Fallbericht
Wir berichten von einem weiblichen Zwillings-Frühgeborenen (dichorial-diamniot; 35+4 SSW) gesunder, nicht-konsanguiner nigerianischer Eltern (33-Jährige G5/P4). Pränatal Hydrops fetalis; unauffälliger 2. Zwilling.
Erstversorgung: Primäre Intubation bei ausgeprägtem Hydrothorax, umgehende Pleuradrainage bds., HFO-Beatmung. Apgar 2/4/9. Labor: Leichte Thrombozytopenie (147/nl), plasmatische Gerinnungsstörung, keine Anämie, übrige Labordiagnostik unauffällig. Phänotyp: Breite Nasenwurzel, tiefstehende Ohren, hoher Gaumen, persistierende obere Hohlvene, postaxiale Hexadaktylie bds. Im Verlauf suprasystemische pulmonale Hypertension, Beatmung mit inhalativem NO. Extubation am 10. Lebenstag. Unter Ernährung chylöse Pleuraergüsse, Persistenz unter fettfreier Ernährung und Therapie mit Octreotid über 10 Tage. Sonographisch zunehmende biventrikuläre kardiale Hypertrophie mit Herzinsuffizienz bei pulmonaler Hypertonie, pulsatiler Fluss in der hypoplastischen Vena portae mit großem Pooling-Gefäß zwischen Umbilikalvene und Vena cava inferior, Thrombose in der V. portae. Im MRT dilatierte Lymphabflussbahnen zervical, thorakal und abdominal. Zunehmende respiratorische Insuffizienz trotz wieder begonnener Beatmung bei therapie-refraktärem Chylothorax, dann Pneumonie. Im Konsens mit den Eltern Therapiebegrenzung. Das Kind verstarb am 48. Lebenstag im Beisein der Eltern.
Schlussfolgerung
Zur Klärung des Krankheitsbildes wurde eine Exom-Diagnostik der Patientin mit anschließender Segregationsanalyse der Eltern und des Zwillings- Geschwisterkindes im Rahmen des TRANSLATE-NAMSE Projekts durchgeführt. Das Versorgungsprojekt, welches aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses gefördert wird, widmet sich der Versorgung von Patient*innen mit seltenen Erkrankungen. In der Diagnostik fand sich eine heterozygote Mutation (Chr. 2 rs40651; c508A>G, Lys170G; CM086966 der Human Genome Mutation Database) im SOS1 Gen (Son of Sevenless), so dass ein Noonan-Syndrom (OMIM 163950) als Ursache des Krankheitsbildes vorliegt.
Das SOS1 Gen kodiert für GEF (Guanine Nucleotide Exchange Factor), welches RAS in die aktive Form konvertiert und so den RAS-MAPK-Signalweg stimuliert. Der Fallbericht belegt den Stellenwert der Next Generation Sequencing Analyse zur zügigen Diagnostik unklarer komplexer Krankheitsbilder in der Neonatologie.
Hintergrund:
Ricinus communis ist eine in Deutschland verbreitete Zierpflanze, deren Samen (Kastorbohnen) das hochpotente Zellgift Rizin enthalten. Kastorbohnen sind frei im Handel verfügbar. Die letale orale Dosis wird mit 1-20 mg/ kg KG angegeben , wobei der Rizingehalt der Samen starken Schwankungen unterliegt. Die Varianz der Toxizität in der Literatur reicht von einem letalen Ausgang nach Ingestion von 2 Kastorbohnen bis zu einer überlebten Dosis von insgesamt 60 Kastorbohnen.
Fallbericht:
Eine 17- jährige Patientin wurde durch den Notarzt auf unsere Intensivstation eingewiesen, nachdem sie 5 Stunden vor Aufnahme circa 40 Rizinsamen in suizidaler Absicht im Rahmen einer schweren Depression eingenommen hatte.
Klinisch präsentierte sich die Patientin mit starker Übelkeit und Erbrechen sowie Tachykardie; im weiteren Verlauf auch mit einem Anstieg der Körperkerntemperatur auf max. 39° C, einem erworbenen long- QT- Syndrom und einer arteriellen Hypotension. Nach Aufnahme erfolgten eine Notfallgastroskopie sowie die wiederholte Gabe von medizinischer Kohle und Glaubersalz zur Minimierung der aufgenommenen Toxinmenge.
