Seit 01.01.2018 ermöglicht der § 115d SGB V die stationsäquivalente psychiatrische Behandlung in der Lebenswelt der Patienten, die Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft präzisiert die Umsetzung dieser Behandlungsform. Unabhängig davon haben sich verschiedene Arbeitsgruppen in Deutschland schon in den Jahren davor auf den Weg gemacht, Menschen mit psychischen Erkrankungen eine Behandlung zu ermöglichen, die näher an ihrer Lebenswelt ist und deren soziales Netzwerk in die Behandlung einbezieht.
4 Referenten stellen unterschiedliche Modelle aufsuchender Behandlung vor. Prof. Bechdolf aus Berlin berichtet über die ersten praktischen Erfahrungen mit StäB in der Großstadt. Neben den Herausforderungen der Implementierung geht er auf erste Behandlungsergebnisse ein. PD Dr. Frasch referiert über das Home Treatment, welches seit vielen Jahren im Donauwörth-Kreis durchgeführt wird. Interessant ist die Darstellung der klinischen Wirksamkeit und der Kosteneffektivität im Vergleich zur vollstationären Behandlung. Dr. Koch-Stoecker aus der Arbeitsgruppe von Prof. Driessen stellt die ambulante Intensivbehandlung im Rahmen der Psychiatrischen Institutsambulanz, die ebenfalls seit Jahren durch die Mitarbeiter*innen angeboten wird und sehr erfreuliche Behandlungsergebnisse zeigt. Abschließend berichtet Dr. Claus über die Integrative Versorgung von Menschen mit Psychosen im Rahmen des IV-Vertrags stattkrankenhaus®. Dieser Ansatz entspricht am ehesten den Kriterien des Assertive Community Treatment.
Mit diesem von ackpa und BDK gemeinsam veranstalteten Symposium soll verdeutlicht werden, dass neben der aktuell viel diskutierten Stationsäquivalenten Behandlung vielfältige andere Modelle erfolgreich umgesetzt werden, die Patienten aufsuchend mit multiprofessionellen Teams im häuslichen Umfeld behandeln. Verschiedene Ansätze werden vorgestellt und konkrete Erfahrungen aus den unterschiedlichen regionalen Kontexten zur Diskussion gestellt.
Erste praktische Erfahrungen mit der stationsäquivalenten Behandlung (StäB)
Andreas Bechdolf, Berlin (Germany)
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Andreas Bechdolf, Berlin (Germany)
Home Treatment (HT, Akutbehandlung im häuslichen Umfeld) sowie mittel- und langfristige aufsuchende Behandlung (Assertive Community Treatment, ACT) werden von den aktuellen DGPPN und NICE-Leitlinien mit dem höchsten Evidenzgrad für die klinische Behandlung von Patienten mit schweren psychiatrischen Störungen empfohlen. Seit Ende 2018 ist Home Treatment als stationsäquivalente Behandlung (StäB) im deutschen GKV-System möglich. Im vorliegenden Beitrag werden die ersten Erfahrungen und Pilotdaten aus StäB-Behandlungen in ein Grosstadt vorgestellt.
Home Treatment am BKH Donauwörth: eine Studie zur klinischen Wirksamkeit und Kosteneffektivität im Vergleich zur stationären Akutbehandlung
Karel Frasch, Donauwörth (Germany)
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Karel Frasch, Donauwörth (Germany)
Einleitung: Der wissenschaftliche Erkenntnisstand zum Home Treatment (HT) resultiert ganz überwiegend aus internationalen kontrollierten Studien und legt im Vergleich zu klassischer stationär-psychiatrischer Krankenhausbehandlung zumindest ebenbürtige, in Teilbereichen sogar bessere Behandlungsergebnisse (Empowerment, Lebensqualität, Angehörigenbelastung) nahe; für das deutsche Gesundheitssystem mit seinen besonderen Eigenheiten liegen bis dato nur wenige Untersuchungen hierzu vor, insbesondere im Hinblick auf die Betrachtung sog. Kosteneffektivitätsaspekte.
Methodik: Prospektive, kontrollierte Beobachtungsstudie mit 3 Messzeitpunkten (ausführliche Befragung zu Beginn der jeweiligen Behandlung, 6 und 12 Monate später) unter Verwendung eines Matched Pair-Designs: Es werden 2 Untersuchungsgruppen (HT versus stationär im Verhältnis 1:2) gebildet; das Matching erfolgt anhand soziodemographischer (Geschlecht, Alter, Erwerbsstatus) und klinischer (Diagnose, Anzahl stationärer Aufenthalte) Merkmale, wobei ein Wechsel zwischen den Konditionen, um die Versorgungsrealität abzubilden, jederzeit möglich ist. Ein positives Ethikvotum der Bayerischen Landesärztekammer liegt vor.
