Autor:in:
Carsten Mantel | Robert Koch-Institut | Germany
Das Jahrzehnt der Impfungen (‚Decade of Vaccines‘), das 2010 ausgerufen wurde, gibt ein ambitioniertes globales Ziel vor: Eine Welt, in der im Jahr 2020 kein Mensch mehr durch impf-präventable Krankheiten gefährdet sein wird. Der Globale Impf-Aktionsplan (GVAP), der unter Leitung der WHO und in Abstimmung mit Partnern wie UNICEF, Gavi, BMGF and US NIAID 2012 erstellt wurde, wird in diesen Tagen fortgeschrieben bis ins Jahr 2030.
Der letzte GVAP Jahresbericht zeigt, dass große Erfolge erzielt wurden in den letzten 8 Jahren, aber dass deren Aufrechterhaltung weiterer gemeinsamer Anstrengungen bedarf: Noch nie wurden weltweit so viele Säuglinge geimpft wie heute, 116 Millionen allein im Jahr 2017, 4.6 Millionen mehr als im Jahr 2010. In 123 Ländern wurde die angestrebte DTP3 Impfquote von 90% erreicht. Allerdings stagniert diese Entwicklung v.a. in Afrika – was aber unter Berücksichtigung des starken Bevölkerungswachstums dennoch einen Erfolg darstellt. Fast 2 Millionen weniger Säuglinge blieben im Jahr 2017 ungeimpft als noch vor acht Jahren. Vier weitere Länder erreichten das Ziel der Eliminierung von mütterlichem und neonatalem Tetanus. Zudem führten 113 Länder seit Beginn der Dekade neue Impfungen ein (unter anderem gegen Hib, Pneumokokken, Rotavirus und HPV), auch dank finanzieller und technischer Unterstützung durch die Gavi Allianz. In den 73 ärmsten Ländern konnten durch neue Impfungen seit 2011 über 23 Millionen Todesfälle verhindert werden. Weitere neue Impfstoffe werden in den nächsten Jahren verfügbar sein, solche gegen Malaria und Tuberkulose, wie auch gegen Dengue, CMV und RSV befinden sich in der späten Entwicklungsphase. Im Verlauf der Dekade nahm zudem die Zahl der funktionalen Nationalen Impfkommissionen (NITAGs) signifikant (um 140%) zu
Die Bestandsaufnahme zum Ende der Dekade zeigt allerdings auch, dass weitere Anstrengungen notwendig sind: Das Poliovirus zirkuliert noch immer in drei Ländern (Afghanistan, Pakistan, Nigeria), 13 Länder haben noch mit der Eliminierung von Neugeborenen-Tetanus zu kämpfen, und keine Weltregion konnte bisher dauerhaft die Masern eliminieren. Noch immer haben fast 20 Millionen Säuglinge keinen ausreichenden Impfschutz (60% von diesen leben in nur 10 Ländern, davon ein Drittel allein in Nigeria mit einer DTP3 Impfquote von 42%), und 25 der ärmsten Länder haben seit 2010 keine einzige neue Impfung eingeführt.
Die weltweite Masern-Impfquote stagniert bei 85%, wobei allerdings die Impfquote der zweiten Masernimpfung zunahm (von 39% auf 67% seit 2010). Während die globale Masern-Inzidenz von 50/ Million im Jahr 2010 auf 19 im Jahr 2016 zurückgegangen war, stieg sie innerhalb nur eines Jahres wieder auf 25/Million an - und zeigt damit die Vulnerabilität bereits erzielter Erfolge auf. In der Konsequenz beobachten wir derzeit Ausbrüche von Masern in vier von 6 WHO Regionen, wobei die amerikanische Region den bereits erreichten Eliminierungs-Status wieder verlor. Humanitäre Krisen und Konflikte sind wesentliche Ursachen dieser Rückschläge, wie z.B. in Venezuela, Myanmar / Bangladesch oder im Jemen.
Herausforderungen der nahen Zukunft stehen somit in Zusammenhang mit der politischen und ökonomischen Entwicklung angesichts einer zunehmend ungleichen Verteilung von Risiken zwischen und innerhalb von Ländern, der demographischen Entwicklung, zunehmender Urbanisierung und verstärktem Migrationsdruck. All diese Faktoren erschweren es, unterversorgte Bevölkerungsgruppen mit Impfungen zu erreichen. Neue Technologien, wie soziale Medien, können zudem Segen und Fluch zugleich sein - sie werden sowohl zur Verbreitung positiver Information zu Impfungen genutzt, können aber durch Fehlinformation auch zur weiteren Abnahme der Impfakzeptanz beitragen.
Die nächste Dekade muss für diese und weitere Gegebenheiten Lösungen finden: Impfungen werden in der Zukunft nicht mehr ausschließlich für Säuglinge angeboten, sondern über den gesamten Lebenszyklus. Der Gleichheitsgrundsatz erfordert die Implementierung von Impf-Programmen in allen Ländern. Hier wurde in den letzten 10 Jahren viel erreicht. Tatsächlich werden heute in Ländern mit mittlerem Einkommen oft weniger Impfungen angeboten und sind die Impfquoten geringer als in Ländern mit niedrigem Einkommen, die derzeit noch von der Gavi Allianz unterstützt werden. Einzelne Länder werden hier nachhaltig die Verantwortung für die eigenen Impfprogramme übernehmen müssen. Der Zugang zu nicht geimpften Bevölkerungsgruppen wird durch bessere und präzisere Daten verbessert werden. Technologische Innovationen zur Anwendung von Impfstoffen – wie z.B. ‚microarray patches‘ – können helfen, Impfquoten risikogerecht zu verbessern. Die sinnvolle Integration von Impfprogrammen mit Mutter-Kind Programmen und solchen für Jugendliche wird dabei unerlässlich sein. In diesem Zusammenhang hat die WHO im letzten Jahr eine globale Strategie zur Eliminierung von HPV vorgelegt, aufbauend auf der HPV Impfung, mit verbessertem Screening, praktikabler HPV Testung und verbesserten Therapiemaßnahmen.
Innovative Kommunikation zur Verbesserung der Impfnachfrage wie auch die kontinuierliche und stringente Surveillance bleiben essentiell für die Stärkung von Impfprogrammen weltweit. Die Rolle von Impfungen zur Verhinderung oder Bekämpfung von Epidemien, speziell in fragilen Staaten, muß neu definiert werden. Impfungen in der Schwangerschaft werden zunehmend in unseren Fokus rücken, um nach der Säuglings- nun auch die Neugeborensterblichkeit deutlich senken zu können. Hier werden derzeit Vorbereitungen getroffen für die Einführung von Impfstoffen gegen RSV und GBS, zusätzlich zu den bereits vorhandenen gegen Pertussis, Tetanus oder Influenza.
Schließlich werden gesundheits-ökonomische Erwägungen und die Kosten-Effizienz von Impfungen zunehmend wichtiger für Entscheidungen im Impfbereich, um eine nachhaltig gesicherte Versorgung mit Impfstoffen zu gewährleisten. Hier werden weitere Anstrengungen der globalen Partner notwendig werden, v.a. im Hinblick auf die Situation in Ländern mit mittlerem Einkommen. In der nächsten Strategie-Periode müssen hier verstärkte Anstrengungen unternommen werden, um Impfungen in die Programme zu ‚Universal Health Coverage‘ zu integrieren.