Hintergrund
Angeborene Fazialisparesen können im Rahmen von Syndromen oder aus geburtstraumatischer Ursache auftreten. Die Inzidenz wird auf 1/160 Lebendgeburten geschätzt. Die Spontanheilungsrate beträgt in den nicht-syndromalen Fällen 90% innerhalb des ersten Lebensjahres. Die übrigen Patienten mit persistierender angeborener Fazialisparese (PAF) benötigen jedoch rekonstruktive chirurgische Therapien. Welcher Eingriff für den individuellen Patienten geeignet ist, hängt vom Ausmaß der Lähmung und dem Alter zum Zeitpunkt der Operation ab.
Ziele
Ziel dieser Studie ist es, geeignete rekonstruktive chirurgische für Patienten mit PAF zu beschreiben, in Abhängigkeit von Patientenalter und Ausmaß der Parese.
Methoden
Die retrospektive Untersuchung schloss Patienten mit AF ein, die zwischen 2005 und 2017 ein rekonstruktives chirurgisches Verfahren an unserer Klink erhielten. Die jeweiligen angewandten Verfahren wurden hinsichtlich der funktionell-ästhetischen Ergebnisse nachuntersucht.
Ergebnisse
Zwischen 2005 und 2017 wurden an unserer Klinik 23 Patienten mit PAF operiert. 7 Patienten zeigten eine vollständige PAF, 16 zeigten eine partielle PAF. Bei 7 Patienten lag eine syndromale Ursache vor (z.B. Mobius Syndrom oder CHARGE Syndrom), bei 17 konnte keine spezifische Ursache festgestellt werden. 57% der syndromalen PAF waren vollständig, hingegen nur 17% bei unspezifischer Ursache. Das Alter bei Operation war 5 bis 75 Jahre (durchschnittlich 27,3 Jahre). Patienten, die ledglich ein statisches Rekonstruktionsverfahren erhielten waren durchschnittlich 49,8 Jahre alt. Patienten die ein rein dynamisches oder kombiniertes Verfahren erhielten waren 20,2 bzw. 25 Jahre alt. 5 Patienten erhielten ein cross face nerve graft (CFNG) mit freiem Gracilis Muskel Transfer, 7 Patienten erhielten einen freien Gracilis Muskel Transfer mit N. massetericus Anschluss, 6 eine Umlagerung des M. temporalis und eine Patient einen bilateralen freien Gracilistransfer mit N. accessorius Anschlus. 3 Patienten erhielten rein statische Verfahren. Von den übrigen 19 Patienten konnten 18 postoperativ Mundwinkelexkursionen produzieren. Beim Lächeln konnten die Patienten ipsilateral präoperativ im Mittel 0,9 und postoperativ 2,7 Oberkieferzähne zeigen (CFNG und Gracilistransfer 2,25; Gracilistransfer mit N. massetericus Anschluss 2,8; Temporalisumlagerung 0,25). Es besteht eine negative Korrelation zwischen Patientenalter bei Operation und der Anzahl präsentierbarer Oberkieferzähne)
Schlossfolgerungen
Dynamische rekonstruktive chirurgische Verfahren können die dynamische Symmetrie des Gesichtes effektiv verbessert. Freier Gracilis Muskeltransfer mit Anschluss an ein CFNG oder den N. massetericus liefern die besten Ergebnisse. Das Therapieergebnis kann durch eine frühe Operation verbessert werden. Daher sollten auch pädiatrische Patienten ermutigt werden, rekonstruktive chirurgische Therapien in Anspruch zu nehmen.
Hintergrund: Das Noonan-Syndrom ist ein komplexes Fehlbildungssyndrom, das durch eine typische „Noonan Facies“ (Hypertelorismus, Ptosis und große, tiefsitzende Ohren) gekennzeichnet ist. Das klinische Spektrum reicht von einem milden Phänotyp mit milder Ptosis, muskulärer Hypotonie bis zu einer stärkeren Ausprägung mit Kleinwuchs, leichter kognitiver Behinderung, Kryptorchismus, angeborene Herzfehler und Skoliose. Die Inzidenz beträgt ca. 1:1000 Geburten. In ca. 50% der Fälle liegt eine Mutation im PTPN11-Gen vor. Dies führt zur Konformationsänderung von SHP-2 (Nichtrezeptor Protein-Tyrosin-Phosphatase) mit der Folge einer Deregulation nachgeordneter Signalkaskaden. Durch Beteiligung an der Signalweiterleitung von Wachstums- und Differenzierungsfaktoren verschiedener Gewebe löst SHP-2 unterschiedliche Wirkungen aus, was die vielfältige Symptomatik beim Noonan-Syndrom erklärt und die klinische Blickdiagnostik erschwert. Im klinischen Erscheinungsbild gibt es Überschneidungen zu den kongenitalen myasthenen Syndromen (CMS), bei denen Betroffene eine muskuläre Schwäche und eine Ptosis mit tageszeitlicher Schwankung zeigen können.
Ziele: Erster Fallbericht einer erfolgreichen symptomatischen Therapie mit Pyridostigminbromid bei einer Patientin mit genetisch gesichertem Noonan-Syndrom.
