Autor:in:
Naika Foroutan, Berlin (Germany)
Die plurale Demokratie, so wie sie im Deutschen Grundgesetz verankert ist, verspricht die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, die Partizipation aller Bürger*innen an den zentralen Ressourcen dieser Gesellschaft und die symbolische Anerkennung, als ein Gut, das auch marginalisierte Gruppen zunehmend einklagen. Die Nichterfüllung dieser Versprechen von Anerkennung und Teilhabe führt zu einem spannungsgeladenen, ambivalenten Zustand. Empirisch zeigt sich, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Grundsätze der Verfassung zwar verinnerlicht hat und somit kognitiv akzeptiert, fordern Minderheiten ihre Rechte jedoch aktiv ein, so lässt sich parallel zur Anerkennung als rechtlich legitimen Anspruch eine emotionale Ablehnung erkennen, die sich exemplarisch in Debatten um den Bau von Moscheen oder der Frage nach dem Kopftuch muslimischer Lehrerinnen abzeichnet. Während Vielfalt und Pluralität inzwischen als ein Grundbestandteil der neuen deutschen Gesellschaft beschrieben und wertge¬schätzt werden, werden konkrete daraus hervorgehende Phänomene weiterhin emotional abgelehnt. Dieser Widerspruch er¬zeugt ein normatives Paradoxon, welches die akut ambivalente Spannung in der Gesellschaft verstärkt. Mit dem Wissen um diese Diskrepanz zwischen Norm und Empirie nimmt auch die Polarisie-rung zu: Auf der einen Seite stehen jene, die fordern, die Realität an die Norm anzugleichen, auf der anderen Seite jene, die fordern die Norm abzusen¬ken, um der Realität gerecht zu werden.
Wie geht eine Gesellschaft nun mit dieser normativen Paradoxie um? Wie verarbeitet sie die kognitive Dissonanz zwischen einer weithin geltenden Normenbasis, die Pluralität und Anerkennung betont und einer systematischen empirischen Missachtung dieser Norm für bestimmte soziale Gruppen? Der Versuch, die normative Paradoxie aufzulösen zeigt sich aktuell vor allem in der diskursiven Festschreibung derjenigen, denen legitime Zugangs- und Anerkennungsrechte verwehrt werden, als Fremde außerhalb des kollektiven, nationalen Narratives. Durch den Verweis auf die erkennbare Lücke zwischen Norm und Realität wird deutlich, dass existentielle Veränderungen notwendig wären, wollte man diese gesellschaftlich destruktive Dissonanz auflösen. Zugleich lassen sich die Ambivalenzen in der Integrationsfrage jedoch als notwendiger politischer Motor interpretieren: Wenn sich widersprechende Positionen in Dialog treten, dann treibt dies soziale Veränderungen an und eröffnet die Möglichkeit, in einem dialektischen Prozess Gehör für marginalisierte Positionen zu schaffen.