Bei Aufnahme zeigten sich keine laborchemischen Auffälligkeiten, im Verlauf kam es zu einem Anstieg der LDH, CK und des CRP im Rahmen einer Rhabdomyolyse sowie eines ASAT- Anstiegs und INR- Abfalls bei hepatotoxischer Wirkung mit Maximum am 5. Tag post ingestionem.
Unter symptomatischer Therapie mit Infusionstherapie, Elektrolytausgleich, Nahrungskarenz und physikalischer Kühlung wurde eine schrittweise Restitutio ad integrum erreicht, sodass die Patientin nach 7 Tagen in eine psychiatrische Klinik verlegt werden konnte.
Fazit:
Kürzlich ist Rizin durch einen geplanten bioterroristischen Angriff in den Fokus der Öffentlichkeit gelangt. Daten über den klinischen Verlauf von Intoxikation sind daher von besonderem Interesse. Unsere Patientin hat sich trotz der potenziell letalen Dosis komplett erholt.
Hintergrund: Tierexperimentelle Daten zeigen positive Effekte einer intranasalen Applikation von Stammzellen und Wachstumsfaktoren auf den Verlauf zerebraler Schädigungen bei Neugeborenen. Basierend auf ersten Erfahrungen mit der intranasalen Applikation von Muttermilch bei Frühgeborenen mit Hirnblutungen (1) wurde in unserer Einrichtung diese Intervention im Rahmen individueller Heilversuche im Jahr 2017 eingeführt. Bei Patienten mit intraventrikulärer Hirnblutung (IVH) werden nach Zustimmung der Kindeseltern alle 3-4h jeweils 0,1ml frische Muttermilch in jedes Nasenloch appliziert.
Zielstellung: Ziel der vorliegenden Arbeit ist ein Vergleich der Patientenpopulationen vor und nach Einführung dieser Intervention. Die Ergebnisse sollen die Grundlage darstellen für eine prospektive klinische Studie.
Methoden: Es wird eine retrospektive Analyse durchgeführt. Hierbei werden Patienten betrachtet, die zwischen März 2016 und Februar 2019 in der Schädelsonographie eine IVH II°-III° aufwiesen. Dabei werden Patienten gegenübergestellt, welche intranasal Muttermilch erhielten (MM+) oder nicht (MM-). Patienten der MM+ Gruppe gelten als Fallgruppe, während Patienten ohne intranasale Muttermilchgabe (MM-) als Kontrollgruppe betrachtet werden. Die statistischen Analysen werden mit dem R Softwarepaket durchgeführt. Das Signifikanzlevel wird für alle Berechnungen auf α < 0,05 festgelegt.
Ergebnisse: Innerhalb der analysierten drei Jahre wurden insgesamt 406 Frühgeborene < 1500 g betreut. Davon erfüllten 36 Patienten (8,9%) die Einschlusskriterien; 19 erhielten intranasal Muttermilch, 17 nicht. Die perinatalen Parameter unterscheiden sich nicht signifikant zwischen beiden Gruppen. Die intranasale MM-Applikation wurde gut toleriert.
Der Vergleich beider Gruppen zeigt tendenziell weniger Shuntversorgungen (MM+ 5% vs. MM- 18%, p=0,33) in der MM-behandelten Gruppe, der Unterschied ist bei der kleinen Fallzahl jedoch nicht statistisch signifikant.
Diskussion: Die intranasale Applikation von Muttermilch scheint sicher durchführbar. Die vorliegende Analyse bestätigt die Ergebnisse vorangehender Untersuchungen und unterstützt die Notwendigkeit einer randomisierten kontrollierten Studie zu Überprüfung der Wirksamkeit dieser Intervention.
EINLEITUNG
Die neonatale Sepsis ist aufgrund ihrer hohen Mortalität eine gefürchtete Komplikation des Frühgeborenen. Iatrogene Immunsuppression durch Mycophenolat-Mofetil (MMF) erhöht das Risiko für eine Sepsis durch eine verminderte B- und T-Zell-Aktivität. MMF hemmt selektiv, nicht-kompetitiv und reversibel die Inosinmonophosphat-Dehydrogenase, ein Schlüsselenzym der Purin Synthese und somit der Proliferation von B- und T-Lymphozyten. MMF wird off-lable bei Erwachsenen mit Systemischem Lupus Erythematodes (SLE) unter anderem bei Lupus Nephritis eingesetzt. Die Therapie eines SLE mit MMF in der Schwangerschaft wird, aufgrund einer möglichen Embryopathie, sowie assoziierten Frühgeburten mit erniedrigtem Geburtsgewicht, nicht empfohlen. Bei einer mütterlichen Therapie bis zur Entbindung können beim Neugeborenen MMF Plasmaspiegel erreicht werden, die im therapeutischen Bereich liegen. Wir berichten über den Verlauf eines 31+4 SSW Frühgeborenen, dessen Mutter während der Schwangerschaft aufgrund einer schweren Lupus Nephritis mit MMF behandelt wurde.
