Die Weltgesundheitsorganisation benennt Depression als bedeutendsten Einzelfaktor für psychische Gesundheitsprobleme.Nach Schätzungen sind weltweit über 300 Millionen, in Deutschland über 4 Millionen Menschen daran erkrankt. Gleichzeitig scheint die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen trotz einiger Aufklärungskampagnen in Deutschland zuzunehmen. Das Merkmal „Depression“ wird z.B. häufig im Zusammenhang mit negativen Bewertungen genannt. So seien an Depression erkrankte Personen „schwach“, „unberechenbar“, „gefährlich“ und „selbst schuld“ an ihrer Situation. Solche negativen Meinungen der Allgemeinbevölkerung (Stereotypen), Zustimmung zu diesen Meinungen (Vorurteile) und entsprechende Verhaltensreaktionen auf diese Vorurteile (Diskriminierung) werden unter dem Konzept öffentlicher Stigmatisierung zusammengefasst. Aber auch bei anderen psychischen Störungen wie z.B. Schizophrenie und ADHS ist Stigmatisierung ein Problem. Im Symposium wird die Thematik an Hand von vier Vorträgen, in denen aktuelle empirischen Studien vorgestellt werden diskutiert. Der erste Vortrag stellt Ergebnisse eines repräsentativen Surveys zu Stigmatisierung bei ADHS vor. Im zweiten Vortrag wird eine prospektive Studie zu Auswirkungen eines psychiatrischen Krankenhausaufenthaltes auf Selbstbild du Stigma präsentiert. Im dritten und vierten Vortag werden Ergebnisse einer experimentellen Studie zu Selbstigmatisierungsprozessen und deren Auswirkungen bei depressiven Patienten vorgestellt.
Werden Menschen mit ADHS-Symptomen stigmatisiert? Ergebnisse eines repräsentativen Surveys in Deutschland
Sven Speerforck, Greifswald (Germany)
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Autor:in:
Sven Speerforck, Greifswald (Germany)
Trotz einer weltweit hohen epidemiologischen, klinischen und kulturdiskursiven Relevanz der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist das Ausmaß potentiell stigmatisierender Einstellungen innerhalb der deutschen Bevölkerung nicht bekannt.
In einer computergestützten telefonischen Repräsentativbefragung (CATI) der deutschsprachigen Allgemeinbevölkerung in 2017 wurden 1008 Teilnehmer in Bezug auf eine ungelabelte Fallvignette einer 12- bzw. 35-jährigen Person mit der Kernsymptomatik einer ADHS nach Einschätzungen zu ADHS, eigenen Erfahrungen und angegebenem Kontakt, Kontinuumsvorstellungen, Emotionen und dem Wunsch nach sozialer Distanz gefragt. Es erfolgte eine repräsentative Gewichtung der Ergebnisse. Assoziationen zwischen eigenen Erfahrungen, Kontakt, Kontinuumsvorstellungen und stigmatisierenden Einstellungen wurden mittels einer Pfadanalyse untersucht.
Etwa zwei Drittel der Befragten bejahte ein deutliches Kontinuum der Symptome und knapp die Hälfte gab an, jemanden mit den geschilderten Symptomen im näheren Umfeld zu kennen. Etwa ein Viertel der Befragten gab Ärger in Bezug auf die dargestellte Person mit ADHS an. Während ein Erwachsener mit ADHS am häufigsten als Arbeitskollege oder Nachbar akzeptiert wurde, lehnte jeder Vierte es ab, der dargestellten Person einen Raum zu vermieten oder diese für eine Arbeitsstelle zu empfehlen. Eigene Erfahrungen mit der angegebenen Symptomatik oder persönlicher Kontakt waren mit mehr Kontinuumsvorstellungen der Symptomatik assoziiert. Eine höhere Zustimmung zu Kontinuumsvorstellungen war mit mehr Empathie und weniger Wunsch nach sozialer Distanz assoziiert.
Im Vergleich mit anderen psychischen Erkrankungen scheint ein Stigma gemessen mittels emotionaler Reaktionen und dem Wunsch nach sozialer Distanz in der Allgemeinbevölkerung bezüglich ADHS geringer ausgeprägt. Im Gegensatz dazu erscheint ein Stigma in Bezug auf medikamentöse Behandlungsoptionen und Krankheitsakzeptanz sehr relevant.
