Raum:
Saal A2
Topic:
Wissenschaftliches Programm
Topic 05: Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen, F4
Topic 16: Psychotherapie
Topic 22: Versorgungsforschung und Versorgungsmodelle
Format:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Besonderheiten:
Q&A-Funktion
Die neue S3-Leitlinie zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wird im Juni 2019 durch die Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) publiziert und erscheint im November 2019 im Springer-Verlag. Die Leitlinienarbeit erfolgte unter maßgeblicher Beteiligung und mit finanzieller Förderung der DGPPN. Insgesamt waren 18 Fachgesellschaften und Institutionen daran beteiligt. Die S3-Leitlinie spiegelt das aktuelle Wissen zur psychotherapeutischen und pharmakologischen Behandlung der PTBS wider, zum Einsatz adjuvanter Interventionen und zu den besonderen Bedarfen spezieller Patientengruppen. Unter anderem betrifft dies die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit psychiatrischen Komorbiditäten wie affektiven Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Psychosen und substanzbezogenen Störungen sowie, aufgrund der Einführung dieser neuen Diagnose in ICD-11, von Patientinnen und Patienten mit „Komplexer PTBS“. Schließlich widmet sich ein eigener Abschnitt der Leitlinie der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit PTBS. Im Symposium wird die neue Leitlinie der Fachöffentlichkeit präsentiert und ihre Inhalte werden zur Diskussion gestellt. Dazu stellt Prof. Dr. Ingo Schäfer, Hamburg, im ersten Vortrag die aktuellen Empfehlungen zur psychotherapeutischen Behandlung der PTBS vor einschließlich der Behandlung bei wichtigen Komorbiditäten. Es folgt ein Vortrag zur pharmakologischen Behandlung der PTBS durch Dr. Julia Schellong, Dresden. Im dritten Vortrag stellt Prof. Dr. Dr. Andreas Maercker, Zürich, die Befunde und Empfehlungen zur Behandlung der neuen Diagnose „Komplexe PTBS“ vor. Das Symposium schließt mit einem Vortrag von Prof. Dr. Rita Rosner, Eichstätt, zur Behandlung der PTBS bei Kindern und Jugendlichen.
Psychotherapeutische Behandlung der PTBS – was ist die aktuelle Evidenz?
Ingo Schäfer, Hamburg (Germany)
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Autor:in:
Ingo Schäfer, Hamburg (Germany)
Einführung: Die deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) wurde 2011 unter Federführung der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) verabschiedet und in den letzten Jahren neu überarbeitet. Eine Hauptfragestellung betraf dabei die aktuelle Evidenz zur psychotherapeutischen Behandlung.
Methode: Den Empfehlungen zur psychotherapeutischen Behandlung der PTBS wurden verschiedene Quellen von Evidenz zugrunde gelegt: 1.) Sichtung internationaler Leitlinien zur Behandlung der PTBS, 2.) Sichtung von Primärstudien zur Psychotherapie der PTBS nach systematischer Recherche und Erstellen von Evidenztabellen für diese Studien, sowie 3.) Sichtung aktueller Metaanalysen zur Psychotherapie der PTBS.
Ergebnisse: International besteht in den Behandlungsleitlinien zur PTBS Konsensus darüber, dass eine traumafokussierte Therapie erfolgen soll. Dies spiegelt die Ergebnisse der existierenden Primärstudien wieder, die hohe kontrollierte Effektstärken für traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) sowie eine Überlegenheit der traumafokussierten KVT gegenüber nicht-traumafokussierten Ansätzen belegen. Therapiekonzepte, die traumafokussierte und nicht-traumafokussierte Techniken kombinieren ("phasenbasierte Ansätze") können anhand der existierenden Evidenz noch nicht abschließend bewertet werden.
Diskussion: Während sich die Evidenzbasis zur Überlegenheit von traumfokussierten Therapieansätze bei der Behandlung der PTBS weiter konsolidiert hat, bleiben wichtige weitere Fragen bislang offen. Dies betrifft unter anderem die systematische Untersuchung von Moderatoren für den Therapieerfolg verschiedener traumafokussierter Therapieprogramme und die Langzeiteffekte von traumafokussierten vs. nicht-traumafokussierten Behandlungsansätzen.
