig die unterschiedlichen Versorgungsverläufe, deren patientenzentrierte Ausrichtung und die Präferenzen und Wünsche von Patienten und Angehörigen. Hierzu werden die GKV-Routinedaten der kooperierenden Kassen ausgewertet, Interviews und Fokusgruppen sowie quantitative Befragungen durchgeführt.
Das Projekt OrgValue (Characteristics of Value-based Health and Social Care from Organizations’ Perspectives) untersucht als verbindendes, drittes Projekt die in den ersten beiden Projekten beteiligten Versorgungsorganisationen in Köln. Herausgestellt werden sollen der Status Quo sowie hemmende und förderliche Eigenschaften für eine patientenzentrierte, wertbasierte Versorgung. Ziel ist es, Diagnostik- und Feedbackinstrumente für Entscheidungsträger zu entwickeln, die eine patientenzentrierte und ressourcenorientiertere Versorgung fördern.
Die im Rahmen des Netzwerkes entstehenden Ansätze zur Verbesserung der Versorgungssituation werden in gemeinsamen Research & Dissemination Forschungsworkshops (weiter-)entwickelt.
Praktische Implikationen: Die Verknüpfung von Forschung und Praxis ermöglicht die Entwicklung von Instrumenten für die Etablierung einer wertbasierten Versorgung aus dem Inneren der Versorgungspraxis heraus. Hierdurch sind ein Fokus auf den Patientennutzen und die Ergebnisqualität und dadurch eine nachhaltige Kontrolle der Kosten möglich.
Hintergrund
Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat sich seit 2006 mit der Gründung des Center for Health Care Research (CHCR) die Versorgungsforschung (VF) als einer von fünf vom Wissenschaftsrat empfohlenen Forschungsschwerpunkten etabliert. Das CHCR ist ein Ko-operationsverbund des UKE, der Universität Hamburg und weiteren Partnern. Sein Ziel liegt in der Förderung und der Unterstützung der VF. Das CHCR war an zahlreichen BMBF-Förderungen der letzten Jahre mit Einzel- oder Verbundprojekten beteiligt. All diesen Vorhaben lag eine enge regionale, überregionale und/oder internationale Vernetzung mit Kooperationspart-nern zugrunde. Trotz der zahlreichen Initiativen gibt es bis heute Verbesserungspotentiale hin-sichtlich eines systematischen und nachhaltigen Austauschs in der Region. Eine hochwertige und praxisnahe VF, welche die Gesundheitsversorgung substantiell und nachhaltig verbessern soll, erfordert kontinuierliche und verlässliche Austausch- und Kommunikationsstrukturen zwischen allen am Versorgungsgeschehen Beteiligten.
Strukturausbau
Diese Erfahrungen und Erfordernisse führten zur Idee und Initiierung des „Hamburger Netz-werks für Versorgungsforschung (HAM-NET)“. Die BMBF-Förderung wurde mit Hilfe zahlrei-cher Unterstützer in der Hamburger Region federführend durch das CHCR eingeworben. Das übergeordnete Ziel von HAM-NET ist die Stärkung vorhandener und die Schaffung neuer Ver-sorgungsforschungsstrukturen in der Metropolregion Hamburg. Daraus ergeben sich für das Netzwerk folgende Aufgaben: 1) Initiierung nachhaltiger Zusammenarbeit und Verknüpfung der VF mit allen relevanten Akteuren, 2) Synergien zwischen Forschung und Versorgern, 3) Förde-rung von Forschungsaktivitäten und Eröffnung neuer Forschungsfelder, 4) Nutzung methodi-scher und klinischer Expertise sowie Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses.
HAM-NET umfasst bereits zum Start in 2017 über 30 Institutionen aus den Bereichen For-schung, Versorgung, Krankenkassen, Politik, Gesundheitswirtschaft und Patientenorganisatio-nen. Das Netzwerk wird von einem Sprechergremium und einem Vorstand geleitet und durch einen Koordinator unterstützt. Die regelmäßig einberufene Mitgliederversammlung gibt Gelegen-heit zum Austausch und zur Beratung. Neben klaren Strukturen und stetigen Austauschtreffen wird die netzwerkinterne Kommunikation durch einen Mailverteiler und einen Newsletter beför-dert. Nach Außen präsentiert sich das Netzwerk zum einen via Webseite und Logo (www.ham-net.de), zum anderen durch die Ausrichtung wiederkehrender Veranstaltungen (z.B. Symposien) und die Teilnahme an nationalen und internationalen Kongressen sowie Netzwerken der VF.