Fragestellung: Das Noonan-Syndrom kann bei milder Ausprägung klinisch einem CMS ähneln und sollte bei zusätzlich bestehenden fazialen Dysmorphien oder angeborenen Fehlbildungen differentialdiagnostisch bedacht werden.
Methoden: Zusammenfassung der Krankengeschichte und relevanter, klinischer Befunde. Darstellung der Ergebnisse der Neurographie, molekulargenetischen Analysen und motorischen Testung.
Ergebnisse: Wir berichten von einem Mädchen mit milder Ausprägung eines Noonan-Syndroms. Klinisch fanden sich eine postnatale muskuläre Hypotonie und Trinkschwäche, mit 5 Jahren eine verwaschene Aussprache, Kauschwäche, beidseitige Ptosis, auffällige Fazies und eine generalisierte muskuläre Hypotonie mit Abnahme der Muskelkraft im Tagesverlauf. Die repetitive Stimulation des N. accessorius ergab ein pathologisches Dekrement (13%). Die Multi-Gen Panelanalyse bei klinischem Verdacht auf CMS war unauffällig. Unter Pyridostigminbromid zeigte sich eine Steigerung der Muskelkraft und Abnahme der Ptosis, Besinger-Score vor Therapie 8 Punkte nach Therapie 4 Punkte. In der erweiterten genetischen Untersuchung wurde eine heterozygote Mutation (c.1472C>A 8p.Pro491His) im PTPN11-Gen gefunden.
Schlussfolgerung: Der Phänotyp des Noonan-Syndroms zeigt Überschneidungen zum CMS. Bei zusätzlichen Dysmorphien sollte auch an syndromale Erkrankungen gedacht werden. Die Therapie mit Pyridostigminbromid konnte in unserem Fall die Muskelkraft verbessern. Inwieweit beim Noonan-Syndrom eine Störung der SHP-2 die Proliferation und Differenzierung embryonaler Stammzellen und die Ausbildung der neuromuskulären Endplatte beeinflusst, ist aktuell unklar.
Hintergrund: Kongenitale Myopathien sind eine klinisch und genetisch heterogene Krankheitsgruppe. Nach Ausschluss von Mutationen in ACTA1 und SEPN1, welche etwa 30% von kongenitalen Myopathien umfassen, ist auch wegen der Größe einiger Myopathie-assoziierten Gene eine Panel-Diagnostik oder Exom-Sequenzierung indiziert. Viele kongenitale Myopathien sind mild und verlaufen eher statisch, bei den seltenen Formen ist das Spektrum der Muskelpathologie noch unvollständig charakterisiert.
Methoden: Mittels Exom-Sequenzierung (Agilent V6, 2x75bp, 80xCoverage, Varbank Pipeline) wurde eine homozygote Mutation (c.3268C>T, p.Q1090*) im Integrin-α7 Gen (ITGA7) entdeckt. Eine Biopsie des M. vastus lateralis links wurde im Alter von 4,5 J histopathologisch untersucht.
Ergebnisse: Wir berichten von einem 5,5 J alten Jungen mit kongenitaler Myopathie mit proximaler Schwäche und motorischer Entwicklungsverzögerung mit verspätetem freiem Laufen im 18. LM sowie Trendelenburg- und Gowers-Zeichen. Der Verlauf war statisch mit einem Northstar Score von 28/34 und die CK normwertig. Die Kaufman ABC-II Testung ergab einen Gesamt-IQ von 80 mit einer Sprachentwicklungsverzögerung. Die Eltern sind Cousins 1. Grades aus Marokko mit leerer Familienanamnese. In der Muskelbiopsie zeigte sich ein diskret erweitertes Muskelfaserkaliberspektrum mit Prädominanz der Typ I-Muskelfasern sowie pathologisch geringgradig ausgeprägten Muskeleinzelfaserteilatrophien mit diskreten Zeichen einer subsarkollemalen mitochondrialen Verteilungsstörung. Neonatales Myosin war positiv als Zeichen einer Regeneration in einzelnen kleinen Fasern. Erst mittels Exom-Sequenzierung wurde eine Stopmutation in ITGA7 (c.3268C>T, p.Q1090*) identifiziert, die Eltern sind heterozygote Carrier. Die Mutation ist neu und es zeigten sich nur 37 heterozygote Carrier in der ExAC (60706 Kontrollen) und 76 (277160 Kontrollen) in der gnomAD Datenbank. Integrin-α7 ist ein Muskel-spezifischer extrazellulärer Matrix Rezeptor und bindet Laminin-α2. Ein Funktionsverlust von ITGA7 stört die Haftung zwischen Muskelfasern und Extrazellulärmatrix und führt so zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber Scherkräften sowie zur gestörten Signaltransduktion extrazellulärer Reize. Im Jahr 1998 wurden von Hayashi et al. 3 Patienten mit rezessiven compound-heterozygoten Loss-of-Function Mutationen und überlappendem Phänotyp beschrieben. Mit freiem Gang und leichter proximaler Muskelschwäche mit Gowers- und Trendelenburg-Zeichen zeigten sie jedoch Schwierigkeiten beim Rennen oder Ein-Bein-Stand. Wie bei unserem Patienten wurde bisher keine Kardiomyopathie berichtet.
