Seit 2013 gibt es die Möglichkeit Verträge für Modellvorhaben nach § 64b SGB V mit den Krankenkassen abzuschließen. Das Symposium befasst sich mit den dadurch bedingten besonderen Gestaltungsmöglichkeiten für therapeutische Konzepte, z.B. einer flexiblen personenzentrierten Behandlung im häuslichen Umfeld im Speziellen und den bereits vorliegenden Ergebnissen laufender Evaluationsstudien im Allgemeinen. Darüber hinaus werden die Perspektiven beleuchtet, die sich aufbauend auf den bisherigen Erfahrungen für die Zukunft der Modellprojekte nach § 64b SGB V ergeben: Hierzu sollen insbesondere die Sichtweisen von Krankenkassen und der Aktion Psychisch Kranke auch im Hinblick auf den Dialog des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen diskutiert werden.
Zuhausebehandlung unter Bedingungen des § 64b SGB V: das Lüneburger Modell
Nadia Bustami, Lüneburg (Germany)
Ulrike Luzie Steinert, Lüneburg (Germany)
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Autor:innen:
Nadia Bustami, Lüneburg (Germany)
Ulrike Luzie Steinert, Lüneburg (Germany)
Symposium „ Das können Modellprojekte nach § 64b SGB V und so sieht ihre Zukunft aus“ Chair: B. Wilms
Bustami, Nadia und Steinert, Ulrike: Zuhausebehandlung unter Bedingungen des § 64b SGB V: Das Lüneburger Modell
Abstract
Seit 2014 hat die Psychiatrische Klinik Lüneburg, ein Fachkrankenhaus mit Vollversorgungsauftrag in der Erwachsenenpsychiatrie, ein Modellprojekt gemäß § 64b SGB V mit der AOK Niedersachsen(etwa ein Drittel aller Patienten). Die Weiterentwicklung dieses Modellprojekts hat dazu geführt, dass seit April 2018 auf einer Hometreatment-„Station“ 12-14 Patienten mit stationärer Behandlungsindikation durch ein multiprofessionelles Team behandelt werden. Das 13 köpfige Team arbeitet nach den Prinzipien des „Open Dialog“ (systemisches Behandlungskonzept, entwickelt von J. Seikkula). Die pflegerische und ärztliche Leitung berichten von den bisherigen Erfahrungen: Wie organisieren wir die Behandlung Schwererkrankter im häuslichen Umfeld ohne die (vermeintliche) Sicherheit einer Station? Für welche Patientengruppe ist dieser Behandlungsrahmen geeignet? Warum ist gerade für diese Form der Behandlung die Multiprofessionalität so entscheidend? Welche Rückmeldungen haben wir bisher von Betroffenen und Angehörigen erhalten?
Welche Effekte hat ein globales Behandlungsbudget auf die psychiatrische Versorgung (nach § 64b SGB V)? Ergebnisse zweier Studien der Prozess- und Outcome-Evaluation
Julian Schwarz, Berlin (Germany)
Christine Schmid, Berlin (Germany)
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Autor:innen:
Julian Schwarz, Berlin (Germany)
Christine Schmid, Berlin (Germany)
Sebastian von Peter, Berlin (Germany)
Einführung:
Seit 2003 haben sich in Deutschland 21 Modellvorhaben nach §64b SGB V (MV) gebildet, deren 8-jährige Laufzeit überwiegend in den nächsten Jahren endet. Ungeklärt ist, ob und inwiefern sich MV in die Regelversorgung überführen lassen. Das Gros der Begleitforschung liefert nur begrenzt Antworten hierauf, wurden bisher v.a. quantitative Fragen (z.B. Veränderung der AU-Tage, klinische Outcomes) untersucht. Aufbauend auf der Hypothese, dass das globale Behandlungsbudget (GBB) die zentrale Triebkraft der MV ist, wird folgenden Fragen nachgegangen: I. Wie wirkt sich das GBB auf die Versorgungsstrukturen und Stakeholder aus (Studie: „EvaMod64b“)? II. Was ist bei der Einführung von MV aus organisationaler Perspektive zu beachten (Studie: „PsychCare“)?
Methode:
Es wurden Experteninterviews und Fokusgruppen mit NutzerInnen, Angehörigen und klinischen Mitarbeitenden von MV geführt (n=236). Für die II. Fragestellung wurden Mitarbeitende des ökonomischen und medizinischen Controllings, sowie Krankenhausleitungen und Krankenkassen (KK) befragt (n=29). Ausgewertet wurde mittels qualitativer Inhaltsanalyse.
Ergebnisse und Diskussion:
I. Es konnte ein Wirkmodell für MV entwickelt werden. Dieses zeigt, dass die mit einem GBB verbundenen ökonomischen Sicherheiten die Implementierung spezifischer Versorgungsmerkmale fördern (bspw. Ambulantisierung, flexibler Settingwechsel, Behandlerkontinuität und Zuhause-Behandlung).
II. Zentral für die Einführung eines GBB ist das gegenseitige Vertrauen von Kliniken und KK. Herausfordernd aus Sicht der Stakeholder sind u.a. die sektorenübergreifende Leistungsdokumentation und -steuerung sowie der Parallelbetrieb von Modell- und Regelversorgung.