Im Rahmen des Netzwerks wurde ein übergreifendes Forschungsprojekt „Collaborative and Stepped Care in Mental Health by Overcoming Treatment Sector Barriers (COMET)“ entwickelt. COMET ist eine klinische Studie, die die Versorgung psychisch erkrankter Patienten in der am-bulanten Versorgung, die unter komorbiden depressiven, Angst-, somatoformen und/oder alko-holbezogenen Erkrankungen leiden, verbessern will. Hausärzte, Psychiater und Psychotherapeu-ten werden in Schulungen und durch eine integrierte Netzwerkbildung für den Umgang mit die-sen Patienten trainiert, evidenzbasierte und an Fachleitlinien orientierte Behandlungspfade wer-den umgesetzt, um die Wirksamkeit dieser fachlich verbesserten Versorgung zu überprüfen. Darüber hinaus gehört die BMBF-geförderte Nachwuchsgruppe „Assessment of Patient-Centeredness through Patient-Reported Experience (ASPIRED)“ zum Netzwerk. Sie wird in den kommenden fünf Jahren individuelle Messverfahren entwickeln, mit denen der Grad der patien-tenzentrierten Versorgung aus Sicht von chronisch erkrankten Patienten besser beurteilt werden kann.
Fazit & Ausblick
All diese Initiativen dienen dem Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur in der VF. HAM-NET stellt mit der Gründung eines offenen Forums für alle relevanten Institutionen die Weichen für die Bündelung der Interessen und Bedarfe in der VF und die Förderung und Durchführung innovativer, effizienter, bedarfs- und patientenorientierter Projekte in der Region, um so eine verbesserte und bedarfsgerechte VF und Gesundheitsversorgung in der Hamburger Region zu gewährleisten. Einen großen Schub erhält die Hamburger Metropolregion diesbezüglich auch durch die zahlreichen Antragserfolge im Rahmen des Innovationsfonds. Allein aus der ersten Förderperiode 2016 wurden ca. 30 Projekte mit Hamburger Konsortialführung oder Beteiligung bewilligt. Die Hamburger Region stärkt damit ihre Position als eines der führenden Zentren für Versorgungsforschung.
Hintergrund
Die Beanspruchung von Notaufnahmen und die Aufenthaltsdauer in der Notaufnahme bis zur Rückkehr in die Häuslichkeit oder bis zu einer stationären Aufnahme steigen seit Jahren kontinuierlich an. Dazu trägt der Anteil der Patientinnen und Patienten die einen akut-, aber nicht notfallmedizinischen Behandlungsbedarf haben, maßgeblich bei. Der Anreiz des jederzeitigen, niedrigschwelligen Zugangs und/oder des Versorgungsangebotes auf Krankenhausniveau ist für diese Patienten so groß, dass sie lange Wartezeiten und den Kontakt mit unbekannten Ärztinnen und Ärzten der Konsultation bei niedergelassenen Haus- oder Spezialärzten vorziehen. Mit dem demografischen Wandel steigt die Bevölkerungsgruppe alter und multimorbider Menschen an, von denen viele mit komplexen medizinischen und psychosozialen Problematiken ebenfalls Notaufnahmen als Erstanlaufstelle ihres medizinischen Versorgungsbedarfs nutzen.
Das aus beiden Nutzungstendenzen resultierende Crowding ist ein Symptom für Versorgungslücken im primären, sekundären und tertiären Versorgungssektor einschliesslich Pflegeheimen.
Fragestellung
Erforscht werden sollen exemplarisch die Versorgungsverläufe von Patientinnen und Patienten, die Notaufnahmen mit den folgenden Erkrankungsmustern aufsuchen: a) ambulant versorgte Patienten mit akuten und chronischen Atemwegserkrankungen, b) geriatrische Patienten mit Oberschenkelhalsbruch und c) kardial erkrankte Patienten mit möglichen psychischen Begleiterkrankungen. Diese drei Gruppen decken sowohl Patienten ab, die a) allgemeinärztlich versorgt werden könnten, b) eine komplexe Herausforderung der Versorgung nach der Entlassung darstellen und c) in der Komplexität ihrer Erkrankung unterdiagnostiziert sind. Ihre Versorgungs-, und Krankheitsverläufe werden auf Defizite ambulanter Versorgungsstrukturen (Ambulant Sensitive Erkrankungen) untersucht.
Methode
Ein Netzwerk aus allen acht Notaufnahmen einer Kommune mit ca. 350.000 Einwohnerinnen und Einwohnern wurde gegründet. In allen Notaufnahmen sollen etwa 1.700 Patientinnen und Patienten mit o.g. Krankheitsmustern zu ihrer Erkrankungsgeschichte, ihrem Nutzungsverhalten des Gesundheitssystems sowie zu psychosozialen Faktoren befragt werden. Mit einer Untergruppe werden ergänzend ausführliche qualitative Interviews geführt, die die subjektiven Gründe zur Inanspruchnahme der Notaufnahme sowie zur Nutzung der anderen Anbieter des Gesundheitswesens vertieft erheben. Fokusgruppeninterviews mit pflegerischem und ärztlichem Personal werden durchgeführt, um die Erkenntnisse aus den Patienteninterviews um die Expertenperspektiven zu erweitern.