Schlussfolgerung: Unser Patient bestätigt somit als vierter Fall und zweiter unabhängiger Bericht ITGA7-Mutationen als eine Ursache einer frühkindlich manifestierenden kongenitalen Myopathie. ITGA7-Mutationen sind als Differentialdiagnose im Rahmen von frühkindlichen proximalen Muskelschwächen zu erwägen, die mittels muskelbioptischer Histopathologie gesichert werden können.
Hintergrund
Die SCPE (Surveillance of Cerebral Palsy in Europe) ist ein europäisches Netzwerk von CP-Registern. Sie wurde 1998 u.a. mit dem Ziel gegründet, Veränderungen der CP Rate in Europa zu erfassen. Ein wichtiger Schritt dazu war die Harmonisierung der Definitionen, Ein- und Ausschlußkriterien. Auf dieser Basis war es möglich zuverlässig zu zeigen, dass die CP-Rate in Europa sinkt (1). Die MRT ist ein wichtiger diagnostischer Schritt bei einem Kind mit CP. Sie ist in mehr als 80% der Fälle auffällig und hilft die Pathogenese der zugrundeliegenden Störung zu verstehen (2). Die SCPE hat deshalb ein Klassifikationssystem (MRICS) etabliert und validiert, damit MRT-Veränderungen in den CP Registern einheitlich erfaßt werden können (3).
Fragestellung
Analyse populationsbezogener MR-tomographischer Daten parallel zu klinischen Parameter.
Material und Methoden
Geburtsjahrgänge 1995-2006. CP-Subtypen anhand der SCPE-Klassifikation: unilateral-spastische, bilateral-spastische, dyskinetische und ataktische Cerebralparesen. MRT-Veränderungen anhand der MRICS-Klassifikation: Hirnfehlbildungen (A), Störungen der weissen Substanz (B), Störungen der grauen Substanz (C), andere Auffälligkeiten (D), Normalbefunde (E). Analyse der MRT-Veränderungen in der Gesamtgruppe, in den CP-Subklassen, in Geburtsgewicht- und Gestationsaltersklassen.
Ergebnisse
1970 CP-Fälle von 18 europäischen Zentren repräsentativ für die Gesamtgruppe. Etwa 50% zeigten eine vorwiegende Störung der weissen Substanz, weitere 20% eine Störung der grauen Substanz, bei nur 11% wurde Hirnfehlbildung diagnostiziert. Die unilateral-spastischen, bilateral-spastischen und dyskinetischen CP waren überwiegend läsionell. Nur bei der ataktischen CP zeigten sich mehr Hirnfehlbildungen, nicht klassifizierbare Veränderungen und Normalbefunde. Frühgeborene zeigen in ca. 85% ein läsionelles Muster, vorwiegend ihrem Gestationsalter entsprechend.
Schlussfolgerung
Nach Validierung des Klassifikationssystems MRICS ist dies die erste Analyse von MRT-Veränderung im Europäischen CP-Netzwerk. Auch auf breiter Bevölkerungsbasis ist die Cerebralparese ein vorwiegend läsionelles Krankheitsbild, Hirnfehlbildungen sind selten. Ausnahme davon ist die ataktische CP. Bei Frühgeborenen besteht in mehr als 85% eine erworbene Schädigung; die abnehmende Prävalenz der CP in dieser großen Gruppe läßt schließen, dass Fortschritte in der Peri- und Neonatalmedizin zu einer Reduktion dieser Läsionen geführt haben.
Literatur
Sellier et al: Decreasing prevalence in cerebral palsy: a multi-site European
population-based study, 1980 to 2003
1. Sellier E. et al: Decreasing prevalence in cerebral palsy: a multi-site European population-based study. DMCN 2016
2. Krägeloh-Mann I, Horber V: The role of MRI in elucidating the pathogenesis of cerebral palsy: a systematic review. DMCN 2007
3. Himmelmann K, Horber V. et al: MRI classification system (MRICS) for children with cerebral palsy: development, reliability and recommendations. DMCN 2017
Hintergrund: Das 1996 erstbeschriebene PHACE(S) Syndrom (PHS) umfasst das gemeinsame Auftreten großer, segmentaler Gesichtshämangiome und weiterer, variabler Organfehlbildungen, z.B. des Gehirns, großer Arterien, des Herzens und der Augen (P, posterior fossa; H, hemangioma; A, arterial anomalies; C, cardiac anomalies; E, eye anomalies; S, sternal defects). Möglicherweise stellt das PHS die häufigste vaskuläre neurokutane Erkrankung dar und könnte häufiger als das bekanntere Sturge-Weber Syndrom (SWS) sein. Vermutlich ist das PHS durch Fehldiagnosen als SWS oder durch inkomplette Diagnostik unterdiagnostiziert. Hauptmerkmale des SWS sind Angiome des Gesichts, der Leptomeningen und der Chorioidea. Klinisch liegt ein hochvariabler Phänotyp mit stets angeborenem, meist unilateralem, Nävus flammeus des Gesichts sowie inkonstanter ophtalmologischer und neurologischer Beteiligung vor. Das Neuerkrankungsrisiko wird auf 1:20.000-1:50.000 Lebendgeborene geschätzt. Bisher gibt es für SWS und PHS keine bevölkerungsbezogenen epidemiologischen Daten aus dem deutschsprachigen Raum.
