Autor:in:
Dr. Claudia Postberg-Flesch | Gesundheitsamt Bottrop | Germany
Ende November 2016 informierte die Staatsanwaltschaft über Vorwürfe des Medikamentenbetrugs mit Zytostatika eines bekannten Bottroper Apothekers seit 2012 in mindestens 40 000 Einzelfällen.
Wir haben erkannt, dass dieser Betrug für viele Menschen individuell von Bedeutung sein würde und nach Absprache mit der Staatsanwaltschaft die wenigen bekannten Fakten den für uns erreichbaren „Betroffenen“ weitergeleitet – allen Ärzten, die von der Apotheke beliefert wurden, allen Krankenhäusern und Ärzten in Bottrop, damit sie bei Fragen der Patienten so viel Information wie möglich hätten.
Da betroffene Patienten namentlich nicht auszumachen waren, aber vermutlich bei mehreren Tausend der Verdacht bestand, falsch dosierte Medikamente erhalten zu haben, haben wir ein gut zugängliches Angebot in Form der Hotline eingerichtet, damit diese einen Ansprechpartner haben.
Dazu mussten wir die wenigen Informationen, die wir anfangs hatten, in auch für den medizinischen Laien verständliche Worte fassen und regelmäßig dem aktuellen Informationsstand, der von der Staatsanwaltschaft übermittelt wurde, anpassen.
Insgesamt haben bis 06/2018 1361 betroffene Patienten oder Angehörige angerufen, davon allein im Dezember 2016 518. Viele Telefonate waren sehr ausführlich, die meisten mehr als 15 Minuten, vereinzelt bis zu 1 Stunde. Manche Menschen haben mehrfach angerufen.
Viele Anrufer haben sich im Telefonat geöffnet und sehr persönliche Dinge erzählt. Daraus schließen wir, dass ein großes Gesprächsbedürfnis bestand und zumindest für den Augenblick des Telefonats das Zuhören an der Hotline gut getan hat. Einige Betroffene kamen auch zum persönlichen Gespräch ins Gesundheitsamt.
Zu Beginn eines Anrufes stand meist die Frage, ob der Arzt des Patienten von der Alten Apotheke beliefert wurde oder das verabreichte Medikament im Verdacht der Minderdosierung stand.
Darüber hinaus haben viele Menschen über ihre Erkrankung berichtet, oft waren sie verunsichert und fühlten sich betrogen. Die Hoffnung auf Gesundung oder das Vertrauen in die erhaltene Therapie waren auf einmal infrage gestellt. Bei den Menschen, die als Angehörige einen nahestehenden Menschen verloren hatten, kam das Erlebte und die Trauer darüber wieder zurück, obwohl die meisten erzählten, sie seien „darüber hinweg“ gewesen .
Viele Anrufer waren sehr erregt, schimpften in ihrer Wut oder weinten. Einige machten uns Vorhaltungen, Informationen zurückzuhalten oder „mit unter einer Decke zu stecken“.
Dieser Aufgabe haben sich die einzelnen Mitarbeiter freiwillig gestellt.
Bei besonders schwierigen Gesprächen konnten die Hotlinemitarbeiter den Anrufer weiterzuleiten zu einem Arzt oder Psychologen, so konnte jeder bei Bedarf konkrete Unterstützung bekommen.
Weil man an seine persönlichen Grenzen kommen kann in der Begleitung der Emotionen der Anrufer, war es allen Beteiligten freigestellt, jederzeit ohne weitere Begründung aus der Hotline aussteigen, von dieser Möglichkeit hat jedoch niemand Gebrauch gemacht.