Neben der Primärdatenerhebung ist eine Sekundärdatenanalyse aller geschätzt etwa 30.000 Patienten eines Jahres mit den entsprechenden Erkrankungen geplant, die anhand ihrer ICD-Codes identifiziert werden. Zusätzlich sollen Routinedaten von den ca. 11.000 AOK versicherten Patientinnen und Patienten vor und nach dem Indexaufenthalt in einer der Notaufnahmen mit Daten der stationären und krankenhausgebundenen ambulanten Notfallversorgung verknüpft werden.
Mit diesen Daten werden Informationen über die Nutzungsstrukturen erhoben, die aufzeigen, wie häufig und mit welchem zeitlichen Zusammenhang niedergelassene Praxen oder Notaufnahmen konsultiert werden und inwieweit Einrichtungen der ambulanten oder stationären Kranken- und Gesundheitsversorgung (u.a. Pflegeeinrichtungen, Sozialdienste oder Physiotherapie) beansprucht werden.
Ergebnisse und Diskussion
Zum Zeitpunkt der Einreichung des Abstracts ist das Netzwerk der Notaufnahmen gegründet und die Strukturen einer auf Dauer angelegten Zusammenarbeit sind aufgebaut.
Die Patientenbefragungen beginnen im Juni 2017. Erste Ergebnisse zum Rekrutierungsprozess (Teilnahmebereitschaft, Anzahl befragter Notaufnahmepatienten, Soziodemographie, aktuellen Beschwerden und Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen vor Besuch der Notaufnahme der rekrutierten Patienten) werden präsentiert.
Der Strukturaufbau eines auf Dauer angelegten Netzwerkes aus Notaufnahmen heterogener Trägerschaften (freigemeinnützig, konfessionell, Bundesträgerschaft, universitär) mit unterschiedlichen Versorgungsgraden wird präsentiert und diskutiert.
Praktische Implikationen
Die Forschungsergebnisse werden Patientenbedarfe derzeitigen Versorgungsangeboten des Gesundheitswesens gegenüber stellen. Damit werden in einer Netzwerksstruktur Informationen für ein Forschungsthema gewonnen, zu dem in Deutschland erst wenige Daten vorliegen. Auf Grundlage dieser Ergebnisse sollen Interventionen geplant und durchgeführt werden, die eine patientenorientierte Anpassung und Optimierung des Ressourceneinsatzes des Gesundheitswesens ermöglichen. Langfristiges Ziel ist eine sektorenübergreifende, am tatsächlichen Bedarf der Patienten orientierte Anpassung der Versorgungsstrukturen an die Herausforderungen des demografischen Wandels, der tatsächlichen Verfügbarkeit ambulanter Angebote und der gesellschaftlichen Entwicklung.
Hintergrund
Das Lebensende geht für die meisten Menschen mit vielfältigen Belastungen einher, die in unterschiedlichem Maße das Wohlbefinden des Einzelnen beeinflussen und zum subjektiv erlebten Leid beitragen können. Neben einer Vielzahl belastender körperlicher Symptome, die meist mit einer primären fortgeschrittenen Erkrankung zusammenhängen, erfahren Personen am Lebensende auch unterschiedlichste psychosoziale Belastungen und existentielles Leid, wie z.B. Ängste bei der Auseinandersetzung mit Themen zu Sterben und Tod. Insbesondere im letzten Lebensjahr sind die Versorgungsverläufe durch große Unruhe gekennzeichnet, da häufig unterschiedliche medizinische und soziale Einrichtungen frequentiert werden müssen. Valide Daten zu den Versorgungsverläufen und -übergängen dieser als besonders vulnerabel einzustufenden Patientengruppe fehlen bisher.
Fragestellung
Das Projekt LYOL-C erforscht indikationsunspezifisch das letzte Lebensjahr von in Köln verstorbenen erwachsenen Patientinnen und Patienten. Dabei werden die Versorgungsleistungen, Anzahl und Gründe für Wechsel zwischen den Versorgern sowie Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten untersucht.
Methode
Die Datensammlung erfolgt anhand eines mixed methods-Ansatzes. i) Routinedaten verschiedener gesetzlicher Krankenkassen werden analysiert. Anhand der Daten ist eine Vollerhebung aller Verstorbenen der teilnehmenden Kassen möglich mit einer Abdeckung von ca. 55 % der Kölner Bevölkerung. ii) Mittels Fragebogen wird die Versorgung im letzten Lebensjahr aus Perspektive der Angehörigen und Nahestehenden (n=400) einer in Köln verstorbenen Person analysiert. Die Rekrutierung erfolgt in Kooperation mit Partnern aus der Kölner Versorgungspraxis (u.a. Palliativ- und Hospiznetzwerk, Patientenvertreter, Hausarztpraxen, Pflegeeinrichtungen, Kirche) und durch Anzeigen in digitalen sowie Printmedien. Eingesetzt wird ein postalisch zu verschickender Fragebogen, der sich aus einer deutschen validierten Version des VOICES (Views of Informal Carers – Evaluation of Services), Items einer adaptierten Version des PACIC (Patient Assessment of Chronic Illness Care) sowie eigenen Items zusammensetzt. Die Datenauswertung erfolgt mit SPSS. iii) Mit einer Teilpopulation (n=40-60) der befragten Angehörigen und Nahestehenden werden qualitative, leitfadengestützte Interviews geführt. Das Sampling erfolgt anhand der in Phase (i) und (ii) analysierten häufigsten Versorgungsverläufe, Sterbeort, Diagnose, Wohnsituation, Alter und Geschlecht. Die Datenauswertung lehnt sich an Fisseni an und folgt Flicks qualitativer Inhaltsanalyse. iv) Qualitative Fokusgruppen (n=3-5) werden mit Leistungserbringern zur Versorgung im letzten Lebensjahr durchgeführt, um z.B. Herausforderungen in der Versorgung zu diskutieren. Absichtsvolles Sampling wird angewandt. Durchgeführt werden die Fokusgruppen in Kooperation mit dem CoRe-Net-Teilprojekt OrgValue. Das Software-Programm MAXQDA wird für die qualitative Datenauswertung (Phase iii und iv) verwendet und unterstützt die systematische Auswertung und Interpretation von Interviewtranskripten.