Schlussfolgerung:
Abgesehen von diversen überwindbaren Implementierungshürden, stellt das GBB einen starken Antrieb zur organisationalen Transformation für eine zukunftsweisende psychiatrische Versorgung dar.
Erfahrungen aus Modellprojekten nach § 64b SGB V – Perspektiven für Gesetz und Praxis aus Sicht der Aktion Psychisch Kranke
Jörg Holke, Bonn (Germany)
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Autor:in:
Jörg Holke, Bonn (Germany)
Die Aufnahme des § 64b im SGB V erfolgte durch den Gesetzgeber 2012 im Rahmen des Psych-Entgelt-Gesetzes. Die Aktion Psychisch Kranke (APK) hatte begrüßt, dass so erstmalig neue Formen der Krankenhausbehandlung unter Qualitätsaspekten sektorübergreifend wirksam erprobt werden konnten.
Im Wesentlichen werden Modellprojekte im Krankenhaussektor durchgeführt. Ermöglicht werden settingübergreifende, flexible, am individuellen Bedarf ausgerichtete Behandlungsplanung und -umsetzung. Personelle Kontinuität ist durch die Steuerung über das Trägerbudget möglich. In den ersten vorliegenden Auswertungen und in der Krankenhausplanung der Länder zeichnet sich ab, dass eine Verschiebung in den teilstationären und - noch nicht so stark ausgeprägt - in die ambulante und lebensfeldorientierte Behandlung zu erkennen ist. Ökonomische Effekte sind noch nicht valide nachweisbar. Aufgrund unterschiedlicher Interessenslagen der Krankenkassen, ist es nur in einem Teil der Verträge gelungen, alle Krankenkassen einzubinden mit der bedauerlichen Folge der Patientenselektion.
Aktuell wesentliche Herausforderung in der Praxis sieht die APK in Bezug auf:
- den Ausbau der lebensfeldorientierte ambulanten Krankenhausbehandlung
- die patientenbezogenen Dokumentation, um Transparenz in Bezug auf Patientenorientierung bzw. Personenzentrierung zu schaffen
- der Verbesserung der Schnittstellen zur Teilhabeleistungen
- der stärkeren Einbeziehung der ambulanten Behandlungsangebote
- neue Wege in der Krankenhausplanung der Länder
Damit einhergeht die Klärung der fachlich-rechtlichen Perspektive:
- Eignung von Trägerbudgets als sektorübergreifende Steuerungsform?
- neue Formen einer patientenbezogenen Budgetsteuerung (in Anlehnung an § 29 SGB IX)?
- bei entsprechend positiven Umsetzungsergebnissen die zügige Überführung in die Regelversorgung?
Die Erfahrungen und offenen Fragen der 64b Modellvorhaben werden in den BMG-Dialog zur Weiterentwicklung der Hilfen für psychisch erkrankte Menschen einfließen.
Die Perspektive der Modellprojekte nach § 64b SGB V aus Sicht der Krankenkassen
Barbara Steffens, Düsseldorf (Germany)
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Autor:in:
Barbara Steffens, Düsseldorf (Germany)
Ein großes Problem in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist die historisch gewachsene Sektorentrennung der Behandlungssettings. Die einzelnen Player folgen den Vorstellungen in ihren Strukturgrenzen. Krankenhäuser, die per Gesetz verpflichtet sind, wirtschaftlich zu handeln, haben derzeit wenig Möglichkeiten, einen Patienten ohne finanzielle Verluste sektorenüber-
greifend zu betreuen. Es besteht der Anreiz, die eigenen stationären Kapazitäten auszulasten. Eine Koordination mit anderen, außerhalb des Krankenhauses ansässigen Akteuren, ist in der Regelversorgung nicht refinanzierbar. Ziel muss es daher sein, die ökonomischen Rahmenbedingungen so zu ändern, dass es sich stärker „lohnt", den Patienten entsprechend seines tatsächlichen Bedarfs unabhängig von den Sektoren zu versorgen. Die Behandlung psychisch kranker Menschen ist auch durch eine oftmals besonders lange Betreuungsdauer, wiederholte Kontakte und einer hohen Zahl einzubeziehender Akteure gekennzeichnet. Daher sind unterschiedliche Konzepte und Finanzierungsoptionen zur Verbesserung der sektorenübergreifenden Versorgung zu entwickeln. Das solche Anreizmechanismen Wirkung entfalten können, zeigen erste Ergebnisse aus den beiden Modellvorhaben mit den Landschaftsverbänden in NRW. Die beiden Modelle bauen auf einem so genannten „Tracksystem“ auf und entwickeln dieses fachlich wie entgelttechnisch weiter. Hiermit werden die Prozesse und Strukturen der Kliniken in Form modular aufgebauter, dezentral arbeitender und die Behandlungskontinuität absichernder Behandlungseinheiten mit festen Teams vorgehalten. Diese behandeln alle Schweregrade eines psychiatrischen Störungsbildes über alle vollstationären, teilstationären, ambulanten Sektoren integriert. Der Kern des Modellprogramms liegt in der Einführung innovativer sogenannter „Stationsungebundener Leistungen“ , die einen nächsten Schritt zur internen Sektor Durchlässigkeit und Flexibilisierung der Behandlungsformen beinhalten.