FALLBESCHREIBUNG
Der Patient wurde mit 31+4 SSW bei intrauteriner Wachstumsretardierung und pathologischen Dopplerflüssen in der Sonographie per Sectio geboren. Im ersten Trimenon wurde bei der Mutter die Erstdiagnose eines SLE mit schwerer Lupusnephritis Typ IV und V.a. Anti-Phospholipid-Syndrom gestellt. Hierauf erfolgte eine Medikation mit Prednisolon, Hydroxychloroquin, Mycophenolat-Mofetil und Clexane. Der MMF Spiegel bei unserem Patient lag am 1. Lebenstag oberhalb des therapeutischen Bereichs bei 4,0 mg/l (Ref.: 1,3-3,5 mg/l). Nach zunächst dem Gestationsalter entsprechend adäquatem Verlauf, entwickelte unser Patient am 4. Lebenstag eine Late-Onset-Sepsis, welche sich klinisch durch Sättigungsabfälle, Herzfrequenzschwankungen, sowie eine gerötete Eintrittsstelle des Venenkatheters zeigte. Laborchemisch war das C-reaktive Protein auf 12,9 mg/l erhöht, es bestand eine relative Lymphopenie bei Leukopenie und in der Blutkultur konnte Staphylococcus aureus nachgewiesen werden. Unter antibiotischer Therapie mit Piperacillin/Tazobactam erholte sich der Patient rasch und komplikationslos. Unser Patient zeigte in der Entwicklungsneurologischen Untersuchung nach 6 Monaten ein altersentsprechendes Verhalten.
FAZIT
Es ist möglich, dass die stattgehabte Sepsis unseres Patienten mit der mütterlichen MMF Einnahme assoziiert war. MMF sollte als plazentagängiges und potentiell teratogenes Medikament in der Schwangerschaft grundsätzlich nicht angewendet werden. Wenn eine MMF Einnahme unumgänglich ist, sollte in der Neonatalperiode ein besonderes Augenmerk auf das erhöhte Infektionsrisiko gelegt werden.
Hintergrund
Bei mit Streptokokken der Lancefield-Gruppe B (GBS) besiedelten Schwangeren kann es durch vertikale Übertragung unter der Geburt beim Neugeborenen zu Infektionen mit unterschiedlichen klinischen Verläufen kommen, wobei sich früh manifestierenden Erkrankungen (early-onset) primär als Pneumonie oder Sepsis ablaufen, während spätere Manifestationen (late-onset) häufiger mit einer Meningitis einhergehen.
Wir berichten von einem fünf Wochen alten Säugling mit komplizierten Verlauf einer GBS-Infektion mit septischer Arthritis und Ventrikulitis.
Fallbericht
Ein reif geborenes Kind wurde nach unkompliziertem Spontanpartus am vierten Lebenstag gesund aus der Geburtsklinik entlassen. In der fünften Lebenswoche erfolgte die Einweisung bei Gewichtsverlust und einer Schwellung am rechten Oberarm.
Untersuchungsbefund bei Aufnahme: Dystropher Säugling in stabilem Allgemeinzustand, afebril, eupnoeisch, peripher gut durchblutet. Einschränkung der Bewegung des rechten Arms, hier tastete sich über dem Epicondylus medialis eine Schwellung.Bis auf eine diskret gespannte Fontanelle sonst keine pathologischen Befunde in der klinischen Untersuchung.
Labor: CRP 6,5 mg/dl, Leukozyten 12,8/nl, Natrium 128 mmol/l; Röngten: keine Fraktur; Sonographie: Erguss im rechten Ellenbogengelenk mit Periostabhebung und deutliche Erweiterung der inneren Liquorräume. Nach Beginn der antibiotischen Behandlung (s.u.) erfolgte eine MRT-Untersuchung des Schädels, in der ein Hydrocephalus occlusus diagnostiziert wurde, zu dessen Behandlung drei Rickham-Reservoire implantiert wurden. Im Liquor waren Leukozytenzahl 1427/µL) und Gesamtprotein (20 g/l) stark erhöht. Die mikrobiologische Diagnostik erbrachte einen Nachweis von GBS-DNA per PCR im Liquor. Zusätzlich konnte GBS aus dem Rachenabstrich kulturell angezüchtet werden.