Fragestellung: Im Rahmen einer multinationalen Studie erheben wir bevölkerungsbezogene Daten zu SWS und PHS in Deutschland, der Schweiz und Österreich (Rekrutierung bis 01.07.2018). Die Hauptfragestellungen umfassen epidemiologische Basisdaten, pränatale Auffälligkeiten, bisher erfolgte Diagnostik und Ansprechen auf Therapiestrategien.
Material und Methoden: Mittels der ESNEK ("Erhebung Seltener Neurologischer Erkrankungen im Kindesalter") der Universitätsmedizin Göttingen werden Neuropädiater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kontaktiert. Diese melden ihre Patientenzahlen mit SWS bzw. PHS anonym und rekrutieren einwilligende Patienten für die Erhebung. Dazu wird ein gemeinsam mit dem Internationalen PHACE Registry aus Wisconsin/USA entwickelter Fragebogen verwendet. Zwei verschiedene Versionen sind jeweils auf PHS bzw. SWS zugeschnitten. Die Fragebögen umfassen u.a. Daten zur pränatalen Anamnese (z.B. Infektionen, Reproduktionsmedizin), diagnostischen Merkmalen (z.B. cerebrale, ophtalmologische Beteiligung) und klinischem Bild (Hautbefunde, Entwicklung). Gekürzte und um spezielle medizinische Fragen ergänzte Fassungen des Fragebogens (z.B. validierter Score des neurologischen Outcomes) werden zusätzlich an die meldenden Neuropädiater versandt. Die Studie ist im DRKS registriert (ID 00013551).
Ergebnisse: Bisher liegen uns anonyme Meldungen von 93 Patienten mit SWS und 8 Patienten mit PHS vor. Insgesamt 11 Meldungen (10,9 %) stammen aus der Schweiz oder Österreich. Derzeit erfolgen Rücklauf und Auswertung der versandten Studienunterlagen.
Diskussion und Schlussfolgerung: Mittels der vorliegenden Studie werden erstmals bevölkerungsbezogene Daten zu SWS und PHS im deutschsprachigen Raum erhoben. Die Prävalenz des SWS übersteigt jene des PHS in unserem Kollektiv deutlich. Möglicherweise ist das PHS unterdiagnostiziert, da nicht obligat neurologische Symptome auftreten.
Hintergrund:
Lebenslimitierende Erkrankungen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (KJJE) werden gemäß der Together for short lives (TfSL) Klassifikation in vier Gruppen eingeteilt. In der Gruppe 4 werden KJJE mit irreversiblen, aber nicht progredienten Erkrankungen zusammengefasst, die anfällig gegenüber lebensbedrohlichen Komplikationen sind und bei denen ein vorzeitiger Tod wahrscheinlich ist. Der Krankheitsverlauf ist häufig unvorhersehbar und kann über Jahre bis Jahrzehnte verlaufen. Die TfSL-Gruppe 4 ist die größte der 4 Gruppen, jedoch liegen bisher keine Daten zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) dieser KJJE vor.
Ziel:
Ermittlung der Versorgungscharakteristika und des -bedarfs von Patienten in der TfSL Gruppe 4 abhängig von Diagnoseuntergruppen (UG)
Methodik:
Auf Basis eines internetbasierten Dokumentationssystems wurde eine retrospektive single center Kohortenstudie aller KJJE der TfSL-Gruppe 4 durchgeführt, die durch das Kinderpalliativteam vom 01.01.2013-15.09.2016 betreut wurden. Anhand der Hauptdiagnosen wurden Untergruppen (UG) gebildet, für die demographische Daten, Aspekte der Versorgung, Medikation sowie Symptome inkl. Symptomlast (definiert als Prozent vom erreichbaren Höchstscore des jeweiligen Symptoms vom Mean der Mediane aus allen Hausbesuchen) erfasst und vergleichend analysiert wurden.
Ausgewählte Ergebnisse:
Die insgesamt 70 KJJE wurden folgenden 5 UG zugeordnet: UG 1: Hypoxie/ Intraventrikuläre Blutung perinatal,
UG 2: Hypoxie postnatal/Hirnschaden posttraumatisch, UG 3: Syndromale Erkrankungen mit Beteiligung von Organsystemen außerhalb des ZNS, UG 4: Syndromale Erkrankungen mit ausschließlicher ZNS-Beteiligung/ Zerebralparese, UG 5: Enzephalitis/ Meningitis. Insgesamt 35 (50%) KJJE waren männlich, das Alter zu Beginn der SAPV betrug im Median 7,8 J. (Range 0,1-25,0). Die Gesamtdauer der SAPV (inkl. Zeiten vor 2013) lag im Median bei 214,5 Tagen (Range 2-2754). 21 (30 %) KJJE verstarben im Studienzeitraum (im Median mit 1,8 J., Range 0,1-25,0), hiervon 8 (38,1%) zu Hause und 6 (27,3%) im Hospiz. 38 (54,3%) KJJE wurden zusätzlich durch einen Pflege-, 17 (24,3%) durch einen Hospizdienst betreut.
