Seit einigen Jahren ist ein veränderter Umgang mit religiösen und spirituellen Erfahrungen in Psychiatrie und Psychotherapie zu beobachten. Weil religiöses oder spirituelles Erleben in der Psychiatrie meist durch wahnhaftes Denken getrübt wird, ist eine angemessene Beurteilung schwierig. Nach einem Rückblick über 90 Jahre Religionspsychopathologie (K. Schneider 1928) kommen zwei Psychiatrie-Erfahrene zu Wort, die heute als „Genesungshelfer“ arbeiten. Klaus Nuißl schildert seine religiöse Identitätssuche vor dem Hintergrund psychotischen Erlebens. Thelke Scholz stellt spirituelle Ressourcen in ihrem Genesungsprozess vor. Schließlich erläutert Uwe Gonther den Umgang mit spirituellen Inhalten in der Psychosen-Therapie vor dem Hintergrund seiner klinischen Praxis.
90 Jahre Religionspsychopathologie
Joachim Demling, Erlangen (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Joachim Demling, Erlangen (Germany)
90 Jahre „Religionspsychopathologie“- ein geschichtlicher Rückblick
Seit den Anfängen der Psychiatrie als klinische Wissenschaft in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts haben sich Vertreter des Faches mit dessen Bezügen zur Religion, zumeist mit dem religiösen Wahn, immer wieder beschäftigt (Ideler, von Krafft-Ebing, im außerdeutschen Sprachraum z.B. Hans Jacob Schou, der Psychologe William James, Joseph Workman). Karl Jaspers widmete in seiner „Allgemeinen Psychopathologie“ dem Thema „Psychopathie und Religion“ einige Überlegungen. Die Psychoanalyse hat bekanntlich vielfältige Beiträge geleistet (Freud, C.G. Jung, Fromm u.a.). Der Terminus „Religionspsychopathologie“ hatte Vorläufer aus dem theologischen Bereich (Girgensohn, Gruehn), stammt selbst aber wohl von dem deutschen Psychiater Kurt Schneider (1887-1967) im Titel seiner Schrift „Zur Einführung in die Religionspsychopathologie“, erschienen 1928, also vor etwa 90 Jahren. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden Themen der Religionspsychopathologie (unter Nennung des Begriffs) von deutschsprachigen Psychiatern und Psychotherapeuten wiederholt bearbeitet (Weitbrecht, Thomas, Hole u.a.). Seit einigen Jahrzehnten verzeichnet das psychologische und psychiatrische Interesse an den „Schattenseiten“ der Religion auch hierzulande einen deutlichen Anstieg, was sich in einer wachsenden Zahl von- zumeist monographischen- Publikationen niederschlägt (Utsch, Pfeifer, Kaiser, Freund u.v.a). Der Vortrag bietet einen Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Themenkreises im deutschsprachigen Raum seit dem vorletzten Jahrhundert bis zur Gegenwart.
Religiöse Erfahrungen in meiner Psychose – ein Reisebericht
Klaus Nuißl, Regensburg (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Klaus Nuißl, Regensburg (Germany)
Es geht in meinem Beitrag um eine sehr persönliche Darstellung meiner Erlebnisse während mehrerer psychotischer Episoden und was ich in meinem Leben daraus mitgenommen habe, was ich für Schlüsse gezogen habe. Die Psychose hat mein Leben entscheidend beeinflusst, in dem sie viele existenzielle Fragen aufgeworfen hat. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen und dem Erleben hat mir neue Zugänge eröffnet und mein Leben bereichert. Ich bin allerdings sehr vorsichtig, wenn es um Verallgemeinerungen geht und zu schnell von einem Sinn der Erkrankung gesprochen wird, wenn Menschen von ihren Erfahrungen noch stark beeinträchtigt sind und darunter leiden.
Ich hoffe, dass die Erlebnisse für den ein oder anderen interessant sein können, auch wenn mir natürlich bewusst ist, dass jedes psychotische Erleben anders ist und jeder seine Erfahrungen anders bewertet.
Spiritualität als Ressource in meinem Genesungsprozess
Thelke Scholz, Bremervörde (Germany)
Details anzeigen
Autor:in:
Thelke Scholz, Bremervörde (Germany)
In meinem Vortrag werde ich als glaubende Christin mit der Erfahrung einer psychischen Erkrankung von meinem Lebensweg erzählen. Ich werde davon berichten, wie mein Glaube mir durch die schwere Zeit dieser Erkrankung geholfen hat. Ich werde kurz davon berichten, welche Bedeutung das Kirchengebäude dabei für mich hatte; über die Geborgenheit des Gottesdienstes und das Gefühl, ein Teil der Gemeinde zu sein werde ich sprechen. Ich werde die Grenzen und Untiefen der Religion benennen, denen ich mich stellen musste. Ich werde dann die Zuhörer auf meinen Genesungsweg mitnehmen. Abschließend werde ich über mein Leben mit einer psychischen Krankheit sprechen, darüber, wie es mir bisher gelingt und welche Bedeutung auch heute noch meinem Glauben dabei zukommt. Ich werde über die Suche und das Finden von Sinnhaftigkeit sprechen. Vom Glauben an einen Sinn, von der Liebe zum Leben und der Hoffnung auf Bedeutsamkeit.
In meinem Vortrag werde ich nicht auf die Kirche als Institution eingehen.
Da ich von meinen persönlichen Erfahrungen erzählen werde, werde ich natürlich kein allgemein gültiges spirituelles Genesungs-Rezept vorstellen.
Mein Vortrag bildet das reflektierte Ergebnis aus vielen Jahren Arbeit ab: Jahre, in denen ich selbst Nutzerin (Sozial)Psychiatrischer Angebote war, und inzwischen auch Jahre der Arbeit als Expertin aus Erfahrung in der Gesundheitsversorgung (EX-IN), Dozentin in der Sozialpsychiatrie und Autorin.