Wir behandelten mit Ampicilin, Cefotaxim, Clindamycin und Fosfomycin über 4 Wochen. Hierunter normalisierten sich die Liquorbefunde langsam. Bei weiterhin behindertem Liquorabfluss erfolgte nach weiteren 4 Wochen die operative Anlage von zwei VP-Shunts.
Bei Entlassung hatte das Kind eine gute Gewichtsprogression und bis auf einen deutlichen Strabismus keine neurologischen Auffälligkeiten. Die Arthritis war klinisch und sonographisch ausgeheilt.
Diskussion
In Deutschland wird nur bei einem Teil der Schwangeren ein GBS Screening durchgeführt. Durch die Antibiotika-Therapie während der Geburt kann die Inzidenz der early-onset Sepsis reduziert werden, die Häufigkeit der selteneren late-onset Sepsis wird hierdurch allerdings kaum beeinflusst. Aktuell sind daher Impfstoffe in der Entwicklung, die einen Schutz von Schwangeren und Neugeborenen gegen Infektionen mit GBS bewirken könnte.
Der molekularbiologische Nachweis von bakterieller DNA kann auch nach Beginn einer Antibiotika-Therapie Erreger identifizieren.
Messung volatiler organischer Substanzen mittels Multikapillarsäulen-gekoppelter Ionenmobilitätsspektrometrie: Potential zur nicht-invasiven Diagnostik in der Neonatologie
Fragestellung
Blutentnahmen bei Frühgeborenen können Stress und Anämien verursachen und sich somit negativ auf die Kurz- und Langzeitentwicklung auswirken. Daher ist eine nicht-invasive Diagnostik erstrebenswert. Großes Potential bergen flüchtige volatile Substanzen (volatile organic compounds, VOCs), die im Körper bei physiologischen und pathophysiologischen Prozessen entstehen und über Haut, Urin, Stuhl und Ausatemluft an die Umwelt abgegeben werden. Ziel ist es, eine Methode zur VOC-Analyse zu entwickeln, mit welcher Infektionen und andere Krankheitszustände detektiert werden können.
Material und Methode
Mittels Multikapillarsäulen-gekoppelter Ionenmobilitätsspektrometrie (MCC-IMS) können VOCs bereits in extrem geringen Konzentrationen (pg/l) detektiert werden. Wir haben VOCs in Urin-und Stuhlproben Frühgeborener mittels MCC-IMS analysiert und die statistische Auswertung der Daten unter Verwendung des Mann-Whitney-U-Tests und Bonferroni-Korrektur durchgeführt. Einschlusskriterien waren neben der Betreuung auf den neonatologischen Stationen des Universitätsklinikums des Saarlandes ein Geburtsgewicht < 2000g oder ein Gestationsalter < 32 Wochen.
Ergebnisse
Es wurden VOC-Profile von 133 Stuhl- und Urinproben von insgesamt 12 Frühgeborenen untersucht. Zunächst erfolgte die stufenweise Etablierung der MCC-IMS-Methode zur Analyse der VOCs in Windelproben der Frühgeborenen. Im Sinne eines „proof of principle“-Experiments zeigten sich signifikante Ergebnisse im Signifikanzlevel von p < 0,001. Es konnte demonstriert werden, dass der Inhalt der Windel (Urin/Stuhl) anhand des VOC-Musters klassifiziert werden kann, eine Unterscheidung zwischen leerer und voller Windel konnte ebenfalls vorgenommen werden.
Diskussion
Wir haben eine Umgebungsluft-unabhängige Methode zur Messung von VOCs an Bioproben von Frühgeborenen mittels Multikapillarsäulen-gekoppelter Ionenmobilitätsspektrometrie (MCC-IMS) entwickelt. Die Ergebnisse stellen einen innovativen Ansatz zur nicht-invasiven Diagnostik in der Neonatologie dar. Durch die Erkenntnis, dass man den Inhalt der Windeln mittels MCC-IMS nachweisen kann, könnte zukünftig ein bedarfsgerechtes Windelwechseln erfolgen und somit unnötiges Öffnen des Inkubators, was mit Stress für das Kind sowie einem hygienischen Risiko einhergeht, vermieden werden. Von großer klinischer Bedeutung könnte die Anwendung der VOC-Analyse in der Diagnostik verschiedener Krankheitsentitäten, wie z.B. Sepsis sein. Die Methode birgt daher großes Potential und könnte bei der Diagnostik weiterer Krankheitsbilder erprobt werden.
