Unsere moderne Welt ist eine Welt der Netzwerke: Twitter, wissenschaftliche Kooperationsnetzwerke oder Hirnnetzwerke – sie alle stehen für zunehmende Komplexität und gegenseitige Verbundenheit. Erst durch neueste Informationstechnologien lassen sich diese Netzwerke erfassen und analysieren und stellen so eine reichhaltige Quelle von Informationen („big data“) dar.
Die psychiatrische Forschung profitiert aufgrund ihrer Komplexität und Interdisziplinarität besonders von diesen neuen Datenquellen und Analysemethoden. In diesem Symposium beleuchten wir daher aus dem Blickwinkel unterschiedlichster Disziplinen, wie die Netzwerkperspektive neue und innovative Einblicke in Bezug auf psychiatrische Fragestellungen gewährt.
Im ersten Vortrag geht Prof. Fangerau auf frühe Modelle netzwerkanalytischen Denkens in der Psychiatrie ein und analysiert die theoretischen Auseinandersetzungen um zahlenbasierte Netzwerkmethoden in der Psychiatrie Anfang des 20. Jahrhunderts als „nützliche Fiktionen“ im Sinne des Philosophen Hans Vaihinger.
Dr. Grübner greift in seinem Beitrag das Potential von Netzwerken als Quelle von alltagsbasierten, zeitaufgelösten und georeferenzierten „Big Data“-Datensätzen auf: Er beschreibt, wie sich anhand von Daten aus sozialen Netzwerken, insbesondere Twitter, Rückschlüsse über die räumliche Verteilung von Emotionen nach Naturkatastrophen schließen lassen.
Dr. Braun stellt in seinem Vortrag dar, wie Netzwerkdaten aus verschiedenen Ebenen integriert werden können, nämlich Hirnnetzwerke (gemessen mit fMRT) und soziale Netzwerkdaten (erhoben mittels ambulatory assessment). Diese Integration ermöglicht zunehmend realistische, biopsychosoziale Modelle von seelischer Gesundheit und Krankheit.
Dr. Clemm beschreibt schließlich eine Metaperspektive auf die deutsche psychiatrische Forschungslandschaft: Ausgehend von Publikationsdatenbanken werden mit netzwerkanalytischen Methoden inhaltliche Zusammenhänge, kollaborative Strukturen und zeitliche Dynamiken untersucht.
Hurrikan Sandy, soziale Medien und negative Emotionen in New York City
Oliver Grübner, Zürich (Switzerland)
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Autor:in:
Oliver Grübner, Zürich (Switzerland)
Hintergrund
Naturkatastrophen haben Konsequenzen für die seelische Gesundheit der betroffenen Bevölkerung. In dieser Studie haben wir geo-referenzierte Daten aus Twitter analysiert, um (1) negative Emotionen in New York Stadt (NYC) vor, während und nach Hurrikan Sandy 2012 zu extrahieren. Weiterhin haben wir (2) getestet, ob sozial-ökologische Einflussfaktoren (z.B. durch den Sturm verursachter Sachschaden, Sozialstatus) mit den emotionalen Reaktionen aus Twitter assoziiert waren und (3) deren geographische Verteilung auf der Zensus Ebene untersucht.
Methoden
Insgesamt haben wir 1,018,140 geo-referenzierte Tweets mit einem Verfahren des Maschinellen Lernens (EMOTIVE) auf Emotionen hin untersucht. Ferner haben wir Poisson Regressionsmodelle verwendet, um signifikante Assoziationen zwischen Einflussfaktoren und Emotionen zu untersuchen und die Moran’s I Statistik verwendet, um die räumliche Verteilung der Varianz zu evaluieren.
Ergebnisse
Negativ Emotionen, wie Traurigkeit, Angst und Wut konnten über die gesamte Untersuchungsperiode (vor, während und nach der Katastrophe) nachgewiesen werden. Ferner konnte ein höheres Risiko von negativen Emotionen in solchen Gebieten nachgewiesen werden, in denen ein höherer Sachschaden durch den Hurrikan aufgetreten war. Dies blieb auch nach der Adjustierung durch bekannte Einflussfaktoren (wie z.B. Sozialstatus) der Fall. Die Stärke des Zusammenhangs war in den besonders stark betroffenen Gebieten wie Staten Island oder Long Island (Queens) besonders hoch.
Diskussion
Die Studie konnte anhand von geo-referenzierten Social Media Daten einen Zusammenhang zwischen der Auswirkung einer Naturkatastrophe und emotionalen Reaktionen in Social Media aufzeigen. Dies könnte unter anderem helfen, bestimmte Gebiete und Bevölkerungsgruppen zu identifizieren, welche nach Katastrophen auf besondere Hilfe angewiesen sind.