12:00 Uhr
DGSPJ-PO 01:
Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik – Überarbeitung der Urversion und Beginn der Normierungsstudie
T. Fuschlberger (Planegg, DE)
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Autor:innen:
T. Fuschlberger (Planegg, DE)
V. Mall (München, DE)
F. Voigt (München, DE)
G. Essen (Potsdam, DE)
R. Schmid (Altötting, DE)
Einleitung: Die Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik (MFED) wird seit vielen Jahren eingesetzt, um Entwicklungsverzögerungen bei Kindern im Alter von 0-3 Jahren aufzuzeigen. In den letzten Jahren stand das Testverfahren vermehrt in der Kritik, da die Gütekriterien bereits veraltet sind und die Zusammenstellung des Verfahrens nicht eindeutig nachvollzogen werden kann. Daher wird daran gearbeitet das Testverfahren zu überprüfen und neu zu normieren. Es wurden Abänderungen an der MFED vorgenommen, aus welchen die Neufassung entstand. Methode: Für die Studie wurden Kinder im Alter von 0 bis 47 Monaten mit der ersten Neufassung der MFED untersucht. Soziodemografische Daten wurden anhand von einem Fragebogen erhoben. Ergebnisse: Es nahmen 488 Kinder an den Untersuchungen teil: 49% männlich, 51% weiblich; die Hälfte der Eltern hatte einen Hochschulabschluss. Zur Berechnung der Reliabilität und Itemschwierigkeit wurden die Daten in drei Altersgruppen: 0-12 Monate, 13-24 Monate, 25-47 Monate, geteilt. Es zeigten sich in allen Skalen und Altersgruppen Reliabilitäten über 0.9, außer in der Skala der sozialen Entwicklung (Altersgruppe 25-47 Monate). Hier lag das Ergebnis bei 0.6. Die Ergebnisse zeigen geringe Differenzen in der Datenerhebung zwischen Medizinern und Psychologen. Diskussion: Die Datenauswertung der Neufassung zeigt zufriedenstellende Ergebnisse. Durch die Berechnung der Itemschwierigkeit ergibt sich, dass Items umsortiert werden müssen. Schlussfolgerung: Für die Neunormierung wird ein besserer Ausgleich bezüglich der sozialen Schichten angestrebt. Um die Qualität der Datenerhebung zu sichern, werden weitere Schulungen der Untersucher durchgeführt und eine Mindestzahl von 50 Testungen pro Untersucher angestrebt.
12:05 Uhr
DGSPJ-PO 02:
Elterliche Belastung und die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen - Konsequenzen für die Zusammenarbeit von Pädiatrie und Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie/-psychotherapie
V. Irlbauer-Müller (Erlangen, DE)
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Autor:innen:
V. Irlbauer-Müller (Erlangen, DE)
O. Kratz (Erlangen0)
Elterliche Belastung ist als Stress zu verstehen, den Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder erleben, wenn ihre vorhandenen Ressourcen subjektiv empfunden nicht ausreichen, um die an sie gestellten Anforderungen (kind- und elternbezogen) zu bewältigen. Dabei ist bekannt, dass elterliche Belastung die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer und Verhaltensauffälligkeiten seitens der Kinder fördern kann; ein Prozess, der umgekehrt eine kindbezogene Belastungserhöhung für die Eltern darstellt (Bidirektionalität/"Teufelskreis"). Die Wahrnehmung elterlicher Belastung im pädiatrischen Alltag wird so zur bedeutsamen Voraussetzung, die betroffenen Familien entsprechenden kinder- und jugendpsychiatrischen/-psychotherapeutischen (KJP) Angeboten zuzuführen. Gleichsam bedarf es der Berücksichtigung kommunikativer Besonderheiten belasteter Eltern.
Für N = 166 zu einem KJP-Erstkontakt vorstellige Kinder und Jugendliche (11-18 Jahre) wurden KJP-relevante Merkmale (inkl. kritischer Lebensereignisse), die elterliche Belastung und drei Messungen der kindseitigen Symptomatik (1. Elternurteil, 2. Selbsturteil, 3. klinisches Urteil) unter epidemiologischen Fragestellungen betrachtet. Zudem sollte die Hypothese geprüft werden, ob belastete Eltern valide Auskünfte über die psychische und verhaltensbezogene Symptomatik ihrer Kinder geben können.