Selbststigmatisierungsprozesse bei Patienten mit depressiver Symptomatik – ein prozedurales Modell als Grundlage zur Untersuchung von Ausmaß und Auswirkungen
Steffen Conrad Von Heydendorff, Mannheim (Germany)
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Autor:innen:
Steffen Conrad Von Heydendorff, Mannheim (Germany)
Steffen Conrad Von Heydendorff, Mannheim (Germany)
Harald Dreßing, Mannheim (Germany)
Josef Bailer, Mannheim (Germany)
Abstract:
Das Progressive Modell zu Selbststigma beschreibt in vier Phasen die Internalisierung von Stereotypen psychischer Erkrankungen: Wahrnehmung von Stereotypen, Persönliche Zustimmung, Anwendung auf sich selbst mit negativen Konsequenzen für sich selbst (z.B. niedrigerer Selbstwert). Es wird angenommen, dass aufeinanderfolgende Phasen höher miteinander in Zusammenhang stehen als weiter auseinander liegende, sowie dass die Zustimmung zu den Phasen sukzessive abnimmt. Zusätzlich zu diesen Annahmen, war Ziel der Studie, den prozeduralen Charakter des Modells mithilfe eines seriellen Mediationsmodells an Patienten mit depressiver Symptomatik zu testen.
Daten wurden querschnittlich an einer Online-Stichprobe (NA=550) und einer klinischen Präsenzstichprobe (NB=180) erhoben. Einschlusskriterien waren mindestens eine diagnostizierte depressive Episode oder Dysthymie, Alter zwischen 18 und 70 Jahren, ausreichend kognitive und sprachliche Fähigkeiten.
Die Ergebnisse unterstützen das Progressive Modell zu Selbststigma in den meisten Aspekten. Die Zustimmung zur Wahrnehmung von Stereotypen fiel höher aus als Persönliche Zustimmung und Anwendung auf sich selbst, zwischen denen kein Unterschied bestand. Aufeinanderfolgende Phasen wiesen die stärksten Zusammenhänge auf, mit der Ausnahme von Wahrnehmung von Stereotypen und Selbstwert: Dieser war höher als Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung von Stereotypen und den anderen Phasen. Der Zusammenhang wurde mediiert über Persönliche Zustimmung und Anwendung auf sich selbst.
Das Progressive Modell zu Selbststigma bietet eine theoretische Grundlage für prozedurale Forschung zu Selbststigma. Längsschnittliche Studien könnten untersuchen, inwiefern die Phasen differenziert zu betrachten sind bezüglich Prädiktoren, Konsequenzen und Interventionen.
Die Bedeutung von Medienberichten auf Selbststigmatisierung bei depressiven Patienten – eine experimentelle Studie
Steffen Conrad Von Heydendorff, Mannheim (Germany)
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Autor:innen:
Steffen Conrad Von Heydendorff, Mannheim (Germany)
Nele Göpfert, Mannheim (Germany)
Josef Bailer, Mannheim (Germany)
Harald Dreßing, Mannheim (Germany)
Die gesellschaftliche Stigmatisierung von psychisch erkrankten Menschen ist nach wie vor ein bedeutsames Problem. Bei der Entstehung von Stigmatisierungsprozessen spielen Medienberichte eine entscheidende Rolle. Die aktuelle Studie hat untersucht, inwieweit eine als stigmatisierend bewertete mediale Berichterstattung Einfluss auf die Stimmung und auf selbst- stigmatisierende Aspekte bei depressiven Menschen haben kann.
Methodisch wurde daher eine experimentelle Studie durchgeführt, bei der ein Teil der an einer Depression erkrankten Menschen einer stigmatisieren Berichterstattung ausgesetzt wurde. Im Vergleich hierzu wurden depressiv Erkrankte in zwei Kontroll-Gruppen mit nicht stigmatisierender Berichterstattung(bzgl. psychischer Erkrankung) konfrontiert.
Hierbei zeigte sich, dass sich eine stigmatisierende Berichterstattung insbesondere signifikant negativ auf die Stimmung von Erkrankten auswirkt. Auch bzgl. selbst-stigmatisierender Aspekte war ein Effekt in Teilbereichen messbar.
Die vorliegende Studie konnte zeigen, dass eine stigmatisierende mediale Berichterstattung für psychisch Erkrankte (Depression) zu einer deutlichen Verschlechterung des Befindens führen kann, wodurch die Aktualität und Bedeutung des Themas "Mediale Stigmatisierung psychisch Erkrankter und deren Auswirkungen" erneut verdeutlicht werden konnte.