Schlussfolgerungen
Profile volatiler organischer Substanzen können zuverlässig und Umgebungsluft-unabhängig an Bioproben von Frühgeborenen erhoben werden und könnten sich zur Suche nach Biomarkern in der Neonatologie eignen.
Erstbeschreiber:
Van Lohuizen, 1922
Definition:
Konnatale, durch Teleangiektasien und Phlebektasien hervorgerufene, generalisierte oder lokalisierte, nicht selten systematisierte (entweder entlang der Dermatomgrenzen ausgebildet oder den Blaschko-Linien folgend), netzförmige Zeichnung der Haut. Die Dystrophie (Unterscheidung zur passageren Livedo reticularis des Neugeborenen) kann isoliert an der Haut auftreten oder mit mesodermalen oder neuroektodermalen Anomalien einhergehen. Nicht selten können Atrophien in der befallenen Haut nachgewiesen werden. Auch lokalisierte Atrophien des subkutanen Fettgewebes, der angrenzenden Muskulatur sowie des knöchernenen Skeletts sind beschrieben (s.a. Adams-Oliver-Syndrom).
Manifestation:
Ab Geburt, keine Geschlechtsbevorzugung.
Lokalisation:
Sowohl lokalisierte, unilaterale Formen (meist segmental oder den Blaschko-Linien folgend), v.a. an den Extremitäten; auch isoliert am Stamm. Selten ist generalisiertes Auftreten möglich.
Klinisches Bild:
Integument: Unsymmetrisch, auch segmental verteilte oder systematisierte marmorierte Haut mit Teleangiektasien und Phlebektasien; häufig auffallend dünne, durchscheinende (atrophische) Haut mit deutlicher Venenzeichnung.
Seltener sind eingestreute Spinnennävi oder prominente Venen.
Bei Jugendlichen und Erwachsenen kann eine deutliche Fettgewebs- und Muskelatrophie vorhanden sein.
Nicht ganz selten ist die Cutis marmorata teleangiectatica congenita mit einem melanozytären Naevus oder einem Naevus anämicus kombiniert (s.a. pigmentär vaskuläre Phakomatose)
Extrakutane Manifestationen: Genitoanale Anomalien, Skelettveränderungen, Lipome, Hyperkalzämie, Glaukom, Missbildungen wie Hemiatrophie, Hemihypertrophie betroffener Extremitäten, neuromuskuläre Störungen. Vereinzelt Ausprägung eines progerieartigen Aspektes.
Histologie:
Vermehrte, zum Teil lakunär erweiterte Kapillaren, Venulen in der Dermis und Subkutis.
Diagnose:
Bei Säuglingen ist die Unterscheidung zur reaktiven Livedo reticularis wichtig.
Differentialdiagnose:
Livedo reticularis des Neugeborenen (reaktiv, rückbildungsfähig in den ersten Lebensmonaten)
Genuine diffuse Phlebektasie
Acrodermatitis chronica atrophicans (nicht angeboren, DD bei Erwachsenen, die sich erstmals mit den Erscheinungen vorstellen; fehlende Serologie, Histologie ist für die chronische Borreliose diagnostisch)
Livedo racemosa (nicht angeboren, Histologie ist diagnostisch, weitere Zeichen der Systemvaskulitis); s.u. Livedosyndrome.
Therapie:
Symptomatisch.
Verlauf/Prognose:
Komplette Rückbildung in 50% der Fälle in den ersten Lebensjahren. Ein Teil der Fälle persistiert oder entwickelt sich progredient (Atrophie von Haut, Fettgewebe, Muskulatur und/oder Skelettsystem). Inwieweit diese klinisch differenten Verläufe sich genetisch unterscheiden ist bisher nicht geklärt.
Hinweis(e):
Nach Kienast und Höger werden Major- und Minor-Kriterien aufgeführt.