Ergebnisse
Es werden die Versorgungsverläufe im letzten Lebensjahr von in Köln verstorbenen erwachsenen Personen retrospektiv dargestellt. Die generierten Daten umfassen Angaben zu: Versorgungsort, Anzahl und Wechsel zwischen Versorgern, Kommunikation zu Themen am Lebensende, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Versorgung in den letzten Lebensmonaten, Sterbeort und -phase, Wünsche und Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten, Qualität der Versorgung. Des Weiteren sollen Optimierungsmöglichkeiten zur z.B. Modifikation von Behandlungsabläufen, Transparenz bei Versorgungsübergängen, Verringerung von Belastungen für die Patientinnen, Patienten und Angehörigen sowie zur nutzenorientierten (value-based) Ausnutzung der Ressourcen aufgezeigt werden.
Diskussion
Der Faktencheck für Gesundheit der Bertelsmann-Stiftung 2015 stellte bereits heraus, dass Versorgungsstrukturen großen Einfluss auf den Sterbeort haben und nur jeder dritte Sterbende eine notwendige Palliativversorgung erhält. Auch demonstrierten zahlreiche Studien bei Einbezug palliativmedizinischer Versorgung konsistent eine Kostenersparnis. Mit der vorliegenden Studie wird zum ersten Mal in Deutschland die Versorgung von Patientinnen und Patienten im gesamten letzten Lebensjahr dargestellt. Die Stadt Köln ist dabei repräsentativ für die Versorgung in deutschen Ballungszentren.
Praktische Implikationen
LYOL-C betrachtet insbesondere auch jene Menschen, die keine Versorgung durch Hospiz- und Palliativdienste erhielten. Die Erkenntnisse zur Versorgungs- und Lebensqualität können dazu beitragen, Menschen im letzten Lebensjahr eine an ihren Bedürfnissen orientierte Behandlung und Betreuung zu ermöglichen bei der sie im Mittelpunkt stehen.
Hintergrund: Die große Mehrzahl der Menschen, die unter einer psychischen Störung leiden, wird ausschließlich in der Hausarztpraxis behandelt. Die im Rahmen des Aktionsplans Versorgungsforschung geförderte BMBF-Nachwuchsgruppe PROVIDE hat daher zum Ziel, die psychosoziale Versorgung von Patienten mit depressiven und/oder Angststörungen in der Hausarztpraxis zu verbessern. Angesichts der steigenden Zahl an multimorbiden Menschen mit psychischen Störungen, die keine adäquate Behandlung bekommen, sind innovative Versorgungsformen vonnöten. Unter dem Begriff integrated behavioral health in primary care hat sich die Behandlung von psychischen Störungen durch Psychotherapeuten in der Hausarztpraxis (im Sinne eines Konsildienst-Modells) als eine effektive Form der Breitenversorgung erwiesen. Allerdings ist dieses Versorgungsmodell in kleinen und ländlichen Praxen ressourcenbedingt oft schwer zu verwirklichen. In PROVIDE sollen daher psychotherapeutische Videokonsultationen in der Hausarztpraxis eingeführt werden. Diese Konsultationen beinhalten hauptsächlich Diagnostik, Behandlungsplanung und Krisenintervention oder Kurzzeitpsychotherapie.
Fragestellungen:
- In Phase 1: Welche Voraussetzungen werden an ein auf psychotherapeutische Videokonsultationen basiertes Versorgungsmodell für Patienten mit psychischen Störungen in der Hausarztpraxis gestellt?
- In Phase 2: Inwieweit lassen sich psychotherapeutische Videokonsultationen bei der Versorgung von Patienten mit psychischen Störungen in die Hausarztpraxis im Rahmen einer Machbarkeitsstudie implementieren?
- In Phase 3: Steigert die Behandlung von psychischen Störungen durch psychotherapeutische Videokonsultationen in der Hausarztpraxis eine leitlinienkonforme Diagnostik und Therapie im Vergleich zur Routineversorgung?
