Pflegende Angehörige sind allgemein einer erhöhten chronischen Stressbelastung ausgesetzt. Das gilt im Besonderen bei der Pflege von Menschen mit Demenz. Dabei können die Stressoren interindividuell und entlang des Krankheitsverlaufes sehr unterschiedlich sein. Schon bei den ersten Symptomen der Demenzentwicklung, zumeist zunehmende Vergesslichkeit im Rahmen eines klinischen Mild Cognitive Impairment (MCI), zeigten sich bei den Lebenspartnern deutlich erhöhte Depressionsraten von 23% (Seeher et al. 2013). Gerade in den frühen Erkrankungsstadien scheinen dyadische Therapieaspekte für die Aufrechterhaltung der Lebensqualität und der Stabilisierung der häuslichen Versorgungssituation eine große Rolle zu spielen (Wuttke-Linnemann et al. 2019). Psychotherapeutische Interventionen bei pflegenden Angehörigen können, neben der Behandlung von Depression und Anpassungsstörung, Resilienz fördernde und Erkrankungspräventive Ziele verfolgen.
Das Symposium präsentiert wissenschaftlich evaluierte, innovative Versorgungsansätze zur proaktiven Einbeziehung pflegender Angehöriger entlang des Krankheitsverlaufes.
Seeher K, Low LF, Reppermund S, Brodaty H.
Predictors and outcomes for caregivers of people with mild cognitive impairment: a systematic literature review. Alzheimers Dement. 2013 May;9(3):346-55.
Wuttke-Linnemann A, Baake R, Fellgiebel A.
Dyadic Wind of Change: New Approaches to Improve Biopsychological Stress Regulation in Patients with Dementia and Their Spousal Caregivers. J Alzheimers Dis. 2019 Mar 18. doi: 10.3233/JAD-181025.
Determinanten der Erschöpfung informell Pflegender in der häuslichen Pflege
Ralf Suhr, Berlin (Germany)
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Autor:in:
Ralf Suhr, Berlin (Germany)
Hintergrund/ Ziele:
Die meisten Pflegebedürftigen in Deutschland werden zuhause durch Angehörige versorgt. Diese sind in unterschiedlichem Maß in die Pflege eingebunden. Langdauernde Pflege kann zu einem Burnout führen – und damit zu psychischer Morbidität, Depression und erhöhter Krankheitshäufigkeit. Die Erschöpfungsstörung gilt als klinisches Burnout-Äquivalent. Ziel dieser Studie ist es zu analysieren, wie die Beteiligung an der Pflege mit Erschöpfung verbunden ist, und wie sie durch Schulung, soziale Integration und Wertschätzung beeinflusst wird.
Methoden:
Bundesweit wurde eine multizentrische Punktprävalenzstudie mit zufällig ausgewählten ambulanten Pflegediensten durchgeführt. Fragebögen wurden an familial Pflegende und ambulante Pflegekräfte verteilt, um separat Informationen über den Pflegebedürftigen zu erhalten. 223 dyadische Datensätze konnten mittels eines Strukturgleichungsmodells analysiert werden.
Ergebnisse:
Die objektive Beteiligung an der Pflege erhöht die subjektiv empfundene Einbindung. Diese wiederum steigert die Erschöpfung des familial Pflegenden. Zugleich sind die interaktiven Effekte zwischen objektiver Einbindung und sowohl Pflegetraining als auch sozialer Integration auf die subjektive Einbindung statistisch signifikant negativ. Ebenso ist der interaktive Effekt auf die Erschöpfung eines familial Pflegenden zwischen subjektiver Einbindung in die Pflege und wahrgenommener Wertschätzung negativ.
Fazit:
Schulung familial Pflegender und soziale Integration führen dazu, dass objektive Belastung durch Pflege subjektiv weniger stark wahrgenommen wird. Darüber hinaus sind Pflegende weniger erschöpft, wenn sie sich geschätzt fühlen. Schulung und Wertschätzung stellen daher Möglichkeiten dar, um Erschöpfung und das Risiko psychischer Erkrankungen bei familial Pflegenden zu beeinflussen. Sie können damit zugleich wichtig sein zum Erhalt des familialen Pflegepotentials in Deutschland.
Wirksamkeit einer telefonbasierten kognitiv-behavioralen Therapie für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz – Ergebnisse einer 3-Jahres-Katamnese
Mareike Sittler, Jena (Germany)
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Autor:in:
Mareike Sittler, Jena (Germany)
Hintergrund: Kognitiv-behaviorale Ansätze für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz (MmD) haben sich als wirksam herausgestellt. Allerdings fehlen bisher noch Ergebnisse aus Langzeituntersuchungen. Ziel dieser Studie war daher die Evaluation einer telefonbasierten kognitiv-behavioralen Intervention für pflegende Angehörige von MmD drei Jahre nach Beginn der Therapie.