Pharmakotherapeutische Behandlung der PTBS – Möglichkeiten und Grenzen
Julia Schellong, Dresden (Germany)
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Autor:in:
Julia Schellong, Dresden (Germany)
Hintergrund:
Trotz eindeutiger Studienlage, dass Psychotherapie die Methode der Wahl bei Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) ist, hat die Psychopharmakotherapie bei PTBS in der klinischen Praxis nach wie vor einen hohen Stellenwert.
Methode:
Im Rahmen der Überprüfung der Empfehlung zur Psychopharmakologie bei Porsttraumatischer Belastungsstörung für die Überarbeitung der AWMF S3 Leitlinie erfolgte eine Sichtung der diesbezüglichen Empfehlungen in den internationalen Leitlinien (NICEguidelines, IoMreport (2008), Va/DoD (2010), Australian guidelines (2013), ISTSS guidelines (2008)). Zudem wurden Metaanalysen aus den letzten fünf Jahre ausgewertet.
Ergebnisse:
Die Guidelines, die Psychotherapie first line empfahlen, waren in der Wirksamkeit besser als die, die Psychotherapie und Medikation als gleichwertig empfohlen haben. Die Guidelines, die beides empfahlen, zeigten niedrigere Effekte als die, die ihre firstline Intervention auf traumafokussierte Psychotherapie begrenzt haben. Einige Psychopharmaka, wie Sertralin, Paroxetin und Venlafaxin zeigten moderate Effekte. Keine Evidenz findet sich für ganze für Substanzklassen wie SSRIs. Zu Prazosin wird Wirksamkeit bei Alpträumen berichtet, die Studienlage zu PTBS ist uneinheitlich. Benzodiazepine sollten als Kontraindikation bei PTBS oder kurz zurückliegendem Trauma angesehen werden.
Schlussfolgerung:
Internationale Leitlinien und neuere Metaanalysen kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass Pharmakotherapie geringere Effektstärken zeigt als traumafokussierte Psychotherapie. Nur bestimmte Substanzen waren moderat wirksam, der Einsatz von Benzodiazepinen wird generell nicht empfohlen.
Behandlung von Patienten mit „Komplexer PTBS“
Andreas Maercker, Zürich (Switzerland)
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Autor:in:
Andreas Maercker, Zürich (Switzerland)
Die Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (KPTBS) wird 2018 mit der Veröffentlichung des ICD-11 zu einer im internationalen Versorgungssystem anerkannten Diagnose. Die KPTBS umfasst ein Symptombild, welches in der Regel durch besonders schwere, langandauernde und sich wiederholende traumatische Erlebnisse (sog. Typ-II Traumata) hervorgerufen werden. Die Diagnose umfasst alle Kernsymptome der klassischen PTBS (Wiedererinnerung, Vermeidung, Übererregung) und zusätzlich kommen drei weitere Symptomgruppen hinzu: anhaltende und tiefgreifenden Probleme der Emotionsregulation (verstärkte emotionale Reaktivität, Affektverflachung, gewalttätige Durchbrüche), ein negatives Selbstkonzept (beeinträchtigte Selbstwahrnehmung wie die Überzeugung, minderwertig, unterlegen oder wertlos zu sein, Schuldgefühle, Schamgefühle) sowie Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen (Schwierigkeiten, nahe Beziehungen aufzubauen und aufrecht zu erhalten).
Die Empfehlungen der S3-Leitlinie stützen sich auf die Ergebnisse einer systematischen Literaturrecherche. Dafür konnten 14 RCTs zu Ansätzen bei Patienten mit KPTBS identifiziert werden. Die Ergebnisse der eingeschlossenen Studien mit Patienten mit chronischen interpersonalen Traumatisierungen weisen darauf hin, dass die etablierten Therapien der PTBS auch für Patienten mit KPTBS effektiv die PTBS-Kernsymptomatik reduzieren können. Der Empfehlungsgrad „B“ und der Evidenzgrad „2b“ ergeben sich aus dem Vorliegen mehrerer gut geplanter RCTs, die allerdings nur eine mäßige Passung zur neusten Formulierung der KPTBS-Diagnose im ICD-11 haben, sondern die sich im Wesentlichen auf Vorgängerdefinitionen der KPTBS sowie auf KPTBS-relevante Symptomcluster beziehen. Eine Ausweitung von Studien auf andere Stichproben ist zu befürworten. Bisher wurden vorranging Frauen nach sexuellen Missbrauchserfahrungen sowie US-amerikanische Kriegsveteranen untersucht.