Methodik: PROVIDE umfasst drei Studienabschnitte: eine Bedarfsanalyse, eine Pilotstudie und eine große Implementierungsstudie. Im ersten Studienabschnitt erfolgt über eine Sekundärdatenanalyse die Charakterisierung von unterversorgten Patienten als Zielgruppe. Zusätzlich werden Patienten und alle an der Versorgung beteiligten Akteure (Patienten, Hausärzte, Medizinische Fachangestellte, Psychotherapeuten, gesundheitspolitische Entscheidungsträger) zu Hindernissen, förderlichen Faktoren sowie Kernbestandteilen einer auf Videokonsultationen basierten Intervention befragt. Im zweiten Studienabschnitt wird auf Basis der Bedarfsanalyse die PROVIDE-Intervention maßgeschneidert spezifiziert. Diese Intervention wird dann in einigen Hausarztpraxen pilotiert und bzgl. Machbarkeit evaluiert. Im dritten Studienabschnitt wird das weiter optimierte Interventionsmodell in einer cluster-randomisierten Studie regional in insgesamt 19 Praxen implementiert und evaluiert. Primärer Zielparameter bei der Implementierung ist der Umfang, in dem eine adäquate psychosoziale Versorgung in der Routine stattfindet.
Ergebnisse: Erste Ergebnisse zur Bedarfsanalyse in Phase 1 werden für Herbst 2017 erwartet. Im Einzelnen soll dann eine Charakterisierung der Zielgruppe vorliegen sowie Erkenntnisse zu
- Current practice: aktueller Versorgungsalltag von Patienten mit psychischen Störungen in der Hausarztpraxis im Alltag (insb. im Hinblick auf Unter-/Überversorgung)
- Acceptability: Bedarf an niederschwelliger fachärztlich-psychotherapeutischer Versorgung und Bereitschaft zur Implementierung (Problembewusstsein und readiness for change)
- Appropriateness: Umsetzungspotential, Kompatibilität sowie notwendige Adaptionen und Kernelemente des vorgeschlagenen PROVIDE-Behandlungsmodells
- Feasibility: mögliche Barrieren und förderliche Faktoren für die Implementierung
vorliegen, die auf per mixed methods bei den Akteursgruppen erhobenen Daten basieren. Der Beginn der interventionellen Pilot-Studie ist dann für Frühjahr 2018 geplant.
Praktische Implikationen: Die Nachwuchsgruppe wird zum einen belastbare Ergebnisse zu Ausgangs- und Rahmenbedingungen für die Implementierung von Videokonsultationen zwischen Patienten mit depressiven und/oder Angststörungen und Versorgern in der Hausarztpraxis auf der einen und Psychotherapeuten auf der anderen Seite liefern. Zum anderen wird sie ein entsprechendes Versorgungsmodell auf Basis der Prä-Implementierungsphase spezifizieren und anschließend in wenigen Praxen pilotieren. Schließlich wird eine regional großflächig angelegte konfirmatorische Studie realisiert, die primär Implementierbarkeit des maßgeschneiderten Versorgungsmodells und sekundär dessen therapeutische Effektivität prüft. Während des gesamten Projektes wird eine systematische Disseminationsstrategie zur breiten und praxisnahen Bekanntmachung der Ergebnisse verfolgt.
Hintergrund
Gesundheitssysteme stehen vor der großen Herausforderung, bei knappen Ressourcen Patientenversorgung so zu erbringen, dass sie sich an den Bedarfen und Präferenzen der Patienten orientiert. Verschiedene Studien zeigen, dass die Gesundheitsversorgung jedoch eher vom Angebot gesteuert wird und die Patientenzentrierung häufig auf der Strecke bleibt. Aus diesem Grund zielt Value-based Care auf die Umgestaltung von Versorgungsprozessen und -strukturen hin zu mehr Patientenzentrierung bei gleichzeitigem Kostenbewusstsein ab. Das Forschungsprojekt OrgValue ist eines von drei Teilprojektes des Verbundprojektes Cologne Care Research and Development Network (CoRe-Net), das im Februar 2017 gestartet ist.
Fragestellung
Nach Porter et al. (2013) sollte sich die Umgestaltung von Versorgungsorganisationen hin zu Value-based Care aus den Organisationen selbst heraus entwickeln. Zur Umgestaltung auf organisationaler Ebene gehören intraorganisationale Kooperation und Koordination der Versorgung sowie Strukturen und Prozesse wie z. B. Informationstechnologie, Führung/Management, Werte und Kultur. Daraus ergeben sich folgende Ziele des Forschungsprojektes OrgValue: (1) die Untersuchung des Implementierungsstandes von Patientenzentrierung und Ressourcenorientierung in Versorgungsorganisationen, (2) die Identifizierung der organisationalen Barrieren und Förderfaktoren der Implementierung in Versorgungsorganisationen und (3) die Entwicklung diagnostischer Instrumente und Generierung von Daten zum Zweck des organisationalen Lernens in Versorgungsorganisationen.