Die befragten Eltern zeigten sich auffällig hoch belastet. Diese Belastung korrelierte hoch bedeutsam mit kritischen Lebensereignissen sowie mit dem Elternurteil. Verglichen mit dem Selbst- und dem klinischen Urteil erwies sich nur das Elternurteil als hoch signifikanter Prädiktor elterlicher Belastung, die für verschiedene KJP-Merkmale variierte. Die Inanspruchnahme der KJP-Behandlung wurde seitens der Eltern zumeist als Entlastung erlebt. Für auffällig belastete Eltern fanden sich in Mittelwertvergleichen größere Differenzen aus Eltern- und klinischem Urteil als für unauffällig belastete Eltern. Korrelationen zeigten zudem, dass eine höhere elterliche Belastung mit größeren Urteilsdifferenzen einherging. Die multiple Regression belegte dabei die Vorhersagekraft kindbezogener elterlicher Belastung für die Urteilsdifferenz.
Schlussfolgernd sollte die Belastung von Eltern bereits unter präventiven Gesichtspunkten, wie es im Bereich des pädiatrischen Vorsorgesystems geschehen kann, systematisch erfasst werden, um betroffenen Familien möglichst frühzeitig entsprechende Hilfsangebote zu unterbreiten. Zudem sollten Elternangaben bezüglich der psychischen und Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder im Falle elterlicher Belastung kritisch reflektiert werden, um deren Einbezug in diagnostische und therapeutische Entscheidungen sorgfältig abzuwägen.
12:10 Uhr
DGSPJ-PO 03:
„Unser kleiner Schreihals“: Smartphone-gestützte Psychoedukation für Eltern von Kindern mit Regulationsproblemen
M. Augustin (München0)
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Autor:innen:
M. Augustin (München0)
M. Licata-Dandel (München0)
D. Wolke (Coventry, GB)
V. Mall (München0)
L. Breeman (Utrecht, NL)
A. Bilgin (Coventry, GB)
M. Ziegler (München, DE)
A. Friedmann (München0)
Hintergrund: Frühkindliche Regulationsprobleme wie häufiges Schreien, Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen und/oder beim Füttern stellen für Eltern und Kind im Alltag häufig eine enorme Belastung dar. Betroffene Eltern erleben sich zudem oft als wenig selbstwirksam in ihrer Elternrolle und als sozial isoliert. Die neu entwickelte App „Unser kleiner Schreihals“ zielt auf Psychoedukation im Bereich frühkindlicher Regulationsprobleme ab und soll als niederschwelliges frühzeitiges Unterstützungsangebot dienen. Zusätzlich zu Informationstexten und Expertenvideos enthält die App eine Tagebuch-Funktion zur Symptom-Dokumentation, ein Eltern-Austauschforum sowie ein bayernweites Anlaufstellenverzeichnis.
Fragestellung: Übergeordnetes Ziel der Studie ist die Wirksamkeitsevaluation der App „Unser kleiner Schreihals“. Es wird untersucht, ob die App-Nutzung zu einer Reduktion der elterlichen Belastung führt (1), den elterlichen Wissensstand über Regulationsprobleme (2) und das elterliche Selbstwirksamkeitsempfinden (3) erhöht, eine Reduktion der kindlichen Symptombelastung bewirkt (4) sowie die elterliche erlebte soziale Unterstützung verbessert (5).
Material und Methoden: Die Wirksamkeit der App wird anhand einer monozentrischen, prospektiven, randomisiert-kontrollierten Interventionsstudie (RCT) mit Wartekontrollgruppendesign überprüft, gefördert durch die Initiative „Gesund.Leben.Bayern“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege. Hierfür werden insgesamt N = 136 Elternteile von Kindern im Alter von 0-24 Monaten, die sich in der Schreiambulanz des kbo-Kinderzentrums München zu einem Erstberatungstermin anmelden, rekrutiert. Während der Interventionsgruppe für die Dauer der regulären Wartezeit bis zum Erstberatungstermin in der Schreiambulanz (4-6 Wochen) die App zur Verfügung gestellt wird, erhält die Wartekontrollgruppe diese erst nach dem Beratungstermin (= Studienende). Beide Gruppen werden hinsichtlich der elterlicher Belastung, des Wissenstandes über Regulationsprobleme, des elterlichen Selbstwirksamkeitsempfindens, der kindlichen Symptomausprägung sowie der erlebten elterlichen sozialen Unterstützung zu zwei Messzeitpunkten (prä-post) anhand von Fragebögen untersucht. Ein Evaluationsfragebogen erfasst zudem das Nutzerverhalten der Probanden sowie die Anwenderfreundlichkeit und Konzeption der App.
