Autor:innen:
K. Brockmann (Göttingen, DE)
R. Brackmann (Minden0)
A. Abicht (München0)
I. Kurth (Aachen0)
J. Huang (West Haven, CT, US)
S. Waxman (West Haven, CT, US)
S. Dib-Hajj (West Haven, CT, US)
Fragestellung: Diagnostische Klärung rezidivierender Beinschmerzen bei einem jetzt 10-jährigen Mädchen.
Material und Methode: Anamnestisch seit dem Alter von 6 Monaten episodische Beinschmerzen stets abends und nachts von ca. 30 Min. Dauer. Zunächst mit Abstand von 6 Wochen, zunehmend kürzere Intervalle, jetzt täglich. Steigerung zu unerträglicher Schmerzstärke, wenn nicht gleich zu Beginn der Attacke Naproxen genommen wird. Selten auch Arme betroffen. Seit dem Alter von 7 Jahren auch episodische, viel seltenere Bauchschmerzen. Chronische Obstipation seit früher Kindheit, Diagnostik inkl. Darmbiopsie unergiebig. Motorische Entwicklung etwas langsamer als bei der gesunden Schwester, freies Laufen mit 18 Monaten, Kraft und Ausdauer vermindert, körperlich vorzeitig ermüdbar. Zahllose neuropädiatrische Konsultationen, diverse diagnostische Zuordnungen.
Ergebnisse: Neurologischer Status und klinische Neurophysiologie normal. Mol.-genet. Paneluntersuchung bzgl. periodischer Schmerzsyndrome mit 5 Jahren zeigt eine heterozygote Missense Mutation im SCN11A-Gen (c.2448T>A, p.Asn816Lys), die auch beim gesunden Vater gefunden wird. Elektrophysiologische Untersuchungen des Nav1.9 mit dieser Mutation in Hinterwurzelganglion-Zellen ergeben Gain-of-Function Eigenschaften.
Diskussion: SCN11A kodiert für den spannungsgesteuerten Natriumkanal Nav1.9, der in Hinterwurzelganglien und in enteralen Plexus exprimiert ist. Heterozygote SCN11A Missense Mutationen wurden erstmals 2013 bei Familien mit episodischem Schmerzsyndrom beschrieben (Familiäres Episodisches Schmerzsyndrom, familial episodic pain syndrome-3, FEPS3). Die klinische Symptomatik ist charakteristisch mit episodischen abendlichen heftigen Schmerzen in den Beinen, seltener Armen, zudem unabhängig davon auch episodischen Bauchschmerzen und fakultativ Obstipation. Nicht-steroidale Antiphlogistica sind symptomatisch effektiv. Andere SCN11A Missense Mutationen sind mit Kongenitaler Schmerzunempfindlichkeit (Congenital Insensitivity to Pain, Hereditäre Sensibel-Autonome Neuropathie Typ VII, HSAN7) assoziiert. Die Ursache der fehlenden klinischen Symptomatik beim ebenfalls diese Mutation tragenden Vater ist unklar und Gegenstand weiterer laufender Untersuchungen.
Schlussfolgerung: Bei rezidivierenden episodischen Schmerzen auch schon im frühen Kindesalter sind genetisch verursachte Episodische Schmerzsyndrome differentialdiagnostisch in Betracht zu ziehen.