Menschen nehmen sich in der „Zeit“ und ihrer „Zeitlichkeit“ wahr. Und sie können am Vergehen der Zeit wie ihrem Nichtvergehen, an ihrer Beschleunigung wie an ihrem Stillstand leiden.Unser ganzer Alltag ist bestimmt durch Zeitrelationen. In der Geschichte unseres Faches gibt es eine lange und lebhafte Tradition mit der „Erfahrung und Wahrnehmung von Zeit und Zeitlichkeit“ bei psychisch Kranken. Jedoch hat diese wichtige Dimension bislang keinen Eingang -trotz mancher klinischer und wissenschaftlicher Befunde- in unseren psychopathologischen Befund gefunden. Veränderung der Zeitwahrnehmung und der Erfahrung der eigenen Zeitlichkeit spielen bei Patienten mit Depression und Schizophrenie eine große Rolle und dürften eng verbunden sein mit anderen Symptomen wie Denk- und Antriebsverlangsamung, Wahn, Halluzinationen usw. Vor allem die Phänomenologie in der Philosophie mit Husserl, Heidegger, Bergson bis hin zu Theunissen hat hier einen starken Einfluss auf die jeweilige Psychiatergeneration ausgeübt (z.B. von Gebsattel, Minkowski, Blankenburg, Ciompi, Fuchs usw.). In den letzten Jahren wurde auch aber verstärkt empirisch zu Veränderungen der Zeitwahrnehmung geforscht. Metanalysen legen z.T. deutliche Nosologie-spezifische Unterschiede nahe.
In diesem Symposium soll durch zwei mehr philosophische und zwei mehr psychiatrische Vorträge eine Standortbestimmung vorgenommen werden und die Frage gestellt werden,ob dieWahrnehmung von Zeit und Zeitlichkeitnicht in unseren AMDP-Befund aufgenommen werden sollte. Können uns hier Ansätze der Philosophie zum „guten Leben“ (Steinfath) und eine moderne phänomenologische Ausdifferenzierung (Kupke) weiterhelfen? Und wie können aktuelle empirische Befunden zu Zeitintervallschätzung, ihrer Neurobiologie (Juckel) bis hin zu Untersuchungen in der Virtual Reality (Vogel und Vogeley) dazu beitragen, die für das tagtägliche Erleben unserer Patienten so wichtige Dimension der „Zeit“ für Diagnostik und Therapie zu etablieren und zu nutzen?