Ergebnisse: Es erfolgt eine Präsentation der Zwischenergebnisse der aktuell laufenden Studie.
Schlussfolgerung/Diskussion: Bei positiven Ergebnissen soll das niederschwellige Angebot zukünftig kostenfrei zur Verfügung gestellt werden. Die App soll eine Ergänzung zur etablierten professionellen Beratung für Eltern von Kindern mit Regulationsproblemen darstellen, indem sie über die Bereiche Schreien, Schlafen und Füttern angemessen informiert. Durch eine gezielte Aufklärung über Behandlungsmöglichkeiten können betroffene Familien zur frühzeitigen Annahme professioneller Unterstützung motiviert werden.
12:15 Uhr
DGSPJ-PO 04:
Belastungen und Ressourcen in der therapeutischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
S. Bien (Erlangen, DE)
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Autor:innen:
S. Bien (Erlangen, DE)
O. Kratz (Erlangen0)
V. Irlbauer-Müller (Erlangen0)
Ziel nachfolgender Untersuchung war es, sich mit berufsbezogenen Belastungen und Ressourcen von Therapeuten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, sowie mit deren Zusammenhang zu Wohlbefindens- und Belastungsmaßen auseinanderzusetzen. Hierzu wurde ein Fragebogen erstellt, der neben diverser demographischer Daten Belastungen und Ressourcen von therapeutisch tätigen Personen, Wohlbefinden, emotionale Erschöpfung, Erfolgsdruck sowie die selbsteingeschätzte Therapieeffektivität erfragte. Dieser Fragebogen wurde im Paper-Pencil-Verfahren von
N = 66 Therapeuten aus 3 verschiedenen Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie ausgefüllt. In explorativen Analysen der bisher kaum untersuchten Belastungs- und Ressourcenskalen zeigte sich vor allem die große Bedeutung sozialer Belastungen und Ressourcen für unerfahrene sowie in Ausbildung befindliche Therapeuten. Negative Zusammenhänge zwischen dem Wohlbefinden und der emotionalen Erschöpfung sowie zwischen dem Wohlbefinden und den wahrgenommenen Belastungen sprechen für die Notwendigkeit, sich zukünftig in der Forschung mit berufsbezogenen Belastungen und Ressourcen von Therapeuten im kinder- und jugendpsychiatrischen/-psychotherapeutischen Kontext auseinanderzusetzen, um im Sinne der Qualitätssicherung den Patienten eine optimale Behandlung bieten zu können. Gelingt es Kliniken durch Reduktion der Belastungsfaktoren und ausreichende Bereitstellung von Ressourcen die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer angestellten Therapeuten aufrechtzuerhalten, können bessere Behandlungserfolge erzielt werden. Eine Prüfung der Generalisierbarkeit für den pädiatrischen Bereich ist ausstehend, wenngleich auf Basis des gegenwärtigen Erkenntnisstandes von einer gewissen Vergleichbarkeit ausgegangen werden kann.
12:20 Uhr
DGSPJ-PO 05:
Umsetzung diagnostischer Standards bei Sprachauffälligkeiten: Eine Kasuistik im Längsschnitt
F. Dittmann (Heidelberg, DE)
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Autor:innen:
F. Dittmann (Heidelberg, DE)
A. Buschmann (Heidelberg0)
Hintergrund: Die S2k-Leitlinie für SES sieht für die Sprachdiagnostik einen mehrstufigen, interdisziplinären Prozess vor. Ziele sind die differenzialdiagnostische Abklärung, die Ermittlung möglicher Störungsschwerpunkte und damit das Entscheiden über Therapieindikationen. Dieses Vorgehen findet in der klinischen Praxis jedoch nicht konsequent Anwendung. Insbesondere bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern wird eine langsam voranschreitende Sprachentwicklung häufig fälschlicherweise der Mehrsprachigkeit zugeschrieben und infolgedessen keine frühzeitige differenzialdiagnostische Abklärung initiiert. Diese ist jedoch wichtig, da eine deutlich verzögerte Sprachentwicklung mit 24 Monaten ein Indiz für schwerwiegende Auffälligkeiten sein kann, wie eine globale Entwicklungsstörung oder eine Autismus-Spektrum-Störung (Buschmann et al., 2008).
