Telemedizinische Ansätze sind für eine Personenzentrierte Psychiatrie und Psychotherapie von großem Interesse. So können Patienten individuell und abgestimmt auch zwischen den Behandlungsterminen in den Praxen und Ambulanzen mit psychoedukativen oder psychotherapeutischen Elementen ergänzend behandelt werden . Darüber hinaus können sie Termine vereinbaren, Rezepte bestellen und mittels online Psychometrie und Notfall-/Rückfallmeldesystem viel engmaschiger und für beide Seiten einfacher als bisher mit ihrem Behandler „in Kontakt und Austausch bleiben“. Insbesondere in ländlichen Gebieten mit geringer Therapeutendichte und weiten Wegen könnte die Bedeutung der Telepsychiatrie künftig steigen.
Es werden erste Ergebnisse mit verschiedenen psychiatrischen Krankheitsbildern und Settings vorgestellt und diskutiert. Beleuchtet werden die Chancen für eine bessere Patientenversorgung, aber auch die Risiken und die neuen Herausforderungen in Form von Schaffung von online-Arbeitsplätzen und ihrer Besetzung, und nicht zuletzt auch das evtl. einsetzende „Mengenproblem“ von zu viel Kontaktwünschen und -notwendigkeiten. Emons und Juckel stellen das vom Land NRW geförderte TellUs-Projekt vor, welches neben vielen Möglichkeiten des Kontaktes und Austausches auch die Möglichkeit von online Einzel- und Gruppenpsychotherapien beinhaltet. Sprick und Köhne von ersten Daten ihrer online Psychotherapie-Studie berichten u.a., dass online-Therapie ähnlich wirksam war wie klassische VT, aber auch eine ähnliche Akzeptanz bei den Patienten fand. Löbner präsentiert neuere Daten zu MoodGYM, einem gut evaluierten, frei zugänglichen online-Selbsthilfeprogramm für Menschen mit depressiven Störungen. Im Fokus der Präsentation steht die Beziehung von Dosis und Wirksamkeit. Reinhardt und Zielasek bearbeiten die Frage, ob und unter welchen Bedingungen telemedizinische Ansätze auch für die psychiatrische Notfallversorgung nutzbar gemacht werden können.
TellUs! – psychiatrische Behandlung und Psychotherapie zu Hause
Barbara Emons, Bochum (Germany)
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Autor:in:
Barbara Emons, Bochum (Germany)
Angesichts der wachsenden Bedarfe in der Versorgung psychisch schwerwiegend erkrankter Menschen ist eine quantitative und qualitative Ausweitung der ambulanten Versorgung nach stationären Aufenthalten erforderlich. Seit Jahren bestehen Engpässe aufgrund des Ärzte- und Therapeutenmangels in der ambulanten Versorgung von psychisch erkrankten PatientInnen. Lange Anfahrtswege und umständliche Erreichbarkeit erschweren in ländlichen Regionen den Zugang zur Versorgung, neben den durch den soziodemographischen Wandel bedingten immer höheren Anteil älterer Menschen. Aufgrund dessen ist eine Versorgungsinnovation nötig, die über eine enge Kommunikation zwischen Therapeuten und Patienten, den Verbleib im sozialen Umfeld sowie therapeutische Akutinterventionen verfügt.
Im Rahmen des TELL US! Projekt wurde eine webbasierte Applikation (App) konzipiert und entwickelt, mit dem Ziel als telepsychiatrische Therapieunterstützung in Form eines niederschwelligen Patient-Therapeut-Kommunikationsinstrument zu fungieren. Die Begleitung der PatientInnen über die App wird dabei in das Therapieangebot von ambulant behandelten PatientInnen eingebunden. PatientInnen können eine eigene Dokumentation führen oder psychoedukative Einheiten nutzen. Auch der direkte niederschwellige Kontakt über ein Benachrichtigungsportal ist möglich. BehandlerInnen wird die Möglichkeit der Akutintervention gegeben, zeitnah auf etwaige Gesundheitsverschlechterungen ihrer Patienten zu reagieren. Kernstück der webbasierten App ist die Möglichkeit der Durchführung von Videotelefonie in Form von Einzel- und Gruppen-Onlinetherapie. Nach Konzeption und Entwicklung der webbasierten App wird diese im Rahmen einer Versorgungsstudie in der Ambulanz eines Universitätsklinikums getestet. Hierbei wird zum einen die Usability der App durch ProbandInnen und PatientInnen getestet.
TELL US! nutzt die Möglichkeiten einer digitalen Medizin für soziale Innovationen in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung.
Online-Psychotherapie in der Ambulanz im Vergleich: therapeutengeleitete KVT (mit „Net-Step“) vs. kombinierte online/face-to-face-KVT (mit „Go-Stress“) bei ambulanten depressiven Patienten
Ulrich Sprick, Neuss (Germany)
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Autor:innen:
Ulrich Sprick, Neuss (Germany)
Martin Köhne, Neuss (Germany)
Depressionen gehören nach wie vor zu einer der zahlenmäßig wichtigsten Erkrankungen in der psychotherapeutischen Praxis. Insbesondere der möglichst frühe Beginn einer ambulanten Psychotherapie kann dabei zu einem verbesserten Outcome führen. Hierbei könnten auch online-gestützte Verfahren einen wichtigen Beitrag leisten. In der durchgeführten Studie sollen Effekte einer therapeutengeleiteten Online-Psychotherapie mit den Effekten einer blended Therapie verglichen werden.