Methode
OrgValue untersucht alle Organisationstypen, die an der Versorgung von vulnerablen Patienten in der Stadt Köln beteiligt sind in einem Mixed-Method-Ansatz. Das Projekt besteht aus verschiedenen Teilen. (1) In einer qualitativen Erhebung werden semistrukturierte Einzelinterviews mit je drei Entscheidern aller relevanten Organisationstypen durchgeführt: Kliniken, niedergelassene Praxen, Pflegeeinrichtungen, Hospize, ambulante Einrichtungen und Rehakliniken (n=18). (2) In einer weiteren qualitativen Erhebung werden Fokusgruppen-Interviews mit Patienten durchgeführt (n = 3), um das Verständnis von Patientenorientierung aus Sicht von Patienten zu definieren. (3) Auf Basis der Interviewergebnisse wird ein Diagnostikinstrument zur quantitativen Befragung der Entscheider in allen beteiligten Versorgungsorganisationen in der Stadt Köln entwickelt. (4) Mit diesem Instrument wird eine quantitative Befragung von Entscheidern aller relevanten Versorgungsorganisationen (ca. n=1400) in der Stadt Köln hinsichtlich des Implementierungsstatus der patienten- und ressourcenorientierten Versorgung befragt. Außerdem werden die Perspektiven der Entscheider hinsichtlich förderlicher und hinderlicher Implementierungsfaktoren sowie Organisations- und Personalentwicklungsansätzen erhoben. In einer Machbarkeitsstudie werden die Organisationen zudem nach objektiven wirtschaftlichen Leistungsdaten befragt. (5) Zur Förderung des organisationalen Lernens werden die Ergebnisse des Projektes den teilnehmenden Versorgungsorganisationen in leicht handhabbaren Formaten bereitgestellt, die außerdem als Instrumente zur Organisationsdiagnostik und -entwicklung eingesetzt werden können.
Zu erwartende Ergebnisse
Die Ergebnisse der einzelnen Datenerhebungen in OrgValue und insbesondere deren Verbindung können relevante Einsichten in das organisationale Verhalten von Versorgungsorganisationen bei der Gestaltung von patientenorientierter und gleichzeitig ressourcenorientiert Versorgung geben. Im Einzelnen liefert das Projekt zum einen Ergebnisse zu dem Status Quo der Implementierung patientenzentrierter und wirtschaftlicher Versorgung in Versorgungsorganisationen der Stadt Köln aus Sicht von Entscheidungsträgern und Patienten. Zum anderen werden organisationale Barrieren und Förderfaktoren sowie die organisationale Veränderungsbereitschaft in Richtung Value-based Care identifiziert und daraufhin diagnostische sowie Feedback-Tools zur Selbstbewertung der Versorgungsorganisationen entwickelt. Die Forschungsergebnisse sollen als Input für organisationales Lernen und Entwickeln in und zwischen Versorgungsorganisationen genutzt werden. Die Ergebnisse der qualitativen Studien mit Entscheidern und Patienten sind Ende 2017 zu erwarten.
Hintergrund
Patienten mit chronischen Erkrankungen und vor allem Patienten mit Multimorbidität stehen vor dem Problem, in einem hochspezialisierten und zugleich fragmentierten Versorgungssystem mit einer Vielzahl an Versorgern die für sie jeweils optimale Versorgung zu finden. Logistische, psychosoziale und ökonomische Probleme sind bei altersassoziierten Erkrankungen häufig und erschweren den Zugang sowie die Therapieadhärenz. Persönliche Präferenzen innerhalb komplexer Therapieschemata und Krankheitsverläufe sind maßgeblich für Therapieerfolg und Lebensqualität.
Fragestellung
Mit NAVICARE soll ein aktives und nachhaltiges Kooperationsnetz für patientenorientierte Versorgungsforschung etabliert werden. Das Ziel ist die Analyse und Reduktion von Barrieren und Ungleichheiten in der Versorgung von Patienten mit altersassoziierten Erkrankungen. Dazu wird der Frage nachgegangen, welche Barrieren „optimaler“ Versorgung Patienten und die am Versorgungsgeschehen Beteiligten Personengruppen sehen. Die Übertragbarkeit des im US-amerikanischen Raum verbreiteten Modells der „Patientennavigatoren“ wird geprüft. Patientennavigatoren unterstützen Patienten über die Grenzen der üblichen Versorgungsstrukturen und während des gesamten Prozesses einer Erkrankung bei der „Navigation“ durch das Versorgungssystem. Zu definieren sind Ausbildung, Rolle, Aufgaben, und professionelle Verankerung von Patientennavigatoren sowie deren Zielgruppen und Zugangswege zu diesen.
