Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen empfiehlt im Gutachten von 2009 den Wechsel von einem traditionellen Anbieter- und sektorenorientierten in ein populationsorientiertes und sektorenübergreifendes Versorgungssystem.
Von einem solchen Paradigmenwechsel würden insbesondere psychisch kranke Menschen profitieren. Die Koordination der Angebote erfolgt in der Versorgungsregion, die Patientenbedarfe stehen im Mittelpunkt, die Leistungserbringer verpflichten sich zur Gewährleistung der Hilfen, die Akteure der psychosozialen Versorgung übernehmen die Verantwortung.
Regionale Verantwortung heißt, präventive, therapeutische und rehabilitative Maßnahmen vorzuhalten. Psychische, soziale und somatische Patientenbedarfe werden gleichermaßen berücksichtigt, rehabilitative Konzepte und präventive Ansätze werden gefördert. Die Übernahme der regionalen Verantwortung setzt ein kooperatives Finanzierungssystem mit Anreizen zu einer Überwindung sektoraler Begrenzung voraus.
Zu Recht fordern Psychiatrieerfahrene und Angehörige umfassende, flexible Hilfen aus einer Hand. Gemeindepsychiatrische Verbünde sind Ansätze, um Koordination und Steuerung verbindlich zu organisieren. Modellvorhaben nach § 64b SGB V ermöglichen eine flexiblere Nutzung der Ressourcen, i.V.-Verträge fördern eine sektorenübergreifende Behandlung, das Bundesteilhabegesetz eröffnet Möglichkeiten außerklinische Hilfen neu zu organisieren und das Wahl- und Entscheidungsrecht der Patienten zu stärken.
Ziel des Symposiums ist, das Paradigma der regionalen Verantwortung aus diesen unterschiedlichen Perspektiven darzustellen. Inwieweit regionale Verantwortung ein abstraktes Konzept ist oder zu einem pragmatischen Versorgungsgrundsatz führen kann, wird zur Diskussion gestellt. Krankenhausvertreter außerklinische Akteure und Psychiatrieerfahrene stellen die Notwendigkeit der Übernahme regionaler Verantwortung dar, Forderungen, die den Paradigmenwechsel unterstützen, werden abgeleitet.
Über die inneren und äußeren Landkarten professioneller Helfer
Bettina Wilms, Querfurt (Germany)
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Bettina Wilms, Querfurt (Germany)
Die Schlagworte „Regionale Verantwortung“, „Kooperation statt Konkurrenz“, „Hilfen aus einer Hand“ dürften inzwischen in wenigen Präsentationen, in denen es um psychosoziale Versorgung geht, fehlen. Auch Adjektive wie „personenzentriert“ und „flexibel“ klingen modern und fortschrittlich. Unklar bleibt oft, welche Voraussetzungen professionelle Helferinnen unterschiedlicher Berufsgruppen brauchen, wenn sie sich auf den Weg hin zu kooperierenden Hilfen machen wollen und welche Bedingungen möglicherweise auf diesem Weg hinderlich sind. Dem Begriff der Zuständigkeit kommt in diesem Feld eine zentrale Bedeutung zu. Dabei sind einerseits individuelle Haltungen, Sichtweisen, Aus- und Weiterbildungsaspekte zu betrachten und andererseits Positionierungen der Organisation, in der sich professionelle Helfer bewegen.
Im Vortrag wird der Versuch unternommen, diese Bedingungsfaktoren miteinander in Beziehung zu setzen. Ziel ist, einen Themenkatalog positiver Entwicklungslinien vorzulegen, der sowohl als Hilfestellung in der Personalrekrutierung als auch in der Strukturierung von Qualifikationscurricula genutzt werden kann.
Keiner kann's allein: regionale Verantwortung im Gemeindepsychiatrischen Verbund vor dem Hintergrund der Vorgaben des BTHG
Klaus Obert, Stuttgart (Germany)
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Klaus Obert, Stuttgart (Germany)
„Keiner kanns allein: Regionale Versorgungsverpflichtung im Gemeindepsychiatrischen Verbund und die Vorgabe des Bundesteilhabegesetzes“
Eine zentrale Leitlinie der Psychiatriereform lautet: Alle psychisch kranken Bürger*innen einer Region erhalten in ihrem Umfeld die erforderliche Unterstützung und Hilfe. Niemand darf gegen seinen Willen aufgrund fehlender Hilfen in seiner Region außerhalb untergebracht werden. Die Hilfen orientieren sich an den Bedürfnissen und Defiziten der psychisch kranken Menschen.
Die grundlegende Voraussetzung zur Umsetzung dieser Ziele besteht nicht nur in der Bereitstellung der dafür erforderlichen sozialpsychiatrischen Einrichtungen und Dienste. Diese müssen gleichermaßen vernetzt und verbindlich vereinbart unter Federführung der Kommune/Landkreis auf einer von gegenseitigem Vertrauen und Respekt beruhenden Haltung im Gemeindepsychiatrischen Verbund (GPV) zusammenarbeiten.
Die Vorgaben durch das Bundesteilhabegesetz rufen jedoch eine Ambivalenz auf den Plan: Einerseits sind sie eindeutig und unmissverständlich bestimmt durch die Orientierung an der Selbstbestimmung, -verantwortung und Autonomie der psychisch kranken und behinderten Menschen. Andererseits unterliegt dieses normative Prinzip dem Risiko, dass genau dadurch jener Personenkreis an den Rand gedrängt oder sogar unberücksichtigt bleibt, der vorrangig von den Einrichtungen und Diensten des GPV betreut und begleitet wird. Es handelt sich um jene Menschen, die sich schwer tun oder zeitweise nicht in der Lag sind, Hilfe zu suchen und annehmen zu können und dadurch Gefahr laufen, ohne Hilfe und Unterstützung zu bleiben.
Am Beispiel des GPV Stuttgarts soll kurz erläutert werden, wie versucht wird, diesen Antagonismus zu bewältigen und konstruktiv zu gestalten.
Dr. Klaus Obert
Mittendrin statt außen vor? Gesellschaftliche Teilhabe psychisch erkrankter Menschen
Elke Prestin, Bielefeld (Germany)
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Autor:in:
Elke Prestin, Bielefeld (Germany)
Im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen ist das Thema der gesellschaftlichen Teilhabe verstärkt in den Fokus gerückt. Wesentliche Anstöße gaben die UN-Behindertenrechtskonvention und das Bundesteilhabegesetz (BTHG). Die Schaffung von „Sonderwelten“ soll künftig möglichst vermieden werden. Ambulante, integrierte und im Sozialraum verankerte Angebote erhalten ein stärkeres Gewicht.
Der Vortrag skizziert zunächst einige ethische und konzeptionelle Grundlagen dieser Entwicklung. Anschließend wird gefragt, was „Förderung der Teilhabe“ aus der Perspektive der Betroffenen konkret bedeutet. Wie sind vorhandene Strukturen und Angebote einzuschätzen? Und welche Veränderungen sind anzustreben? Eine Kernthese lautet: Um wirkliche Teilhabe zu erreichen, reichen Reformen der Versorgungsstrukturen alleine nicht aus. Vielmehr muss die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen überwunden werden – gesamtgesellschaftlich, aber insbesondere auch in den Köpfen der in der psychosozialen Versorgung tätigen Professionellen.