Zielsetzung: Im Rahmen einer Kasuistik wird die Umsetzung des diagnostischen Prozesses und dessen Standards gemäß der S2k-Leitlinie im Längsschnitt vorgestellt.
Probanden und Methoden: Es handelt sich um ein simultan zweisprachig (georgisch/deutsch) aufwachsendes Mädchen, welches zur U7 über einen deutlich eingeschränkten aktiven Wortschatz in beiden Sprachen verfügte ( < 10 Wörter). Bei der Erstvorstellung mit 2;0 Jahren erfolgte eine Beurteilung der Allgemeinentwicklung (Bayley-III-Skalen) sowie der sprachlichen Fähigkeiten (expressiv und rezeptiv) mittels SETK-2. Verlaufsuntersuchungen fanden mit 3;2, 3;7 und 4;3 Jahren statt. Hierbei erfolgte je eine standardisierte Abklärung der nonverbalen kognitiven Fähigkeiten (SON-R 2½-7) und der rezeptiven-expressiven Sprachkompetenzen auf Deutsch (SETK-3-5; TROG-D). Zudem wurde informell das Sprachverständnis im Georgischen erfasst. Eine Verhaltensbeobachtung und eine Spontansprachanalyse ergänzten die Testverfahren.
Ergebnisse: Mit 2;0 Jahren verfügte das Mädchen über eine altersentsprechende Allgemeinentwicklung. Ihre rezeptiven und expressiven Sprachfähigkeiten waren in beiden Sprachen deutlich beeinträchtigt. Somit wurde eine isoliert rezeptiv-expressive Sprachentwicklungsverzögerung (F.89.0; Late Talker) diagnostiziert. Der Sprachrückstand beider Sprachen wurde trotz häuslicher Sprachanregung, Kita-Besuchs und Logopädie nicht aufgeholt: Mit drei Jahren und auch später wies sie eine Umschriebenen Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache (F.80.2; rezeptiv-expressive SES) auf, von der beide Sprachen betroffen waren. Die nonverbalen kognitiven Fähigkeiten waren zu allen Untersuchungszeitpunkten altersentsprechend.
Schlussfolgerung: Die weiterhin bestehenden sprachlichen Schwierigkeiten verunsichern und belasten die Eltern zunehmend. Sie sorgen sich um die weitere Entwicklung, insbesondere hinsichtlich einer Regelbeschulung. Eine Beratung im Hinblick auf Fragen zur mehrsprachigen Erziehung sowie weitere Unterstützungsmöglichkeiten ist indiziert. Der Entwicklungsverlauf sollte weiterhin überprüft und die therapeutischen Schwerpunkte ggf. angepasst werden.
12:25 Uhr
DGSPJ-PO 07:
Schwerer Verlauf bei initial neurologisch unauffälligem Säugling nach „Schütteltrauma“ (Nicht akzidentellem Schädelhirn-Trauma)
M. Akçay (Homburg/Saar, DE)
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Autor:innen:
S. Lehmann-Kannt (Homburg/Saar, DE)
M. Akçay (Homburg/Saar, DE)
M. Zemlin (Homburg/Saar, DE)
Hintergrund: Intrakranielle Verletzungen können sich von der Symptomfreiheit bis zu komatösen Zuständen und Apnoen präsentieren. Die Haut ist bei Kindern mit nicht-akzidentellen Verletzungen das Organ, welches am häufigsten betroffen ist.
Fallbericht: Wir berichten von einem 3 Monate alten Säugling, der mit multiplen Hämatomen am Thorax, Knie und Kinn sowie radiologisch älteren und frischen Rippenfrakturen in unsere Klinik zur Überwachung und weiteren Diagnostik verlegt wurde. Die Eltern berichteten, dass die Ursache der Verletzungen ein Sturz der 16 Monate alten Tochter vom Sofa auf ihren Bruder am Vorstellungstag gewesen sei. Dieser habe vor dem Sofa auf dem Bauch gelegen und geschlafen.