Einführung: Angeborene multiple Exostosen bzw. Multiple Osteochondrome (MO) bezeichnet eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, charakterisiert durch multifokales Auftreten primär benigner Osteochondrome. Die typische Lokalisation in der Nähe der Wachstumsfugen kann einhergehen mit gestörtem Längenwachstum, Bewegungseinschränkungen und Schmerzen. Ursächlich sind loss-of-function Mutationen in den Genen EXT1 und EXT2 die für Glykosyltransferasen kodieren. Die Inzidenz wird mit 1:50.000 angenommen. Bei 70 % der Patienten liegt eine familiäre Form vor, bei 30 % eine Neumutation. Die individuelle Ausprägung der MO ist sehr variabel. Die wesentliche Therapieform ist die operative Entfernung der Osteochondrome.
Es gibt für Deutschland kaum epidemiologische Daten zur MO gibt. Hier sollen die stationären Aufenthalte von Patienten mit dem spezifischen ICD-Code (Q78.6) über 12 Jahre untersucht werden.
Methoden: Daten der stationären Versorgung des statistischen Bundesamtes 2005-2016 und die Qualitätsberichte für das Jahr 2016 wurden auf MO-Kodierungen ausgewertet. Analyse mit Microsoft-Excel und Access (V 2016).
Ergebnisse: Im Jahr 2016 wurden 269 stationäre Fälle (2005: 200) mit MO als Hauptdiagnose (HD) und 230 als Nebendiagnose (ND) kodiert (2005=238). Die Gesamtzahl der Fälle schwankte im Beobachtungszeitraum zwischen 393 und 518 pro Jahr, zuletzt steigend.
Die Patienten wurden in 87 verschiedenen stationären Einrichtungen behandelt (HD) wobei 95% der Behandlungen in chirurgischen oder orthopädischen Fachabteilungen, bzw. Kinderfachabteilungen erfolgten. Kodiert wurden zu 97% operative DRG des Muskel- und Skeletsystems. 24% der Fälle wurden in Universitätseinrichtungen versorgt.
Das Durchschnittsalter lag 2016 bei 18,5 Jahren, Median bei 20 Jahren (nur HD). Männliche Patienten waren im Mittel 17,7 Jahre alt, weibliche 20,1 Jahre. Es gibt eine Lücke in der Altersverteilung mit vergleichsweise wenigen Versorgungen in der Transitionsphase vom 20. bis 25. Lebensjahr. Seit 2005 hat sich das Altersmittel tendenziell um knapp zwei Jahre verjüngt. In 2016 betrafen 64,3% der Fälle (HD) Männer. Die Einbeziehung weiterer Jahre bestätigt, dass stets etwa 60% der Behandlungen männliche Patienten betreffen und diese zum Behandlungszeitpunkt im Mittel zwei Jahre jünger sind als die Frauen. Die durchschnittliche Verweildauer war bei beiden Geschlechtern mit 4,1 Tagen gleich.
Schlussfolgerungen: Stationär operationsbedürftige Fälle von MO sind in Deutschland selten aber konstant mit leicht steigender Tendenz. Bemerkenswert sind die Ungleichverteilung der Geschlechter vor der Hintergrund einer autosomalen Erkrankung sowie das zunehmend geringere Alter der Männer bei stationären Eingriffen. Die Lücke im Transitionsalter könnte man u.a. auf das Fehlen eines krankheitsspezifischen Transitionsprogrammes zurückführen. Zur Ermittlung der exakten Prävalenz wären gezielte Forschungsansätze oder ein systematisches Register erforderlich.
Hintergrund: Das Food Protein Induced Enterocolitis Syndrome (FPIES) gehört zu den nicht IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien. Genaue epidemiologische Zahlen fehlen, aber mit Inzidenzen von max. 15/100.000 gehört das FPIES zu den eher seltenen Erkrankungen. Das erste Auftreten liegt meist in den ersten 9 Lebensmonaten. Als auslösende Substanzen sind u.a. Kuhmilchprotein (KMP) und Soja beschrieben. Das klinische Bild des akuten FPIES mit massivem Erbrechen, Durchfällen, Apathie, Hypovolämie und Hypothermie macht die Unterscheidung zu infektiösen Ursachen im klinischen Alltag zu einer Herausforderung. Wir berichten von einem Neugeborenen mit erstem Auftreten eines akuten FPIES, begleitet von massiven Volumenverlusten und Hypernatriämie.
