Autor:innen:
B. Kauffmann (Bremen, DE)
M. Wermuth (Bremen, DE)
S. Spranger (Bremen, DE)
M. Rautenberg (Tübingen, DE)
T. Rating (Bremen, DE)
Kasuistik: Wir berichten von einem Jungen mit einer psychomotorischen Entwicklungsstörung, der erstmals im Alter von 3,4 Jahren eine Halbseitensymptomatik mit Kopfneigung nach rechts, Kraftminderung des rechten Beines, Ataxie, verwaschener Sprache zeigte. Die Symptome waren nach 10 min. reversibel. Bei dem Verdacht auf einen ischämischen Schlaganfall erfolgte eine cMRT, die einen Normalbefund zeigte.
Die Situationen traten anfangs alle 2-5 Monate auf, im Verlauf häufiger, waren seitenwechselnd und getriggert durch Wärme (Baden, Hitze im Bus), Freude und körperliche Belastung. Die Dauer betrug wenige Minuten bis mehrere Stunden, maximal 2 Tage, anschließend komplette Erholung.
Die beste Therapie war der Schlaf.
Im Verlauf zeigte der Junge zusätzlich zu den getriggerten Bewegungsstörungen kontinuierliche cerebelläre Zeichen (Ataxie, Tremor, skandierte Sprache, fehlende schnelle Augen-Sakkaden), epileptische Aktivität im EEG, eine Areflexie, eine Bradyskinesie und einen degenerativen Verlauf seiner intellektuellen Fähigkeiten.
In der 2. cMRT zeigte sich nun eine Kleinhirnatrophie.
Ergebnis: Exomsequenzierung, Universitätsklinikum Tübingen: missense-Variante im ATP1A3-Gen, heterozygot c.460A>G; p.Met154Val oder M154V.
ATP1A3 kodiert die katalytische ɑ3-Untereinheit der Na+/K+-ATPase, die bei exzessiv hoher intrazellulärer Na+-Konzentration aktiv wird, z.B. nach repetetiven Aktionspotentialen.
Diskussion: Zu den ATP1A3-assoziierten Erkankungen gehört die alternierende Hemiplegie der Kindheit (AHC), die rapid-onset Dystonie/Parkinsonismus (RDP) und das CAPOS-Syndrom mit cerebellärer Ataxie, Areflexie, Pes cavus, Optikusatrophie und sensorineuraler Hörstörung. Klinisch würden wir den Jungen aufgrund der kontinuierlichen Ataxie, Areflexie und dem chronisch progressiven Verlauf am ehesten einem inkompletten CAPOS-Syndrom zuordnen.
Eine degenerative Kleinhirnatrophie ist bei Kindern mit CAPOS-Syndrom bisher nicht beschrieben.
Genetisch zeigen alle der weltweit 24 publizierten CAPOS-Patienten anders als unser Patient (p.Met154Val oder M154V) eine heterozygote missense Mutation im ATP1A3-Gen, p.Glu818Lys oder E818K.
Unser Patient zeigt somit eine klinisch und genetisch nicht eindeutig einordbare „ATP1A3-assoziierte Erkrankung“ mit der Besonderheit einer Kleinhirnatrophie.
Schlussfolgerung: Tritt bei Kindern akut eine Halbseitensymptomatik auf, sollte umgehend eine cMRT zum Ausschluß eines Schlaganfalls durchgeführt werden.
Bei durch Trigger, insbesondere Temperaturerhöhung, aber auch emotionale Veränderungen, ausgelöste Bewegungsstörungen ist eine genetische Diagnostik bzgl. paroxysmaler Dyskinesien incl. ATP1A3-Gens zu veranlassen.
Filme und MRT- Bilder des Patienten werden gezeigt.