Hierzu erhielten ambulante Patienten mit der bestätigten Diagnose einer Depression entweder eine 12-wöchige therapeutengeleitete KVT (N=59) oder eine kombinierte online/face to face KVT (N=20).
Prä - post erhobene BDI-Scores sanken sowohl in der Therapeutengeleiteten Psychotherapie-Gruppe als auch in der kombinierten Therapiegruppe signifikant (p < 0.01). Ein Unterschied der Effektstärke war zwischen beiden Therapiegruppen nicht auszumachen.
Die Drop-out Quote war bei der therapeutengeleiteten Therapiegruppe deutlich niedriger als in der blended-Therapiegruppe (3% vs 9%).
92% der Patienten aus der therapeutengeleiteten Gruppe und 87% aus der Gruppe mit einer kombinierten Therapie würden die angewandte Therapieform im Falle einer erneuten Erkrankung nochmals wählen und diese weiterempfehlen.
Im Ergebnis sind online-gestützte Psychotherapieverfahren als eine sinnvolle Ergänzung der zur Verfügung stehenden Palette von Therapien zu betrachten.
Online-Coaches bei Depression – die Beziehung von Dosis und Wirksamkeit
Margrit Löbner, Leipzig (Germany)
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Autor:in:
Margrit Löbner, Leipzig (Germany)
Einführung: Während es bereits zahlreiche Belege für die Wirksamkeit von Online-Coaches bei Depressionen gibt, ist bisher wenig über die Dosis-Wirksamkeitsbeziehung bekannt. Die vorliegende Studie untersucht beispielhaft verschiedene Nutzungsintensitätsgruppen (NIGs) eines Online-Coaches hinsichtlich einer Verringerung der depressiven Symptomatik.
Methode: Die Untersuchung wurde im Rahmen einer cluster-randomisierten kontrollierten Studie durchgeführt. Patienten (n = 647) mit leichten bis mittelschweren depressiven Erkrankungen aus 112 Allgemeinarztpraxen wurden rekrutiert und in eine Interventionsgruppe (IG: Online-Coach + treatment as usual, TAU) oder Kontrollgruppe (KG: TAU) eingeteilt. Alle Patienten wurden schriftlich zu drei Messzeitpunkten befragt (zur Baseline, nach 6 Wochen und nach 6 Monaten). Zur Untersuchung des Dosis-Wirksamkeits-Effekts wurde das Beck-Depressions-Inventar II (BDI-II) nach 6 Monaten herangezogen. Für die Analysen wurden lineare gemischte Regressionsmodelle verwendet.
Ergebnisse: Über alle NIGs der IG hinweg zeigte sich eine signifikant stärkere Verbesserung der depressiven Symptomatik im Vergleich zur KG. Am größten war die Symptomreduktion bei Viel-Nutzern (-5,77; p < 0,01) sowie Langzeit-Nutzern (-7,22; p < 0,01) des Programms.
Diskussion: Die Ergebnisse legen einen Dosis-Wirksamkeits-Effekt des Online-Coaches nahe. Hausarztpatienten mit leichten bis mittelgradigen depressiven Symptomen scheinen daher stärker von der Nutzung eines Online-Coaches zu profitieren, je intensiver sie ihn nutzen.
Schlussfolgerung: Die Studienergebnisse legen nahe, dass ein verstärktes Augenmerk auf die Art und Weise der Implementierung von Online-Coaches gerichtet werden sollte. Maßnahmen zur Adhärenzsteigerung in der Praxis (z.B. Motivation durch den Behandler) sollten entwickelt und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit untersucht werden.
Telemedizin in der Notfallpsychiatrie – geht das?
Isabelle Reinhardt, Köln (Germany)
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Autor:in:
Isabelle Reinhardt, Köln (Germany)
Telepsychiatrie im Sinne der Nutzung von Video- oder Internet-vermittelten Versorgungskontakten in der Versorgung psychisch Erkrankter wird mittlerweile international in einer Vielzahl von Routine-Versorgungsbereichen bei unterschiedlichen Patientengruppen erfolgreich angewendet. In wissenschaftlichen Evaluationen hat sich im Wesentlichen eine Gleichwertigkeit zu herkömmlichen Therapien hinsichtlich der Diagnostik und des Behandlungserfolgs gezeigt bei gleichzeitiger Kosteneffektivität.
Unklar ist allerdings, ob und unter welchen Bedingungen telemedizinische Verfahren auch für die psychiatrische Notfallversorgung nutzbar gemacht werden können. Im Rahmen des Vortrags werden die Ergebnisse einer aktuellen, systematischen internationalen Literaturrecherche vorgestellt. Telepsychiatrische Interventionen wurden in internationalen Studien vor allem in zentralen Notfallaufnahmen von Allgemeinkrankenhäusern untersucht, wo sie in der Regel zu einer Verminderung der Notwendigkeit stationärer psychiatrischer Aufnahmen der Betroffenen führten. Untersuchungen zum Einsatz telepsychiatrischer Verfahren bei Krisendiensten oder in Katastrophenfällen fehlen weitgehend in der internationalen Literatur.
Die Telepsychiatrie kann künftig ein wichtiges neues Segment in der psychiatrischen Notfallversorgung werden, wobei international bislang die umfangreichste Evidenz für den Einsatz in Notfallambulanzen vorliegt. Die Erfahrungen in Deutschland sind bisher noch sehr begrenzt.