13 (18,6%) KJJE hatten ein Tracheostoma, 60 (85,7%) eine enterale Sonde. Am häufigsten wurden Antikonvulsiva (82,9%), Antazida (55,7%), Hormone/Supplemente (52,9%), Analgetika (52,9%) und Laxantien (45,7%; UG 2: 80,0%, UG 3: 18,8%, p=0,018) verabreicht. Bei 48 (68,6%) KJJE bestand eine spastische Zerebralparese (UG 2 100%, UG 3: 37,5%, p=0,008).
Die höchste Symptomlast ergab sich für Schwierigkeiten bei Bewegung (74,4%), Krampfanfälle (45,1%) und Spastik (38,1%) mit signifikant niedrigerer Symptomlast für Schwierigkeiten bei Bewegungen und Spastik in der UG 3.
Zusammenfassung:
Trotz einer Vielzahl unterschiedlicher Diagnosen ergaben sich in der statistischen Analyse der UG nur vereinzelt signifikante Unterschiede. Für neurologische Symptome besteht die höchste Prävalenz und Symptomlast.
Hintergrund: Die Amyotrophe Lateralsklerose ist eine progressive neurodegenerative Erkrankung. Die statistische Überlebenszeit nach Diagnosestellung beträgt 3 Jahre.
Kasuistik: Eine 17-jährige Patientin mit leichter bis mittelgradiger geistiger Behinderung stellte sich erstmalig in unserer Klinik mit seit 10 Monaten bestehender progredienter Dysphagie und Dysarthrie vor.
Die Genese der geistigen Behinderung sei unklar. In frühester Kindheit sei ein MRT erfolgt, welches einen unauffälligen Befund ergeben habe. Es sei im Verlauf keine weitere Diagnostik oder Testung durchgeführt worden und sie sei nie neuropädiatrisch vorgestellt worden. In der Familie gebe es keine neurologischen Erkrankungen.
Vier Monate zuvor war die Patientin aufgrund der Dysphagie und Dysarthrie in zu dem Zeitpunkt noch geringerer Ausprägung bereits in einer auswärtigen pädiatrischen Klinik stationär aufgenommen. In Bildgebung, Lumbalpunktion und Erregerdiagnostik haben sich keine Auffälligkeiten gezeigt. Eine intravenöse Gabe von Prednisolon über drei Tage habe nicht zu einer Besserung der Symptomatik geführt. Die Patientin wurde gegen ärztlichen Rat entlassen, und eine zeitnahe ärztliche Wiedervorstellung sowie fortführende Diagnostik entfiel.
Bei Vorstellung in unserer Klinik erfolgte die Flüssigkeitsaufnahme ausschließlich mittels eines Strohhalmes. Es bestand eine ausgeprägte Sekretretention oral und pharyngeal. Das Gesicht der Patientin war hypomimisch, es bestanden eine Zungenatrophie sowie Faszikulationen der Zunge und des unteren Gesichtsbereiches. Die Patientin zeigte eine Kopfhalteschwäche und Paresen der oberen Extremitäten. Die Muskeleigenreflexe waren gesteigert mit verbreiterter Reflexzone, der Trömner-Reflex war beidseits positiv. Laborchemisch zeigten sich keine Auffälligkeiten, ein EEG erbrachte einen altersentsprechenden Befund, und im MRT fielen lediglich unspezifische Veränderungen auf. Die Elektromyografie (EMG) wies pathologische Spontanaktivität des M. biceps brachii links, des M. quadriceps femoris und paravertebral in Höhe BWK 12 sowie Faszikulationen nach. Es wurde in Zusammenschau der klinischen Symptomatik und des EMG-Befundes die Diagnose einer definitiven Amyotrophen Lateralsklerose gestellt. Die Ergebnisse der genetischen Diagnostik stehen aus.
Die Gabe von Riluzol wurde begonnen. Bei nahezu nicht mehr möglicher oraler Nahrungsaufnahme sowie hochgradiger Aspirationsgefahr erfolgte die Anlage einer PEG. Die Patientin erhielt einen Cough Assist und ein Pflegedienst unterstützt die Familie.
Fazit: Die Manifestation einer Amyotrophen Lateralsklerose im Jugendalter ist sehr selten. In der beschriebenen Kasuistik stellte zudem die geistige Behinderung bisher nicht bekannter Ursache der in unserer Klinik erstmalig vorgestellten Patientin eine Herausforderung bei der Diagnosefindung dar. Die Erkrankung geht mit einer infausten Prognose einher, so dass das Therapiekonzept insbesondere auf einer symptomorientierten unterstützenden Therapie beruht.
Hintergrund
Seit 1997 belohnen die USA Kinderstudien mit Patentverlängerungen, seit 2007 verlangt die EU für die Neuzulassung von Medikamenten einen "pediatric investigation plan" (PIP).
Fragestellung
Machen von der US Food and Drug Administration (FDA) und der EMA verlangte pädiatrischen Studien in multipler Sklerose (MS) medizinischen Sinn?
Material & Methoden
Die internationale MS Studie www.clinicaltrials.gov-Nr. NCT02283853, die in Deutschland in Augsburg, Bochum, Göttingen und München rekrutiert, wurde auf regulatorischen Hintergrund und medizinischen Sinn hin analysiert.
