Raum:
Saal Paris 2
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 02: Psychische Störungen durch psychotrope Substanzen, Verhaltenssüchte, F1
Topic 08: Störungen mit enger Beziehung zum Kindes- und Jugendalter, F7–9
Format:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Besonderheiten:
Q&A-Funktion
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine sehr häufige Komorbidität bei erwachsenen Patienten mit Alkoholabhängigkeit (ca. 20%). Dieses Symposium gibt im ersten Teil einen Einblick in die klinische Komplexität von Differenzialdiagnosen und weiterer Komorbiditäten. Im zweiten Teil werden Daten aus der Grundlagenforschung präsentiert, die in Zukunft eine gezieltere Diagnostik und/oder Therapie ermöglichen könnten.
Die Fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD) wird durch mütterlichen Alkoholkonsum während der Schwangerschaft verursacht. Die FASD ähnelt dabei klinisch oft einer ADHS, spricht jedoch auf die gängigen ADHS-Behandlungen weniger gut an. Möglichkeiten zur Abgrenzung der beiden Diagnosen und die klinische Relevanz werden diskutiert.
Liegt tatsächlich eine ADHS zusätzlich zur Alkoholabhängigkeit vor, bestehen oft weitere psychische Störungen, die eine Einordnung der Symptomatik erschweren. Dazu werden Daten aus einem großen Kollektiv stabil abstinenter Alkoholabhängiger präsentiert, bei denen eine ADHS zusätzlich noch mit einer erhöhten Rate an Traumatisierungen und Traumafolgestörungen assoziiert ist. Differenzialdiagnostik und Implikationen für die Behandlung sollen dargestellt werden.
In der funktionellen Bildgebung zeigten sich Unterschiede bei der Rekrutierung neuronaler Netzwerke zwischen Alkoholabhängigen und ADHS-Betroffenen. So aktivieren Alkoholabhängige in einem komplexen Inhibitions-Task präfronto-striatale Regionen, wohingegen bei ADHS vermehrt das fronto-parietale prämotorische Netzwerk aktiviert wird.
Die Verhaltensinhibition ist bei Alkoholabhängigen bei gleichzeitiger Präsentation alkoholbezogener oder neutraler Reize verändert. Wie diese Inhibition durch eine zusätzliche ADHS beeinflusst wird, wird derzeit in einer Multicenterstudie in der Schweiz untersucht.
Die Fetale Alkohol-Spektrum-Störung als Differenzialdiagnose zur ADHS
Henrike Schecke, Essen (Germany)
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Autor:in:
Henrike Schecke, Essen (Germany)
Fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) sind eine Gruppe von Entwicklungsstörungen, die in Folge intrauteriner Alkoholexposition entstehen können. FASD geht mit verschiedenen neurokognitiven Einschränkungen und Defiziten im alltäglichen Funktionsniveau einher. Alkoholexposition während der Schwangerschaft gilt als Risikofaktor der Aufmerksamkeitsdefizits-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) im Kindes- und Jugendalter. In der klinischen Präsentation und der neuropsychologischen Untersuchung zeigen sich eine Reihe von Symptomüberschneidungen zwischen ADHS und FASD, zum Beispiel im Hinblick auf Störungen der Konzentration und der Aufmerksamkeit sowie exekutiver Funktionen. In der klinischen Diagnostik stellt sich die Herausforderung, ob FASD als Differenzialdiagnose oder Komorbidität zur ADHS berücksichtigt werden sollte. Da vor allem im Bereich der Erwachsenenpsychiatrie FASD bei Diagnostikern seltener bekannt ist, sollte auch in Erwägung gezogen werden, dass FASD nicht erkannt wird und die Symptomatik fälschlicherweise der ADHS zugeordnet wird. Der Vortrag gibt eine kompakte Übersicht der wissenschaftlichen Literatur zur Differenzialdiagnostik FASD und ADHS und zeigt Erkenntnislücken und Forschungsbedarf im Bereich der Erwachsenenpsychiatrie auf.
Alkohol, ADHS und Traumatisierung – Differenzialdiagnose oder weitere Komorbidität?
Mathias Luderer, Frankfurt am Main (Germany)
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Autor:in:
Mathias Luderer, Frankfurt am Main (Germany)
Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) erhöht das Risiko für eine spätere Abhängigkeitserkrankung und beeinflusst den Verlauf beider Erkrankungen negativ. Darüber hinaus erhöhen sowohl ADHS als auch Suchterkrankungen das Risiko für traumatische Erfahrungen und Traumafolgestörungen.
In einer großen Stichprobe stabil abstinenter erwachsener Alkoholabhängiger wurde die ADHS-Prävalenz mit einem aufwändigen Procedere erhoben. Häufigkeit von und Belastung durch traumatische Erfahrungen wurden über Fragebögen erfasst.
Die ADHS-Prävalenz lag bei 20,5%. Bei den Patienten, die jünger als 30 Jahre waren, waren sogar knapp die Hälfte betroffen. Nur 6% der Betroffenen hatten zuvor jemals eine ADHS-Diagnose erhalten. Traumatische Erfahrungen waren in der ADHS-Gruppe deutlich häufiger und die Belastung durch diese höher.
