Die Berücksichtigung der Anforderung der Evidenzbasierten Medizin hat zu einer signifikanten Zunahme der Psychotherapie-Forschung in Form von störungsspezifischen randomisierten kontrollierten Studien (RCT) geführt.
Die Ergebnisse haben Eingang in eine Vielzahl von S3-Leitlinien gefunden.
Inzwischen ist aber das Problem der Orientierung an evidenzbasierten, störungsspezifischen Psychotherapien deutlich geworden: Erstens kann es nicht für über 100 ICD-10 Diagnosen evidenzbasierte, störungsspezifische Psychotherapien geben und zweitens leiden die meisten, insbesondere stationär behandelten Patienten an verschiedenen Komorbiditäten. Darüber hinaus ist mit dem Bemühen um die Einführung einer personalisierten Medizin der Anspruch auf eine Individualisierung von Behandlungen auch bei psychischen Erkrankungen gekoppelt.
In dem Symposium soll auf dieses Spannungsfeld zwischen Evidenzbasierter Medizin und Individualisierung und mögliche wissenschaftliche und klinische Lösungswege eingegangen werden.
Wie viel Raum geben störungsspezifische Psychotherapien für eine Personalisierung – ist es wirklich ein Widerspruch?
Elisabeth Schramm, Freiburg im Breisgau (Germany)
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Autor:in:
Elisabeth Schramm, Freiburg im Breisgau (Germany)
Derzeit erfahren störungsspezifische Ansätze einen Wandel in Richtung eines individualisierten und modularen Organisationsprinzips. Dieses bietet angesichts der überwiegenden Anzahl komorbid gestörter Patienten eine höhere Flexibilität, individuell auf damit verbundene spezifische Merkmale (z.B. frühe Traumatisierungen) einzugehen. Am Beispiel des Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) für chronische Depressionen wird gezeigt, wie interpersonelle Lernmodule individualisiert an frühen Beziehungstraumatisierungen ansetzen mit dem Ziel, typische hartnäckige Vermeidungsmuster zu durchbrechen und durch sozial zielführendes Verhalten zu ersetzen. Dabei wird der interpersonelle Interaktionsstil des Patienten berücksichtigt.
Das diszipliniert-persönliche Einbringen der Reaktionen des Therapeuten auf das Verhalten des Patienten setzt an dessen Kernpathologie an und ermöglicht es ihm, aus dem “Interaktions-Vakuum” heraus zu treten und soziale Reiz-Reaktionsmuster wahr zu nehmen. Der Therapeut wird dabei von Anfang an zum „safety stimulus“ für den Patienten. Interpersonelles Diskriminationslernen unterstützt den Prozess, sich auf andere Personen offen einzulassen.
In Kombination mit anderen Modulen beispielsweise aus der Beziehungsachtsamkeit wird daran gearbeitet, frühe Fehlprägungen des Patienten bewusst zu machen und zu überlernen.
Die Modulare Psychotherapie als Lösung des Dilemmas
Sabine C. Herpertz, Heidelberg (Germany)
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Autor:in:
Sabine C. Herpertz, Heidelberg (Germany)
Angesichts der Kritik an der Nosologie psychiatrischer Störungen und hoher Komorbiditäten bei stationär behandelten psychiatrischen Patienten ist es Ziel aktueller Forschung, Psychotherapie jenseits störungsspezifischer Methoden hin zu einer evidenz- und prozessbasierten modularen Psychotherapie weiterzuentwickeln. Jenseits der Syndrome und Störungen sollten möglichst viele biopsychosoziale Charakteristika und die den psychischen Problemen zugrunde liegenden Mechanismen analysiert und in einer individuellen umfassenden funktionellen Analyse gebündelt werden. Auf Basis dieser Problemanalyse sollten evidenzbasierte Module, .d.h. Behandlungseinheiten, ausgewählt und im Behandlungsverlauf unter kontinuierlicher Dokumentation des individuellen Ansprechens adaptiert werden. Ein solches modulares Vorgehen eignet sich in besonderer Weise für das psychiatrische Behandlungssetting, das auf wirksame Kurzinterventionen angewiesen ist. Die Auswahl der Module erfolgt flexibel und bedarfsgerecht in Abhängigkeit von den individuellen Problemen des Patienten; die Module werden zu einem individuellen Behandlungsprogramm zusammengestellt, das Algorithmen für die Reihenfolge in der Auswahl festlegt. Auf diese Weise bedeutet modulare Psychotherapie einen personenzentrierten Ansatz psychiatrischer Therapie.