Ergebnisse
Diese Studie vergleicht Dimethylfumarat (DMF) gegen Interferon-β-1a bei 142 10-17jährigen MS Patienten in 72 Zentren in 19 Ländern. DMF ist für MS zugelassen. Die Studie basiert sowohl auf einer FDA-Forderung als auch auf dem EU PIP EMEA-000832-PIP01-10-M04.
Diskussion
FDA/EMA-verlangte Kinderstudien definieren "Kinder" administrativ, nicht physiologisch. Die meisten MS Studienteilnehmer sind physiologisch keine Kinder mehr. Die häufig zitierten Toxizitäten bei Kindern geschahen bei Frühgeborenen. Das Mantra von Kindern als "therapeutische Waisenkinder" ist eine Unschärfe an der Schnittstelle von Medizin und Recht. Administrativen Altersgrenzen (FDA < 16/ EU < 18) werden physiologische Eigenschaften andichtet. Bei MS Patienten jeden Alters liegt ein chronisch-entzündlicher Prozess zugrunde; DMF wirkt auch vor dem 18. Geburtstag. MS Patienten können auch jünger als 10 Jahre alt sein. Junge MS Patienten brauchen nicht separaten Wirksamkeitsnachweis. Jugendliche mit erwachsenem Körper brauchen keine Dosisfindung, wohl aber jüngere Patienten. Dafür braucht es nicht 72 Prüfzentren in 19 Ländern; opportunistische Blutentnahmen bei therapeutischem Einsatz von DMF in wenigen Zentren wären ausreichend. Diese Studie ist regulatorisch begründet, aber medizinisch sinnlos. Solche Studien erlauben Networking & Publikationen; Behörden profilieren sich als Kinderwohltäter; die Industrie profitiert von US Patentverlängerungen. Die EU Verpflichtung zu PIP Einreichung und frühen Kinderstudien ist für die Industrie eine zusätzliche, leider sinnlose Belastung.
Schlussfolgerung
Kinder brauchen nicht so viele Studien wie möglich, sondern sinnvolle Studien. Die EMA erzwingt aufgrund eines falschen Konzepts sinnlose Studien an Minderjährigen durch inzwischen über tausend PIPs. Dies gefährdet das öffentliche Vertrauen in die klinische Forschung und den wissenschaftlichen Ruf Europas. EKs benötigen dringend Schulung über den regulatorischen Hintergrund von Kinderstudien. Sie sollten zweifelhafte Studien ablehnen und laufende fragwürdige Studien suspendieren, auch diese MS Studie. Die DGKJ sollte zu Arzneimitteltherapie auf wissenschaftlicher und physiologischer Grundlage beizutragen. Dies wird die Diskussion um die Rechtfertigung getrennter Zulassungen für Erwachsene und Kinder und die Frage nach Sinn/Unsinn der PIPs beinhalten müssen.
Hintergrund
Die Duchenne Muskeldystrophie (DMD) ist eine X-chromosomal-rezessiv vererbte Dystrophinopathie. Sie ist die häufigste vererbte Muskelerkrankung. Ursache sind Mutationen im DMD-Gen, welche zu einem Dystrophingehalt ≤ 5% der normalen Skelettmuskulatur führen. Daraus resultieren progrediente proximale Muskelschwächen und ein deutlich erhöhter Kreatinkinase-Wert (CK bis 25.000 U/l). Sie wird beim klassischen Verlauf zwischen dem 1.-3. Lebensjahr symptomatisch, führt im Alter von 9 Jahren (+/- 2 Jahre) zum Gehverlust und in der 2.-3. Lebensdekade zum Tod.
Das Kompartmentsyndrom ist definiert als Durckerhöhung in (osteo-)faszialen Logen mit Beeinträchtigung der Mikrozirkulation und der neuromuskulären Funktion. Es handelt sich um einen akuten Notfall mit sofortigem Handlungsbedarf. Die Therapie ist chirurgisch mittels Fasziotomie.
Material und Methoden
Die Informationen für diesen Fallbericht wurden zusammengetragen aus Arztbriefen, MRT-Bildern, Ergebnissen der Muskelbiopsien sowie Anamnese und Untersuchungsbefunden.
Fallbericht
Der 4-jährige Junge wurde uns zur Abklärung bei CK-Wert-Erhöhung (bis 10.800 U/l) und auffälligem Muskelbiopsiebefund in unserem SPZ vorgestellt. Die Eltern berichteten, dass sich der Junge ein Bagatelltrauma im Kindergarten zugezogen habe, die rechte Wade sei stark geschwollen gewesen. In einem heimatnahen Krankenhaus wurde ein sehr hoher CK-Wert festgestellt und ein MRT der Beine durchgeführt, welches eine ausgeprägte ödematöse Signalveränderung aller vier Wadenmuskeln zeigte.
Bei dringendem Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom der rechten Wade erfolgte eine laterale Dermatofasziotomie aller vier Muskeln mit Muskelbiopsie. Diese zeigte eine quergestreifte Skelettmuskulatur mit Nekrosen und reparativen granulierten Entzündungen passend zu einem Kompartmentsyndrom. Die Nachbeurteilung der Muskelbiopsie erbrachte eine deutliche Vermehrung des endo- und perimysialen Binde- und Fettgewebes sowie immunhistochemisch das Fehlen einer Dystrophin-Expression, so dass die Befunde als dringend verdächtig für eine vorbestehende Duchenne Muskeldystrophie beurteilt wurden.