Neuronale Subkomponenten der Inhibition bei ADHS und Alkoholabhängigkeit
Sarah Gerhardt, Mannheim (Germany)
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Autor:in:
Sarah Gerhardt, Mannheim (Germany)
Einleitung:
Untersuchungen neuronaler Grundlagen der Verhaltenshemmung, bzw. inhibitorischen Kontrolle, haben gezeigt, dass sich diese in kognitive Teilprozesse differenzieren lässt. Neben einem gemeinsamen, neuronalen Netzwerk zeigen sich spezifische Aktivierungsmuster in Abhängigkeit davon, welche Subkomponente der Verhaltenshemmung beansprucht wird. Defizite in der Verhaltenshemmung zeigen sich sowohl bei der Alkoholgebrauchsstörung (AUD) als auch der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
Methoden:
In der vorliegenden Studie wurden neuronale Korrelate der Verhaltenshemmung bei Patienten mit einer AUD (n=15), oder ADHS (n=16) und gesunden Kontrollen (HC; n=15) untersucht. Es wurde eine funktionelle Magnetresonanztomografie-Untersuchung (fMRT) mit einer kombinierten Inhibitionsaufgabe durchgeführt, welche die neuronalen Prozesse und Subkomponenten während der Interferenzinhibition (Simon-Aufgabe), Reaktionsunterdrückung (Go-Nogo-Aufgabe) und Reaktionslöschung (Stop-Signal-Aufgabe) erfasst.
Ergebnisse:
Es zeigten sich differenzierbare, neuronale Aktivierungsmuster sowohl für die jeweiligen Subkomponenten der Verhaltenshemmung als auch zwischen den Teilnehmergruppen. Im Verlauf von früheren (Interferenzinhibition) zu späteren (Reaktionslöschung) Prozessen, rekrutierten Teilnehmer mit einer ADHS, im Vergleich zu AUD oder HC, vermehrt ein fronto-parieto-prämotorisches Netzwerk. Teilnehmer mit einer AUD hingegen zeigten, im Vergleich zu ADHS oder HC, über den Verlauf eine Veränderung in der Beteiligung von Gehirnregionen - von einem fronto-parieto-prämotorischen Netzwerk hin zu einem fronto-parieto-striatalen Netzwerk.
Diskussion:
Studien, welche Verhaltenshemmung an klinischen Stichproben untersuchen, sollten daher Unterschiede in den neuronalen Subkomponenten beachten. Zudem kann eine Charakterisierung und Unterscheidung von psychischen Erkrankungen, welche Defizite in der Verhaltenshemmung aufweisen, anhand neuronaler Korrelate möglich sein.
Der Einfluss von ADHS auf die Inhibition in Bezug auf alkoholbezogene und neutrale Reize bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit
Franz Moggi, Bern (Switzerland)
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Autor:in:
Franz Moggi, Bern (Switzerland)
Aktuelle Konzepte zur Entwicklung, Aufrechterhaltung und Therapie von Störungen durch Alkoholkonsum betonen die Relevanz erhöhter Anreizwirkung alkoholbezogener Hinweisreize sowie beeinträchtigter hemmender Verhaltenskontrolle in Bezug auf Alkoholkonsum. Ergänzend zu Interventionen zur Rückfallprävention zielen computergestützte Trainings darauf ab, diese automatisierten Suchtprozesse direkt zu verändern (CBM=cognitive bias modification). Diese Lernmechanismen könnten bei komorbider ADHS, insbesondere bei ausgeprägtem Aufmerksamkeitsdefizit und starker Impulsivität jedoch so stark beeinträchtigt werden, dass computergestützte Trainings keine Wirkung auf die Verbesserung von Inhibitionsfertigkeiten erzielen.
Im Rahmen einer multizentrischen, doppelblinden, randomisiert-kontrollierten Studie, die die Wirksamkeit eines alkoholspezifischen Inhibitionstrainings an 240 abstinenten alkoholabhängigen Patienten in stationären Entwöhnungsbehandlungen auf das Trinkverhalten bei 3-, 6- und 12-monatigen Nachbefragungen überprüft, werden 65 Patienten (26%) mit ADHS mit 185 Patienten ohne ADHS in Bezug auf ihre Reaktionszeiten und Fehlerraten in einem Go/NoGo-Test untersucht. Dabei werden die zwei Gruppen hinsichtlich ihrer Inhibitionsleistung bei neutralen und bei alkoholbezogenen Reizen und über beide Reiztypen hinweg verglichen. Die ADHS wurde als Selbstbeurteilung mit der deutschen Version der 18 Fragen umfassenden Symptomcheckliste ADHD-ASRS v1.1 erfasst. Die Patienten waren weder pharmakologisch noch psychotherapeutisch für ADHS behandelt.
Während sich die zwei Gruppen in Bezug auf die Reaktionszeiten und die Fehlerraten bei neutralen Bildern nicht unterschieden, wies die Patientengruppe mit ADHS mehr Fehler bei alkoholbezogenen Bildern auf. Die Ergebnisse und die Zusammenhänge mit dem Aufmerksamkeitsdefizit und der Impulsivität werden derzeit untersucht und im Vortrag kritisch gewürdigt. Der Bedeutung von ADHS für CBM wird dabei besondere Aufmerksamkeit geschenkt.