Dass psychotische und schizophreniforme Störungen auch durch organische Hirnerkrankungen verursacht sein können, ist keine neue Erkenntnis. Dieser Einsicht folgend wird etwa im ICD-10 gefordert, dass bei eindeutiger Gehirnerkrankung keine Schizophrenie diagnostiziert werden soll. Manche Autoren unterscheiden zwischen primären oder auch idiopathischen und sekundären oder auch symptomatischen psychotischen bzw. schizophreniformen Störungen. Wo aber im klinischen Alltag die genaue Grenze gezogen werden soll und wie weit etwa die organische Abklärung oder kausale Therapieversuche bei vermuteten sekundären oder symptomatischen Psychosen gehen sollen, ist noch weitgehend unklar.
Seit einigen Jahren mehren sich in diesem Zusammenhang in der Literatur Berichte darüber, dass meist akut bis subakut verlaufende mehr oder weniger atypische schizophreniforme Syndrome Folge von antikörpervermittelten, limbischen Encephalitiden sein können. Es gibt aber auch Berichte von Einzelfällen, in denen auch klassische schizophreniforme Störungsbilder sich im Verlauf als Ausdruck einer möglichen autoimmun-vermittelten Encephalopathie herausstellen. Letztere Konstellationen werden oft im Kontext des Konzepts der „steroid-responsiven Enzephalopathie bei Autoantikörpern gegen die Schilddrüse“ (Thyreoidea, auch kurz SREAT) diskutiert. Dabei handelt es sich allerdings um ein theoretisch schlecht abgegrenztes Konstrukt unklarer Validität. Klinisch können die klar antikörpervermittelten Encephalitiden zwar initial wie eine primärpsychiatrische Störung präsentieren, im Verlauf entwickelt sich allerdings meist ein klassisch neuropsychiatrisches Bild. Im Gegensatz dazu können sich die Steroid-responsiven psychotischen Syndrome in Einzelfällen auch langfristig wie eine klassische Schizophrenie präsentieren. In diesem Zusammenhang sind differentialdiagnostisch auch organische psychotische Störungen bei rheumatologischen Erkrankungen zu erwägen, z.B. neuropsychiatrische Symptome beim Lupus erythematodes.
Schließlich mehren sich Fallberichte über primär anmutende Schizophrenien, die sich im Verlauf als Ausdruck von Speichererkrankungen wie etwa der Niemann-Pick-Typ C Krankheit, der hereditären Leukodystrophie mit axonalen Spheroiden oder als Folge paraepileptischer Pathomechanismen erweisen.
All diese Beobachtungen stellen die behandelnden Kliniker vor weitreichende Probleme und Fragen: Wie weit sollen im Einzelfall die diagnostischen Bemühungen getrieben werden? Sollte immer eine Lumbalpunktion erfolgen? Wie weitreichend sollte die EEG-Diagnostik sein? Wann genau sollten Gen-Tests bei Verdacht auf hereditäre Speicherkrankheiten durchgeführt werden? Wann genau sollten therapeutische Interventionen etwa in Form einer Kortison-Stoßtherapie erwogen werden und wie weit sollten solche immunmodulierenden Interventionen reichen? Wann ist die Einrichtung einer Betreuung zur Durchführung der Immuntherapie gerechtfertigt?
Auch wenn die meisten dieser Fragen aktuell noch nicht aufgrund kontrollierter, randomisierter Studien mit hohem Evidenzgrad beantwortet werden können, müssen sich die Kliniker im Alltag gegenüber ihren Patienten konkret dazu verhalten und die notwendige Diagnostik veranlassen. Daher wird in diesem State-of-the-Art-Symposium das aktuelle Wissen zu dieser Thematik in Hinblick auf die für die klinische Psychiatrie und Neuropsychiatrie alltagsrelevanten organischen Hirnerkrankungen zusammenfassend vorgetragen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den immunologischen Encephalitiden.