Fall: Die Vorstellung eines 25 Tage alten männlichen Reifgeborenen erfolgte mit seit dem Aufnahmetag bestehendem Erbrechen und wässrigen Diarrhoen, zudem erschwerter Atmung und marmoriertem Hautkolorit. Initial zeigten sich stabile Vitalparameter, eine mittelgradige Exsikkose, der CRP-Wert mit 16,5mg/l leicht erhöht. Unter Glucose-Elektrolytlösung weiter massive Durchfälle, zeitweise Ausscheidung von 1300ml/24h, entsprechend 42% des Körpergewichts. Bei CRP –Anstieg (91mg/l) erfolgte zusätzliche Sepsis-Diagnostik (Lumbalpunktion, Blutkultur, Urin, Stuhl). In der Folge kam es zur Entwicklung einer schweren Hypernatriämie (167mmol/l) mit Hyperchlorämie, Laktatazidose und Methämoglobinämie. Es wurde eine empirische antibiotische Therapie begonnen, zudem Umstellung der Flaschennahrung auf kuhmilchproteinfreie Formula. Darunter kam es zu einem deutlichen Rückgang der Symptome und Abfall des CRP. Entlassung in gutem Allgemeinzustand. Kein Keimnachweis in o.g. Materialien. 4 Wochen später Wiederaufnahme zur Provokation mit kuhmilcheiweißhaltiger Nahrung. Nach Gabe von 1x 15ml und 2x30ml (Formula, 1,2g/100ml) erneut Entwicklung von Erbrechen (Latenz 1h), profusen Durchfällen (Latenz 4h) und deutlicher Marmorierung. Anstieg von Serumnatrium (151mmol/l), Chlorid, Laktat und Methämoglobin. Innerhalb von 36 Stunden vollständiger Rückgang der Symptome. Die klinische Präsentation erfüllt damit alle Kriterien für die Diagnose eines akuten FPIES durch Kuhmilchprotein.
Schlussfolgerung: Die Differenzialdiagnose der Neugeboreneninfektion sollte neben infektiösen auch allergische Ursachen beinhalten. Im vorliegenden Fall waren unter anderem die gastroenteritischen Symptome ohne Erregernachweis, als auch die Methämoglobinämie hinweisgebend. Neben empirischer antibiotischer Therapie muss daher auch eine kuhmilchproteinfreie Nahrung in Betracht gezogen werden. Die Diagnosestellung kann dann durch Provokation unter stationären Bedingungen erfolgen. Eine allergologische Beratung der Eltern ist geboten, um über das Krankheitsbild aufzuklären und im Notfall auch Kollegen auf diese seltene Ursache für eine Sepsis-ähnliche Präsentation hinweisen zu können. Die Prognose des FPIES ist gut.
Wir berichten über einen 4 Jahre alten Jungen, der seit Juli 2018 folgende Symptome entwickelte: rasche Ermüdbarkeit, Appetitminderung und 2 kg Gewichtsverlust innerhalb von vier Wochen, vermehrtes Schwitzen, Bauchschmerzen, Beinschmerzen sowie ausgeprägte Verhaltensauffälligkeiten (Irritabilität und Missmutigkeit). Zudem bestanden eine arterielle Hypertonie und eine Tachykardie. Es erfolgte eine ausführliche Labordiagnostik unter besonderer Berücksichtigung entzündlicher (infektiöser und autoimmuner) und hämato-onkologischer Ursachen (einschließlich KMP). Die einzigen auffälligen Befunde waren erhöhte Catecholaminkonzentrationen im Urin, passend zur arteriellen Hypertonie und Tachykardie. Die bildgebende Diagnostik – inklusive Ganzkörper-MRT – ergab keinen wegweisenden Befund. Schließlich konnten erhöhte Quecksilber-Konzentrationen im Blut und Urin nachgewiesen werden, die deutlich über den HBM-II Werten lagen. Auch die klinische Symptomatik war mit einer chronischen Quecksilberintoxikation zu vereinbaren. Bei der Mutter und dem Bruder fanden sich ebenfalls erhöhte Werte für Quecksilber. Durch eine Therapie mit Dimaval® (DMPS) normalisierten sich die Quecksilber-Konzentrationen innerhalb von 2 Monaten und die klinische Symptomatik bildete sich vollständig zurück.