Im Aufnahmeuntersuchungsbefund war der Säugling neurologisch unauffällig. In der augenärztlichen Untersuchung fanden sich frische, retinale Blutungen und im kraniellen MRT zeigten sich beidseitige Subduralhämatome unterschiedlichen Alters sowie ausgeprägte Ischämien in sämtlichen Stromgebieten beider Hemisphären links mehr als rechts. Im Ganzkörperröntgen fielen neben einer älteren, linksseitigen Klavikulafraktur multiple, ältere Rippenfrakturen mit Kallusbildung sowie mehrere frische Rippenfrakturen und metaphysäre Kantenabsprengungen an beiden distalen Tibiametaphysen auf.
Auf Grund des ausgeprägten MRT- Befundes erfolgte vorsorglich die Verlegung auf die Intensivstation. Einige Stunden nach Aufnahme begannen komplex-fokale Krampfanfälle bis zum Status epilepticus, der medikamentös nicht durchbrochen werden konnte. Daher wurde der Patient intubiert und beatmet und mit Thiopental behandelt. Hierunter besserten sich die pathologischen EEG – Befunde sukzessive, so dass der Patient nach 4 Tagen extubiert werden konnte. Die medikamentöse Behandlung wurde mit zwei Antiepileptika fortgesetzt.
Die Summe und die Art der Verletzungen ist nicht mit dem von den Eltern geschilderten Unfallmechanismus vereinbar. Es handelt sich ohne Zweifel um ein NASHT (Nicht akzidentellem Schädelhirn-Trauma) – früher als „Schütteltrauma“ bezeichnet.
Schlussfolgerung: Bei jedem Verdacht auf Kindsmisshandlung sollte – auch bei scheinbar nicht lebensbedrohlichem Verletzungsmuster - zeitnah nach eventuell noch asymptomatischen, schweren, inneren (Begleit-) Verletzungen wie z.B. Nicht akzidentelles Schädelhirn-Trauma oder Verletzungen der Abdominalorgane gesucht werden. Jedes Kind mit Verdacht auf Kindesmisshandlung kann sich als akuter Notfall entpuppen.
12:30 Uhr
DGSPJ-PO 08:
Intrakranielle Hygrome im Säuglingsalter – mehr als ein Hinweis auf Schütteltrauma
T. Wygold (Heide, DE)
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Autor:innen:
F. Timpe (Heide, DE)
A. Jaabusch (Heide, DE)
T. Kunz (Heide, DE)
T. Wygold (Heide, DE)
Einleitung
Isolierte intrakranielle Hygrome ohne hämostaseologische Grunderkrankung im Säuglingsalter gelten als wegweisend für 2 Diagnosen: Schütteltrauma und Glutarazidurie Typ 1. Die folgende Kasuistik soll auf eine 3. Ursache hinweisen, die offensichtlich häufiger ist als die Möglichkeit der Stoffwechselerkrankung.
Fallvorstellung:
Ein zum Zeitpunkt der Vorstellung drei Monate alter Patient wurde bei Wohlbefinden aufgrund einer angeblich akut aufgetretenen 3x5 cm großen, fluktuierenden Schwellung am Hinterkopf vorgestellt. Das Kind war bislang internistisch und neurologisch stets unauffällig gewesen. Bei sonographischem Verdacht auf Enzephalozele wurde eine Bildgebung des Schädels im 3T-MRT durchgeführt, in der intrakraniell frontal gelegene Hygrome und punktförmige Einblutungen auf den Kleinhirntonsillen auffielen. Die Glutarazidurie Typ 1 und eine Gerinnungsstörung konnten ausgeschlossen werden. Insofern komplettierten wir unter dem Verdacht auf ein Schütteltrauma die im Behandlungspfad Kinderschutz hinterlegte Diagnostik und informierten, wie im Pfad festgelegt, Jugendamt und Rechtsmedizin. Die spezifische Abklärung ergab aber keine weiteren Hinweise auf zugefügte Gewalt. Gleichzeitig beteuerten die Eltern eindrücklich, das Kind nie geschüttelt zu haben, so dass wir den Fall weiter aufarbeiteten. Dass das Kind per Vakuumextraktion entbunden worden war, war bereits vorher bekannt gewesen. Nach Angaben der beteiligten Geburtshelfer und auch so dokumentiert war die VE nur kurz und ohne Probleme verlaufen. Das Kind war postpartal unauffällig geblieben.
