Autor:in:
Dr. Oksana Petruchin | Germany
Nach den Zahlen der deutschen Krebsgesellschaft werden in Deutschland jedes Jahr etwa 500.000 mit der Diagnose Krebs konfrontiert, davon entfallen 50.000 bis 100.000 auf den Kopf-Halsbereich.
An bösartigen Tumoren der Mundhöhle und des Rachens erkranken in Deutschland im Jahr etwa 9.500 Männer und 3.500 Frauen. Bei Männern stehen diese Tumoren damit hinsichtlich der Häufigkeit an fünfter Stelle aller Krebserkrankungen. Im Durchschnitt sind Männer zum Zeitpunkt der Diagnose 66 Jahre alt, Frauen 70 Jahre alt.
Die Mehrzahl oraler Plattenepithelkarzinome im Kopf-Halsbereich entsteht auf der Basis von Krebsvorstufen so genannten Vorläuferläsionen [Forastiere et al., 2001].
Darunter versteht man Schleimhautbezirke mit morphologisch verändertem Gewebe auf dem Boden dessen das Auftreten von Plattenepithelkarzinom wahrscheinlicher ist als in Bereichen normaler Mundschleimhaut. Hierzu zählt Leukoplakie oder Erythroplakie als eine weißliche bzw. rötliche nicht abwischbare Veränderungen an der Mundschleimhaut, die auf keine andere Erkrankung zurückzuführen ist (DGZMK).
Unter einer prämalignen Kondition werden Grunderkrankungen zusammengefasst, die generell eine erhöhte Entartungstendenz der Mundschleimhaut aufweisen, dazu gehört in erster Linie der Orale lichen planus (OLP) aber auch seltenere systemische Erkrankungen wie Syphilis, Eisenmangelanämie und Xeroderma pigmentosum (sk2 Leitlinie). Klinisch kann sich eine Veränderung an der Mundschleimhaut durch Erosion, Ulzeration, veränderte Pigmentierung oder Verhornung bemerkbar machen und von Symptomen wie Brennen oder Schmerzen begleitet sein.
Diese Vorstufen gilt es durch Zahnarzt zu erkennen und rechtzeitig zu handeln. Die Mehrzahl oraler Plattenepithelkarzinome wird auch in Ländern mit hohem medizinischen Versorgungsstandard erst in fortgeschrittenen Stadien der Tumorprogression diagnostiziert [Vokes et al., 1993]. Die Diagnoseverzögerung durch den primärversorgenden Arzt/Zahnarzt liegt dabei im Mittel in einer Größenordnung von 2-4 Monaten und ist als maßgeblicher negativer Prognosefaktor in zahlreichen Studien belegt [Allison et al., 1998; Amir et al., 1999; Kowalski and Carvalho, 2001; Teppo et al., 2003] Es kann heute als gesichert gelten, dass eine Therapieverzögerung von mehr als vier Wochen eine signifikant schlechtere Überlebensrate bedingt [Kowalski and Carvalho 2001].
In der aktuellen WHO-Klassifikation der Kopf-Hals-Tumoren (2005) wird das Konzept der intraepithelialen Neoplasie (Squamous Intraepithelial Neoplasia: abgekürzt: SIN) auf Vorläuferläsionen des Plattenepithelkarzinoms angewandt. Man unterscheidet analog der Dysplasiegrade eine niedriggradige, mäßiggradige und hochgradige intraepitheliale Neoplasie (SIN 1 – SIN 3). In dieser Nomenklatur entspricht die hochgradige intraepitheliale Neoplasie (SIN 3) dem alten Begriff des Karzinoma in situ (Karzinomrisiko von 90%). Ob eine verdächtige Veränderung dysplastische oder sogar Krebszellen enthält, kann mit Gewissheit nur anhand von Gewebe- oder Zellproben festgestellt werden. Diese werden mithilfe einer Biopsie (Stanze oder Skalpell) oder Abstrich (Zytologie) entnommen und anschließend vom Pathologen mikroskopisch untersucht. Weitere diagnostischen Hilfsmethoden einer Früherkennung von suspekten Läsionen an der Schleimhaut umfassen die Toluidinblaufärbung, Photodynamische- und Autofluoreszenzdiagnostik. Diese Methoden eignen sich allerdings entweder aufgrund der teilweise sehr zeitintensiven Vorbereitung oder unzureichender klinischer Datenlage derzeit nicht zur Routinediagnostik. Goldstandart in der Diagnostik von Plattenepithelcarcinomen und seiner Vorläuferläsionen an der Mundschleimhaut ist heute nach wie vor die Skalpellbiopsie und histopathologische Begutachtung [Driemel et al. 2008].
Eine länger als zwei Wochen andauernde Anwendung von „Heilsalben“ jeglicher Art darf nie ohne eine vorherige eindeutige Diagnose zu sichern fortgesetzt werden [Kunkel 2010]. Wird durch eine pathohistologische Untersuchung eine Malignität ausgeschlossen, gilt es alle möglichen Risikofaktoren für die Entstehung von oralen Vorläuferläsionen und Konditionen auszuschließen. Dazu gehören neben Verbesserung der Mundhygiene und Sanierung des Zahnstatus, eine Elimination von Alkohol und Tabak. Unter Umständen auch eine Abklärung von möglichen allergischen Reaktionen oder Unverträglichkeiten. Bildet sich eine Mundschleimhautläsion nach dem Ausschalten mechanisch irritativer Ursachen innerhalb von zwei Wochen nicht zurück, ist eine Biospie und histologische Untersuchung durch den Facharzt oder die weiterbehandelnde Klinik angezeigt [Kujan et al. 2005].
Nach initialer Diagnostik, Dokumentation und Diagnosesicherung muss für jeden Patienten abhängig von seinen individuellen Risikofaktoren ein Recallintervall festgelegt werden um eine mögliche Entartung einer bestehenden Läsion möglichst frühzeitig zu erkennen.