Methode
Zunächst wird „optimale Versorgung“ aus der Perspektive von Patienten sowie der Perspektive von ärztlichen und nichtärztlichen Versorgern und Stakeholdern betrachtet. Mehrere Forschergruppen untersuchen gemeinsam Barrieren und Ressourcen optimaler Versorgung aus diesen unterschiedlichen Perspektiven, identifizieren vulnerable Patientengruppen sowie im Großraum Berlin existierende Ressourcen, die Patienten bei der Navigation durch das Versorgungssystem unterstützen. Im Fokus stehen dabei multimorbide Patienten in der allgemeinärztlichen Versorgung, sowie zwei altersassoziierte Erkrankungen, Lungenkrebs und Schlaganfall. Für diese beiden Erkrankungen wird ein Patientennavigator-Modell entwickelt und in einer ersten Pilotstudie hinsichtlich Machbarkeit und Akzeptanz überprüft.
Ergebnisse
Das Hauptergebnis der ersten Förderphase ist die Entwicklung eines Patienten-Navigations-Modells, welches als patientenzentriertes Versorgungsmodell Patienten bei der Steuerung durch das fragmentierte Versorgungssystem unterstützen soll. Dieses soll in einer weiteren Förderphase in der Praxis evaluiert werden.
Diskussion
Weiterhin existieren eine Reihe an Barrieren und Ungleichheiten in der Versorgung von Patienten mit altersassoziierten Erkrankungen. Ebenso werden Patienten-Präferenzen häufig nicht ausreichend in Entscheidungsprozesse miteinbezogen.
Praktische Implikationen
Die Entwicklung innovativer Versorgungsmodelle kann dazu beitragen, bestehende Lücken in der Versorgung – vor allem älterer Menschen mit häufig bestehender Multimorbidität – zu verringern.
Background
Mobility limitations have a multitude of different negative consequences on the older adult including decreasing opportunities for social participation, increasing the risk for morbidity and premature death. However, current health care has several shortcomings regarding mobility limitations of older adults, namely a narrow focus on the underlying pathology, fragmentation of care across services and health professions, and deficiencies to personalize care based on patients’ needs, experiences and preferences. A comprehensive health care strategy targeted at mobility of older adults is still missing.
Objectives
To reduce the burden of disability in older adults, the evidence-based health care research network MobilE-Net therefore has the thematic objective to develop multi-professional care pathways targeted at mobility and social participation. Evidence-based health care (EBHC) strives to use best evidence when delivering health care and services. However, evidence is often not integrated into practice; for the complex problem of mobility, simplistic descriptive and narrative research approaches might be rejected because of their restricted relevance. To face these limitations and to implement EBHC research on a larger scale, MobilE-Net has the structural objective to provide the formal and methodological basis for an EBHC research cycle.
Methods/practical Implications
MobilE-Net includes the following steps: We plan (1) to analyze current care practice and patient trajectories with objective instruments and tools, using two model health conditions as a case in point, (2) to formulate aims and frameworks of the investigated care options integrating the patients’ and providers’ perspectives, (3) to develop interventions and care pathways targeted at patients’ mobility and social participation, (4) to use appropriate, controlled designs to investigate cost and effectiveness of new care strategies across sectors, (5) to collaborate with all necessary local health care providers and stakeholders to bring new strategies into practice, and (6) eventually, to evaluate the consequences of the implementation in real life which may imply the need to rethink and optimize strategies, and to re-enter the cycle. While this proposal for an initial funding period of 3 years includes steps (1) to (5) (the developmental part of the cycle), step (6) (the confirmatory part of the cycle) builds on this collaboration experience and will be addressed at a later stage. The ultimate goal and vision is to reconsider and advance a more active and cooperative role of all health professions within the German health care system to realize the full potential of social participation in older adults. The network is based on the strong methodological expertise of the involved researchers from the fields of epidemiology, biostatistics, public health, general practice, specialized medicine, health economics, nursing science, physical therapy and movement science. To facilitate immediate clinical impact, translation and implementation, this network also comprises various clinical partners including primary care, acute and post-acute facilities, statutory health insurances, and health professionals’ organizations, and is endorsed by the Health Authorities. MobilE-Net will provide a multidisciplinary research, cooperation and communication platform with flat hierarchies and transparent decision making that offers attractive career opportunities for young researchers as well as a structured education program for health care research that can be entered at any stage of a professional or academic career.
Im Zuge der Digitalisierung werden mehr und mehr Behandlungsdaten digital verfügbar und bieten großes Potential zur Verbesserung von Forschungsmöglichkeiten und Patientenversorgung. Dieses wird derzeit jedoch nicht ausgeschöpft, da (a) Daten nicht hinreichend beschrieben sind, um über den unmittelbaren Erhebungskontext hinaus sinnvoll interpretierbar zu sein, (b) in heterogenen nicht kompatiblen Datenformaten vorliegen und (c) ethische und rechtliche Fragen zur Nutzung der Daten zum Teil noch ungeklärt sind. Neben der Erschließung stellt auch das Management der immer größer werdenden Menge an medizinisch relevanten Daten Forschung und Versorgung vor Herausforderungen. Ziel des BMBF Förderkonzepts Medizininformatik ist es, diese Herausforderungen durch den Aufbau von IT-Lösungen zu bewältigen. Dazu werden Konsortien gefördert, deren Ziel es ist, Daten, welche an den Standorten des Konsortiums in der Versorgung erhoben werden, zu erschließen, zu beschreiben, zu extrahieren und für die weitere Verwendung in Forschung und Versorgung aufzubereiten. Eines der Konsortien ist das aus den Universitätsklinika Hamburg-Eppendorf, Schleswig-Holstein, Dresden und der Universitätsmedizin Greifswald bestehende share-it! Konsortium.