Methode: 273 pflegende Angehörige wurden randomisiert der Interventionsgruppe (IG), welche 12 Einzeltherapiestunden erhielt, oder der Kontrollgruppe (KG) zugewiesen. Es wurde die Depressivität (CES-D), die körperliche Gesundheit (GBB-24), herausfordernde Verhaltensweisen (BEHAVE-AD), die Lebensqualität (WHOQOL-BREF), die Ressourcenaktvierung (RES), die Pflegebelastung, der Umgang mit der Pflegesituation und das emotionales Wohlbefinden (Visuelle Analogskalen) drei Jahre nach der Baseline-Befragung erfasst. Die Daten wurden mittels generalisierter ANCOVAS ausgewertet.
Ergebnisse: 164 TeilnehmerInnen (IG: n = 83, KG: n = 81) nahmen an der Katamneseuntersuchung teil. Aufgrund von Veränderungen der Pflegesituation seit Studienbeginn wurden die Subgruppen „Häusliche Pflege” (n = 52), „Heimunterbringung” (n = 29) und „Trauernde Angehörige” (n = 83) separat ausgewertet. Positive Effekte hinsichtlich relevanter Belastungsmaße konnten bei pflegenden Angehörigen in der IG gefunden werden, welche weiterhin im häuslichen Setting ihre/n Angehörige/n versorgten sowie bei trauernden pflegenden Angehörigen. TeilnehmerInnen, welche ihre Angehörigen in die institutionelle Pflege übergeben hatten, berichteten in der IG von weniger Lebensqualität sowie weniger Gebrauch von Ressourcen zur Erhaltung des Wohlbefindens, als TeilnehmerInnen der KG.
Diskussion: Die Ergebnisse deuten auf langfristige, positive Effekte der telefonbasierten kognitiv-behavioralen Intervention hin, allerdings nur für zu Hause pflegende Angehörige sowie trauernde Angehörige. Hintergründe und Implikationen der Befunde werden diskutiert.
Effekte eines dyadischen, aufsuchenden Unterstützungsprogramms für Menschen mit Demenz und deren Angehörige auf psychobiologische Stressregulation im Alltag
Clara Blanca Henrici, Mainz (Germany)
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Autor:in:
Clara Blanca Henrici, Mainz (Germany)
Hintergrund: Die Diagnose einer Demenzerkrankung stellt eine hohe chronische Stressbelastung dar und geht bei Patienten und pflegenden Angehörigen mit erhöhten Depressionsraten (Seeher et al. 2013) und weiteren, stressbedingten Ko-Morbiditäten einher. Die Mehrzahl aktueller Interventionen richtet sich entweder an Patienten oder an Angehörige, während dyadische Therapien noch ausstehen (Van‘t Leven et al., 2013). Vorliegende Untersuchung evaluiert ein adaptiertes dyadisches Therapieprogramm (Häußler et al. 2010) mit den Zielen, Stress bei beiden Partnern zu reduzieren und die häusliche Versorgungssituation zu stabilisieren (Wuttke-Linnemann et al. 2019).
Methode: Insgesamt 25 Patienten und ihre pflegenden Angehörigen wurden an 7 Terminen zu Hause aufsuchend behandelt, dabei wurden Kompetenzen zur Krankheits- und Stressbewältigung dyadisch vermittelt. Es wurden Daten zu biopsychologischem Stresserleben erhoben: subjektive Angaben zum aktuellen Stresserleben, objektive Auswertung von Speichelproben zur Bestimmung von Cortisol und Alpha-Amylase.
Ergebnisse: Es wurden Daten von 25 Dyaden ausgewertet. Das subjektive Stresserleben der Angehörigen war insgesamt nach den Sitzungen geringer (p = 0.012). Dabei zeigte sich eine signifikante Interaktion zwischen Person und Sitzungen, so dass Patient und Angehörige unterschiedlich stark von den einzelnen Sitzungen zur Stressreduktion profitierten (p = 0.045). Die Tagesprofile zeigten, dass das Stresserleben bei Patienten und Angehörigen insgesamt abgenommen hat.
Schlussfolgerung und Ausblick: Durch die dyadische Intervention wurde bei Patienten und pflegenden Angehörigen Stress reduziert. Dabei lieferten biopsychologische Marker Hinweise auf unterschiedliche Wirkweisen bei Patienten und Angehörigen. Die Evidenz der Effektivität unserer dyadischen Intervention sollte durch weitere, kontrollierte Studien bestätigt werden. Die differenziellen Mechanismen der dyadischen Ko-Regulation sollten Gegenstand weiterer Analysen sein.