Ergebnisse
Bei dringendem muskelbioptischem Verdacht auf eine DMD leiteten wir eine MLPA-Analyse des DMD-Gens ein. Hier konnte die Diagnose DMD durch Deletion von Exon 46-53 bestätigt werden.
Schlussfolgerung
Unsere Hypothese ist, dass es bei bereits bestehenden Pseudohypertrophien durch Minimaltraumata zu erheblichen Schmerzen in der entsprechenden Muskulatur kommen kann und geringe Ödeme zu einem ähnlichen klinischen Bild wie dem des Kompartmentsyndroms führen. Hier sollte an seltene Differentialdiagnosen, wie die Duchenne Muskeldystrophie, gedacht werden.
Kasuistik: „Nichts geht wirklich verloren, es befindet sich nur irgendwo, wo es nicht hingehört“ (Theodor Fontane)
Claudia Hülso, Inge Schmauser, Arpad von Moers, Axel Panzer
DRK Kliniken Westend, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, 14050 Berlin
Hintergrund:
Vorstellung eines zwölfjährigen Jungen in der Rettungsstelle mit seit zwei Wochen bestehendem Taubheitsgefühl im Bereich der linken Kniescheibe. Zusätzlich seit etwa zwei Tagen starke, ziehende Schmerzen im medialen Oberschenkel, diese bestünden eher in Ruhe und besserten sich mit Bewegung. Außerdem war eine derbe Schwellung im Bereich des medialen Oberschenkels tastbar. Kein Fieber, kein Nachtschweiß, anamnestisch Zeckenbiss vor etwa einem Jahr, Fahrradunfall vor etwa neun Monaten mit Risswunde des betroffenen Oberschenkels, primärer Wundverschluss in einem anderen Krankenhaus. Sonst keine Vorerkrankungen oder relevante Familienanamnese.
Fragestellung:
Diagnostik zur Ursache der Symptomatik und Abgrenzung des betroffenen Nervs zur Therapiefindung.
Material und Methoden:
Es erfolgte wiederholt die körperliche, neurologische Untersuchung einschließlich einer detaillierten Unterscheidung zwischen Spitz-, Stumpf-Diskriminierung und Wärme-, Kälteempfinden. Bei Aufnahme eine Blutentnahme mit Blutbild, Elektrolyten, Entzündungswerten, Gerinnungsparametern, Harnstoff, Kreatinin, Glukose, ALT, CK, LDH, und Borrelienserologie. An bildgebenden Verfahren führten wir eine Muskelsonographie des medialen Oberschenkels, eine MRT nativ und nach i.v. Kontrastmittel und schließlich ein konventionelles Röntgen durch.
Ergebnisse:
Es zeigte sich eine deutliche Hypästhesie im Bereich der linken Kniescheibe. Radiär nahm die Hypästhesie ab und mündete in eine Minderempfindung, die der Junge als „matschig“ beschrieb. Insgesamt war die Abgrenzung des betroffenen Nervs etwas vage, ließ aber auf den Nervus femoralis schließen. Die MER waren seitengleich auslösbar. Die laborchemischen Untersuchungen zeigten, bis auf eine leichte Anämie, keine auffälligen Werte. Im Ultraschall konnte eine nicht perfundierte, inhomogene z.T. echoreiche Struktur von 4,6 cm x 2,0 cm x 1,6 cm dargestellt werden. Vor dem Hintergrund des stattgehabten Traumas und dem Verdacht auf ein kalzifiziertes Hämatom und der Differentialdiagnose einer malignen Raumforderung veranlassten wir eine MRT, nativ und mit i.v. Kontrastmittel. Hier konnte ein Fremdkörper dargestellt werden, der im anschließend durchgeführten konventionellen Röntgenbild bestätigt und als ein abgebrochener Fahrradbremshebel identifiziert wurde.
Schlussfolgerung:
Die operative Fremdkörperentfernung erfolgte unkompliziert. In der poststationären Kontrolle zwei Wochen postoperativ bestanden noch Hypästhesien lateral der Kniescheibe, welche sich neun Monate nach OP vollständig zurückgebildet hatten.
Neu aufgetreten war ein Taubheitsgefühl unterhalb der OP-Narbe, dass sich langsam rückläufig zeigte.
Wir berichten über einen 16 ½ jährigen Jugendlichen, welcher aufgrund einer akuten, seit 10 Tagen bestehenden Ulnarislähmung links vorgestellt wurde. Vorausgegangen war eine Arbeit mit einem Preßlufthammer. Einige Wochen zuvor bestand nach Arbeiten im Kniestand passager für wenige Tage ein Taubheitsgefühl der Zehen 2-4 rechts. Klinisch fanden sich eine Krallenhand, bis auf schwach auslösbare PSR fehlende MER sowie eine Adipositas. Die elektrophysiologischen Untersuchungen ergaben eine Polyneuropathie, neurosonografisch sahen wir Auftreibungen der Nn. mediani und ulnares an den typischen Engstellen. Laborchemisch erhöhtes Liquoreiweiß, erhöhte Werte für Homocystein und Lipoprotein A, erniedrigter Vitamin B12-Spiegel bei normaler Methylmalonsäure. DD zogen wir eine Vitamin B12-Mangel-bedingte Neuropathie, eine CIDP sowie eine HNPP (hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Drucklähmungen) in Betracht. Nach Vitamin B12-Substitution anhaltend erhöhtes Homocystein, daher primäre Homocysteinämie vermutlich durch MTHFR-Mangel. Unter Therapie mit Vit. B12, B6 und Folsäure Abfall der Werte um ca. 30%. Bei erhöhtem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und bereits mit Ramipril behandelter Hypertonie Empfehlung von Gewichtsreduktion und sportlicher Aktivität.