Schlussfolgerung:
Unsere Literaturrecherche ergab, dass auch bei komplikationsloser und erfolgreicher Vakuumextraktion eine Inzidenz subduraler Hämatome von 1: 860 VE besteht (1). Insofern ist im vorliegenden Fall bei fehlenden Alternativen die Ausbildung der Hygrome auf diesem Wege denkbar, auch wenn die überwiegende gynäkologische Standardliteratur in Deutschland diese Komplikation nach lege artis durchgeführter Vakuumextraktion als eigentlich nicht möglich beschreibt (2).
52 von 1000 Entbindungen werden in Deutschland per Vakuumextraktion durchgeführt (2). Daraus errechnet sich eine Inzidenz subduraler Hämatome nach VE von 1:16.500 Geburten, die damit höher ist als die Inzidenz der Glutarazidurie Typ 1 (1:156.000 Geburten) (3). Bei zufällig entdeckten Hygromen des Säuglingsalters muss daher auch eine Entbindung mit unauffällig verlaufener Vakuumextraktion als mögliche Ursache angemessen berücksichtigt werden.
(1) UA Ali, ER Norwitz. Vacuum-Assisted Vaginal Delivery. Rev Obstet Gynecol. 2009;2(1):5-17
(2) Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Vaginal-operative Entbindungen. S1-Leitlinie, AWMF-Register-Nr. 015-023, in der Fassung vom 31.05.2012, www.awmf.org/leitlinien/detail/II/015-023.html, download am 13.05.2019.
(3) (2) Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin e.V. Glutarazidurie Typ I, Diagnostik, Therapie und Management. S3-Leitlinie, AWMF-Register-Nr. 027-018, in der Fassung vom 01.06.2016, www.awmf.org/leitlinien/detail/II/027-018.html, download am 13.05.2019.
12:35 Uhr
DGSPJ-PO 09:
Schulabsentismus: Ein Hinweis auf eine Kindeswohlgefährdung?
C. Beisenherz (München, DE)
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Autor:innen:
C. Beisenherz (München, DE)
A. Konrad (München, DE)
A. Meyer-Borgstädt (München, DE)
A. Franz (München0)
In der Schulärztlichen Sprechstunde der Landeshauptstadt München nimmt die Zahl der Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen aufgrund hoher Fehlzeiten in der Schule in den letzten Jahren zu. Die Genese des Schulabsentismus ist multifaktoriell, psychosoziale Belastungsfaktoren liegen in der Regel vor. Vernachlässigung, aber auch andere Formen der Kindeswohlgefährdung, wie körperliche Misshandlung, häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch werden im Zusammenhang mit Schulabsentismus beschrieben. Zudem kann Schulabsentismus bereits für sich mit weitreichenden negativen Folgen für die Gesundheit und Entwicklung einhergehen. Die mangelnde soziale Teilhabe, fehlende altersentsprechende Förderung und das drohende schulische Versagen stellen erhebliche Risiken dar. Hinweise für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung sollten damit im Rahmen der interdisziplinären Abklärung von Schulabsentismus geprüft werden.
Im Schuljahr 2017/18 wurden 200 minderjährige Schülerinnen und Schüler aufgrund von Schulabsentismus in der Schulärztlichen Schulsprechstunde kinder- und jugendärztlich begutachtet. In 47 Fällen erfolgte die Kontaktaufnahme einschließlich einer schriftlichen Stellungnahme zu dringend erforderlichen ärztlich-therapeutischen Maßnahmen an das zuständige Jugendamt. Der Grund war in über 90% das Vorliegen von Schulabsentismus und Hinweisen auf Vernachlässigung bei mangelnder elterlicher Mitwirkung in der Umsetzung der indizierten medizinischen Maßnahmen. Die Bedeutung der intensiven Zusammenarbeit aller beteiligten Berufsgruppen und Akteure in der weiteren Abklärung von Schulabsentismus mit Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung wird anhand eines Fallbeispiels dargestellt.