Minimalinvasive Verfahren - eine aussterbende Spezies in der Tumorschmerztherapie?
Pro
Minimal invasive Verfahren in der Schmerzmedizin bestehen aus Injektionen, Regionalanalgesien, neuroablativen Interventionen, Rückenmarkelektrostimulation und intrathekalen Applikationen von Medikamenten. Eine Teil dieser Verfahren wurde vor der Verfügbarkeit moderner pharmakologischer und multimodaler Behandlungsverfahren etabliert. Durch diese neuen Entwicklungen sind minimal invasive Verfahren häufig abgelöst worden. Dennoch gibt es Indikationen für die Anwendung minimal invasiver Verfahren, die inzwischen in kontrollierten Studien überprüft wurden. Darüber hinaus haben neuere Studien Hinweise dafür dokumentiert, dass minimal invasive Verfahren möglicherweise in Indikationen eingesetzt werden sollten, die bisher kaum erfolgreich behandelt werden konnten. Neben einer gewissenhaften Nutzen- Risiko- Abwägung sollte eine erfolgreiche Behandlung im Fokus möglicher Entscheidungen für oder gegen minimal invasive Verfahren stehen.
Kontra
Mit der Tumorschmerztherapie nach dem WHO-Stufenschema kann in bis zu 95% der Fälle eine ausreichende Analgesie erzielt werden - so lautet der Tenor der aktuellen Literatur. Trotz aller Fortschritte im Erkenntnisgewinn, entsprechender Leitlinien und Lehre stellt dennoch die Behandlung neuropathischer Tumorschmerzen ein Problemfeld dar. Insofern kann eine möglichst nicht invasive Tumorschmerztherapie nur dann erfolgreich sein, wenn mechanismenorientierte Therapie nach pathophysiologischen Gesichtspunkten durchgeführt wird. Da sich dabei neuere Therapieoptionen durch die Erkenntnisgewinne aus der Quantitativ Sensorischen Testung ergeben, kann zunehmend auf die Anwendung minimalinvasiver Verfahren verzichtet werden. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis minimalinvasiver Verfahren muss gegenüber medikamentösen Therapieansätzen abgewogen werden. Die Studienlage dazu ist zudem unzureichend und häufig finden sich Fallsammlungen oder Case Reports, so dass von einer Evidenzbasierung minimal invasiver Verfahren nicht gesprochen werden kann.
Cannabisblüten oder Cannabinoide gegen den chronischen Schmerz ?
Auf Grund des Gesetzes zur „Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ vom 06.03.2017 dürfen Ärzte aller Fachrichtungen dürfen Cannabisblüten und Extrakte, auch in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel, verschreiben. Im Gesetz wurde ausdrücklich darauf verzichtet, einzelne Indikationen aufzuführen. Cannabisblüten und -extrakte können daher für jede Indikation verordnet werden, wenn „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht“ oder wenn diese Leistung „im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann“. Das Gesetz wurde in den Medien breit kommentiert (z. B. „Endlich darf Cannabis helfen“. Die Zeit vom 19.01.2017). In den Schmerzpraxen und Ambulanzen häufen sich Anfragen von Patienten mit chronischen Schmerzen nach einer Therapie mit „Cannabis“.
Ob und welche cannabisbasierten Arzneimittel (Cannabisblüten vs. Fertig-oder Rezepturarzneimitteln mit Cannabinoiden) bei welchen Indikationen eingesetzt werden sollen, ist unter Ärzten umstritten.
Contra Cannabisblüten
Prof. Dr. med. Winfried Häuser, Saarbrücken
1. Es liegt keine quantitativ und qualitativ ausreichende Evidenz für den Einsatz von Cannabisblüten bei chronischen tumor- als auch nichttumorbedingten Schmerzen vor. Die Datenlage ist – auf Grund des Sponsoring von kontrollierten Studien durch pharmazeutische Firmen – für Cannabinoide besser.
2. Es gibt keine ausreichende Evidenz, welche der 14 in Deutschland verschreibbaren Cannabisblütensorten bei welchem Schmerzsyndrom in welcher Dosierung eingesetzt werden soll. Für Cannabiniode gibt es studiengestützte Dosierungsvorschriften.
3. Der Gebrauch von Cannabisblüten über einen Vaporisator ist umständlich – für im Freizeitgebrauch von Cannabis nicht erfahrene Patienten.
4. Die Resorption der Inhaltsstoffe ist bei inhalierten Cannabisblüten sehr variabel im Gegensatz zur oralen Zufuhr von Cannabinoiden.
5. Die Gefahr der missbräuchlichen Verwendung (Weitergabe / Verkauf an andere Personen, Konsum zu Freizeitzwecken) ist bei Cannabisblüten größer als beí Cannabinoiden.