Primäres Ergebniskriterium ist die Schwere der klinischen und psychosozialen Beeinträchtigung (HoNOS-D), sekundäre Ergebniskriterien sind Empowerment (EPAS), Behandlungszufriedenheit (ZUF-8), subjektive Lebensqualität (WHOQoL-bref) / QALYs (EQ-5D), Ressourcenverbrauch (CSSRI), Sicherheit (HoNOS und Patientenakten) und Angehörigenbelastung (IEQ). Die statistische Auswertung erfolgt mittels Mixed Effects-Messwiederholungsmodellen, der Selektionsbias wird mittels Adjustierung durch Propensity Scores kontrolliert und die Kosteneffektivität mittels Net Benefit-Regressionsmodellen geschätzt.
Ergebnisse: In dem Vortrag wird die skizzierte am BKH Donauwörth laufende Studie ausführlich vorgestellt und es werden erste Originaldaten mitgeteilt.
Ambulante Intensivbehandlung – aufsuchend und in der psychiatrischen Institutsambulanz
Martin Driessen, Bielefeld (Germany)
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Martin Driessen, Bielefeld (Germany)
PIAs leisten als ambulante Arme der psychiatrischen Kliniken seit mehr als 40 Jahren über ihr multiprofessionelles Setting Behandlung, Nachsorge, Rückfallverhütung und Krisenintervention für schwerkranke Patient*innen mit komplexem Hilfebedarf. Sie ergänzen die vertragsärztliche und –psychotherapeutische Behandlung sowie komplementäre Versorgungsangebote, mit denen sie vernetzt arbeiten.
In der Patient*innengruppe, die behandelt wird, kann – laut aktuellen Daten des InEK - durch den Aufwand in der PIA bei etwa der Hälfte der Patient*innen eine stationäre Einweisung vermieden werden. Trotz der Möglichkeiten der PIA besteht aber dennoch eine Versorgungslücke und zwar für diejenigen Patient*innen, die zwar unterhalb (teil-)stationärer Behandlungsbedarfe angesiedelt sind, aber wegen akuter Verschlechterung, latenter Suizidalität oder Zunahme der Erkrankungsschwere von den aktuell stark begrenzten Möglichkeiten der PIA nicht ausreichend profitieren können. Für diese Patient*innen wäre, je nach Art der Erkrankung, eine intensiv-ambulante Behandlung erforderlich, die entweder aufsuchend oder in der PIA stattfinden sollte.
Hierfür gibt es bereits einige gut funktionierende Modelle, die mit strukturiertem Behandlungsplan über einen festen Zeitrahmen von etwa 6 Wochen multiprofessionell mit mehreren Therapieeinheiten pro Woche und geregelten Fallbesprechungen erfolgreich arbeiten.
Aktuell wird auch aus den StäB-Arbeitsgruppen die Erfahrung berichtet, dass nach Abschluss der Behandlung oft ein intensiv-ambulanter Übergang nötig wäre, der zwischen Entlassung aus StäB und ambulanter Regelbehandlung mehr Sicherheit für die Patient*innen bieten könne.
Grundlage für den Schluss dieser Versorgungslücke wäre eine Vereinbarung mit den Kostenträgern über eine ausreichende Finanzierung.
Assertive Community Treatment (ACT): integrierte Versorgung von Psychose-Patienten
Sylvia Claus, Klingenmünster (Germany)
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Sylvia Claus, Klingenmünster (Germany)
Menschen mit Psychosen haben mit 80% ein besonders hohes Risiko zur Gruppe der Severe Mental Illness Patienten zu gehören und damit vermehrt unter somatischer und psychischer Komorbidität und Beeinträchtigungen der Teilhabe zu leiden. Vor diesem Hintergrund haben wir im Rahmen eines integrierten Versorgungsvertrages DAK-versicherte Psychose-Patienten mit einem innovativen Versorgungsangebot in unserer Pflichtversorgungsregion behandelt. Aufgenommen wurden Patienten, bei denen eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit vorlag. Zusammen mit Patienten (und Angehörigen) wurde ein Gesamtbehandlungsplan erstellt und soweit möglich mit den jeweils behandelnden niedergelassenen Nervenärzten abgestimmt. Um die Behandlerkontinuität sicherzustellen wurde orientiert an den Bedarfen der Patienten ein Bezugstherapeut zugeordnet, der settingübergreifend Ansprechpartner für den Patienten und sein soziales Netzwerk ist. Neben Kriseninterventionen im häuslichen Umfeld mit aufsuchender Akutbehandlung durch ein multiprofessionelles Team, wie sie in England z.B. von Crisis Resolution Teams erbracht wird, kamen Behandlungselementen von Assertive Community Treatment zum Einsatz.
Durch diese kontinuierliche psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung, die im Bedarfsfall auch über Jahre hinweg erfolgte, ist es in den letzten neun Jahren gelungen, die Wiederaufnahmerate dieser Patienten in der Klinik deutlich zu reduzieren, sowie die kumulierte Verweildauer im Vergleich zu Patienten der Regelversorgung zu senken. Neben den Patienten schätzen insbesondere Angehörige schnelle professionelle Hilfe vor Ort in der Lebenswelt der Betroffenen.