Bestätigung der Verdachtsdiagnose HNPP durch Nachweis einer Mutation im PMP22-Gen.Die Prävalenz der HNPP ist wegen unvollständiger Diagnose nicht bekannt und liegt wahrscheinlich zwischen 1/50.000-1/20.000. Beide Geschlechter sind gleich betroffen. Klinische Symptome, die durch diese Mono-Neuropathien ausgelöst werden, sind Fallfuß, Taubheit und Schwäche der Hände, schwache Arme und Sensibilitätsverlust über Zeigefinger und Daumen oder der lateralen Seite der Hand. In der Hälfte der Fälle erholen sich die Patienten innerhalb von Tagen bis Monaten von diesen Episoden, bei anderen ist die Erholung nur unvollständig, mit rezidivierenden fokalen sensorischen und motorischen Störungen. Bei älteren Patienten entwickelt sich der HNPP-Phänotyp oft in eine symmetrische sensorisch-motorische Polyneuropathie.
Hintergrund
In der Gruppe der frühkindlichen therapieschwierigen epileptischen Enzephalopathien stellen die metabolischen Epilepsien eine wichtige Differentialdiagnose dar. Einige dieser Epilepsien können durch die Substitution fehlender bzw. Elimination toxischer Metabolite oder spezifische Diäten behandelt werden. Die häufigsten Formen der Vitamin B6-abhängigen Epilepsien entstehen durch eine Bildungsstörung der aktiven Form des Vitamins (Pyridoxalphosphat; PLP) oder durch seine sekundäre Inaktivierung. Man unterscheidet die Pyridoxal-Phosphat abhängige Epilepsie (PNPO-Defekt) und die Pyridoxin-abhängige Epilepsie (ALDH7A1-Defekt). Als Kofaktor dient PLP u.a. für die Bereitstellung des inhibitorischen Neurotransmitters GABA.
Fallbericht
Wir berichten über ein term-eutrophes Neugeborenes, das erste Kind gesunder, nicht-konsanguiner, kaukasischer Eltern. Die Schwangerschaft und die bisherige postnatale Entwicklung waren unauffällig. Im Alter von acht Wochen kam es zu täglichen seriellen Krampfanfällen. Diese imponierten als BNS Anfälle mit rasch einschießenden infantilen Spasmen des Kopfes und der oberen Extremität. In der Entwicklungsdiagnostik war eine kognitiv am ehesten altersgerechte und motorisch leicht verzögerte psychomotorische Entwicklung nachweisbar. Das EEG ergab einen hochpathologischen Befund mit schwerer Allgemeinveränderung und multifokalen epilepsietypischen Potenzialen der linken Hemisphäre im Sinne einer Hemihypsarrhythmie. Die MRT des Schädels ergab ein unauffälliges Hirnparenchym. Es wurde die Diagnose eines nicht-läsionellen Westsyndroms gestellt. Nach Einleitung einer erweiterten Stoffwechseldiagnostik erfolgte die Therapie mit PLP, Folinsäure und Biotin. Diese führte nach drei Tagen zum vollständigen Sistieren der Krampfanfälle. Nach einer Woche Anfallsfreiheit wurden Biotin und Folinsäure abgesetzt und die Therapie mit PLP unverändert fortgeführt (30mg/kgKG/Tag per os). In den EEG Kontrollen konnten keine epilepsietypischen Potenziale mehr nachgewiesen werden. In der Stoffwechseldiagnostik bestand kein Hinweis für einen Antiquitingendefekt. Zur Diagnosesicherung wurde eine genetische Epilepsie-Panel-Diagnostik eingeleitet. Die Befunde sind zur Einreichung des Abstracts ausstehend.
Diskussion
Aufgrund des Therapieansprechens auf PLP besteht der hochgradige Verdacht auf eine frühkindliche Vitamin B6-abhängige Epilepsie. In diesem Fall hat die frühzeitige PLP-Therapie innerhalb von drei Tagen zur erfolgreichen Behandlung der Epilepsie geführt. In der Gruppe der frühkindlichen epileptischen Enzephalopathien nehmen neurometabolische Epilepsien durch wachsende Erkenntnisse der biochemischen und molekulargenetischen Pathogenese und resultierender Therapieoptionen an Bedeutung zu und sollten in differenzialdiagnostische Überlegungen einbezogen werden. Eine frühe Sicherung der Diagnose und erfolgreiche Behandlung frühkindlicher Epilepsien kann die Wahrscheinlichkeit eines besseren neurokognitiven Outcomes der Patienten erhöhen.