share-it! verfolgt drei zentrale Ziele:
1. Aufbau einer interoperablen und skalierbaren Infrastruktur zur standortübergreifenden Datennutzung,
2. Verbesserung der Versorgung in klinisch relevanten Use Cases, und
3. Qualifikation der zukünftigen Nutzer und Betreiber durch Einrichtung neuer Professuren und Auf- und Ausbau standortübergreifender innovativer Lehrkonzepte im Bereich der Medizininformatik.
Die konzeptionelle Arbeit ist in thematischen Arbeitsgruppen organisiert, die von den komplementären Expertisen der Standorte profitieren. Die Gruppen adressieren insbesondere:
• Konzeption und Aufbau einer flexiblen IT-Infrastruktur
• Klärung ethischer Fragestellungen im Kontext der Speicherung von Versorgungsdaten und der Aufbewahrung von Restbiomaterialien
• die hinsichtlich Ethik und Datenschutz abgesicherte Nutzung von Daten und Restbiomaterialien für die Forschung
• Nutzung der erhobenen Daten in klinisch relevanten Use Cases
• Stärkung der akademischen Medizininformatik in Aus- und Weiterbildung
Der Infrastrukturaufbau erfolgt auf zwei Ebenen:
1. Aufbau standortspezifisch ausgestalteter Datenintegrationszentren.
2. Etablierung einer föderierten, alle Standorte anschließenden Infrastruktur zum Datenaustausch (z.B. föderierte Treuhandstelle und Transferstelle).
Als Grundlage für die Datenerhebung kommt ein von share-it! mitentwickelter modularer Klinikkonsent auf Basis der Erfahrungen aus der NAKO Gesundheitsstudie und dem AK-EK zum Einsatz. Die anschließende Nutzung der Daten folgt einer Nutzungsordnung, die basierend auf den Vorerfahrungen aus SHIP (Greifswald), P2N (Kiel) und NAKO entwickelt wurde und fair und transparent die Interessen der verschiedenen Stakeholder (Patienten, Ärzte, Forscher) ausbalanciert.
Der Nachweis des Nutzens für Forschung und Versorgung erfolgt entlang zweier Zeitschienen:
• Innerhalb der ersten 4 Jahre bei der Optimierung des Antibiotikaeinsatzes sowie der frühzeitige Erkennung von Komplikationen in der Intensivmedizin
• In der 8-15-Jahres Perspektive bei der bildgestützten Behandlungsplanung in der Strahlentherapie sowie der Individualisierung der Biologikatherapie bei Psoriasis.
Zur Stärkung der Medizininformatik werden an allen Standorten neue Professuren eingerichtet und in die Arbeiten des Konsortiums einbezogen, sowie Lehrprogramme entwickelt, die auf den vorhandenen Expertisen aufbauen.
Der föderierte Infrastruktur-Ansatz erlaubt einen einfachen Anschluss weiterer Partner, da die “Übersetzung” in die vereinbarten Einheiten und Formate erst auf der föderierten Ebene erfolgt. Somit entfällt die Notwendigkeit tiefgreifender Anpassungen des Datenmodells eines Standortes.
Der modulare Konsent verspricht eine hohe Akzeptanz bei den Patienten und schafft somit die entscheidende Grundlage für den Erfolg des Vorhabens. Um eine hohe Akzeptanz bei den beteiligten Ärzten und Forschern zu erreichen, sind der direkte Versorgungsnutzen in den Use Cases und die hohe Transparenz der entwickelten Nutzungsordnung maßgeblich.
Nicht zuletzt werden die neuen Professuren und Lehrkonzepte wesentlich zur Verstetigung und Nutzung der aufgebauten Infrastrukturen beitragen und eine langfristige Nutzung der Daten gewährleisten, indem die notwendigen Kompetenzen in Betrieb und Nutzung der Infrastruktur frühzeitig in der Ausbildung von Medizinern und Medizininformatikern vermittelt werden.
Durch den Infrastrukturaufbau werden perspektivisch alle klinischen Datenquellen an einem Standort erschlossen und erlauben somit eine umfassende Abbildung der Versorgung jedes Patienten. Dies, zusammen mit den hohen Fallzahlen durch die Kombination vergleichbarer Daten mehrerer beteiligter Standorte erlaubt neben der Bearbeitung spezialisierter Forschungsfragen auch eine verstärkte Individualisierung der Therapie.