Für potentielle Quecksilberquellen wie Thermometer, Batterien oder Leuchtmittel ergaben sich keine Hinweise. Es konnte eine hautaufhellende Gesichtscreme der Mutter aus dem Kosovo mit einem Quecksilbergehalt von ca. 18% identifiziert werden. Allerdings verneinte die Mutter die Applikation der Creme am Kind, so dass nach weiteren Quellen in der häuslichen Umgebung gesucht wurde. Dabei zeigte sich eine fast hundertfach erhöhte Quecksilber-Konzentrationen im Hausstaub. In einer Messung der Raumluft in der Wohnung der Familie fanden sich jedoch keine Werte oberhalb der Hintergrundbelastung, so dass eine inhalative Exposition ausgeschlossen werden konnte. Nachdem die Creme eliminiert wurde, zeigten sich rückläufige Quecksilber-Konzentrationen in Blut, Urin und Hausstaub, sodass die Creme als einzige Quelle bestätigt werden konnte.
Zusammenfassend gehen wir von einer indirekten, akzidentellen Quecksilbervergiftung durch Hautkontakt zwischen Mutter und Kind aus, was nach unserer Kenntnis in der Literatur noch nicht beschrieben ist. Die erhöhten Quecksilber-Konzentrationen im Hausstaub sind am ehesten durch abgeschilferte Hautzellen zu erklären.
Hintergrund: Die Unterscheidung einer „somatischen“ Erkrankung von psychischen Störungen kann eine Herausforderung sein und ist nicht immer möglich. Ein Paradebeispiel hierfür ist das „clenched fist syndrome“/„psycho-flexed hand syndrome“. Es ist gekennzeichnet durch Schmerzen, Schwellung und paradoxer Steifheit nach einem „Bagatelltrauma“ und manifestiert sich in Form einer stark geballten Faust und flektierten Fingern, die aktiv und passiv nicht gelöst werden können. Bei diesem in der Pädiatrie seltenen Syndrom besteht zunächst kein Leidensdruck und es findet sich kein pathomorphologisches Korrelat. Bei Persistenz der Symptomatik sind als Komplikationen Funktionseinschränkungen, Ulzerationen und Infektionen der betroffenen Hand beschrieben, welche sogar schon zu Amputationen führten.
Fallvorstellung:
Anamnese: Ein 15-jähriges bisher gesundes Mädchen klagte im Anschluss an einen Stromunfall über ein Taubheitsgefühl und Bewegungseinschränkungen der betroffenen Hand, die sich seit dem in einer Pfötchenstellung befand.
Befund: 15-jähriges Mädchen in gutem Allgemeinzustand und adipösen Ernährungszustand (KG 95 kg, KL 174 cm, BMI 31,4) Temperatur 36,7°C, RR 116/63 mmHg, HF 71 bpm, SaO2 97%. Parästhesie in der rechten Hand bis zum Handgelenk. Flexion der Finger der rechten Hand, weder passives noch aktives Lösen möglich. Hoher dynamischer Tonus in der rechten Hand, der bei Kraftprüfung der linken Hand nachließ. Keine Strommarken.
Diagnostik: Labor: Normalbefunde für: Blutbild, BZ, Troponin I, CK, LDH, Drogenscreening. EKG: Normalbefund, Nervenleitgeschwindigkeitstestung: N. ulnaris 57m/s beidseits, motorische Latenzen N. ulnaris und N. medianus beidseits 2,1-2,5 ms: Normalbefund; EEG: okzipital betonte alpha-beta-Grundaktivität um 9-10/sek., Amplitude 20-40µV, Temporo-okzipital dysrhythmisches, und spannungslabiles EEG mit deutlicher Beta-Auflagerung.
Verlauf: Im Schlaf zeigte sich eine gelöste Handhaltung, im Wachzustand konnten die Finger weder aktiv noch passiv bewegt werden. Die Patientin zeigte einen auffallend geringen Leidensdruck. Im weiteren Verlauf spontane Rückbildung.
Diskussion: Differentialdiagnostisch schlossen wir eine rheumatoide Arthritis, M. Parkinson, Hirninfarkt, Dupuytren Kontraktur und ein complex regional pain syndrome aus und diagnostizierten das psychogene „clenched fist syndrom“ aufgrund der typischen Handhaltung, dem geringen Leidensdruck, der gelösten Handhaltung im Schlaf und der unauffälligen paraklinischen Befunde. Eine rechtzeitige Diagnosestellung und Mitbetreuung dieser Patienten durch einen Kinder- und Jugendpsychiater ist dringend erforderlich um die potentiell schweren lokalen Komplikationen zu verhindern.