Der weitaus grösste Teil der jüngeren Studien zum Wohnen für Menschen mit psychischen Störungen stammt aus Nordamerika und betrifft Obdachlose. Ein in diesem Zusammenhang vielversprechendes Konzept nennt sich «Housing First», es hat sich in multizentrischen Studien in den USA und in Kanada als vorteilhaft für die Wohnstabilität, die soziale Integration und die Lebensqualität der Betroffenen erwiesen. Sowohl in Westeuropa als auch für nicht-obdachlose Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen existieren bislang kaum grössere Untersuchungen zu überzeugenden Konzepten der Wohnrehabilitation.
In Deutschland und der Schweiz wurden in den letzten Jahren an verschiedenen Orten Versorgungsformen nach dem Paradigma «First place, then train» (Unabhängiges Wohnen mit flexibler Unterstützung, Wohn-Coaching, intensiv ambulant betreutes Wohnen) eingeführt. In eng aufeinander abgestimmten Studiendesigns werden die Angebote in Westfalen, Bielefeld, Südwürttemberg, Bern und Zürich nun evaluiert. In diesem Symposium werden die Versorgungsangebote, die Studiendesigns und erste Ergebnisse präsentiert.
Wohnforschung – aktueller Stand und methodische Grundlagen
Dirk Richter, Bern (Switzerland)
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Dirk Richter, Bern (Switzerland)
Nach mehreren Jahrzehnten der wissenschaftlichen Vernachlässigung erlebt die Wohnforschung im Kontext der psychiatrischen Versorgung aktuell einen Aufschwung. Diese Entwicklung wird vorangetrieben durch grosse internationale Forschungsprojekte wie die 'Housing First'-Programme in den USA und Kanada sowie durch politische Entwicklungen wie der UN-Behindertenrechtskonvention, die Menschen mit Wohnunterstützungsbedarf in der psychiatrischen Versorgung deutlich mehr Autonomie zuspricht, als dies bis anhin der Fall gewesen ist.
Der Beitrag gibt einen Überblick über inhaltliche und methodische Entwicklungen in der Wohnforschung und referiert neueste Studienergebnisse zu den Effekten verschiedener Wohnformen sowie zu Wohnpräferenzen von Menschem mit psychischen Beeinträchtigungen.
Wie wohnen in Westfalen und Mecklenburg?
Ingmar Steinhart, Bielefeld (Germany)
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Ingmar Steinhart, Bielefeld (Germany)
Die Datenlage über Lebenslagen und vor allem die Entwicklungsverläufe von Menschen mit seelischen Behinderungen ist insbesondere im Feld der Wohnunterstützung(Eingliederungshilfe) sowohl national als auch international unzureichend. Die beiden in Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern unter dem Label „WiEWohnen“ parallel und mit identischen Instrumentarien laufenden Projekte identifizieren Prädiktoren für die Ergebnisqualität der Eingliederungshilfe Wohnen. Sie sollen damit differenzierte Grundlagen schaffen für empirisch fundierte differenzierte Zuweisungen von bzw. Empfehlungen für Menschen mit seelischen Behinderungen bezüglich unterschiedlicher Wohnunterstützungsangebote.
Die Projekte sind insgesamt auf einen Erhebungszeitraum von zwei Jahren mit drei Messzeitpunkten angelegt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass vor dem Hintergrund der umfassenden Erhebungsmethodik und einer zugleich psychisch oft stark belasteten Stichprobe die Studiendurchführung bislang sehr gut verlaufen ist und eine hohe Ausschöpfungsquote an eingeschlossenen KlientInnen erreicht werden konnte. Die Erfahrungen aus der Durchführung von im Bereich Wohnunterstützung angelegter Forschungsprojekte werden auch unter dem Aspekt der unterschiedlichen Herangehensweisen in den beiden Bundesländern ebenso berichtet wie erste deskriptive Ergebnisse. Diese Projekte werden aufgrund ihrer komplexen Anlage und der erfolgreichen Umsetzung ein umfassendes Bild der Lebenssituation von Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen in der Eingliederungshilfe und ihren Bedarfen bzgl. des Wohnens und der Lebensführung hervorbringen.
Wie wohnen in Südwürttemberg?
Susanne Jaeger, Ravensburg (Germany)
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Susanne Jaeger, Ravensburg (Germany)
Wie entwickeln sich Menschen mit seelischen Behinderungen, die in unterstützten Wohnformen leben, über die Zeit? Welche Veränderungen, u.a. in Hinblick auf Aktivitäten und Teilhabe sind möglich?
Im Rahmen der Follow-up-Studie WieWohnen-BW, die in vier Landkreisen in Baden-Würtemberg stattfindet, wird eine Kohorte von Menschen mit seelischen Behinderungen, die Eingliederungshilfe beziehen, ab Beginn (bzw. Veränderung) der Unterstützung über einen Zeitraum von 1,5 Jahren begleitet. In wiederholten Befragungen wird mittels gängiger Fragebögen ein breites Spektrum von Themen erfasst, das von Alltagsaktivitäten über Gesundheit, Zufriedenheit und offene Bedarfe bis zur Inanspruchnahme weiterer Versorgungsleistungen reicht.
Es erklärten sich 102 Personen zur Teilnahme bereit, überwiegend aus ambulant betreuten Settings und mehrheitlich mit Diagnosen aus dem schizophrenen oder affektiven Spektrum. Bei der Baseline-Erhebung zeigten die Teilnehmenden im Vergleich zur Normalbevölkerung deutliche funktionale Einschränkungen. Am stärksten betroffen waren die Bereiche sozialer Rückzug und soziale Aktivitäten. Ein vorrangiges Problem der Befragten war außerdem die große psychische Belastung, insbesondere Anspannung, Sorgen, Dünnhäutigkeit und Antriebslosigkeit. Sie erlebten ihre seelischen wie auch körperlichen Probleme als einschränkend für ihre Teilhabechancen, als Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität und nicht selten als Bereiche mit ungedecktem Unterstützungsbedarf.
Neben der ausführlichen Beschreibung der Situation der Stichprobe werden auch erste vorliegende Ergebnisse der 6-Monats-Katamnese vorgestellt.
Wie wohnen in Bern und Zürich? Evaluation des Wohn-Coachings als RCT gegenüber einem Beobachtungsstudiendesign
Matthias Jäger, Liestal (Switzerland)
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Matthias Jäger, Liestal (Switzerland)
Die Wohn-Coaching-Projekte in Bern und Zürich werden seit anfangs 2019 in einer vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Studie parallel evaluiert. Neben dem Vergleich der Intervention mit der Regelbehandlung in betreuten Wohninstitutionen, werden auch zwei Studiendesigns miteinander verglichen: Eine randomisiert kontrollierte Studie in Zürich gegenüber einer Beobachtungsstudie in Bern. Es werden eine klinische und eine methodische Hypothese untersucht: Wohn-Coaching ist der Regelversorgung in Hinblick auf soziale Inklusion und weitere Parameter nicht unterlegen. Die Ergebnisse der Beobachtungsstudie erweisen sich als ebenso robust wie jene des RCTs.
Im Beitrag wird das Studiendesign, der methodische Hintergrund sowie erste Ergebnisse vorgestellt.